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Chaos Computer Club 1997 February
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1997-02-28
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160 lines
Seite 22 _ Ausgabe 54
einer umfassenden Lösung forschen, aus Angst,
der Marktplatz Interner zu einem
Schlachtfeld von radikalen Ideen ausarten, eine
der größten Herausforderungen. Denn auch in
anderen asiatischen Staaten steigt die Zahl der
Internet-User sprunghaft an - und damit auch
die Zahl der radikalen religiösen Gruppen.
Entertainment-Offerten für eine breite Masse
wie TV-Prograrnme, die unter den dortigen
Rundfunkbegriff fallen, werden vom Flur Zensur
zuständigen Informations- und Kulturministeri-
um, wie in Deutschland von den zuständigen
Landesmedienanstalten, lizensiert und strenger
kontrolliert als beispielsweise Bildungs- oder
Wirtschafts-, meist auf einzelne oder wenige
Personen, ausgerichtete Inforrnationsangebote.
Das sich selbstverwaltende Internet wirkte auf
die Zensurwissenschaftler zunächst wie ein
Fremdkörper: Es fehlt ein zentraler Betreiber,
das mit militärischen Forschungsgeldern
entwickelte Netz ist extrem ausfallsicher, funk-
tioniert selbst nach regionalen Atombombenan-
griffen noch einwandfrei und ist nur kaum kon-
trollierbar. Hauptbestandteil des scheinbaren
"Online-UFO" aus den USA, so das Ergebnis
ihrer Untersuchung, ist E-Mail. Wer
elektronische Postdienste abwickelt, benötigt
eine Lizenz von der staatlichen
Telekommunikationsaufsichtsbehörde E-Mail-
Inhalte werden zwar nicht zensiert, wer jedoch
seine Geschäftspost verschlüsseln will, muß bei
Singapore Telecom rund 1000 UM für solche
Funktionen Berappen.
Abschließendes Ergebnis der Singapurer
Internet-Forscher: Computer-Services wie bei-
spielsweise Diskussionsforen im Usenet und
Internet-Web-Seiten fallen unter den dortigen
Rundfunkbegriff, da sie öffentliche Angebote
für die breite Masse darstellen. Erst kürzlich
entschied sich daher Singapurs Regierung,
Internet-Dienste ihr sogenannten "Singapore
Broadcasting Authori~ Act" zusammenzufassen
- erste Grundlage für eine staatliche Lizenzie-
rung von Angeboten im Netz.
Reine Netzanbieter bedurften schon vorher
wieinYielen liberalisiertenTelekommünikati-
onsmärkten der Welt eine Art Beförderungs-
lizenz zum Datentransport. Damit wäre nach
singapurischer Definition jeder Student, der an
Usenet-Foren teilnimmt, ein eigener potentiel-
ler Rundfunksender.
Insel im Datennetz
Erfahrungen aus anderen Ländern wie die hef-
tigen Realctionen der Internet-Gemeinde auf die
vom US-Senat geforderte Verbannung von
"obszönen Informationen" aus dem Internet,
führten zur hoheitlichen Erkenntnis, daß lokale
Internet-Anbieter vorerst keine Rundfunklizenz
benötigen. "In der Cyberspace-Kultur wird ein
Höchstmaß an Freiheit und Anarchie zelebriert.
leer freie Zugang zu Ideen und Informationen
ist Bestandteil sozialer Entwicklung",
philosophiert Ang Peng Hwa und erklärt damit
im "Singapore Sty]e" das Zögem seiner Regie-
rung. Im "globalen Dorf" möchte der Inselstaat
kein Inseldasein führen.
Bereits 1992 erkannten Mitglieder einer staat-
lichen Zensurkommission, daß Singapurs tradi-
tionelle Zensurpolitik sich kontraproduktiv zum
wirtschaftlichen Strukturwandel in Richtung
Hochtechnologiestaat verhält. Eine Liberalisie-
rung schien zunächst möglich. Drei Jahre später
verschaffen sich Singapurs Auslandsstudenten
in zensorfreien, internationalen Internet-Foren
wie "Soc.Culture.Singapore" mit sarkastischen
Sprüchen über die Zensurpraxis Luft: "Singapur
wird frei sein, endlich auch US-TV-Kanäle
empfangen dürfen, wenn in Bosnien der Krieg
beendet ist und die Hölle gefriert". Die US-Stu-
denten aus Singapur erfahren krasser denn je,
was Zensur bedeutet, sehen viele doch US-Seri-
en in zwei Fassungen, die bild- und wortinnere
einheimische "Snip-Fassung" und später dann
die Originalfassung im Ausland "Die Zensur-
behörde behandelt zum Beispiel Homosexualität
als Tabuthema. Da werden bereits zweideutige
Worte wie das Ding aus den Fernsehfilmen
geschnitten", berichtet Daniel Lau vom Apple
Design Center in Singapur später in einem Use-
net-Forum.
Mir ~en~c~leuber - Das wissenschaftliche Fachblatt für Datenweisende
Ausgabe 54
Seite
Sämtlich verfügbare Computer-Software soll Eines ist sicher: Singapur werde ein Protest-
künftig von Filmzensoren stichprobenartig sturm internationaler Konzerne drohen, da
kontrolliert werden, da nach deren Ansicht deren lokale Niederlassungen Web-Seiten in
jede Windows-Software rein theoretisch aus Singapur anbieten und von dort zur Dome
einzelnen Aktbildern bestehen könnte. Um der Page" im Mutterland verzweigen. Singapore
unliebsamen Nacktenschar Herr zu werden, ist Press Holding vermarktet Web-Seiten für 950
allerdings eine Gesetzeserweiterung Singapur Dollar (Kurs etwa 1:1) monatlich.
notwendig: Neben den bewegten Kinobildern, Jedes Unternehmen kann eine Seite mieten und
sollen auch Standbildern - und damit Compu- frei gestalten. Geschickte Web-Surfer könnten
terprogramme - zensorkompatibel werden. so über mehrere Querverbindungen ohne Pro-
bleme zur Penthouse- oder Playboy-Seite -
Großrazzia im Internet ohne staatliche Zensur - gelangen.
:[ur Teilnahme an den globalen Intemet-
Sogenannte "CIF-Files", für den Austausch Foren waren auch für Universitäten spezielle
grafischer Daten standardisierte Dateien, fielen Server angedacht, mit jeweils seperaten Syste-
den Zensoren bereits zum Opfer. Nur durch men für Studenten und Universitätsmitarbeiter.
ein Mißverständnis eines hohen Beamten, Lediglich die jährlichen Maschinenlcosten von |
kommentiert Ang Peng Hwa eine Internet- 70.000 US Dollar und ein immenser Personal- I
Großrazzia, wurden alle Accounts eines kom- einsalz zwangen die Behörden, ihr Vorhaben
merziellen InternetProviders nach grafischen abzubrechen. I
Dateien durchsucht. In 80.000 gescannten I
G~-Files fanden die Zensurbeamten mit Hilfe Staatliche Informationsoffensive
eines speziellen Programms tatsächlich fünf
Dateien mit pornographischem Inhalt, nach Zensur in Singapur ist Wissenschaft und
dem Gesetz auch Aktfotos. Die Besitzer erhiel- Sport zugleich, wen wundert's, daß die Mitar-
ten eine schriftliche Ermahnung, was bei vielen heiter im Informationsministeriums nicht ohne
Nutzern heftigen Protest auslöste. "Nur um den einen "ordentlichen Kampf" aufgeben wollen,
Zensurbeamten das Leben schwer zu machen, wie die englischsprachige Tageszeitung Straits
gaben die Nutzer den Graf~dateien neue Times verkündete. Irn Frühjahr startete
Namen. Ergebnis: die Suchprogramme funktio- Singapurs Regierung daher eine eigene Infor-
nieren nicht mehr", berichteten die Moralhüter Kationsoffensivee im Netz. Das als "Singapore
nach der Aktion. Durchforstet werden aber Map" offziell zugelassene Internet-Angebot
nicht nur Dateien, die NackbilÜchen von den soll der globalen Gemeinde das "wahre
hochfrequentierten Playboy-Web-Seiten enthal- Singapur" zeigen - ein hochentwickeltes,
ten könnten? nach Richtlinien des zufriedenes und sauberes Land. Selbstironisch
Informationsministeriums zählen auch Usenet- stellen die Singapurer Bebörden auf ihrer
Groups zu den zensurfähigen Angeboten. Alle Web-Seite unter anderem Häuserwände mit
über den öffentlichen Internet Provider Sing- Holz-, Beton- oder Steinmustern vor und laden
Pore Telecom zugänglichen Usenet-Foren oder zu elektronischer Graffitimalerei ein,
Web-Seiten sind nur über ein spezielles Menü Uberschrift: "Der einzige Platz in Singapur,
zugänglich, angeblich aus,~Sicherheitsgründen" wo Graffiti nicht mit Geldbußen bestraft wird".
, so die um Singapur besorgte Telekom. Inwie-
weit auch der Zugriff auf globale Web-Seiten
von Firmen eingeschränkt werden soll, lassen bishop~ccc.de I
die Bebörden und Zensurforscher zunachst
offen.
~k ~oltlßc5Icuber - Das wissenschaftliche Fachblatt für Datenreisende.
1
~I