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- Path: sparky!uunet!paladin.american.edu!news.univie.ac.at!alijku11!keichhor
- Message-ID: <19930126.112051781517.NETNEWS@ALIJKU11>
- Date: Tue, 26 Jan 1993 11:20:51 CET
- Newsgroups: de.soc.politik
- From: keichhor@risc.uni-linz.ac.at (Kurt Eichhorn)
- Distribution: world
- References: <1993Jan18.143728.11675@boba.rhein-main.de> <kiehl.727447363@utrurt> <1993Jan22.072812.13347@ibr.cs.tu-bs.de> <kiehl.72
- Organization: RISC, J.K. University of Linz, Austria
- Subject: Kommunist und Demokrat? (War: Re: Wann endlich ...?)
- Keywords: Linke, Kommunismus, mit menschlichem Antlitz
- Nntp-Posting-Host: 193.170.36.100
- Lines: 71
-
- In article <1993Jan25.100234.15266@ibr.cs.tu-bs.de>, kalkan@ramz.ing.tu-bs.de (Ove Kalkan) writes:In article <1993Jan25.100234.1526
- [...]
-
- > Wer hat je behauptet, das Kommunisten Antidemokratisch waeren.
- > Das was du als Kommunist bezeichnest ist dagegen wohl eher der stalinistische
- > Prototyp aus dem Jahr 1936.
-
- Ich behaupte genau das. Dein letzte Aussage wuerde ich umgekehrt
- formulieren: Man konnte in der Zwischenkriegszeit noch mit Anstand
- Kommunist sein. Spaetestens seit den 50ern ist das - meiner Meinung
- nach - nicht mehr moeglich. Wer nicht komplett ohne politische Sach-
- verstand war und nicht beide Augen verschlossen hatte, wusste, dass
- die kommunistische Staaten nicht "zufaellig" antidemokratisch waren.
-
- Die Feindschaft zur Demokratie gehoert(e) untrennbar zum Kommunismus.
- Dass alle kommunistischen Staaten zu (mehr oder weniger argen) Diktaturen
- wurden, war nie (!) "Ausrutscher", sondern logische Folge.
-
- Als im Zuge der Auftstaende (1956 Ungarn, 1968 damalige CSSR, etc.) die
- Hoffnung auf den "Kommunismus mit menschlichem Antlitz" gesetzt wurde,
- war fuer viele "Linke" im Westen ihr schon ordentlich durchgebeuteltes
- Weltbild wieder in Ordnung. Doch wer nur ein kleines bisschen hinterfragte,
- was all diejenigen, die auf den Strassen Prags oder Budapests oder sonstwo
- demonstrierten, wollten, wusste dass es unsere (oft so geschmaehten)
- westlichen Freiheiten waren: Freie Presse, freies Wort, freie Wahlen,
- Versammlungsfreiheit, Recht auf Eigentum, usw. Wenn das weiterhin
- Kommunismus genannt werden wuerde, war es Ihnen auch recht, davon aber
- zu folgern, dass sie den Kommunismus wollten, blieb naiven westlichen
- Beobachtern vorbehalten.
-
- Waeren diese Freiheiten konsequent verwirklicht worden, haette das ueberall
- zum Ende des Kommunismus gefuehrt. Die Sowjetunion hat nicht deswegen
- interveniert, weil sie Angst hatte, der Kommunismus wuerde zu menschlich,
- oder weil sie so boese stalinistisch war, sondern weil sie - im Unterschied
- zu manchen im Westen - genau dies wusste: Komminusmus UND Demokratie ist
- unmoeglich.
-
- Nebenbei: Auch nicht zufaellig ist, dass gerade Arbeiter und Intellektuelle
- das "explosive Gemisch" bildeten, das die kommunistischen Diktaturen
- zuerst in Frage stellte und dann zu derem Untergang beitrug. Waehrend
- viele Linke - beleibe nicht nur Eurokommunisten - im Westen noch die Un-
- taten der Genossen im Osten auf Schlimmste verharmlosten, jagte Arbeiter-
- und Akademikerschaft die Regimes in Polen und den anderen Ostblocklaendern
- fast davon, zumindest aber denselben einen ordentlichen Schreck ein.
-
- Die meisten wirklich grossen sozialen Errungenschaften seit der indus-
- triellen Revolution wurden - nicht nur, aber vor allem -
- fuer Arbeiter naemlich von freien Gewerkschaften (und nicht von
- der ach so sozialen "Linken") erzielt. Gemeinsam im Kampf gegen den
- ausbeuterischen Unternehmer wurde zuerst der 8-Stunden-Tag und halbwegs
- akzeptable Bezahlung erstritten, ...
-
- Wiederum nicht zufaellig wurden genau diese freien Gewerkschaften in den
- kommunistischen Diktaturen aufs Schaerfste bekaempft, waehrend sich zum
- Beispiel der oesterreichische Gewerkschaftsbund jahrelang (!) nicht dazu
- entschliessen konnte, mit der "Solidarnosc" offizielle Kontakte zu haben,
- sondern zu der systemkonformen Gewerkschaft.
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- Was der gesamten europaeischen Linken aeusserst not taete, ist eine
- saubere Aufarbeitung ihrer marxistisch/kommunistischen Vergangenheit.
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- Die deutsche SPD hat das zumindest ansatzweise in ihrem Godesberger Programm
- versucht, in Oesterreich gibt es nichts dergleichen.
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- Eine derart "gereinigte" Linke wuerde fuer viele aktuelle Probleme
- wesentlich bessere Loesungsansatze liefern koennen als Wert- oder
- Strukturkonservative.
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- Kurt.
- P.S: Ich wuerde mich ueber Kommentare freuen.
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