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Text File  |  1994-04-12  |  4.0 KB  |  72 lines

  1. Es ist die Absicht des Verfassers, ein abgekürztes Bild des Ver-
  2. fahrens zu liefern, das szenisch darstellbar ist und das die
  3. Wahrheit nicht beschädigt.
  4. Aus wohlerwogenen Gründen legte sich der Verfasser für die vor-
  5. liegende Arbeit jedoch Beschränkungen auf, alle im Stück erschei-
  6. nenden Tatsachen der historischen Wirklichkeit zu entnehmen. Die
  7. Freiheiten des Verfassers liegen in der Auswahl, in der Anord-
  8. nung, in der Formulierung und in der Konzentration des Stoffes.
  9. Um die Form eines sowohl strengen als auch umfassenden Zeitdoku-
  10. ments zu erreichen, das ihm für die Bühne wünschenswert schien,
  11. waren einige Ergänzungen und Vertiefungen erforderlich.
  12. Er verfuhr dabei nach dem Prinzip so wenig wie möglich und
  13. soviel wie notwendig. Wenn die Wahrheit von einer Wirkung
  14. bedroht schien, opferte er die Wirkung.
  15. Einige Beispiele für die Freiheiten, die sich der Verfasser nahm:
  16. das orginale Hearing dauerte länger als einen Monat, und es wur-
  17. den 40 Zeugen gehört. Der Verfasser begnügte sich mit 6 Zeugen.
  18. Die gebotene Konzentration war mit einer wortgetreuen Montage von
  19. Rede und Gegenrede nicht zu erzielen, und sie schien dem Autor im
  20. Interesse der Einheit des Stückes auch nicht wünschenswert. Er
  21. bemühte sich, Worttreue durch Sinntreue zu ersetzen.
  22. Zwischen den Szenen das Stückes verwendet der Autor Monologe oder
  23. Miniszenen, die es im wirklichen Hearing nicht gegeben hat. Er
  24. bemühte sich, die Zwischenszenen aus der Haltung zu entwickeln,
  25. die von den Personen im Hearing oder bei anderen Gelegenheiten
  26. wahrgenommen wurde.
  27. Im Gegesatz zum Stück wurde die Entscheidung des Ausschusses
  28. nicht am Ende verlesen, sondern erst später brieflich zugesendet.
  29. Oppenheimer hat das in dem Stück vorkommende Schlußwort nicht
  30. wirklich gesprochen."
  31. In seinem Nachwort zum "Oppenheimer" hat Kipphardt seine Vorge-
  32. hensweise bei der Bearbeitung des historischen Stoffes selbst
  33. beschrieben. Da er natürlich nicht alle 3000 Seiten des Orginal-
  34. protokolls verarbeiten konnte, nahm er viele Kürzungen vor. "Ein
  35. Vergleich zwischen Drama und Protokoll zeigt jedoch, daß zahl-
  36. reiche Auszüge aus den Dokumenten entweder wörtlich oder dem Sin-
  37. ne nach wiedergegeben wurden."
  38. Da Kipphardts Anliegen vor allem war, die Situation des Wissen-
  39. schaftlers in unserer Zeit darzustellen, konzentrierte er sich
  40. auf den Gewissenskonflikt Oppenheimers.
  41. Dazu übernimmt er folgende Passage aus dem Protokoll fast wort-
  42. wörtlich:
  43. Auf Marks Frage in der 3. Zwischenszene, ob der moderne Staat der
  44. totale Überwachungsstaat sein solle, antwortet Oppenheimer: "Ich
  45. glaube nicht an die vernünftige Reaktion dieser fehlinformierten
  46. Öffentlichkeit."
  47. Ein Ziel der Schriftsteller des Dokumentartheaters war es, die
  48. Geschichte nicht nur wiederzugeben, sondern auch sie zu erklären.
  49. Vordergründig interessierte die Bürger der Vereinigten Staaten
  50. (und natürlich auch die, die in Deutschland den Prozeß verfolg-
  51. ten) nur die Frage, ob Oppenheimer in eine Spionageaffaire ver-
  52. wickelt war oder nicht. Die Hintergründe zu erforschen und zu
  53. verarbeiten, machte Kipphardt sich zur Aufgabe.
  54. Als Grundlage für sein Theaterstück dienten ihm vor allem die
  55. 3000 Seiten Verhandlungsprotokoll, die er sorgfältig durcharbei-
  56. tete. Er leistete "wissenschaftliche Vorarbeit" und destillierte
  57. "aus der großen Fülle des Materials das Wesentliche". Als Form
  58. für sein Theaterstück wählte er die der Gerichtsverhandlung, was
  59. typisch für das Dokumentartheater ist (vgl. "Die Ermittlung" von
  60. Peter Weiss oder "Das Verhör von Habana" von Hans Magnus Enzens-
  61. berger). Dem Zuschauer wird dadurch die Möglichkeit gegeben, sich
  62. mit der Thematik des Stückes auseinanderzusetzen, ohne sich mit
  63. einzelnen Personen (vor allem Oppenheimer) zu identifizieren.
  64. Diese Distanzierung des Publikums war von Kipphardt beabsichtigt:
  65. "trotz der historischen Situierung mittels Textprojektionen und
  66. genauen Datums- und Zeitangaben, trotz des Lokalkolorits und der
  67. fast naturalistischen Nachahmung des Oppenheimer-Darstellers soll
  68. nicht der Eindruck entstehen, daß es um einen individuellen Fall
  69. geht, der der Geschichte angehört. Verfremdungstechniken treten
  70. ergänzend hinzu, um die Wirklichkeit zu relativieren."
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