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Chaos Computer Club 1997 February
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1997-02-28
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8KB
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205 lines
-
Seite K Ausga~e 54
Wie es zum Schlusseltinterlegungs. und
Auf~ewahrungs-Gesetz (SchIAG)kam...
Nachdem die Einbruchskriminalität auch
dem letzten klargemacht hatte, dass starke
Haus- und Wohnungstüren mit ordentlichen
SchlÖssern nötig seien, ja die Industrie geradezu
vortrefflich stabile Toren und geradezu geistrei-
che Schlösser herstellte und verkaufte, stand die
Polizei buchstäblich vor einem neuen Problem:
Hin und wieder stand sie vor der Tür - und
(k)ein Einbrecher war dahinter. Da nun aber das
gewaltsame Öffnen der Tür viel schwieriger
war und länger dauerte als vorher und die mei-
sten Häuser vier Seiten haben, während
Polizeistreifen nur aus zwei Personen bestehen,
waren die Einbrecher oftmals schon über alle
Fenstersimse, bevor die Polizei sie hätte sehen
oder gar fassen können (sofern es überhaupt
Einbrecher gegeben hatte - was oftmals hinter-
her kaum zu entscheiden war). Ähnlich schlecht
ging das Ausheben organisiert-krimineller kon-
spirativer Treffen. Unsere Gesetzeshüter waren
grenzenlos frustriert.
Deshalb wurde der Arbeitskreis "Slrategische
Unsicherheits-Studien (StUsS)" beauftragt,
Lösungsvorschläge auszuarbeiten. In Nacht-
und Nebelsitzungen wurde erwogen:
* Polizeistreifen werden auf 4 Beamte
verstärkt, was die Personalkosten jedoch
verdoppelt und deshalb mit der Maxime sparsa-
men Bürgerschutzes nicht vereinbar schien.
* Es werden nur noch dreieckige Häuser
zugelassen, so dass 3er Streifen ausreichen und
die Kostensteigerung nur massvolle 50970
erreicht. Das Amt für Denkmalschutz protestier-
te aufs Schärfste und da die meisten Politikerln-
nen viereckige Häuser besaßen, war der
Vorschlag hiermit vom Tisch.
* Die neuen Türen werden verboten.
Dies wurde als politisch nicht durchsetzbar
erachtet, da jahrelang neue Türen propagiert
worden waren und inzwischen Jedermensch die
Einbruchsproblematik bei schwachen Türen
oder Schlössern begriffen hatte.
* Die neuen stabilen Türen mit einem
ordentlichen Schloss erhalten einen zusätzlichen
Notknopf, mit dem sie von aussen jederzeit
geoffnet werden können. Die missbräuchliche
Benutzung des Notknopfs wird mit hoher Strafe
belegt, verdeutlicht durch Beschriftung des Not-
knopfs mit "Nur für den l:)ienstgebrauch von
Polizei und Rettungsdienst bei Gefahr im
Verzug oder Vorliegen einer richterlichen
Genehmigung". Die JuristInnen betonten, dieser
Vorschlag behindere die Türen- und Schlösser-
industrie in keiner Form, insbesondere nicht
den Export der neuen Hochsicherheitstechnik.
Und Missbrauch des Notknopfs sei verboten -
sie sähen überhaupt kein Problem. Die Politike-
rInnen lobten, die Lösung stehe nicht im Wider-
spruch zu den bisherigen Presseerklärungen und
Wahlversprechen. Der Vorwurf der
"Schlüssellüge" könne nicht erhoben werden.
Alle waren sich einig, bis der Industrievertreter
der Schlösser- und Riegelproduzenten - ein ver-
bohrter Ingenieur ohne jedes juristische und
politische Taktgefühl - meinte, warum denn
dann nicht gleich das ganze moderne Schloss
samt Notknopf weggelassen wurde und
lediglich das Schild montiert: "Eintritt von Poli-
zei und Rettungsdienst nur bei Gefahr im
Verzug oder Vorliegen einer richterlichen
Genehmigung". Das spare Kosten und sei funk-
tional äquivalent.
Der Arbeitskreis StUsS war ratlos, bis Prof.
em. Dr. Dr. h.c. mult. Oberklug auf die rettende
Idee kam:
*
Jeder, der eine neue stabile TUr mit
einem ordentlichen Schloss besitzt, muss einen
Schlüssel bei der örtlichen Polizei hinterlegen.
Der Vorschlag war grandios, leider aber nur
unvollkommen durchftihrbar: Manche fühlten
sich durch den Gedanken, die Polizei könnte
Eric ~etcede4k - te - Das wissenschaftliche Fachblatt für Datenreisende
~c Östen─laßher - Das wissenschaftliche Fachblatt für Datenreisende.
Ausgabe 54
Seite 9
jederzeit unentdeckt in die Privatwohnung wie
auch das Büro eindringen, gestört - und wurden
bei der Schlüsselübergabe noch mit der Nase
darauf gestessen. Andere vergaßen einfach, den
SchlUssel zu hinterlegen.
Nach wenigen Monaten wurde der
Arbeitskreis StUsS erneut zusammengerufen,
um eine bessere Lösung zu finden. Da nun
wuchs der Vorsitzende des Dachverbandes der
Schlösser- und Riegelproduzenten in staatsbUr-
gerlichem Gehorsam über sich und Prof. Ober-
klug hinaus und schlug folgendes vor:
* Bereits der Schlosserproduzent liefert
für jedes Schloss einen Schlüssel bei der
Bundespolizei ab. So könne das Schlüsselablie-
fem nicht vergessen werden.
Der Staatsminister Dr. Behueteuchall war
entzlickt und nahm sich vor, dies in den
Entwurf des Schlüsselhinterlegungs- und
Aufbewahrungs-Gesetzes (SchlAG)
hineinzuschreiben. So geschah's und die Unru-
he in der Bevölkerung nahm ab, denn die
Schlosskäufermassen wurden geschont und über
die zentrale computergestützte
Schlossverbleibsdatenbank zum Schlossendver-
braucherverwendungsnachweis kaum öffentlich
diskutiert. Manche Politikerlonen fühlten sich
zwar zur Infonnation der Öffentlichkeit
verpflichtet - sie konnten aber mit dem
Argument, nicht der organisierten Kriminalität
den Weg zu den Schlüsseln zu weisen, davon
abgebracht werden. Denn in einem waren sich
alle einig: Solch eine Datenbank ist nicht zu
schützen - hier hilft nur verstecken und schwei-
Ben. Und so fiel dann auch niemand auf, dass
das weitere Ansteigen der Einbruchskr~ninalität
weniger an zu laschen Gesetzen als vielmehr
daran lag, dass viele Schlüssel doch in die
falschen Hände gelangten. Auch nahmen die
konspirativen Treffen nicht ab - sie fanden nur
woanders statt. Auffällig waren die gesündere
Gesichtsfarbe der organisierten Kriminellen im
Sommer und häufigere Erkältungskrankheiten
im Winter.
Sie halten diesen AnSchLAG auf Sicherheit,
Unverletzlichkeit der Wohnung und Privatsphä-
re für frei erfunden und aberwitzig unsinnig.
Mit dem zweiten haben Sie recht, mit dem
ersten leider nicht:
Stellen Sie sich statt Wohnungen und
Häusern Rechner in der kündigen Informations-
gesellschaft vor, statt Schlössern krypingraphi-
sche Systeme, statt materieller Schlüssel digita-
le Bitmuster, statt Notknöpfen leicht brechbare
kryptographische Systeme, statt versteckter
konspirativer Treffen ausserhalb von Wohnun-
gen mittels Steganographie unentdeckbar gut
versteckte geheime Nachrichten. Überlegen Sie,
wie viel leichter und unentdeckter immaterielle
Schlüssel aus der Datenbank entwendet werden
können als materielle Schlüssel. Und dann den-
ken Sie an die Key-Escrow-Debatte (Clipper
etc.) in den USA, die Diskussion über ein Kryp-
togesetz hinter verschlossenen Türen (ohne
Notknöpfe) in Bonn, lesen Sie das Prachtwerk
unserer Regierung, die Fernmeldeverkehr-Uber-
wachungs-Verordnung (FUEV), insbesondere
Par. (4). Sie Emden Sie unter
htip:l/www.thur.delulf/ueberwach/.
Wenn Sie danach nicht nur ungläubig
staunen, sondern zutiefst entsetzt sind, dann tun
sie was dagegen - das ist in einer Demokratie
nicht nur Ihr Recht, sondern fast auch Ihre
Pflicht. Schreiben Sie beispielsweise an den
Innenminister, den Minister fuer Post und Tele-
kommunikation (Bundesministerium fuer Post
und Telekommunikation, Postfach 8001, D-
53105 Bonn, Tel. 0228 ~ 14-0), den
Bundeskanzler, die Parteien. Und wenn Sie
einen Polizisten oder eine Polizistin treffen -
spenden sie Trost, falls der Schlüssel zur
Verbesserung der Welt fehlt. Nicht dass uns
noch alle der SchlAG trifft.
Andreas Pfitzmann
pfitza Genf. tu-dresden. de