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1993-09-06
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8KB
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126 lines
ÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿ Musiktip ÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿ
KRAFTWERK-Konzert in Ghent und Osnabrⁿck, 25. und 27. Mai 1993.
Kraftwerk, war das nicht, gab┤s da nicht, hatten die nicht...?
Seit dem Hip-Hop und Techno Tanz-Boom der letzten Jahre werden die
deutschen Pioniere des Elektro-Pop zwischen Detroit und London wieder
als Geheimtip gehandelt. WΣhrend in Deutschland Kraftwerk jahrelang
der geballte Ha▀ der Hippies und Feuilletonisten entgegenschlug,
zΣhlten sie in den USA und GB zu den Mega-Stars was Musik aus
Deutschland betrifft. De facto ist Kraftwerk der einzige deutsche Beitrag
zur Popgeschichte, 1974 war "Autobahn" der erste deutschsprachige Hit,
der seit Lili Marleen international anerkannt wurde. Kraftwerk war und
ist die einzige wei▀e Band, die nachhaltig schwarze Musik beeinflu▀t
hat, und aus Kraftwerk Kompositionen wurde wohl noch mehr gesampelt
als von James Brown. Seit Ende der 60-er konstruieren die vier
Dⁿsseldorfer um Ralf Hⁿtter und Florian Schneider-Esleben rein
synthetische KlΣnge zu futuristischen Klangwerken mit tanzbaren Grooves,
die auch heute noch nach 15 bis 20 Jahren so manche Techno-Nummer alt
aussehen lassen. Die Kraftwerk-Kompositionen zeichnen sich durch eine
ultra-coole Strenge gepaart mit minimalistischen Klangschleifen aus.
"Das Kraftwerk-Konzept hei▀t Mensch-Maschine, die Computerisierung und
Mechanisierung der Welt. Wir m÷chten die Menschen mehr auf ihre wirkliche
Umwelt aufmerksam machen," erzΣhlt Hⁿtter,"Flugzeuge, Eisenbahnzⁿge, Autos
die gut klingen sind auch Instrumente. Das ist ja das was wir so machen,
Mix und KlΣnge gestalten, zusammenfⁿgen. Wir machen Umweltmusik, wir sind
nur das Medium, durch das unsere Musik entsteht. Zeitgeist ist fⁿr uns
sehr wichtig." Ralf Hⁿtter, knapp fⁿnfzig Jahre alt, spricht gaaanz
leise, gaaanz laaangsaaam und blinzelt nerv÷s mit den Augen. Seine Scheu
und Zurⁿckgezogenheit ist bereits legendΣr. Die Kraftwerker geh÷ren zu den
geheimnisumwittertsten Musikern, pflegten immer das Image des egeofreien
deutschen Wertarbeiters. Sie schotten sich v÷llig in ihrem Kling-
Klang Studio ab, geben keine Interviews und lehnen es strikt ab sich
fotografieren zu lassen. Stattdessen haben sie Roboter, die ihre Gesichts-
zⁿge tragen, und die sie bei Fernsehauftritten und Fotosessions vertreten.
Das Ziel ist, einmal vielleicht eine Welttournee an einem Tag durch lauter
geklonte Roboter durchzufⁿhren.
1981, nach ihrer Welttournee zu "Computerwelt", verabschiedeten sie sich
von der Bⁿhne. 1990 gab es zum 20. Geburtstag von Kraftwerk eine geheime
Tour durch Italien, bei der die 81-er Konzerte noch mit den alten,
analogen GerΣten, aber in leicht verΣnderter Form gespielt wurden. Die
Akzeptanz war so gut, da▀ Hⁿtter/Schneider-Esleben beschlossen, ihre
ganzen BΣnder von analog auf digital umzukopieren und dabei gleich die
Stⁿcke mit einem der Zeit angepa▀ten tanzbaren Stil zu re-mixen. Hⁿtter:
"Jetzt, wo alle solche Musik machen, da kann man nicht einfach sagen
tschⁿ▀, das war┤s. The Mix ist ein Querschnitt durch unsere Arbeit und
Schlu▀strich." 1991 erschien "The Mix" als eine kleine "The best of"
Hitsammlung, und Kraftwerk ging das erste Mal seit 10 Jahren wieder auf
Europa-Tour. Seit dem spielen die Kraftwerker meist auf Festivals oder
in Musikhochschulen kleinere Konzerte z.B. auch zu Gunsten von Greenpeace,
und "Hingehen" ist fⁿr einen Computer oder Synthie-Freak absolutes Mu▀.
Obwohl Konzert eigentlich nicht der richtige Begriff fⁿr diese Multi-
Media-Show der Extraklasse ist. Zum einen stehen die Kraftwerker nahezu
bewegungslos an ihren Maschinen, ein "den Kopf zur Seite nicken" gilt
schon als das h÷chste an GefⁿhlsΣu▀erungen und wird von den Fans mit
lautem Applaus bedacht. Zweitens ist der Besucher nicht nur Zuh÷rer,
sondern auch Zuschauer. Hⁿtter:"Kraftwerk┤s Musik war schon immer Musik
zum sehen. Wir bringen unsere Show mehr als dreidimensionales Kino, Kino
plus Darsteller vor der Leinwand.". Die Kraftwerker haben ihr komplettes
Kling-Klang Studio mit auf die Bⁿhne gebracht, eine Art Kommandobrⁿcke
ß la Raumschiff Enterprise mit vier Techno-Instrumenten davor und vier
ⁿberdimensionale Videobildschirme dahinter. Hⁿtter:"Das ist unser Kling-
Klang Studio, das bringen wir ⁿberall mit hin, das ist unser Instrument."
Die Musik wird perfekt durch Textprojektionen, 3D Vektoranimationen,
Videos und Bilder ergΣnzt. "Auf den Schirmen k÷nnen wir Noten reinfliegen
lassen, oder rausfliegen lassen." TatsΣchlich erscheint das Konzert dem
Zuh÷rer/schauer wie eine Art 2 Stunden Mega-Demo, bei dem die Musik und
die Computergrafik "live" auf der Bⁿhne vorgetragen wird. Es ist so gut
wie nicht festzustellen, was live gespielt wird, und was vom Sampler ⁿber
Synclavier zusammengesetzt wird. Hⁿtter:"Wir haben in unseren Maschinen
diese unglaubliche SpeicherkapazitΣt und alle unsere KlΣnge. Wenn wir
schnell genug die Samples und den Klang bearbeiten und verΣndern, dann ist
das auch live. Und weil wir eine Elektro-Band sind hei▀t es eben Mix.".
Gegenⁿber zu den 81-er Konzerten der Welttour hat sich nichts verΣndert,
sogar das Dekor, die Videos und die Reihenfolge der Kompositionen blieb im
gro▀en und ganzen die selbe, fⁿr die Fans natⁿrlich ziemlich enttΣuschend.
Der Auftritt beginnt mit "Nummern", das durch ein nahezu gehirnerdrⁿckendes
Techno-Klangvolume zu einer flotten Tanznummer wurde. Das Stⁿck ist wohl
eher als "Countdown" oder "Warm-up" gedacht, denn als die Musik beginnt
ist die Bⁿhne noch leer. Erst spΣter springen im dunkeln vier Gestalten
an ihre Maschinen und betΣtigen dann robotergleich unzΣhlige Tasten und
Hebelchen an ihren Istrumenten. Roboterstimmen zΣhlen in -zig Sprachen von
eins bis acht, stΣndig wird die Sequenzer-Line variiert, neue Events kommen
hinzu. Schlie▀lich geht "Nummern" nahtlos in "Computerwelt" ⁿber, und der
Tanz geht richtig los. Die gr÷▀ten Knaller sind natⁿrlich die alten Hits
wie "Autobahn", "RadioaktivitΣt", "Das Model" oder "Tour de France". Bei
"Die Roboter" verlassen die vier die Bⁿhne, das Kling-Klang Studio spielt
alleine und stattdessen zucken computeranimierte Abbilder der vier auf
den Videoschirmen. Nach der HΣlfte des Stⁿcks, beim ▄bergang zu
"Robotronik", erscheinen hinter den sich senkenden Videoschirmen die Roboter
mit den Gesichtszⁿgen der vier Dⁿsseldorfer. Bei "Taschenrechner" haben die
vier kleine Mini-Steuereinheiten als quasi Taschenrechner mit denen sie
kleine Melodiefolgen abrufen k÷nnen, die auch ins Publikum gereicht werden
soda▀ Fans ein paar Plips und Plops loslassen k÷nnen. Absoluter H÷hepunkt
ist "Musique non stop" das mit dem charakteristische "Boing Boom Tschak"
beginnt und von herrlichen 3D Vektoranimationen begleitet wird. Zu diesem
Stⁿck wurde das Kling-Klang Studio samt Musiker zu einem 3D Drahtmodell am
New York Institut of Technologie vektorisiert. WΣhrend Kraftwerk live
spielt, sind die Musiker wie sie VOR den VideowΣnden auf der Bⁿhne spielen
DARAUF als eine Art vektoranimiertes Cyberspace zu sehen. StΣndig wird die
Begleitung verΣndert, jeder erhΣlt eine Art Soloeinlage, und als Florian
Schneider-Esleben an seinem Synclavier loslegt, wird das Rhythmusprogramm
monotoner gefahren, um ihm mehr Raum zu geben.
Erstaunlicherweise verΣndert sich das Timing und der Aufbau der Kraftwerk
Stⁿcke von Konzert zu Konzert:"Die Musik ist nie wirklich fertig, wird
immer verΣndert. Wir nennen das unseren elektronischen Garten, weil die
ganze Musik stΣndig in einem VerΣnderungsproze▀ ist, der fortlaufend
ⁿberwunden wird." erklΣrt Hⁿtter. So hat sich vom Konzert in Ghent am
25. Mai zwei Tage spΣter nicht nur die Musik h÷rbar verΣndert, sondern
auch sichtbar die Hardware des Kling-Klang Studios. Die Fans die omnibus-
weise aus ganz Europa zu den Konzerte anfahren, sind natⁿrlich schon auf
das neue Album "Inspector" gespannt, an dem seit 1988 gearbeitet wird. Aber
wie immer, Hⁿtter und Schneider-Esleben schweigen sich mal wieder aus...
P.S.: Ich habe einige der 90-er und 91-er Konzerte mitgeschnitten,
Bootlegs gibt┤s bei Bedarf bei mir. Auch lasse ich schon mal hin und
wieder Bootlegs auf Schallplatte oder CD pressen.
- Thomas Weckert -