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- Es ist die Absicht des Verfassers, ein abgekürztes Bild des Ver-
- fahrens zu liefern, das szenisch darstellbar ist und das die
- Wahrheit nicht beschädigt.
- Aus wohlerwogenen Gründen legte sich der Verfasser für die vor-
- liegende Arbeit jedoch Beschränkungen auf, alle im Stück erschei-
- nenden Tatsachen der historischen Wirklichkeit zu entnehmen. Die
- Freiheiten des Verfassers liegen in der Auswahl, in der Anord-
- nung, in der Formulierung und in der Konzentration des Stoffes.
- Um die Form eines sowohl strengen als auch umfassenden Zeitdoku-
- ments zu erreichen, das ihm für die Bühne wünschenswert schien,
- waren einige Ergänzungen und Vertiefungen erforderlich.
- Er verfuhr dabei nach dem Prinzip so wenig wie möglich und
- soviel wie notwendig. Wenn die Wahrheit von einer Wirkung
- bedroht schien, opferte er die Wirkung.
- Einige Beispiele für die Freiheiten, die sich der Verfasser nahm:
- das orginale Hearing dauerte länger als einen Monat, und es wur-
- den 40 Zeugen gehört. Der Verfasser begnügte sich mit 6 Zeugen.
- Die gebotene Konzentration war mit einer wortgetreuen Montage von
- Rede und Gegenrede nicht zu erzielen, und sie schien dem Autor im
- Interesse der Einheit des Stückes auch nicht wünschenswert. Er
- bemühte sich, Worttreue durch Sinntreue zu ersetzen.
- Zwischen den Szenen das Stückes verwendet der Autor Monologe oder
- Miniszenen, die es im wirklichen Hearing nicht gegeben hat. Er
- bemühte sich, die Zwischenszenen aus der Haltung zu entwickeln,
- die von den Personen im Hearing oder bei anderen Gelegenheiten
- wahrgenommen wurde.
- Im Gegesatz zum Stück wurde die Entscheidung des Ausschusses
- nicht am Ende verlesen, sondern erst später brieflich zugesendet.
- Oppenheimer hat das in dem Stück vorkommende Schlußwort nicht
- wirklich gesprochen."
- In seinem Nachwort zum "Oppenheimer" hat Kipphardt seine Vorge-
- hensweise bei der Bearbeitung des historischen Stoffes selbst
- beschrieben. Da er natürlich nicht alle 3000 Seiten des Orginal-
- protokolls verarbeiten konnte, nahm er viele Kürzungen vor. "Ein
- Vergleich zwischen Drama und Protokoll zeigt jedoch, daß zahl-
- reiche Auszüge aus den Dokumenten entweder wörtlich oder dem Sin-
- ne nach wiedergegeben wurden."
- Da Kipphardts Anliegen vor allem war, die Situation des Wissen-
- schaftlers in unserer Zeit darzustellen, konzentrierte er sich
- auf den Gewissenskonflikt Oppenheimers.
- Dazu übernimmt er folgende Passage aus dem Protokoll fast wort-
- wörtlich:
- Auf Marks Frage in der 3. Zwischenszene, ob der moderne Staat der
- totale Überwachungsstaat sein solle, antwortet Oppenheimer: "Ich
- glaube nicht an die vernünftige Reaktion dieser fehlinformierten
- Öffentlichkeit."
- Ein Ziel der Schriftsteller des Dokumentartheaters war es, die
- Geschichte nicht nur wiederzugeben, sondern auch sie zu erklären.
- Vordergründig interessierte die Bürger der Vereinigten Staaten
- (und natürlich auch die, die in Deutschland den Prozeß verfolg-
- ten) nur die Frage, ob Oppenheimer in eine Spionageaffaire ver-
- wickelt war oder nicht. Die Hintergründe zu erforschen und zu
- verarbeiten, machte Kipphardt sich zur Aufgabe.
- Als Grundlage für sein Theaterstück dienten ihm vor allem die
- 3000 Seiten Verhandlungsprotokoll, die er sorgfältig durcharbei-
- tete. Er leistete "wissenschaftliche Vorarbeit" und destillierte
- "aus der großen Fülle des Materials das Wesentliche". Als Form
- für sein Theaterstück wählte er die der Gerichtsverhandlung, was
- typisch für das Dokumentartheater ist (vgl. "Die Ermittlung" von
- Peter Weiss oder "Das Verhör von Habana" von Hans Magnus Enzens-
- berger). Dem Zuschauer wird dadurch die Möglichkeit gegeben, sich
- mit der Thematik des Stückes auseinanderzusetzen, ohne sich mit
- einzelnen Personen (vor allem Oppenheimer) zu identifizieren.
- Diese Distanzierung des Publikums war von Kipphardt beabsichtigt:
- "trotz der historischen Situierung mittels Textprojektionen und
- genauen Datums- und Zeitangaben, trotz des Lokalkolorits und der
- fast naturalistischen Nachahmung des Oppenheimer-Darstellers soll
- nicht der Eindruck entstehen, daß es um einen individuellen Fall
- geht, der der Geschichte angehört. Verfremdungstechniken treten
- ergänzend hinzu, um die Wirklichkeit zu relativieren."
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