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Research bei amnesty international

Sorgfältig recherchiert, gewissenhaft geprüft

Etwa 50 sogenannte Researcher arbeiten im Internationalen Sekretariat von amnesty international in London. In Teams ermitteln sie Menschenrechtsverletzungen in "ihrer" Region. Jedes Research-Team besteht aus drei bis fünf Ermittlern und einer etwa gleich großen Zahl an "Campaignern", die die Forschungsergebnisse in Mitgliederaktionen umsetzen. Die Teams der Subregionen sind zu Großregionen zusammmengefaßt, die von einem Programmdirektor geleitet werden.

Die jeweilige Länderstrategie wird nicht von den einzelnen Mitarbeitern festgelegt, sondern in Besprechungen mit anderen Abteilungen - etwa denen für Öffentlichkeitsarbeit oder Mitgliedschaft und dem Generalsekretär. Für juristische Fragen steht ebenfalls Beratung zur Verfügung.

Viele Details machen gute Ermittlungsarbeit aus. Researcher lesen Tageszeitungen und politische Magazine aus "ihren" Ländern, sie erhalten Informationen von Nichtregierungsorganisationen, Journalisten oder Rechtsanwälten, die sie in der Region kennen. Auch Hilferufe von Opfern gehen ständig ein, manchmal in der - leider nicht immer realistischen - Hoffnung, ai könnte Regierungen sofort zwingen, auf die Organisation zu hören. Oft müssen die Ermittler dann schnell handeln: Informationen müssen geprüft und bei anderen Quellen gegenrecherchiert werden. Manchmal genügt ein Anruf, von dem man weiß, daß er abgehört wird, um das Schlimmste zu verhindern: Die Tatsache, daß amnesty international zu einer Menschenrechtsverletzung ermittelt, kann Offizielle manchmal bremsen und Opfern Schutz ermöglichen. Werden schnelle Massenproteste als sinnvoll

erachtet, werden Eilaktionen - Urgent Actions - gestartet. Mitunter erscheinen andere Protestformen effizienter.

Wichtig ist das Verfassen von Länderdokumentationen oder Kapiteln anderer Veröffentlichungen, etwa des Jahresberichts. Mit Hilfe eines ausgeklügelten Systems werden die Berichte intern mehrfach auf ihren Wahrheitsgehalt und die Zuverlässigkeit der benutzten Informationen hin kritisch überprüft.

Die Informationsbeschaffung erfolgt zudem natürlich durch Ermittlungsdelegationen in das Zielland. In der Regel versuchen die ai- Ermittler, zwei bis drei Wochen pro Jahr in "ihrem" Land Menschenrechtsverletzungen zu recherchieren. Längere Delegationen sind zur Zeit in der Diskussion. Die Researcher sprechen mit Opfern, Anwälten,

Angehörigen oder auch Vertretern von Nichtregierungsorganisationen. Alle Reisen werden den Regierungen zuvor bekanntgegeben. Manchmal wird um ein Gespräch mit den Machthabern ersucht, gelegentlich dient die Reise der

Beobachtung politischer Prozesse.

Die wenigsten Regierungen begrüßen die "Besuche" von ai-Mitarbeitern, aber im Normalfall wird die Einreise und Forschungsarbeit genehmigt. Viele Regierungen schauen sich wahrscheinlich umgehend nach geeigneten Beschattern um. In einigen wenigen Staaten - etwa Birma oder China - wird ai-Ermittlern die Einreise verweigert. amnesty international startet dann keine Under-Cover-Delegationen, sondern konzentriert sich auf andere Quellen: Menschenrechtler vor Ort etwa oder Flüchtlinge, die das Land verlassen haben.

Im Bewußtsein, daß solche Delegationen ai viel Geld kosten, verlängern die Researcher ihre anstrengenden Arbeitstage meist bis in die Abendstunden. Oft spricht es sich herum, daß amnesty international im Land ist: Dann kann man sich vor dem Andrang der Menschen, die ihre Anliegen an die Organisation herantragen wollen, kaum retten. Einige politische Gruppen versuchen zudem, die ai-Mitarbeiter vor ihren Parteikarren zu spannen. Die

amnesty-Ermittler prüfen jedoch gerade in kritischen Situationen besonders sorgfältig bei der Gegenseite und betonen gegenüber allen Gesprächspartnern, daß sie politisch neutral und allein am Einsatz für die Menschenrechte interessiert sind.

Solche Reisen können auch dazu dienen, den Kontakt zur Presse im Land aufzubauen. Journalisten sind maßgeblich an der Meinungsbildung beteiligt,

und es ist sinnvoll, sie für die Idee der Menschenrechte zu gewinnen. Sie können neben Menschenrechtserziehung auch wichtige Recherche-Arbeit leisten.

Das auf Delegationsreisen gesammelte Material - Zeugenaussagen, Gerichtsakten, medizinische Atteste, Notizen, Bücher und Berichte - werden meist innerhalb eines halben Jahres aufgearbeitet und in Dokumentationen und Aktionen umgesetzt. Es kann auch vorkommen, daß Delegationen noch aus dem Land heraus eine Eilaktion initiieren oder eine Pressekonferenz abhalten.

Die Mitarbeiter des Internationalen Sekretariats stellen meist den Kern der ai-Delegationen, doch auch Kogruppenmitglieder aus den Sektionen werden zunehmend beteiligt. So waren etwa deutsche Länderexperten bereits mit Delegationen in Australien, Peru oder der Türkei.

Angelika Pathak

Die Autorin, in den achtziger Jahren Mitglied der Bangladesch-Kogruppe in Deutschland, arbeitet seit Juli 1991 als "Researcherin" im Internationalen Sekretariat in London zu den Ländern Pakistan und Bangladesch.