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1993-03-16
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9KB
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159 lines
ÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿ Culture Club ÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿÿ
Heute m÷chte ich im "Culture Club" ein Buch besprechenen, das eigentlich jeder
Fantasy- oder Rollenspielfreund besitzen mⁿ▀te.
Es handelt sich dabei um "Rheingold", das Erstlingswerk des britischen Autors
STEPHAN GRUNDY.
Um es vorweg zu nehmen: "Rheingold" erzΣhlt die germanische Heldensage neu.
Diese kennt wahrscheinlich jeder. Falls es aber doch jemanden geben sollte, dem
Siegfried (der Drachent÷ter) oder Hagen (der Schreckliche) nichts sagen, hier
noch einmal das Heldenepos in wenigen SΣtzen zusammengefa▀t:
Siegfried lebt als Burgherr in den Niederlanden. In frⁿheren Jahren hat er sich
als Drachent÷ter in ganz Germanien einen gro▀en Namen gemacht: Furchtlos hat
er den bis dahin als unbesiegbar geltenden Lindwurm niedergekΣmpft und get÷tet.
Nach dem Kampf hat er durch ein Bad im Blut des Drachen die Unverwundbarkeit
(und die Unempfindlichkeit gegenⁿber Gift) erlangt. Leider ist ihm bei diesem
"Blutbad" ein Lindenblatt auf den Rⁿcken gefallen, und an eben dieser Stelle
befindet sich nunmehr sein einziger wunder Punkt.
Nun, viele Jahre nach dieser Heldentat kommt Siegfried nach Worms, um die
Schwester des Burgunderk÷nig Gunter zu heiraten. Dieser m÷chte ebenfalls
heiraten, und zwar eine Walkⁿre aus dem hohen Norden. Aber wie Walkⁿren nun
einmal sind, stellen sie ziemlich hohe Anforderungen: In diesem Fall mu▀ der
zukⁿnftige BrΣutigam die Walkⁿre in einem Dreikampf besiegen. Das wΣre fⁿr
einen kampferprobten Recken wie Gunter eigentlich kein Problem; unglⁿcklicher-
weise vefⁿgt die Walkⁿre aber ⁿber ZauberkrΣfte, die einen Sieg Gunters ins
Unm÷gliche rⁿcken lassen.
Fⁿr Gunter gibt es nur einen Ausweg: Siegfried, der Held, mu▀ helfen ! Wie
der Zufall so will, besitzt Siegfried eine Tarnkappe, die ihn bei Bedarf
unsichtbar werden lΣ▀t. Gemeinsam ziehen Siegfried und Gunter also ins Nord-
land. Natⁿrlich wird die Walkⁿre gemeinsam besiegt, und stolz kehren die
Helden ins Burgunderland zurⁿck, wo sie fⁿr einige Zeit als gleichberechtige
Partner ein friedliches Dasein fristen. Siegfried als edler Held behΣlt
natⁿrlich sein Wissen um den ermogelten Sieg fⁿr sich.
Doch sie haben nicht mit der Zwietracht ihrer Frauen gerechnet ! Diese haben
nichts Besseres zu tun, als die Heldentaten des eigenen Ehemannes hervorzu-
heben und den Ruhm des jeweilig anderen Ehemannes zu schmΣlern. Gunter
beobachtet dieses schmutzige Treiben mit Sorge, denn schlie▀lich hΣtte er die
Walkⁿre allein nicht besiegen k÷nnen. Eines Tages kommt, was kommen mu▀.
Siegfried - er hat die schlechte Angewohnheit, im Schlaf zu sprechen - erzΣhlt
seiner Frau das Walkⁿren-Geheimnis. Und nun geht alles Schlag auf Schlag:
Siegfrieds Frau wittert ihre Chance und verbreitet schnellstm÷glich die fⁿr
Gunter entehrende Nachricht.
Daraufhin wendet sich der Burgunderk÷nig hilfesuchend an seinen treuesten
Vasallen, den finsteren Hagen von Tronje. Hagen - im Bestreben, alles Schlechte
von seinem K÷nig fernzuhalten - sieht nur eine Chance, die Ehre des K÷nigs
wiederherzustellen: Siegfried hat die Krise verursacht, also mu▀ er sterben !
Gesagt getan. Durch eine List erfΣhrt Hagen von der Stelle, an der Siegfried
verwundbar ist, und kurze Zeit spΣter stirb der edelste aller Germanen durch
einen gezielten Speerwurf Hagens.
Die Jahre vergehen, und Siegfrieds Frau hat inzwischen neu geheiratet (den
schrecklichen Hunnenk÷nig Etzel). Doch sie kann Siegfrieds Tod nicht vergessen
und schw÷rt Hagen Todesrache.
Diese Rache rⁿgt in greifbare NΣhe, als K÷nig Gunters Hof eines Tages zu einer
Art "Staatsbesuch" ins Hunnenland kommt. Geschickt verwickelt Siegfrieds Witwe
die beiden K÷nige in einen Zwist, der sogar in einem handfesten Krieg gipfelt.
Nach einigen Tagen Kampf sind auf Seiten der Burgunder nur noch zwei KΣmpfer
ⁿbrig: Gunter und Hagen (der seinem K÷nig wiederholt ewige Treue geschworen
hat).
Und auch sie werden schlie▀lich gefangengenommen, Gunter stirb wenig spΣter.
Siegfrieds Witwe ist nun an ihrem Ziel: Mit eigener Hand schlΣgt sie Hagen den
Kopf ab.
Soweit zur Siegfriedsage, die - obwohl sie in Buchform nicht besonders umfang-
reich ist - hier natⁿrlich nur stark verkⁿrzt wiedergegeben werden konnte.
Und da bin ich gleich beim Kernunterschied von "Rheingold" und dem Original:
Dem Seitenumfang. WΣhrend der Siegfriedsage schlappe 60 DIN A6-Seiten (als
Reclam-Heft) genⁿgen, ben÷tigt "Rheingold" stolze 835 (!!) DIN A5er.
Der Grund fⁿr dieses immense Inhaltswachstum dⁿrfte in Grundys Bestreben
liegen, alle Begebenheiten m÷glichst logisch, fundiert und begrⁿndet darzu-
stellen. Und da sich Logik und der Glaube an G÷tter (von denen sehr, sehr
viele im Buch auftauchen...) selten vertragen, mu▀ ein Autor von derartigen
Publikationen tief und oft in seine Trickkiste greifen, um den kritischen Leser
gΣnzlich von der Begrⁿndbarkeit des Inhalts zu ⁿberzeugen.
Ich mu▀ allerdings zugeben, da▀ es Grundy nahezu perfekt gelingt, Mythos und
logische Schlu▀folgerungen unter einen Hut zu bringen. Beim Lesen st÷▀t man
sehr hΣufig auf Situationen, die auf den ersten Blick ziemlich ⁿberflⁿssig
erscheinen, die aber beim genaueren Betrachten (und beim spΣteren Rⁿckblick)
sinnvoll, ja sogar zwingend erscheinen ! Manchmal kann man sich aber auch nicht
des Eindrucks erwehren, da▀ hinter einer bestimmten Situation der Autor mit
erhobenem Zeigefinger und schelmischem Grinsen steckt, um dem verblⁿfften
Leser ein neckisches "Seh es doch endlich ein, Mensch. Das Gerⁿst meiner Story
ist perfekt ausgetⁿftelt ! Du brauchst gar nicht versuchen, es anzuzweifeln !"
an den Kopf zu werfen. Das st÷rt aber eigentlich nicht weiter. Man sollte
diese gelegentliche Aufdringlichkeit dem guten Stephan Grundy auch nicht vor-
werfen, schlie▀lich zΣhlt er gerade mal 25 Lenze...
Ein weiterer Unterschied zur Originalsaga liegt in der Gestaltung der diversen
Pers÷nlichkeiten. Dieser Unterschied tritt besonders bei Siegfried zutage. War
dieser im Epos noch ein unerschrockener, tapferer und kluger Krieger, wird
er in "Rheingold" primΣr als einfΣltig, gutglΣubig und verletzlich (natⁿrlich
rein k÷rperlich !) beschrieben. Klar, bΣrenstark und (fast) unverwundbar ist
Siggie immer noch. Aber - um es derb auszudrⁿcken - irgendwie hat man das
ungute Gefⁿhl, da▀ Siegfried richtig danach giert, verarscht (sorry!) zu
werden. Ob er nun Geheimnisse ausplaudert oder in der Gesellschaft ungeschickt
agiert, immer tappt er in irgendein FettnΣpfchen. Und dazu kommen noch die
stΣndigen Intrigen und der Neid der anderen. Man k÷nnte fast Mitleid mit dem
armen Kerl haben !
Eine Sache ist noch auffΣllig: In "Rheingold" kommt den Menschen im Grunde nur
die Rolle von blo▀en Statisten im unberechenbaren Spiel der G÷tter zu. Zuerst
wundert man sich nur ⁿber die seltsamen Sachen, die da in den ersten zwei- bis
dreihundert Seiten des Buches geschehen. Aber nach und nach wird einem bewu▀t,
da▀ das Ganze von Anfang an ein gutgeplanter Coup der G÷tter ist... Viel Platz
fⁿr individuellen Handlungsspielraum bleibt da kaum, und so mu▀ sich auch
ein Siegfried letztlich unterordnen.
Ach ja, eins noch: "Rheingold" spielt in den ersten Jahrhunderten unserer
Zeitrechnung. Die R÷mer sind bereits zu einem Gro▀teil Christen, und auch
Germanien fΣllt allmΣhlich in den Bann der neuen, humanen Religion.
Aber in jedem Kapitel, auf jeder Seite wird deutlich, da▀ der Autor Grundy
diese Entwicklung bedauert. Er ist ganz eindeutig begeistert von der
germanischen Frⁿhzeit, mit all ihren Vor- und Nachteilen. Und auch der Leser
wird allmΣhlich davon ⁿberzeugt, da▀ frⁿher (vor 2000 Jahren) alles besser
als heute war: Damals galten noch Werte wie Treue, Mut und Selbstaufopferung;
Feigheit und List dagegen waren bei den edlen Herren verp÷nt...
Aber das kann natⁿrlich auch nur eine pers÷nliche Interpretation sein.
Fazit: Ja, "Rheingold" ist wirklich ein Buch, das es wert ist, neben den
"Programmer's Reference Manuals", dem Duden und dem neuesten Film von
Arnold Schwarzenegger im Bⁿcherschrank zu stehen. Nicht nur der Inhalt
ist vom Feinsten, auch das Drumherum (sprich: das Cover) kann h÷chsten
Ansprⁿchen genⁿgen: Es zeigt eine germanische Blondine, die heldenhaft auf
einem Berg ⁿber dem Rhein steht - mit einem Schwert in der Hand ! Darⁿber
steht in gⁿldenen Lettern das Wort "Rheingold". Wahrscheinlich einer der
beeindruckendsten BuchumschlΣge, die auf dem Markt erhΣltlich sind.
Alle, die sich fⁿr Fantasy oder einfach nur fⁿr die Siegfriedsage
interessieren, sollten sich dieses sch÷ne Buch einmal anschauen und am
besten sofort kaufen. EnttΣuscht sein wird keiner, und wer es geschafft hat
und die 835 Seiten durchgearbeitet hat, der wird "Aha !" sagen und die
germanische Mythologie kⁿnftig besser verstehen k÷nnen.
Die Sprache ist zwar stellenweise etwas derb und nicht optimal ausformuliert,
aber das kann man Grundy kaum anlasten, wo es sich doch um sein Erstlingswerk
handelt...
Stephan Grundy
"RHEINGOLD"
Wolfgang Krⁿger Verlag
ISBN 3-8105-0851-9
DM 48,00
- Tim Juretzky -