Wir berichten wir über eine Bestimmung der Serumkonzentration
von Carbohydrate- Deficient-Transferrin CDT, einer neuen
hinsichtlich der diagnostischen Spezifität den konventionellen
Parametern (MCV, y-GT, GPT, GOT/GPT-Quotient) überlegenen
Kenngröße des Alkoholabusus. Erhöhte CDT-Konzentrationen sind
typisch für Patienten mit Alkoholabusus von > 50-80 g
Äthanol/Tag für mindestens 7 aufeinanderfolgende Tage bei einer
Halbwertszeit des CDT von 14 Tagen. Serum-CDT-Bestimmungen eignen
sich deshalb zur Diagnose und Behandlung von Alkoholkrankheiten,
zur Differenzierung alkoholischer und nichtalkoholischer
Erkrankungen sowie zur Überwachung der Abstinenz während einer
Alkoholentzugsbehandlung.
Es handelt sich um eine OIII-Leistung, abrechenbar auf
Überweisungsschein. Das OI/OII-Budget wird nicht belastet.
Spezimen: Serum 2ml
Bestelltext: CDT-Konzentration
Befundbericht: Bei Personen mit moderatem Alkoholgenuß (<40 g Äthanol/Tag) werden normale CDT-Serumkonzentrationen gemessen.
50 g Äthanol sind enthalten in: 1 Liter Bier (~ 5 Vol-% )
500 ml Wein (~ 10 Vol-%)
125 ml Schnaps (~ 40 Vol-%)
Bei einer täglichen Äthanolaufnahme von 50-80 g/Tag für mindes- tens 7 aufeinanderfolgende Tage kommt es zum Anstieg der CDT-Serumkonzentration.
Nach mindestens 14-tägiger Abstinenz werden wieder Werte unter halb des Grenzwerts gemessen.
Grenzwerte: Männer: 18-20 U CDT/l
Frauen: 26-28 U CDT/l
Sensitivität (Anteil richtig-positiver Werte): Männer: 93% Frauen: 81%
Spezifität (Anteil richtig-negativer
Werte): Männer: 98% Frauen: 98 %
CDT (Carbohydrate-deficient-Transferrin)
Die Bestimmung des CDT ist eine Methode zur quantitativen Bestimmung des Kohlenhydrat defizienten Transferrin im Humanserum.
Serum-Transferrin wird hauptsächlich in der Leber synthetisiert. Die normale Mikroheterogenität von Serum-Transferrin erklärt sich aus dem variierenden Kohlenhydrat- und Eisenanteil. Die wichtigste der bekannten Funktionen von Transferrin ist der Transport und die Übertragung von Eisen. Die biologische Halbwertszeit von Serum-Transferrin beträgt 6-12 Tage. Es wird überwiegend über die Leber ausgeschieden, wo es lysosomal abgebaut wird.
Chronischer Alkoholkonsum beeinträchtigt den Metabolismus mehrerer Glykokonjugate, von denen Transferrin das am besten erforschte ist. Bei regelmäßigem hohen Alkoholkonsum treten Transferrin-Isoformen auf, die einen Mangel an Kohlenhydrat aufweisen. Diese Isotransferrine sind aufgrund einer veränderten isoelektrischen Ladung durch entsprechende Trennverfahren nachzuweisen.
Falsch positive Befunde können in äußerst seltenen Fällen, z.B. bei Patienten mit primärer biliärer Zirrhose oder chronisch aktiver Hepatitis, bei Vorliegen des seltenen Carbohydrate-Deficient-Glykoprotein-(CDG)-Syndrom und bei Patienten mit genetischen Transferrin-D-Varianten auftreten.
Ein Einfluß anderer Lebererkrankungen auf CDT wurde nicht beobachtet, weshalb Serum-CDT zur Differenzierung zwischen alkoholinduzierten Lebererkrankungen und solchen anderer Ätiologie eignet.
Eine Beeinflußung der Serum-CDT-Konzentration
durch Medikamente, die z.B. hohe y-GT- und
Transaminasen-Serumaktivitäten auslösen, wurden nicht
beobachtet
Alkoholismus - Zur Problematik der Diagnose
In Deutschland liegt der durchschnittliche Alkoholkonsum seit einigen Jahren unverändert hoch bei 10-12 Litern Äthanol/Einwohner und Jahr. Die Prävalenz des Alkoholismus wird auf ca. 5% geschätzt, wobei Männer deutlich häufiger von dieser Krankheit betroffen sind. Allerdings ist in den letzten Jahren ein Anstieg des Frauenanteils von 10% auf 30% registriert worden.
Neuere Definitionen unterscheiden zwischen Alkoholmißbrauch und Alkoholabhängigkeit. Alkoholmißbrauch ist eine über den soziokulturellen Normen liegende oder zu unpassender Gelegenheit (z.B. Teilnahme am Straßenverkehr) erfolgte Alkoholaufnahme. Als Alkoholabhängigkeit wird dagegen die körperliche oder psychische Abhängigkeit von Alkohol, die sich in Toleranzsteigerung, Entzugserscheinungen, unwiderstehlichem Verlangen nach Alkohol, Kontrollverlust, Chronizität und Progredienz des Leidens sowie psychosozialen Folgen, wie Umweltkonflikte, Persönlichkeitsveränderungen und sozialer Abstieg, äußern. Da Alkoholiker keine homogene Population bilden, wurden verschiedene Differenzierungen vorgenommen, von denen die von Jellinek und Cloninger et al. die weiteste Verbreitung fanden.
Der Bedarf an sensitiven und spezifischen Kenngrößen
mißbräuchlichen Alkoholkonsums und alkoholinduzierter
Erkrankungen erwächst aus:
Offensichtlich bestehen jedoch beträchtliche Hemmschwellen im Hinblick auf den Einsatz eines sensitiven und spezifischen Tests bei den diagnostisch tätigen Kollegen. Die eigenverantwortlich handelnden niedergelassenen Kollegen scheinen häufig die Konfrontation mit dem Patienten zu scheuen. Wie leicht ist doch "König Kunde" zu verprellen, wenn ihm meßtechnisch nachgewiesen wird, daß für seine Fettstoffwechselstörung, seine diabetische Stoffwechsellage, die rezidivierenden Gastritiden, die Neigung zu Muskelkrämpfen, die Hyperurikämie bzw. Gichtarthropathie sein Alkoholkonsum verantwortlich ist. Ganz plötzlich steht anstelle der erhofften Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine sozial diskriminierende Diagnose im Raum.
Mangelnde Offenheit des Patienten ist dabei keineswegs immer auf ein Ungenügen des behandelnden Arztes zurückzuführen. Vielmehr wird der Arzt bis zum Beweis des Gegenteils als betrügbar angesehen. Alkoholiker leugnen nicht selten bis zum Letzten ihre Abhängigkeit.
Eine Methode zum Nachweis des chronischen Alkoholmißbrauchs muß das Verhältnis zwischen Arzt und Patient durchaus nicht trüben. Erlebt der Patient, daß ihm der Arzt ins Innere schaut, wie er es ja auch mittels anderer Laboruntersuchungen bzw. Ultraschall oder Röntgen vermag, kann sein Vertrauen in dessen Fähigkeiten auch zunehmen. In der Phase der ärztlich überwachten Entwöhnungsbehandlung wird die "Unbetrügbarkeit" des Arztes auch einen fördernden Einfluß auf die Standhaftigkeit des Kranken haben: Der Patient bleibt abstinent, um seinen Arzt nicht zu enttäuschen.
Die Verfügbarkeit dieses neuen CDT-Tests ließ zwei
Extrempositionen innerhalb der Ärzteschaft offen zu Tage treten.
Die einen vertreten die Position des therapeutischen Nihilismus,
nach der der beginnende Alkoholismus in der überwiegenden Zahl
der Fälle von keinerlei Leidensdruck und Krankheitseinsicht
geprägt ist und Warnungen und Aufklärungen von seiten des
Arztes ignoriert werden. Die anderen dagegen verfechten die
Position der Präventiv-Diagnostik, sie wollen mit großem
Engagement und oft auf verlorenem Posten, aber manchmal eben auch
mit Erfolg, die Gesundheit des Individuums wahren und seine
Umwelt vor den sozialen Folgen des Alkoholismus schützen. Die
asoziale Potenz des Alkoholikers wird erst in vollen Umfang
deutlich, wenn er mit Macht ausgestattet ist. Entlädt sich bei
hierarchisch untergeordneten Alkoholikern die negative
Konfliktverarbeitung im familiären Umfeld (Frauen-,
Kindesmißhandlung), so begünstigt eine verantwortungsvolle
Aufgabe (Teilnahme am Straßenverkehr, Weisungsbefugnis
gegenüber Untergebenen) auch im strafrechtlichen Sinne
kriminelle Verhaltensweisen. Die praktizierende Rechtsprechung
hält den delinquenten Alkoholiker durchaus für schuldfähig,
solange er noch keinen Kontrollverlust im psychiatrischen Sinne
erlitten hat. Sicher aber ist Schuldhaftigkeit gegeben im Stadium
des Abusus, wo sich der Patient anhand einfacher
Laboruntersuchungen von der Schädlichkeit seines Trinkverhaltens
überzeugen könnte. Angesichts der destruktiven Potenz des
Alkoholismus und der Möglichkeit einer rechtzeitigen und
notwendigen Diagnostik, die entsprechende therapeutische
Konsequenzen nach sich ziehen würde, ist bei Unterlassung dieser
Hilfen eine ärztliche Mitschuld am Schicksal der
Alkoholpatienten zu sehen. So mag es unter dem Aspekt der
Arzthaftung günstig sein, wenn der behandelnde Arzt mittels
stattgehabter CDT-Diagnostik nachweisen kann, das Problem erkannt
und mit dem Patienten erörtert zu haben.