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- Bei der Verarbeitung seines Themas bedient sich Heinar Kipphardt
- bühnentechnischer Mittel, wie sie für das Dokumentartheater cha-
- rakteristisch sind.
- Er verwendet Textprojektionen bzw. Lautsprecheransagen (in der
- Fernsehfassung leitet ein Nachrichtensprecher die jeweils nächste
- Szene ein) und macht sich die Möglichkeit des Films zu Nutzen.
- Im Theaterstück soll ein Interview mit dem Atomphysiker gezeigt
- werden, in der Fernsehfassung wird ein Tonband gespielt.
- Auch die Zwischenszenen sind typisch für das dokumentarische
- Theater.
- Kipphardts Stück "Bruder Eichmann" wurde am 21. 1. 1983 unter der
- Regie von Dieter Giesing im Risidenztheater im München uraufgeführt.
- In seinem Theaterstück "Bruder Eichmann" versucht Kipphardt
- (wie schon unter 2.1.3.1 angedeutet) aufzuzeigen, wie aus einem
- durchschnittlichen jungen Mann der Leiter des Judenreferats im
- Dritten Reich, der die Vernichtung der Juden organisierte, werden
- konnte. "Bruder Eichmann" ist "eine analytische Beschreibung der
- Entwicklung dieses bürgerlichen deutschen Pflichtmenschen."
- Er verwendet wiederum die Form des Prozesses: Eichmann muß sich
- auf Grund seiner Verbrechen im Nazideutschland vor einem Ausschuß
- Israels verantworten.
- Das Stück ist in zwei Teile gegliedert: in den 18 Szenen des
- ersten Teils wird die Persönlichkeit Eichmanns durch Gespräche
- herausgearbeitet. Der Angeklagte, der "es gewöhnt war, im minde-
- sten geleitet zu werden", war schon in seiner Jugend Mitglied in
- vielen Vereinen. Auch erkannte er jeden Vorgesetzten als Autori-
- tät an, denn er "gehörte damals zu den Menschen, die sich zufrie-
- dengeben, wenn etwas angeordnet wird." Ohne auch nur das Partei-
- programm gelesen zu haben, wird er Mitglied in der NSDAP. Er gibt
- an, daß er seinen Befehlen stur Gehorsam geleistet habe, was ein
- "sehr bequemes Leben" sei, und darin seine Erfüllung gesehen zu
- haben.
- Der zweite Teil (11. Szenen) spielt sich im Strafgefängnis ab, wo
- Eichmann auf die Entscheidung über sein Gnadengesuch wartet. Dort
- wird noch einmal seine Rolle als der Verantwortliche für die Ver-
- nichtung der Juden erörtert.
- Die erste Szene dieses Teils wird durch einen Brief Eichmanns an
- seine Frau eingeleitet. Hier wird die Kernaussage des Stückes
- artikuliert. Eichmann schreibt: "Ich bin nicht der Unmensch, zu
- dem man mich macht. Ich bin das Opfer eines Fehlschusses. Meine
- Schuld war mein Gehorsam." In den folgenden Szene wird diese Aus
- sage durch Gespräche Eichmanns mit dem Pfarrer Hull und dessen
- Frau wieder aufgegriffen. Eichmann betont, nichts Unrechtes
- getan zu haben und "als Idealist den damaligen Idealen verpflich-
- tet" gewesen zu sein. Außerdem hatte er "den Kriegsgesetzen und
- seinem Fahneneid Folge zu leisten."
- Vom Autor wurden außerdem mehrere Analogieszenen eingearbeitet,
- die zeigen sollen, wie die "Eichmann-Haltung" in unserer heutigen
- Zeit aussehen kann: wenn zum Beispiel ein italienischer Verhör-
- spezialist über seine Methoden berichtet (Teil I, Szene 17 b)
- oder ein Conferencier Türkenwitze erzählt (Teil I, Szene 11 b)
- soll deutlich gemacht werden, "daß die Menschen aufgrund von Auto-
- ritätsgläubigkeit durchaus fähig sind, unter einem autoritären
- Regime verbrecherische und brutale Taten zu begehen." Adolf Eich-
- mann wurde am 19. 3. 1906 in Solingen geboren. Er besuchte die
- Volksschule und anschließnd die Oberrealschule. Ohne Abitur
- wechselte er auf die höhere Bundeslehranstalt für Maschinenbau
- nach Linz. Ab 1925 arbeitete Eichmann für zwei Jahre in der Ver-
- kaufsabteilung der Österreichischen Elektrobau AG. Anschließend
- erhielt er eine Stelle als Reisevertreter bei der Vacuum Oil Com-
- pany AG, wo er bis 1933 arbeitete. Im Frühjahr 1932 trat er in
- die NSDAP ein und am 1. 8. 1933 begann er mit seiner militäri-
- schen Ausbildung in den Lagern Lechfeld und Dachau.
- 1934 wurde Eichmann Referent im SD-Hauptamt. Seine Aufgabe war
- die Organisation der Deportation der Juden: "er hat die Transpor-
- te organisiert, die Fahrpläne ausarbeiten lassen und für die aus-
- reichende Nutzung der Gaskammern gesorgt. Er erledigte seine
- Arbeit am Schreibtisch und schickte Millionen in den Tod. Dem
- Bürokraten Eichmann fehlten Gefühl und Phantasie, um das Leiden,
- das er organisierte, zu ermessen."
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