DREIFACH GUT
Das Rennen um den schnellsten Spiele-PC neigt sich dem Ende zu: In Zukunft übernimmt die Grafikkarte die Hauptarbeit.
Warum sind einige Spiele trotz schneller Pentium-PCs so langsam? "Rund 70 Prozent der Rechenleistung werden bei einem 3D-Spiel von der Grafik aufgezehrt". Das sagt nicht irgendwer, sondern Joe Tretinik, "Game Evangelist" beim weltgrößten Hersteller von Grafikchips namens S3. Erst mit dem seit zweieinhalb Jahren währenden Boom der 3D-Spiele explodierten die Rechneranforderungen: Kein halbwegs ansprechendes Spiel kommt in SVGA mehr ohne einen 90-MHz-Pentium aus. Als wirklich optimaler Spiele-Prozessor muß derzeit sogar ein 133-MHz-Chip angesehen werden. Freilich kann diesen Upgrade-Zirkus kaum noch jemand mitmachen. Der vor einem halben Jahr gekaufte Pentium-Rechner mit 8 MByte gehört schon zum alten Eisen. Früher erschien höchstens einmal im Jahr ein Spiel, für das es schlicht noch keine PCs gab, heute ist das mit schöner Regelmäßigkeit alle zwei Monate der Fall. Jüngstes Beispiel ist "Formula One Grand Prix 2"; auch auf einem 166-MHz-Pentium mit extrem fixer Grafikkarte macht dieses Spiel in SVGA bei allen Details keinen Spaß. Wer will schon einen Formel-1-Boliden im Sekundentakt vor sich hin ruckeln sehen?
Problem und Lösung
Die gestiegenen Ansprüche an die Grafik allein treiben die Hardware-Anforderungen aber nicht allein in die Höhe. Moderne Spiele führen hinter den Kulissen recht komplexe Berechnungen durch: Bei "Command & Conquer" oder "Descent 2" verbrät die Künstliche Intelligenz der Gegner ordentlich Rechenleistung, im Falle von F1GP2 ist es die Fahrphysik.
Die solideste Lösung für derartige Probleme ist immer die Verteilung auf mehrere Prozessoren. Für Spiele-Grafik mit 640 mal 480 Punkten kann das anders als bei anspruchsvollen Grafikprogrammen für Architekten oder Ingenieure auch ein Lowcost-Chip übernehmen - und so wurde der "3D-Beschleuniger für den Massenmarkt" geboren. Auf der CeBIT 96 stellte jeder Grafikkartenhersteller, der etwas auf sich hält, ein Board der 500-Mark-Klasse vor, das neben den üblichen Funktionen wie Windows-Beschleunigung und verbesserter Videowiedergabe auch Spielen Beine machen soll.
Derartige Karten sind in Form der Matrox Millenium, Diamond Edge und dem 3D-Blaster von Creative Labs schon einige Zeit auf dem internationalen Markt - der große Erfolg ist ihnen allen (Ausnahme: Millenium) noch verwehrt, denn außer der 3D-Beschleunigung bieten sie zu wenig: die Edge zu wenig DOS-Performance und zuwenig Spiele, der 3D-Blaster zu wenig Kompatibilität. Nur die Millenium kann für DOS-Spiele und als Windows-Karte überzeugen, an frischen 3D-Titeln mangelt es aber auch ihr.
Eine kompromißlose Allround-Lösung scheint erst jetzt in Sicht, denn führende Chip-Hersteller wie ATI und S3 haben 3D-Funktionen in bestehende Bausteine integriert. Bei S3 heißt der Zauberchip "Virge", und ist im Prinzip nichts weiter als ein um 3D-Funktionen aufgebohrter Trio 64 V+. Dieser Grafikprozessor bietet gute Windows- und DOS-Geschwindigkeit zum kleinen Preis, mit neuen Speichertechnologien wie EDO kann er auch umgehen. Noch einen Tick mehr Power verspricht ATI mit dem "3D Rage", der ebenfalls auf bewährten Grafikchips basiert. Auch von Matrox ist ein neues Board mit 3D-Funktionen für den Heimanwender zu erwarten, das vermutlich nicht mehr so teuer ist wie die weiterhin erhältliche Millenium. Wer sich also ohnehin eine neue Grafikkarte kaufen möchte, bekommt die 3D-Beschleunigung demnächst zum Nulltarif dazu. Die Angebote der Hersteller sind jedoch sehr unterschiedlich. Einige Anbieter wie Number Nine versuchen es über den Preis: Knapp 400 Mark soll die "Reality 332" kosten, dafür aber ohne Spiele geliefert werden. Andere Firmen, wie Creative Labs oder Diamond, schnüren eifrig an Bundles. Bei Elsa sollen mit der auf 4 MByte erweiterbaren "Victory 3D" die Spiele "Battle Race", "Terminal Velocity" sowie "3D-Tools" fürs Internet geliefert werden, dann allerdings zum Preis von 500 Mark.
Nichts läuft ohne Software
Freilich versucht jeder Hardwarehersteller, die besten Spiele exklusiv für sein Produkt zu bekommen. So hat nach unbestätigten Gerüchten S3 ganze zwei Millionen Dollar an Interplay bezahlt, um die erste Umsetzung des 3D-Knallers "Descent 2" für den Virge-Chip zu erhalten. Daß sich die Kartenanbieter um die Software streiten, stellt für den Spieler derzeit auch das größte Hindernis bei der Wahl des richtigen Boards dar: Welches Produkt wird auf Dauer auch mit Neuerscheinungen und nicht nur halbherzigen Umsetzungen oller Kamellen bedacht werden?
Die Antwort auf diese Frage hängt - wie könnte es anders sein - wieder einmal ganz am Softwaregiganten Microsoft. Windows 95 wird sich im Weihnachtsgeschäft zur ernstzunehmenden Spieleplattform mausern. Noch im Sommer soll "Direct3D" einen einheitlichen Standard für alle Karten und Spiele schaffen. Das funktioniert so: Will ein unter Windows 95 laufendes Spiel 3D-Funktionen verwenden, so schickt es zunächst Befehle an die Direct3D-Treiber. Die entscheiden dann, ob die Grafikkarte die Arbeit übernimmt oder ob (wie bisher) der Prozessor arbeiten muß. Dadurch laufen die Spiele auch ohne 3D-Karte, mit einer solchen geht es allerdings schneller. Außerdem kann eine ältere Karte mit wenigen 3D-Funktionen (wie die Matrox Millenium) ihre Fähigkeiten noch ins Spiel bringen, während die moderneren Features durch den Prozessor abgewickelt. Seit über einem Jahr arbeitet Microsoft an Direct3D, im Sommer soll die Idee dann endlich Software werden.
Nur mit Direct3D
Für die Spiele-Programmierer hat Direct3D einen riesigen Vorteil. Sie müssen nicht exotische Hardware direkt unterstützen, sondern können ihre (durchaus selbstgeschriebenen) Grafikroutinen ganz auf Direct3D ausrichten. Beim Kauf einer neuen Grafikkarte für Spiele wird also die Verfügbarkeit von Direct3D-Treibern absolut kaufentscheidend sein. Wie schnell die Karten dann wirklich sind und welche Funktionen wie stark beschleunigt werden, läßt sich erst dann vernünftig testen, wenn Direct3D fertiggestellt ist. Außer dem kartenspezifischen Treiber muß sich der Anwender auch nicht um die DirectX-Software kümmern, denn jedes neue Windows-95-Spiel bringt die aktuellen Versionen gleich mit - das ist auch heute mit Titeln wie "Earthworm Jim" schon so.
Die gesamte 3D-Entwicklung steht dennoch erst am Anfang, insbesondere die Entlastung des Prozessors wird derzeit nur recht halbherzig in Angriff genommen. Die von S3 gezeigte Version von Descent 2 wurde auf einem 133-MHz-Pentium demonstriert (Originalton: "Ist aber auch auf einem 90-MHz-Pentium so schnell!"), Creative Labs dagegen führte eine recht flotte Version von "Hi Octane" auf einem 486 DX4 mit 100 MHz vor. Diese beiden Fälle lassen sich aufgrund der unterschiedlichen Eigenschaften der Karten nicht direkt vergleichen, zeigen aber recht deutlich, daß hier noch gewaltiger Spielraum für Optimierungen bleibt.
Eines ist jedoch jetzt schon sicher: Die 3D-Grafikkarten werden auf Dauer nicht nur das Wettrüsten im Prozessorbereich eindämmen, sondern auch die Bildqualität der Spiele gewaltig steigern. Die neue Spieleauflösung beträgt 640 mal 480 Punkte bei bis zu 65535 Farben - und da können selbst moderne Spielekonsolen nicht immer mithalten.
(nie)
|