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2014-05-19
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235 lines
Wie Mann sich netzrichtig profiliert
------------------------------------
Ein kleiner, gutgemeinter Leitfaden fuer
den angehenden Amiga-Netzfachmann oder
solche welche, die es werden wollen,
bisher aber nicht zu fragen wagten, wie
zum Teufel das geht
von Oliver Wagner
Vorwort
Viele Menschen, die zum ersten Male die Welt der Netze erforschen und
glauben, sie waeren im ultimo der Freiheit gelandet -- immerhin darf ja
dort jeder etwas sagen! -- irren. Sie verkennen die gewachsenen
Strukturen der Autoritaet und die Macht des Wissenden und blamieren sich
durch freche Besserwisserei in den Augen der Goetter und ihrer Adepten.
Das muss nicht sein. Und so ist hier, im leuchtenden Geiste der
Erkenntnis, die Anleitung, wie Mann vom blossen Mitleser langsam ueber den
Status des Points und Cosysops bis hin zum UUCP-Postmaster ins Babylon der
Netzgoettlichkeit aufsteigen kann.
Alles dies erscheint als graue Theorie, obwohl es doch wieder und wieder
vorgelebt und geschrieben wird. Mit praktischen Beispielen soll gezeigt
werden, was die Netzwelt im innersten zusammenhaelt.
Dieser Text richtet sich an den fortgeschrittenen Amiga-Anwender;
nichtsdestotrotz sind die Prinzipien beliebig auf andere Netzbiotope
anwendbar. Jedem Brett sein Lichtblick.
I. Vorbereitung, erster Schritt
Werden Sie Amiga-Developer! Ohne diesen Rang geht gar nichts, denn ohne
Developer-Schein erfahren Sie erst gar nichts, was Sie nicht lautstark
oeffentlich verschweigen koennen. Selbst wenn Sie gar nicht vorhaben,
irgendetwas zu entwicklen -- Netzgoetter leben nicht von Software, sondern
vom Wissen. Commodore ist es egal, die freuen sich ueber jede Mark in der
Portokasse zum gelegentlichen verschicken von Betatest-Versionen, wenn der
uebliche Vertrieb -- ueber die Pirate-Boards -- aus irgendeinem Grund nicht
richtig geklappt hat.
Fuer Amiga-Developer gilt natuerlich: Je niedriger die Nummer, desto gut.
Das bedeutet naemlich lange Zugehoerigkeit zum erlauchten Kreis, und desto
aelter, desto gut. Das ist so.
Registered geht gar nicht, das hat sogar Commodore eingesehen und den
Status abgeschafft. Certified ist gut, Commercial noch besser, weil
irgendjemand das Geruecht in die Welt gesetzt hat, solche Leute wuerden
besonders ueberprueft, bevor der Orden sammt UUCP-Zugriff verliehen wird.
II. Vorbereitung, zweiter Schritt
Nun gut, Sie sind jetzt Developer und einiges in Ihrem Leben wird sich nun
drastisch aendern. Als erstes: Gebetsbuch, -Muehle, -Kranz oder -Teppich
gehoeren in den Schrank (zu den na_sie_wissen_schon), ihre neue Religion
heisst nun Amiga. Die wichtigsten Gebote:
- der Amiga ist der beste Computer fuer alle Anwendungen
- schuld sind immer die Software-Hersteller
- die Interessen von Commodore sind auch meine Interessen
(vorallem marketingtechnisch)
- alle anderen sind boese Raubkopierer und der PLK-Stempel
und die verblichenen Programmlisten in MPS-801-Schrift
nur Jugendsuenden
Bitte auswendiglernen, immer wieder aufsagen und -- vorallem -- glauben.
III. Das richtige Netz
Derartig ausgebildet sind sie reif fuer den kalten Sprung in die Welt der
Netze. Wie auch im richtigen Leben erwartet Sie ein buntes Universum
voller Neid, Konkurrenz und Intrige -- und lauter kleiner Adepten, die
eigentlich nur eins wollen: Sie bewundern. Und das nur, weil sie sich gut
vorbereit haben. Wenn Sie sich trotz allem nicht gut vorbereitet haben:
fuenfundzwanzig Schlaege mit der Neunschwaenzigen und ab nach Feld I.
Gut, Sie wissen und wissen vorallem, das Sie wissen. Nun braucht Wissen
einen entsprechenden Betaetigunsrahmen. Auf unsere Problematik angewendet,
heisst das in etwa: Jedem Horizont sein Netz. Oder unter Blinden ist der
Einaeugige Koenig. Achten Sie also darauf, dass Sie die Antworten
aller oft gestellten Fragen auswendig und die restlichen 5% nach wenigen
Minuten Nachschlagen beantworten koennen. Auch orthographische und seman-
tische Kenntnisse sollten dem Umfeld angepasst, d.h. weit ueberlegen sein.
Ein brauchbarer Einstieg ist das Z-Netz, da es aufgrund des leichten
Zugangs gerne von Neueinstern sowohl in die Netze allgemein als auch im
besonderen in die Theologie "Amiga" heimgesucht wird. Lesen Sie ein
bischen rum; koennen Sie die 95/5-Regel nicht einhalten, versuchen Sie es
besser mit erstmal mit dem AmNet oder Fido (da winkt sogar, als habhafter
Zwischenposten, eine Moderatorenstelle!).
Wichtig ist es, gleichzeitig auch fleissig im UseNet mitzulesen
(comp.sys.amiga.*, de.comp.sys.amiga.*, alt.sys.amiga.*), um die
Informationen zu bekommen, die Sie dann in Ihrem Netz breit rauslassen oder
auch verschweigen koennen (dazu spaeter mehr). Aber begehen Sie *NIE* den
Fehler, unqualifiziert dort mitschreiben zu wollen -- das wird von den
wahren Goettern als versuchter Einbruch in den Olymp verzeichnet und meist
mit mehreren Kilobyte langen fundierten Wiederlegungsnachrichten geahndet.
Das schadet dem Ansehen!
IV. Das Verschweigen von Information
Nun gut, Sie wissen. Wenn Sie aber allen erzaehlen, was Sie wissen, wissen
die es auch und das Wissen ist in keinerlei Hinsicht mehr exklusiv.
Wichtig ist also vielmehr das kunstvolle Verschweigen von Information.
Deuten Sie mit kassandrahaften Worten an, was ist und was sein koennte und
warum nicht und wieso immer. Schreiben Sie hundertmal das gleiche, ohne
etwas auszusagen, setzen Sie Geruechte in die Welt und dementieren Sie
diese mit Blick aufs Commodore-Marketing (Wer kauft den 3000er noch, wenn
ein 4000er kommt [oder auch nicht]).
Als angehender Gott haben Sie auch gleich eine Urkunde ihrer angehenden
Vollkommenheit bekommen: Das Non-Disclosure-Agreement, auf das Sie sich
immer zurueckziehen, wenn Sie doch einmal etwas zuviel gesagt haben oder
was ein naseweises Arschloch aus dem UUCP crossgepostet hat.
Hier moechte ich einen Satz eines wahren Koenners zitieren, der Begriffen
hat, worum es geht:
"Mehr darf ich nicht sagen!"
Welche Autoritaet und geheimnisvolle Ausstrahlung steckt in diesen
meisterhaften Worten! Nehmen Sie sie sich zu Herzen.
V. Die Behandlung von Mitnetzlern
Wichtig fuer Ihr Ansehen ist auch die Art des Umgangs mit den Untergebenen
und Gleichgestellten im Netz; zwischen beiden ist naemlich umsichtig zu
differenzieren.
Erstere sind grundsaetzlich kuehl zu behandeln, da Sie da facto dumm sind
und so grundsaetzlich dumme Fragen stellen, und das wahrscheinlich mit
Absicht. Fragt also jemand, warum die Uhr im A500 nach dem letzten Absturz
nicht mehr laeuft, gehen Sie davon aus, das er dass natuerlich wissen muss
(sonst duerfte er nicht schreiben) und machen sich effektiv ueber ihn
lustig. Das geht besonders gut, wenn genau dieses Thema vor nicht
allzulanger Zeit bereits diskutiert wurde oder in einem ominoesen FAQ-File
erwaehnt wird.
So ist mit den 95% Prozent zu verfahren; aber bitte nicht auf jede dumme
Frage laestern, das wirkt zu menschlich -- ein Gott schreibt nur wenige,
dafuer aber bessere Nachrichten.
Die restlichen 5% muessen natuerlich von Ihnen ausfuehrlich und mit Bravour
zerlegt beantwortet werden. Lassen Sie ihr Wissen ruhig raushaengen (der
andere koennte es ja auch wissen), und wuerzen Sie reichlich mit Verweisen
auf andere Quellen (womit Sie nicht Ihr ganzes Wissen preisgeben muessen,
siehe Kapitel IV).
Wenn Sie wieder erwarten keine Antwort wissen, schweigen Sie um Himmels
willen still (und lesen das naechste Mal im UseNet sorgfaeltiger mit).
Fragt ein Adept dummdreist nach, haben Sie die Nachricht nicht bekommen
(Server hatte Platencrash/Urlaub/keine Zeit gehabt). Im schlimmsten Fall
muessen Sie sich halt schlaumachen, aber nie im Netz selbst, auch nicht in
anderen oder gar im UseNet; ein Gott weiss und fragt nicht dumm.
VI. Goldene Regeln
- Antworten Sie *IMMER* oeffentlich und nie per PM. Wenn Sie schon das
Manna Ihres Wissens den Hunden zum frass vorwerfen, sollen es gefaelligst
auch alle mitkriegen
- Wenn Sie genuegend Zeit und Nerven mitbringen, werden Sie zum
standardisierten Alle-Fragen-Beantworter in speziellen Brettern (gut ist
/PROGRAMMIEREN; die haben alle so laecherliche Probleme). Das foerdert den
Ruf. Die Oeffentlichkeitsregel ist aber auch dabei grundsaetzlich immer
einzuhalten!
- Wenn Sie an Ihrem Status haengen, lassen Sie sich auf keinen Fall auf
Diskussionen ein, bei denen Sie nicht mithalten koennen; das gilt
insbesondere fuer Nicht-Rechner-Bretter. Es gibt Menschen, die neben
/Z-NETZ/RECHNER/AMIGA/* auch andere Bretter bestellt haben, und die koennen
boese Worte unter die Adepten tragen! Besonders gefaehrlich: /DISKUSSION,
/POLITIK, alles mit /CL davor und natuerlich /SEX
- Einige Adepten sind schon damit auf die Nase gefallen, dass sie versucht
haben, im Z-Netz Moderatorenpoestchen zu initieren, die dann na_wer_woll
wiederstrebend uebernehmen kann. Dafuer gibt es im Z-Netz zu viele
egalisierende Spinner; diese im Ansatz gute Idee ist also zu begraben.
- Eine gute Methode ist die Referenz auf allgemein anerkannte Groessen.
Beispiele: "Wie Dave Haynie mir schrieb..." oder "Fred Fish sagte mir..."
- Ab und an stellt sich bestimmt ein Dummkopf, der diesen Text nicht
gelesen hat, als oeffentlicher Besserwisser-Kaspar zur Verfuegung. Das ist
wirklich ein Schatz, denn an diesem Subjekt koennen Sie den Ernstfall er-
leben und ihre ganze Wucht an Wissen und trefflicher Polemik austesten.
Ihre Sympathiewerte werden noch weiter steigen, wenn sich das Subjekt
auf oeffentliche Mailgefechte mit Ihnen einlaesst und Sie den Dummbatz
genuesslich auseinandernehmen koennen. Achten Sie hierbei auf die
Feinheiten (siehe dazu das Dokument "Wie schreibe ich eine Flame")
VII. Der Olymp
Irgendwann wird der Tag kommen, wenn die ersten privaten und dann
oeffentlichen Bewunderungsmails eintrudeln; ihre Adepten haben Sie gefunden
und werden Ihnen in der Zukunft bei Gefechten jederzeit als Sekundanten und
Claquere zur Verfuegung stehen. Stuetzen Sie Ihren Status mit den
bewaehrten Methoden ("Zuckerbrot und Peitsche". Auch die gluehendsten
Bewunderer erfahren ueber Kickstart 3.0 nichts!)
Fuehlen Sie sich sicher genug, koennen Sie irgendwann auch das Spielfeld
der wahren Goetter (de.comp.sys.amiga.*) aufsuchen. Natuerlich mit der
Gebotenen Vorsicht. Wenn die erste freundliche PM vom amtierenden Netzgott
eintrifft, wissen Sie: Es ist vollbracht.
Amen.