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Text File  |  1994-03-25  |  4.1 KB  |  72 lines

  1. Bei der Verarbeitung seines Themas bedient sich Heinar Kipphardt
  2. bühnentechnischer Mittel, wie sie für das Dokumentartheater cha-
  3. rakteristisch sind.
  4. Er verwendet Textprojektionen bzw. Lautsprecheransagen (in der
  5. Fernsehfassung leitet ein Nachrichtensprecher die jeweils nächste
  6. Szene ein) und macht sich die Möglichkeit des Films zu Nutzen.
  7. Im Theaterstück soll ein Interview mit dem Atomphysiker gezeigt
  8. werden, in der Fernsehfassung wird ein Tonband gespielt.
  9. Auch die Zwischenszenen sind typisch für das dokumentarische
  10. Theater.
  11. Kipphardts Stück "Bruder Eichmann" wurde am 21. 1. 1983 unter der
  12. Regie von Dieter Giesing im Risidenztheater im München uraufgeführt.
  13. In seinem Theaterstück "Bruder Eichmann" versucht Kipphardt
  14. (wie schon unter 2.1.3.1 angedeutet) aufzuzeigen, wie aus einem
  15. durchschnittlichen jungen Mann der Leiter des Judenreferats im
  16. Dritten Reich, der die Vernichtung der Juden organisierte, werden
  17. konnte. "Bruder Eichmann" ist "eine analytische Beschreibung der
  18. Entwicklung dieses bürgerlichen deutschen Pflichtmenschen."
  19. Er verwendet wiederum die Form des Prozesses: Eichmann muß sich
  20. auf Grund seiner Verbrechen im Nazideutschland vor einem Ausschuß
  21. Israels verantworten.
  22. Das Stück ist in zwei Teile gegliedert: in den 18 Szenen des
  23. ersten Teils wird die Persönlichkeit Eichmanns durch Gespräche
  24. herausgearbeitet. Der Angeklagte, der "es gewöhnt war, im minde-
  25. sten geleitet zu werden", war schon in seiner Jugend Mitglied in
  26. vielen Vereinen. Auch erkannte er jeden Vorgesetzten als Autori-
  27. tät an, denn er "gehörte damals zu den Menschen, die sich zufrie-
  28. dengeben, wenn etwas angeordnet wird." Ohne auch nur das Partei-
  29. programm gelesen zu haben, wird er Mitglied in der NSDAP. Er gibt
  30. an, daß er seinen Befehlen stur Gehorsam geleistet habe, was ein
  31. "sehr bequemes Leben" sei, und darin seine Erfüllung gesehen zu
  32. haben.
  33. Der zweite Teil (11. Szenen) spielt sich im Strafgefängnis ab, wo
  34. Eichmann auf die Entscheidung über sein Gnadengesuch wartet. Dort
  35. wird noch einmal seine Rolle als der Verantwortliche für die Ver-
  36. nichtung der Juden erörtert.
  37. Die erste Szene dieses Teils wird durch einen Brief Eichmanns an
  38. seine Frau eingeleitet. Hier wird die Kernaussage des Stückes
  39. artikuliert. Eichmann schreibt: "Ich bin nicht der Unmensch, zu
  40. dem man mich macht. Ich bin das Opfer eines Fehlschusses. Meine
  41. Schuld war mein Gehorsam." In den folgenden Szene wird diese Aus
  42. sage durch Gespräche Eichmanns mit dem Pfarrer Hull und dessen
  43. Frau wieder aufgegriffen. Eichmann betont, nichts Unrechtes
  44. getan zu haben und "als Idealist den damaligen Idealen verpflich-
  45. tet" gewesen zu sein. Außerdem hatte er "den Kriegsgesetzen und
  46. seinem Fahneneid Folge zu leisten."
  47. Vom Autor wurden außerdem mehrere Analogieszenen eingearbeitet,
  48. die zeigen sollen, wie die "Eichmann-Haltung" in unserer heutigen
  49. Zeit aussehen kann: wenn zum Beispiel ein italienischer Verhör-
  50. spezialist über seine Methoden berichtet (Teil I, Szene 17 b)
  51. oder ein Conferencier Türkenwitze erzählt (Teil I, Szene 11 b)
  52. soll deutlich gemacht werden, "daß die Menschen aufgrund von Auto-
  53. ritätsgläubigkeit durchaus fähig sind, unter einem autoritären
  54. Regime verbrecherische und brutale Taten zu begehen." Adolf Eich-
  55. mann wurde am 19. 3. 1906 in Solingen geboren. Er besuchte die
  56. Volksschule und anschließnd die Oberrealschule.  Ohne  Abitur
  57. wechselte  er auf die höhere Bundeslehranstalt für Maschinenbau
  58. nach Linz. Ab 1925 arbeitete Eichmann für zwei Jahre in der Ver-
  59. kaufsabteilung der Österreichischen Elektrobau AG. Anschließend
  60. erhielt er eine Stelle als Reisevertreter bei der Vacuum Oil Com-
  61. pany AG, wo er bis 1933 arbeitete. Im Frühjahr 1932 trat er in
  62. die NSDAP ein und am 1. 8. 1933 begann er mit seiner militäri-
  63. schen Ausbildung in den Lagern Lechfeld und Dachau.
  64. 1934 wurde Eichmann Referent im SD-Hauptamt. Seine Aufgabe war
  65. die Organisation der Deportation der Juden: "er hat die Transpor-
  66. te organisiert, die Fahrpläne ausarbeiten lassen und für die aus-
  67. reichende Nutzung der Gaskammern gesorgt. Er erledigte seine
  68. Arbeit am Schreibtisch und schickte Millionen in den Tod. Dem
  69. Bürokraten Eichmann fehlten Gefühl und Phantasie, um das Leiden,
  70. das er organisierte, zu ermessen."
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