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- Path: sparky!uunet!news.u.washington.edu!news.uoregon.edu!cs.uoregon.edu!sgiblab!darwin.sura.net!newsserver.jvnc.net!gmd.de!rrz.uni-koeln.de!not-for-mail
- From: aeg03@rrz.uni-koeln.de (Jan T. Kim)
- Newsgroups: de.soc.politik
- Subject: Re: Kommunist und Demokrat? (War: Re: Wann endlich ...?)
- Date: 27 Jan 1993 17:32:35 +0100
- Organization: Regional Computing Center, University of Cologne
- Lines: 113
- Message-ID: <1k6df3INN2i52@rs1.rrz.Uni-Koeln.DE>
- References: <1993Jan18.143728.11675@boba.rhein-main.de> <kiehl.727447363@utrurt> <1993Jan22.072812.13347@ibr.cs.tu-bs.de> <kiehl.72 <19930126.112051781517.NETNEWS@ALIJKU11>
- Reply-To: kim@vax.mpiz-koeln.mpg.dbp.de
- NNTP-Posting-Host: rs1.rrz.uni-koeln.de
- Keywords: Linke, Kommunismus, mit menschlichem Antlitz
-
- In <19930126.112051781517.NETNEWS@ALIJKU11> keichhor@risc.uni-linz.ac.at (Kurt Eichhorn) writes:
-
- >In article <1993Jan25.100234.15266@ibr.cs.tu-bs.de>, kalkan@ramz.ing.tu-bs.de (Ove Kalkan) writes:In article <1993Jan25.100234.1526
- >[...]
-
- >> Wer hat je behauptet, das Kommunisten Antidemokratisch waeren.
- >> Das was du als Kommunist bezeichnest ist dagegen wohl eher der stalinistische
- >> Prototyp aus dem Jahr 1936.
-
- >Ich behaupte genau das. Dein letzte Aussage wuerde ich umgekehrt
- >formulieren: Man konnte in der Zwischenkriegszeit noch mit Anstand
- >Kommunist sein. Spaetestens seit den 50ern ist das - meiner Meinung
- >nach - nicht mehr moeglich. Wer nicht komplett ohne politische Sach-
- >verstand war und nicht beide Augen verschlossen hatte, wusste, dass
- >die kommunistische Staaten nicht "zufaellig" antidemokratisch waren.
-
- Kommunismus und Demokratie sind m.E. durchaus mit Demokratie
- vereinbar, auch heute noch. Einen "kommunistischen Staat" hat es,
- soweit ich weiss, nie gegeben, auch nicht nach der Auffassung
- beliebiger linker Ideologen. Die Staaten, die Du hier als
- "kommunistisch" bezeichnest, sind/waren, auch nach der Auffassung
- ihrer Ideologen, sozialistische Staaten.
- Darin, dass der Sozialismus, zumindest jedenfalls der real
- existierende / existiert habende, seiner Natur nach nicht mit
- Demokratie vereinbar ist / war, stimme ich mit Dir durchaus
- ueberein.
-
- >Die Feindschaft zur Demokratie gehoert(e) untrennbar zum Kommunismus.
- >Dass alle kommunistischen Staaten zu (mehr oder weniger argen) Diktaturen
- >wurden, war nie (!) "Ausrutscher", sondern logische Folge.
-
- Der totalitaere, undemokratische Charakter des Sozialismus hat
- m.E. seine historische Wurzel darin, dass der erste
- sozialistische Staat das Ergebnis einer massiven Kriegsmassnahme
- zur inneren Destabilisierung des damaligen russischen Reiches
- war. Deutschland hat naemlich waehrend des 1. Weltkriegs Lenin
- massiv finanziell unterstuetzt und dadurch erst ermoeglicht, dass
- dieser Machtmensch sein sozialistisches Regime etablieren konnte.
- Lenin & Co. haben sich dann die Idee ausgedacht, dass ein
- direkter Uebergang vom Kapitalismus zum Kommunismus nicht
- moeglich sei, sondern dass der Uebergang ueber diverse Stufen
- verlaufen muesse, von denen eine der Sozialismus ist.
-
- >Waeren diese Freiheiten konsequent verwirklicht worden, haette das ueberall
- >zum Ende des Kommunismus gefuehrt. Die Sowjetunion hat nicht deswegen
- >interveniert, weil sie Angst hatte, der Kommunismus wuerde zu menschlich,
- >oder weil sie so boese stalinistisch war, sondern weil sie - im Unterschied
- >zu manchen im Westen - genau dies wusste: Komminusmus UND Demokratie ist
- >unmoeglich.
-
- Wenn man die entsprechenden Forderungen verwirklicht haette,
- haette dies sicher zu einer grundlegenden Veraenderung des
- Sozialismus gefuehrt -- wer weiss, vielleicht sogar in Richtung
- Kommunismus,aber es ist muessig, darueber zu spekulieren. Mit
- grosser Sicherheit haette es die Macht der damaligen
- sozialistischen Machthaber geschmaelert. Deshalb haben diese
- interveniert.
- Der real existierende Sozialismus ist nach meiner Auffassung
- nicht deshalb gescheitert, weil der von ihm angestrebte
- Kommunismus nicht realisierbar oder unmenschlich ist. Er ist
- deshalb gescheitert, weil den sozialistischen Machthabern ihre
- Macht ueber alles ging, und sie dadurch ihre Glaubwuerdigkeit
- verloren haben. Sie haben damit sicherlich auch der
- Glaubwuerdigkeit des Kommunismus Schaden zugefuegt.
- Hier sehe ich starke Parallelen zu der derzeitigen Entwicklung
- der westlichen Demokratien und Gesellschaften: Unsere Politiker
- sind vor allem anderen am Erhalt ihrer Macht interessiert. Sie
- tun alles, um wiedergewaehlt zu werden und um sich ihre
- Hausmacht, ihre Pfruenden usw. zu sichern. Und wenn persoenliche
- Ueberzeugungen und politische Ideale ihnen dabei im Weg sind --
- scheissegal, diese Dinge sind allenfalls zuweilen nuetzliche
- Utensilien beim Kampf um die Macht. Der aus diesen Zustaenden
- resultierende Vertrauensverlust ist inzwischen kaum zu
- uebersehen, er wird normalerweise als Politikverdrossenheit
- bezeichnet.
- Derselbe Vorgang ist auch in der Wirtschaft zu beobachten: Das
- hehre kaptialistische Ideal, nach dem man durch Verzicht und
- harte Arbeit eine bessere Zukunft erreicht und an dieser in Form
- von Zinsertraegen des investierten Kapitals beteiligt wird,
- interessiert heute kaum noch jemanden. Es wird stattdessen
- einfach alles gemacht, was Geld bringt, egal wie nuetzlich und
- sinnvoll es ist, und ohne jede Beruecksichtigung der
- (insbesondere sozialen und oekologischen) Folgen in der Zukunft.
- Dadurch schwindet auchdas Vertrauen in die Unternehmer -- nur
- noch wenige Leute sehen derzeit Unternehmen als sinnvolle Partner
- bei der Arbeit an der Zukunft an. Die Mehrheit sieht sich
- vielmehr durch Unternehmen ausgenutzt und hintergangen, und das
- in den meisten Faellen zu Recht.
-
- >Die meisten wirklich grossen sozialen Errungenschaften seit der indus-
- >triellen Revolution wurden - nicht nur, aber vor allem -
- >fuer Arbeiter naemlich von freien Gewerkschaften (und nicht von
- >der ach so sozialen "Linken") erzielt.
-
- Dass "sozial" und "sozialistisch" ausser dem Wortstamm nichts
- miteinander gemeinsam haben, duerfte sich inzwischen
- herumgesprochen haben. Und dass dogmatisch-sozialistische Linke
- sich gern werbewirksam als sozial zu profilieren versuchen, hat
- nichts zu sagen. Das tun sie doch alle. Die SPD redet von
- "sozialer Gerechtigkeit", die CDU hat Slogans wie "sicher, sozial
- und frei", und zur Kroenung des groebsten Unfugs hat der
- Arbeitgebervertreter Tyll Necker sich vor ein paar Tagen doch
- glatt entbloedet, in den Tagesthemen zu behaupten, die Wirtschaft
- sei "eigentlich die gebende Seite", die fuer den Aufbau Ost Opfer
- in Hoehe von soundsoviel Mrd. DM bringe -- weil sie in dieser
- Hoehe im Osten Geld investiere.
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- Greetinx, Jan
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- +- Jan Kim -- X.400: S=kim;OU=vax;O=mpiz-koeln;P=mpg;A=dbp;C=de -+
- | Internet: kim@vax.mpiz-koeln.mpg.dbp.de |
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