05/96
Ripper
Blutrausch
Den Aufbruch zu neuen Welten elektronischer Unterhaltung versprach es der Computerspielgemeinde! Zu flach, zu viel Effekthascherei, so lautete nur allzu oft in letzter Zeit das Urteil von Publikum und Fachwelt!
Die Rede ist vom "Interactive Movie╙, dem vielgerühmten, innovativen Genre, das nach einigen sehr beachtlichen Pionierarbeiten wie Roberta Williams½ "Phantasmagoria╙ zur Zeit zwar noch in den Kinderschuhen, aber auch schon in seiner ersten Krise steckt. Zu viele hingeschluderte Schnellschüsse landeten zuletzt in den Verkaufsregalen und auf den Redaktionstischen. Doch das jüngst fertiggestellte Projekt von Take 2 entpuppt sich durchaus als fesselndes, interaktives Adventure mit Actionkomponenten.
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Der Held Jake Quinlan, in dessen Rolle man schlüpft, jagt als Reporter des ╘Virtual Herald╒ den wahnsinnigen Serienmörder "Ripper╙, der seit kurzem auf bestialische Art und Weise nach dem Muster seines historischen Vorbilds scheinbar willkürlich Menschen aufschlitzt. Der smarte Journalist, der zusammen mit seiner Kollegin Catherine Powell die Berichterstattung über die Mordserie übernommen hat, wird von dem Killer persönlich in unregelmässigen Abständen mit Nachrichten und obskuren Informationen über seine geplanten Bluttaten versorgt.
Presse gegen Polizei
Nachdem Catherine selbst nur knapp einem Anschlag des neuen "Rippers╙ entgeht und daraufhin in ein tiefes Koma fällt, beschliesst der Sensationsreporter endgültig, über den Wahnsinnigen nicht mehr nur zu berichten, sondern ihm eigenhändig das Handwerk zu legen. Naturgemäss geraten sich Pressemann und der eigentlich mit den Ermittlungen beauftragte Kriminalbeamte Magnotta bald ganz schön ins Gehege, zumal letzterer vermutlich Beweismittel unterschlägt.
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Virtuelle Informationen
Mit zunehmendem Spielverlauf wird immer deutlicher, dass die Lösung des Falles nur zum Teil in der realen Welt, zum grossen Teil jedoch in der künstlichen Welt des Cyberspace verborgen liegt. Diese Scheinrealität spielt (auch) in der Phantasie der Autoren dieses Adventures in den kommenden Jahrzehnten eine entscheidende Rolle bei der Kommunikation zwischen Menschen und Institutionen. So muss sich der Held des öfteren via Docking Station auf dem Schreibtisch in die höheren Sphären der "Virtual Reality╙ begeben, um gewünschte oder notwendige Informationen zu erhalten und so den Spielfortgang zu gewährleisten (siehe Extrakasten). Verbesserungswürdig ist bei diesem Spiel, das übrigens von erfolgreichen ╘Finishern╒ nochmals mit einem anderen Verdächtigen als Täter gespielt werden kann, lediglich der nicht ganz zum Splatterthema passende Soundtrack von Blue Oyster Cult und die umständliche Maussteuerung. Wenn es noch gelingt, dieses Problem der mangelhaften Bewegungsfreiheit zu eliminieren, braucht man sich auch nach Erledigung des Falles "Ripper╙ um die Zukunft des interaktiven Spielfilms wenig Sorgen zu machen.
Christian Müller/mh