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50 Jahre Allgemeine ErklΣrung der Menschenrechte - Zeit zu handeln amnesty international: ai-Journal 12/97-01/98

Konsequenz aus der Nazi-Barbarei

Als die damals 56 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ohne Gegenstimme und bei acht Enthaltungen verabschiedeten, taten sie dies in der Überzeugung, daß nur eine Verpflichtung der Staaten zur Achtung und Förderung der Menschenrechte gewährleisten kann, daß die Schrecken des Nazi-Regimes sich nicht mehr wiederholen.

Nie mehr sollte - wie im Nationalsozialismus geschehen - der Mensch zum entrechteten Teil einer Masse degradiert und das Recht zum Recht des Stärkeren pervertiert werden. Nie mehr sollte es der Willkür einer Regierung zugestanden werden, die Würde eines Menschen an- oder abzuerkennen. Die Regierungen der Anti-Hitler-Koalition gingen zudem davon aus, daß eine Regierung, die fundamentale Menschenrechte nicht achtet, früher oder später auch gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft als Aggressor auftreten und den Weltfrieden bedrohen wird: "Da Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei führten, die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben, und da die Schaffung einer Welt, in der den Menschen, frei von Furcht und Not, Rede- und Glaubensfreiheit zuteil wird, als das höchste Bestreben der Menschheit verkündet worden ist, ... verkündet die Generalversammlung die vorliegende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte", heißt es deshalb in der Präambel.

Schon 1941 sprach der amerikanische Präsident Franklin Delano Roosevelt von den vier unabdingbaren Freiheiten, die es im Kampf gegen den Nationalsozialismus zu gewinnen gelte: die Rede- und Meinungsfreiheit, die Glaubensfreiheit, die Freiheit vom Mangel und die von Furcht. In der Atlantik-Charta, in der die USA und Großbritannien ebenfalls 1941 ihre Nachkriegsziele darlegten, erkannten sie "das Recht aller Völker [an], die Regierungsform zu wählen, unter der sie leben wollen", und proklamierten ebenso das Ziel der sozialen Sicherheit und der Freiheit von Furcht und Mangel. Dem Nachkriegsziel, "Leben, Freiheit, Unabhängigkeit und Religionsfreiheit zu verteidigen und Menschenrechte und Gerechtigkeit in ihren eigenen sowie in anderen Ländern zu erhalten", stimmten im Januar 1942 in der "Erklärung der Vereinten Nationen" 26 Staaten zu. Bis zum März 1945 unterzeichneten weitere 21 Staaten die Erklärung. Gleichzeitig arbeiteten Regierungsvertreter der USA, Großbritanniens, der Sowjetunion und Chinas an einem Entwurf für die Charta der Vereinten Nationen, der auch die Verpflichtung zur Achtung und Förderung der Menschenrechte enthielt. Das Ergebnis, die im Juni 1945 verabschiedete Charta der Vereinten Nationen, hob zum ersten Mal die Menschenrechte aus der alleinigen Zuständigkeit der jeweiligen Staaten heraus und integrierte sie in das internationale Völkerrecht - ein wichtiger Schritt für die internationale Anerkennung und Absicherung der Menschenrechte.

1946 setzte dann der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen gemäß der UNO-Charta eine Menschenrechtskommission ein, die Vorschläge, Empfehlungen und Berichte zum internationalen Menschenrechtsschutz entwickeln sollte. Zur Debatte standen vor allem die bürgerlichen Freiheiten, der Status der Frau, der Schutz von Minderheiten sowie der Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Rasse, Geschlecht, Sprache oder Glauben. Der Kommission gehörten 18 Regierungsvertreter aus Ägypten, Australien, Belgien, Chile, China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Iran, Jugoslawien, Libanon, Panama, Philippinen, Sowjetunion, Ukraine, Weißrußland, Uruguay und den USA an. Im Dezember 1947 einigten sie sich darauf, ihren menschenrechtlichen Auftrag in drei Schritten anzugehen. Als Grundlage wollten sie eine allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Form einer Resolution verabschieden, die zwar völkerrechtlich nicht bindend wäre, jedoch das "von allen Völkern zu erreichende Ideal" darstellen sollte. Als weiterer Schritt sollte dann eine internationale Konvention über die Menschenrechte entstehen, mit deren Unterzeichnung sich jeder Mitgliedsstaat völkerrechtlich verpflichten konnte, die erwähnten Menschenrechte zu achten. Schließlich sollte eine internationale Konvention völkerrechtlich verbindlich den Rechtsschutz von Individuen festlegen.

Was die grundlegende Erklärung anbelangt, so wurde daraus die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die die UNO-Generalversammlung am 10. Dezember 1948 verabschiedete - seither wird der 10. Dezember weltweit als "Tag der Menschenrechte" begangen. Der Kommission, die die Erklärung entwarf, fiel die schwierige Aufgabe zu, vor dem Hintergrund des Kalten Krieges die vielfältigen und historisch unterschiedlich gewachsenen Auffassungen von Menschenrechten in einem allgemein gültigen und akzeptierten Entwurf miteinander zu vereinen.

Die stärkste Polarisierung bestand sicherlich in der Frage, wie sich soziale und politische Menschenrechte zueinander verhalten. Die Vertreter der Sowjetunion gaben den sozialen Grundrechten den Vorrang vor den Individualrechten. Erst wenn grundlegende soziale Rechte erfüllt würden, könne man mit der Umsetzung politischer Freiheiten beginnen, lautete ihre Argumentation - eine Argumentation, die sich inzwischen auch viele asiatische Regierungen zueigen gemacht haben. Auf den Ausspruch des britischen Vertreters im Sinne einer Höherbewertung der zivilen Menschenrechte, "Wir wünschen freie Menschen, nicht wohlgenährte Sklaven", antwortete der ukrainische Vertreter: "Freie Menschen können verhungern." Demgegenüber betonten andere, daß die sozialen Menschenrechte nur dann erstritten werden könnten, wenn die Menschen von ihren bürgerlichen Rechten - beispielsweise auf freie Meinungsäußerung und politische Organisation - Gebrauch machten.

In der aus dieser Diskussion entstandenen Menschenrechtserklärung stehen bürgerliche und politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte gleichberechtigt nebeneinander: Sie sind universell gültig und unteilbar, somit nicht voneinander zu trennen.

Ein weiterer Konflikt ergab sich, als der Vertreter des entstehenden Apartheidstaats Südafrika seine Vorbehalte dagegen vorbrachte, daß "alle Menschen frei und gleich an Würde geboren" sind (Artikel 1) und "vor dem Gesetz gleich" sein sollten (Artikel 7). Auf die vehemente Kritik vor allem von Indien und Kuba zog er allerdings seinen Änderungsantrag zurück. Auch die Bedenken der muslimischen Staaten gegen die Freiheit der Eheschließung (Artikel 16) und die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 18) lösten längere Diskussionen aus. Nur Saudi-Arabien stimmte dann gegen diese Rechte, da sie angeblich nicht mit den Lehren des Koran vereinbar seien. Die Debatte über den Antrag Brasiliens, im ersten Artikel der Menschenrechtserklärung den christlichen Gottesbegriff einzufügen, führte schließlich noch dazu, daß angesichts der unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen der Mitglieder der Menschenrechtskommission jeglicher Verweis auf eine religiöse oder naturrechtliche Grundlage der Menschenrechte entfiel.

Bei der endgültigen Abstimmung über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in der UNO-Generalversammlung am 10. Dezember 1948 votierten dann 48 der 56 UNO-Mitgliedsstaaten der Erklärung zu. Niemand stimmte dagegen, allerdings enthielten sich aus den genannten Gründen sechs osteuropäische Länder - Sowjetunion mit Ukraine und Weißrußland, Polen, Jugoslawien und Tschechoslowakei - sowie Südafrika und Saudi-Arabien. Seither ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Grundlage für viele internationale Konventionen und Abkommen geworden, die ein friedliches und gerechtes Zusammenleben der Menschen ermöglichen wollen. Auch die 172 Teilnehmerstaaten der UNO-Weltmenschenrechtskonferenz 1993 in Wien haben sich einstimmig zur universellen Geltung der Menschenrechte bekannt. Ihre weltweite Durchsetzung hat sich amnesty international zum Ziel gesetzt, auch wenn die Organisation nicht alle Menschenrechte in ihr eng gefaßtes Mandat aufgenommen hat.

Barbara Erbe

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 10. Dezember 1997

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