OTRS - Ein besonderes Trouble Ticket System
Stefan Wintermeyer
Als erstes möchte ich eine Kurze Definition eines Trouble Ticket Systems geben. Ein Trouble Ticket selber ist vergleichbar mit einem Krankenblatt im Krankenhaus. Bei der Einlieferung eines Patienten wird ein neues Krankenblatt erstellt und alle grundlegenden Daten eingetragen. Dieses Krankenblatt wird dann ans Bett des Patienten befestigt und ist somit immer greifbereit. Wenn ein Arzt zur Visite kommt, kann er sich sehr schnell anhand des Krankenblattes einen Überblick verschaffen und Anmerkungen eintragen (z.B. eine Veränderung der Therapie). Schwestern und andere Ärzte können haben ebenfalls Zugriff auf dieses Krankenblatt. Wenn der Patient das Krankenhaus verlässt, wird das Krankenblatt abgeheftet und steht somit in Zukunft bei Fragen zur Verfügung. Ein Trouble Ticket ist also wie ein Krankenblatt. Wenn eine Anfrage reinkommt, wird es eröffnet (bekommt eine Nummer) und steht jedem Agent (Agent = Bearbeiter im OTRS) zur Einsicht zur Verfügung (entsprechende Rechte vorrausgesetzt). Jede Antwort an den Kunden und jede interne Notiz wird an dieses Trouble Ticket angeheftet. Wenn das Problem gelöst ist, dann wird das Ticket geschlossen.
Die Trouble Ticket Nummer.
Da ein Trouble Ticket im Gegensatz zu einem Krankenhauspatienten keinen Namen hat, muss man ihm einen Namen geben. Dies ist die Trouble Ticket Nummer (kurz TTN). Eine TTN im OTRS kann sowohl aus Buchstaben wie auch aus Zahlen bestehen. Meine Empfehlung ist eine rein zahlenbasierte Lösung. Auch wenn Buchstaben einen grösseren Zahlenraum und damit mehr Möglichkeiten bei geringerer Anzahl von Zeichen (im Vergleich mit Zahlen) bietet, bieten Zahlen den grossen Vorteil, das man sie auch über ein Touch-Tone-Interface (also übers Telefon) eingeben kann. Ausserdem gibt es bei Buchstaben immer wieder Dialekt bedingte Probleme beim Vorlesen. Bitte denken Sie immer dran, das die TTN ein ganz zentraler Bestandteil Ihres Trouble Ticket Systems ist und im täglichen Leben auch mal von Agent zu Agent gesagt wird. "Schau Dir doch mal das Ticket 4711 an." ist sicherer als "Schau Dir doch mal das Ticket BPDT an."
Wir nehmen mal an, das Sie am Tag 20 E-Mails bekommen. Das sind dann 7.300 E-Mails im Jahr. Das System soll mindestens 5 Jahre laufen (gleich 36500 E-Mails). Welches TTN Format wäre da für Sie geeignet? Hier ein paar Beispiele:
Eine 5-stellige Zahl die einfach hochgezählt wird. Die einfaste Möglichkeit.
Eine 6-stellige Zahl (wie oben plus eine Prüfziffer). Eine Prüfziffer ist immer gut, weil man damit Übertragungsfehler sehr schnell erkennen kann.
Eine 6-stellige Zahl. Eine Ziffer für das Jahr, zwei Ziffern für den Monat und eine dreistellige Zahl die jeden Monat von 0 bis 999 hochgezählt wird. Diese Variante ermöglicht es dem Agent sehr schnell und ohne Systemhilfe eine Idee zu bekommen, wann das Ticket eröffnet wurde.
Eine 8-stellige Zahl. Gleiche Idee wie eben, aber es wird auf den Tag runtergebrochen (Beispiel: 2003032342 = das 42ste Ticket, das am 23. März 2003 eröffnet wurde). Der Vorteil ist der gleiche wie oben. Die TTN ist human readable.
Eine 9-stellige Zahl. Gleiche Idee wie bei der 8-stelligen Variante. Dazu kommt aber noch eine Prüfziffer.
Die beste Lösung? Ich würde ganz klar die letzte Variante vorschlagen. Allerdings gebe ich zu bedenken, das man lieber 2-3 Ziffern mehr im Hochzählbereich einplanen sollte. Denn wenn man anstatt von 20 auf einmal jeden Tag 200 E-Mails bekommt, bekommt man ein Problem. Der TTN Algoritmus in einem Trouble Ticket System muss während der gesamten Lebenszeit des Systems gleich bleiben. Eine TTN ist unique. Der Algoritmus für die Erstellung einer TTN lässt sich im OTRS einfach durch ein Modul realisieren. Im Default-System gibt es eine ganze Reihe von guten Standardlösungen. Aber der Phantasie ist dort keine Grenze gesetzt.
Der Webclient
Das OTRS lässt sich völlig über einen Webclient bedienen (sogar Lynx und w3m eignen sich dazu). Es wird also keine Spezialsoftware benötigt wie bei vielen anderen Trouble Ticket Systemen. Das Layout der Layout der einzelnen HTML Seiten lässt sich sehr leicht und völlig modular über DTDs anpassen. Jeder der HTML lesen und schreiben kann, ist so in der Lage sehr schnell und einfach das OTRS an das Cooperate Design der jeweiligen Firma anzupassen.

Besondere Features des OTRS.
Das OTRS war von Anfang an auf Masse und Geschindigkeit ausgelegt. Es spricht natürlich nichts dageben mit einem OTRS fünf Anfragen pro Tag zu bearbeiten, aber das können viele Systeme. Bei über 5.000 Tickets pro Tag trennt sich dann aber die Spreu vom Weizen. Die grösste bekannte OTRS Installation bearbeitet 20.000 Tickets pro Tag und das auf einem ganz normalen Intel Pentium PC.
Aber es wird bei der Entwicklung nicht nur auf schnellen Code, sondern auch auf einen optimieren Workflow und Tools für die tägliche Agentarbeit geachtet. Ein Beispiel ist die Funktionalität der Standartantwort. Für jede Queue können Standartantworten definiert werden. Diese können dann mit einem Klick benutzt werden. Werden die Standardantworten gut geflegt können mit Ihnen 70 - 80 Prozent aller Kundenanfragen extrem schnell und einfach beantwortet werden.
Als weitere Besonderheit liefert das OTRS ein Kundeninterface, das dem Kunden die Möglichkeit gibt dort die Bearbeitung seines Tickets zu tracen. Er kann (wenn man das will und so konfiguriert hat) jederzeit sehen, was genau mit seiner Anfrage passiert und welchen Status sie hat. Zusammen mit der automatischen Antwort, das ein Ticket im System eröffnet wurde, gehören Anrufe mit den Fragen "Haben Sie meine E-Mail bekommen?" oder "Gib es schon was neues?" der Vergangenheit an.
Auf welcher Plattform läuft das OTRS?
Vom Entwicklerteam getestet sind zur Zeit diverse Linux-Varianten, Solaris, HP-UX, AIX, Mac OS 10.x und Win32. Die meisten Installationen sind auf Linux. Und darin ist SuSE Linux dann noch mal an der Spitze. Das liegt wahrscheinlich daran, das das OTRS Packet mit auf der Distribution ist und extrem einfach als RPM installierbar ist. Für Redhat Linux gibt es ebenfalls ein RPM. Alle anderen Unixe und Linuxe müssen mit einem tar.gz vorlieb nehmen. Die Installation ist sehr ausführlich im Handbuch (aktuelle Version ist immer auf der OTRS Homepage) beschrieben. Vorraussetzung ist ein Webserver, eine Datenbank und Perl. Für die Installation sollte man sich Zeit nehmen. Das geht nicht mal eben gerade zwischen zwei Meetings.
Die meisten OTRS User setzen als Webserver Apache und als Datenbank MySQL oder Postgres ein. Das System kann sowohl als reine CGI Anwendung wie auch als mod_perl angesteuert werden. Letzteres ist zu bevorzugen, weil viel schneller (VIEL!).
Nur am Rande möchte ich auf die Hardware-Plattform eingehen. Die meisten Installationen werden auf klassischen Intel-PCs gemacht. Aber auch PPC und sogar zwei IBM zSerien werden als OTRS Server eingesetzt.
Dokumentation, Hilfe und Mailinglisten.
Die OTRS-Dokumentation ist ausgedruckt weit mehr als 100 DIN A4 Seiten. Eine online Version, die jede Nacht aus dem CVS generiert und damit topaktuell ist, wird auf der Webseite zur Verfügung gestellt. Das OTRS bedarf eine nicht zu Unterschätzenden Konfiguration. Es müssen Queues, Gruppen, E-Mail Adresse und Accounts eingerichtet werden. Dies geschieht alles über ein Webinterface und ist grösstenteils selbsterklärend. Wenn es doch einmal zu einem Problem kommen sollte, steht eine Erklärung entweder in der Dokumentaion oder kann durch eine Anfrage an die Mailingliste (Anmeldung auf der Webseite http://www.otrs.org/) geklärt werden. Auch die Entwickler sind jederzeit per E-Mail erreichbar und helfen im Notfall aus.
Wie fange ich am Besten an?
Am besten Sie schauen sich einmal das auf der OTRS Homepage (http://www.otrs.org/) bereitgestellte Demo System an und spielen damit etwas. Wenn Sie sich dann eine Vorstellung über die Möglichkeiten des Systems gemacht haben, sollten Sie sich eine Queue-, Gruppen- und User-Struktur überlegen. Installieren Sie das System und richten Sie die entsprechenden Account und Queues ein. Danach spielen Sie mit dem System. Meistens ist der erste Wurf bezüglich der Struktur ein Reinfall. Dann einfach noch mal von vorne und Kopf hoch. Es geht allen so. Ein Trouble Ticket System ist ein sehr komplexes System, das man nicht einfach so installieren kann. Gehen Sie davon aus, das Sie das erste System nach 4 Wochen wieder neu aufsetzen werden, weil Sie merken das Sie strukturell in eine Sackgasse gelaufen sind.
Welche Einsatzgebiete sind geeignet?
Leider werden die meisten Trouble Ticket Systeme immer noch im Support eingesetzt. Dabei kann man ein Trouble Ticket System auch in ganz anderen Bereichen einsetzen. Überall, wo Kunden häufig anfragen und mehrere Agents diese Anfragen beantworten kann und sollte ein Trouble Ticket System eingesetzt werden. Das kann z.B. die Buchhaltung sein, da bei jedem Mahndurchlauf viele Kunden anrufen oder eine E-Mail schreiben und diese von den Mitarbeitern der Buchhaltung beantwortet werden. Kundenservice oder eine PR-Abteilung sind ebenfalls sehr gute Beispiele für solche Konstellationen.
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