"Gott im Internet - Religion in der modernen Welt"

Vortrag von Jörg Herrmann

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Jörg Herrmann ist Pfarrer, Journalist und Leiter der Nordelbischen Medienzentrale im Amt für Öffentlichkeitsdienst der evang.-luth. Kirche Nordelbien.

"Gott im Internet - Religion in der modernen Welt" steht als Titel meines Referates im Programm.
Gott im Internet, das klingt zunächst einmal ein wenig blasphemisch. Was sollte Gott im Internet verloren haben? Er paßt doch gar nicht in diese kalte, körperlose Welt. Die Digitalisierung Gottes als zeitgemäße Fortschreibung seiner Inkarnation? Vom Himmel in den Hypertext?

Gott und das Internet, das klingt eher nach zwei Welten, zwei paar Stiefeln, ja nach Gegensätzen. Denn es gibt nicht nur eine trennende Fremdheit zwischen moderner Hochtechnologie und altem Gott. Es gibt auch Widerstreit. Ich meine die Tatsache, daß das Internet Gott das Terrain streitig macht. Statt Ehrfurcht vor dem Göttlichen bewirkt es, daß die Menschen sich selbst als Götter fühlen. "Wir sind wie Götter und könnten darin ganz gut werden", lautete der erste Satz in der ersten Konferenzankündigung des CommuniTree-Netzes, eines nordkalifornischen Vorläufers des Internet. Das Netz ist eine Machterfahrung, denn es eröffnet den Menschen noch nie dagewesene Möglichkeiten, sich selbst und seine Umgebung zu gestalten und umzugestalten. Neue Schöpfungspotenzen werden entdeckt. Der Mensch nimmt sich, ähnlich wie zu Beginn der Renaissance, als alter deus, als zweiter Gott wahr. Der Medientheoretiker Vilem Flusser ging so weit zu behaupten, die Menschen könnten mit Hilfe der neuen Technologien sogar besser werden als Gott. Gott habe schließlich vieles dem Zufall überlassen. Wir Menschen hingegen könnten in Zukunft ausschließlich absichtsvoll handeln und bei unseren Schöpfungsakten Fehler vermeiden. Ist das Internet also ein weiterer Schritt auf dem Weg, auf dem der Mensch an die Stelle Gottes tritt? Wird Gott überflüssig? Ist er sozusagen offline, abgehängt?

Sicher ist, daß das Internet der Religion in manchen Fragen Konkurrenz macht. Zwischen den beiden Kulturformen Internet und Religion gibt es also Berührungen und Widerstreit, und es scheint mir am produktivsten, das Thema zunächst im Sinne dieser weiten Fragestellung weiterverfolgen. Was hat das Internet mit Religion zu tun? Zu dieser Frage nach den Beziehungen zwischen dem alten Medium Religion und dem neuen Medium Internet will ich Ihnen einige Überlegungen vortragen.

Das Thema hat mehrere Aspekte. Darunter: 1. Die Präsenz von konkreten Religionen und Kirchen im Netz. 2. Die impliziten Gemeinsamkeiten von Religion und Internet. 3. Das konstruktive Crossover von Internet und Religion.


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Tagung "Gott im Internet", 7.-9. November 1997, Evangelische Akademie Nordelbien/Bad Segeberg, unterstⁿtzt durch die Technologiestiftung Schleswig-Holstein. Dokumentation. Copyright beim Autor! Mailto:Jörg Herrmann