Sperrfrist: Dienstag, 18. Juni 1996, 12.00 Uhr
Bonn/London, den 18. Juni 1996- Die Menschenrechtsorganisation amnesty international hat den Regierungen weltweit Versagen bei der Verhinderung schwerer Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die Verantwortung für Folter, Mißhandlungen und Hinrichtungen liege nicht allein bei denen, die mit Elektroschocks folterten oder politische Morde begingen, sondern auch bei denen, die die Mittel dafür zur Verfügung stellten, heißt es in dem am heutigen Dienstag vorgelegten Jahresbericht 1996 der Organisation. Vielmehr fordert ai von allen Regierungen, Rüstungsexporte, Ausbildungs- und Ausstattungshilfen sowie die Lieferung von Technologien auf militärischem, polizeilichem und sicherheitstechnischem Gebiet dann zu unterlassen, wenn damit gerechnet werden muß, daß sie im Empfängerstaat zu Menschenrechtsverletzungen beitragen können.
"Diese Form der institutionalisierten Gewissenlosigkeit gibt es auch in Deutschland", erklärte der Generalsekretär der deutschen ai-Sektion, Volkmar Deile, bei seiner Rede zur Vorstellung des Jahresberichts. So habe die Bundesregierung der Ausfuhr von sieben Luftlandepanzern vom Typ WIESEL nach Indonesien zugestimmt, obwohl das indonesische Militär dafür bekannt sei, daß es im Rahmen der Bekämpfung von Autonomiebestrebungen mit Härte und Gewalt auch gegen Zivilpersonen vorgehe. Ferner sei auch Deutschland unter den Staaten, aus denen die türkische Regierung gepanzerte Fahrzeuge beziehe. Im Eingangskapitel des Jahresberichts heißt es dazu: "Die Fahrzeuge haben es den Sicherheitskräften der Türkei ermöglicht, in entlegene kurdische Ortschaften vorzudringen. Es wurden Dorfbewohner in den Fahrzeugen abtransportiert, von denen einige seitdem als 'verschwunden' gelten, andere Folterungen oder Tötungen zum Opfer gefallen sind." Deshalb verlangt ai eine Menschenrechtsklausel im Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetz sowie die rechtzeitige Veröffentlichung und parlamentarische Kontrolle solcher Lieferabsichten.
Weltweit hat sich amnesty international im vergangenen Jahr für rund 10.000 Menschen eingesetzt, die ihr als Opfer von Menschenrechtsverletzungen namentlich bekannt waren. "Wir haben Druck auf Regierungen ausgeübt, damit Menschen geholfen werden konnte und Strukturen entstanden, die weiteren Menschenrechtsverletzungen vorbeugen", so Volkmar Deile. Im Berichtszeitraum 1995 hätten ai-Gruppen weltweit über 7.000 Menschen längerfristig betreut. In 295 Fällen konnten dabei die Akten wegen Freilassung geschlossen werden; allerdings kamen 389 Fälle neu hinzu. Darüberhinaus haben 80.000 Teilnehmer an Eilaktionen für über 2.000 Menschen Appellbriefe und Faxe geschrieben, um sie vor Mißhandlung, Folter oder Hinrichtung zu schützen. Bei der Hälfte der Eilaktionen hatte dies positive Folgen: Gefangene wurden freigelassen, Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt, Ärzte, Rechtsanwälte oder Angehörige konnten Inhaftierte besuchen.
Wie wichtig der internationale Einsatz für die Menschenrechte nach wie vor ist, dokumentiert der ai-Jahresbericht auf 557 Seiten. Er schildert die Menschenrechtssituation in 146 Staaten in allen Regionen der Welt und beschreibt die weltweiten Aktivitäten amnesty internationals im vergangenen Jahr: In 85 Staaten zählte ai gewaltlose politische Gefangene, gegenüber 78 im Jahr 1994. In 114 Staaten kam es zu Folter und Mißhandlungen von Gefangenen, in 54 davon starben Menschen nach der Folter: Die Zahl dieser Opfer ist von 1000 auf 4500 angestiegen. Staatliche Morde waren in 63 Staaten zu beklagen, und in 49 Staaten fielen Menschen dem "Verschwindenlassen" zum Opfer. In 79 Staaten wurden Todesurteile verhängt, in 41 davon wurden sie auch vollstreckt. Nicht nur Regierungen, sondern auch bewaffnete Oppositionsgruppen waren schließlich in 41 Staaten für Verstöße gegen die Menschenrechte wie willkürliche Hinrichtungen, Folter und Geiselnahme verantwortlich.
Im beigefügten Anhang finden Sie einige Zahlen und Beispiele für Menschenrechtsverletzungen in unterschiedlichen Regionen der Erde.
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Verantwortlich für diese Seite: Guido Gabriel | Letztes Update: 17.Juni 1996 |
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