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1996-01-03
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6KB
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105 lines
BILL GATES'
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Da kaufen die Menschen Bücher von Stephen King, bleiben nachts lange auf, um
sich im Fernsehen Gruselfilme anzusehen, oder sie lassen sich im Kino von
Horrorschockern eine Gänsehaut überbraten. Dabei könnten sie es so einfach
haben: Schweißnasse Hände, Nägelbeißen und Zähneklappern, das gibt es als
schaurig-schöne Zugabe bei der
INSTALLATION VON WINDOWS 95
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Unsichtbar über dem frostblauen Installationsmenü prangt Dantes Höllenin-
schrift: "Ihr, die ihr hier eintretet, laßt alle Hoffnung fahren." Nach ahnt
der fröhliche Geselle mit der frischerworbenen bunten Update-Schachtel nicht,
welches Unheil für ihn vorbereitet ist: Bill's Fate.
Nur ein unscheinbarer Mausklick, und schon verschwinden geliebte DOS-Dateien
wie das majestätische XCOPY auf Nimmerwiedersehen im Schlund des Fenstermon-
sters. Ja, bite away these bytes! Nur ein Tastendruck, und er wird den Tag
verfluchen, an dem er auf sie drückte. Denn das ist nur der Anfang.
Kein Zurück - mit schauerlichem Knirschen fällt hinter dem arglosen Update
das Tor zur Rückkehr in die helle Fensterwelt von Windows 3.1 ins Schloß.
Mit einem hinterlistigen Trick wird ihm vorgegaukelt, er könne mit einer
simplen Sicherheitsdiskette die folgenschwere Tat ungeschehen machen. Doch
wer hasenherzig die Rückkehr aus des Microtaurus' Labyrinth versucht, mit
dem lächerlichen Ariadnefaden A:\UNINSTAL.EXE in der Hand - der wird mit
teuflischem Grinsen ausgelacht: "Can't find UNDO95.DAT" lautet die phos-
phoreszierende Botschaft. Diabolisch. "Weiter!" brüllt die Stimme des Fort-
schritts.
IN DER FOLTERKAMMER
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Kein Fürst des Finsternis, der seine Opfer mit eigener Hand quälen müßte.
Dafür sind die Knechte da, die stöhnenden Programmiersklaven in den Myriaden
von Code-Galeeren der Hartteil-Hersteller. Sie erdenken harmlos wirkende win-
zige Softwareteufel wie etwa die speicherresidenten Utilities diverser Gra-
fikplatinen-Löter. Gestern noch ein praktisches Helferlein für den Alltag,
reißt es nun Windows 95 bei lebendigem Leib in die Eingeweide aus dem Kernel,
und der gefolterte Benutzer starrt starr vor Schmerz auf einen leblosen Cur-
sorpfeil. Tage vergehen, bis der Mißhandelte überhaupt ahnt, wer ihn da der-
maßen peinigt. Schlimm? Oh nein, das ist erst die Vorhölle...
HILFLOS IN DER HAND DER TREIBER
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Längst sehnt sich der Updater nach einem schnellen, schmerzlosen Tod. Aber
nein, seine Qual wird verlängert. Nichts ist widerwärtiger, als dem Verur-
teilten einen windigen Fetzen Hoffnung zu lassen:
Man händigt ihm ein Modem aus. Auf daß er sich hilfesuchend und winselnd von
Forum zu Forum hangele und auf den rettenden Tip aus der Hand der Leidensge-
nossen harre. Wer er dort bekommt, sind gehässige Flames der Kollaborateure
("Habdichdochnichso, Installation beimirtotalreibungslos") und der Lötkolben-
fraktion ("Solank du kain Bedriebssystem hast was mit OS anfenkt bistu selba
schult").
DIE SCHEIN-HINRICHTUNG
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Der Delinquent bangt - und wird auf das Schafott geführt. Vor seinen Augen:
schwarz. Der Bildschirm: erstarrt. Der DOS-Prompt, das vertraute Fünklein
Leben: weg. Für immer. So tot war der PC noch nie. Nie wieder Leben? Nie
wieder Farben? Nie wieder Sound? Wohin hat ihn die Software des Jahrzehnts
gebracht? Nach unten. Ganz unten. Online Hilfe holen? Aber kein Modem spricht
mit einem toten PC. Wie kann jemand um Hilfe schreien, dem die Stimmbänder
herausgerissen wurden?!
Zorn? Wut? Aufbegehren? Nein. Eisiges Schweigen. Finsterste Gedanken: Neu-
formatieren der Festplatte. Er sucht nach den DOS-6-Disketten. Irgendwo muß
auch noch Windows 3.1 sein. War alles umsonst? Ziellos durchblättert er die
dünne Win-95-Broschüre. Sein Blick fällt auf das Wortungetüm "Problemumgeh-
ungsmodus". Er beißt an. Die [F8]-Taste: ein neues Stückchen Hoffnung. Kein
Ende. Die Quälerei geht weiter.
JENSEITS DES SINNS
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Zahllose weitere Neustarts im "abgesicherten Modus", neue SOS-Rufe auf der
Datenautobahn, und langsam, langsam ist es erreicht: Der Wille des Updaters
ist gebrochen. Er freut sich bereits über kleinste Fortschritte. Er sitzt
vor einem flimmernden 60-Hertz-Bildschirm (seine 18 Monate alte Grafikkarte
wird nicht mit Win-95-Treibern unterstützt). Er träumt längst nicht mehr
davon, wieder eine Truecolor-Auflösung zu haben oder den Komfort der alten
Mircosoft-Maustreiber. Bei jedem Neustart lauern neue Überraschungen auf ihn.
Windows 95 lebt. Nie ist es so, wie er es verließ. Er muß die Maus schütteln,
damit das Booten nicht hängenbleibt. Er muß Meldungen über nicht vollständig
gelöschte Treiber unbekannter Herkunft erdulden und mit Tastendruck bestäti-
gen. Aber er ist froh, daß er wieder schreiben kann, auch wenn die Festplatte
bei jeder neuen Zeile eigenartig knarzt und teure Edelsoftware von Zeit zu
Zeit urplötzlich abschmiert, wertvolle Dateien mit sich reißend. Den Traum,
daß seine geliebten DOS-Spiele jemals wieder laufen, hat er früh aufgegeben.
Warum auch spielen?
WERNER TIKI KÜSTENMACHER for SHADOW GALLERY in '96