Wie hoch fliegt der Drache ?
Copyright © Juni 1996 Heinrich Vogelmann, all rights reserved.
Diese oder ähnliche Fragen stellen sich bei jeder Neukonstruktion,
insbesondere, wenn keine Bauanleitung vorliegt. So war es auch bei mir
als ich im Mai 1996 einen 4-zelligen Crossdeck bauen wollte. Diese Frage
kann in der Theorie ganz schön kompliziert werden. Genau läßt
sie sich nur mit sehr großem Rechenaufwand beantworten. Wenn man
jedoch einige vereinfachende Annahmen trifft, wird das Problem einigermaßen
beherrschbar.
Die Rechnung soll folgende Fragestellungen näher beleuchten:
-
Bei welchem Anstellwinkel des Drachens stellt sich in Funktion des Waagepunktes
ein Gleichgewichtszustand ein ?
-
Wie gross ist der sich einstellende Leinenwinkel ?
-
Welche Flughöhe ergibt sich bei einer 100 m langen Leine ?
Für die Berechnung wurde eine ebene Fläche in der altbekannten
Eddy-Form vorausgesetzt, die sich um den Waagepunkt drehen kann bis ein
Gleichgewichtszustand erreicht ist. Die Seitenstabilität wird vorausgesetzt.
Die aerodynamischen Eigenschaften eines Modelldrachens lassen sich dann
durch drei vom Anstellwinkel abhängige Funktionen modellieren.
-
Auftriebskraft Fa=roh*A*v^2*ca(alpha)
-
Widerstandskraft Fw=roh*A*v^2*cw(alpha)
-
Lage des Angriffspunktes für diese Kräfte.
Die Auftriebs- und Widerstandskraft sind dem Staudruck roh*A*v^2
proportional. (roh ist die Dichte der Luft) siehe auch [2,3]. Der Auftriebsbeiwert
ca(alpha) und der Widerstandsbeiwert cw(alpha) sind für jeden Drachen
charakteristische Größen, die vom Anstellwinkel alpha abhängig
sind. Hier wurden der Einfachheit halber für ca(alpha) eine Sinus-
und für cw(alpha) eine (1-Cosinus)-Funktionen verwendet (siehe Bild).
Trotz dieser vereinfachten Annahmen sind die Ergebnisse ganz gut brauchbar.
Um die Jahrhundertwende haben übrigens mehrere Aerodynamiker, darunter
Otto Lilienthal und Gustave Eiffel (.. ja genau der vom Eiffelturm) Experimente
zur Ermittlung der Faktoren durchgeführt [1].
Die Lage des Angriffspunktes für die Auftriebs- und Widerstandskraft
verändern sich in der Praxis ebenfalls als Funktion des Anstellwinkels.
Bei der hier durchgefühten Rechnung wird diese Abhängigkeit jedoch
nicht berücksichtigt. Es wurde vielmehr angenommen, dass die Windkräfte
Fa und Fw im Flächenschwerpunkt, der aus der Geometrie berechenbar
ist, angreifen. Flächen- und Massenschwerpunkt sind in der Regel nicht
identisch.
Die Skizze zeigt den Modelldrachen von der Seite mit den angreifenden
Kräften. Dabei sind:
-
FS Flächenschwerpunkt des Segels
-
MS Massenschwerpunkt Gestänge + Segel
-
WP Waagepunkt
-
alpha Anstellwinkel gegen die Horizontale
-
Lw Leinenwinkel
-
Fa Auftriebskraft
-
Fw Widerstandskraft
-
G Gewichtskraft Gestänge + Segel
-
Z Zugkraft in der Leine
In dem rechteckigen, gestrichelt umrandeten Gebiet wird der Waagepunkt
verschoben. Das Gebiet von 1,5*1,5 m wurde senkrecht zur Drachenfläche
in j=30 und parallel dazu in k=40 Punkte unterteilt, so dass sich insgesamt
1200 Punkte ergeben. Bei der graphischen Darstellung der Ergebnisse bildet
diese rechteckige Fläche die Ebene über der die Größen
Anstellwinkel, Lift/Drag, Leinenwinkel, Zugkraft und Flughöhe dargestellt
werden. In dem nachfolgenden Bild sind die möglichen Waagepunkte ausführlich
dargestellt. Bei der Koordinate (0,0) liegt die Querspreize. Die Rauten
auf der rechten Seite sollen den Anfang und das Ende des Drachens darstellen.
Das Bild zeigt den Verlauf von Auftriebsbeiwert ca(alpha) und Widerstandsbeiwert
cw(alpha) sowie die Gleitzahl ca/cw in Abhängigkeit des Anstellwinkels
alpha.
Voraussetzungen:
-
Leine hat keinen Luftwiderstand und ist gewichtslos
-
Auftriebs- und Widerstandskraft greifen im Flächenschwerpunkt an
-
Windgeschwindigkeit ist konstant in diesem Bsp. v=25 km/h
-
Seitenstabilität ist gewährleistet
-
An dem Drache ist kein Schwanz vorhanden
-
Waageschenkel bleiben bei jedem Waagepunkt gespannt
-
Segelfläche wölbt sich nicht
Vorgaben (Parameter):
-
Windgeschwindigkeit v=25 km/h
-
Dichte der Luft 1,29 kg/m^3
-
Querspreize 0,9 m -> 63 Gramm
-
Längsspreize 1 m -> 70 Gramm
-
Kreuzungspunkt Längs- Querspreize teilt die Längsspreize 25 cm/75
cm
-
Segelfläche A=0.45 m^2 -> 23 Gramm
-
Leinenlänge 100 m
-
Erdbeschleunigung g=9.81 m/s^2 (1N=1kg/m*s^2)
Gesucht wird der Anstellwinkel des Drachens gegen
die Horizontale bzw. die daraus resultierenden Größen
Rechenweg:
-
Der Flächenschwerpunkt wird bestimmt
-
Berechnung der Massenschwerpunkte für Gestänge und Segel
-
Aus der Gesamtmasse und den Einzelschwerpunkten kann der Massenschwerpunkt
für Gestänge und Segel ermittelt werden.
-
Die im Massenschwerpunkt angreifende Gewichtskraft erhält man aus
der Masse und der Erdbeschleunigung
-
Aus den Abmessungen werden die Winkel und Abstände zwischen den Schwerpunkten
und dem variablen Waagepunkt ermittelt
-
Aufstellung der Drehmomentengleichung (Auftrieb + ; Gewichtskraft - ; Widerstand
-)
-
Durch Lösen der impliziten Drehmomentengleichung (Summe aller Momente
= Null) erhält man nach längerer numerischer Rechnung den heissbegehrten
Anstellwinkel alpha
-
Um die bei manchen Waageeinstellungen nicht existierenden Lösungen
auszuschließen, sind einige mathematische Glimmzüge notwendig.
-
Zum Lösen dieser Gleichung wurde MatCad 6.0 unter Windows benutzt.
Ein 486/66 MHz PC benötigt für die Berechnung der 1200 verschiedenen
Waagepunkte ca. 5 min Rechenzeit.
-
Plausibilitätsprüfung der ermittelten Lösungen. Daraus resultiert
das Lösungsgebiet
-
Mit dem nunmehr bekannten Anstellwinkel alpha können die Auftriebskraft
und die Widerstandskraft ermittelt werden.
-
Daraus kann das Verhältnis lift/drag=(Auftrieb-Gewicht)/Widerstandskraft
gebildet werden.
-
Aus dem arcustangens( lift/drag ) erhält man den Leinenwinkel
-
Die Zugkraft in der Leine ergibt sich aus der geometrischen Summe der Kräfte
(Auftriebskraft-Gewichtskraft) und Widerstandskraft
-
Die Flughöhe ergibt sich aus dem Leinenwinkel und Leinenlänge.
Interpretation der Ergebnisse
Die in der unteren Ebene dargestellten Zahlen sind die Koordinaten senkrecht
(30 Punkte) und parallel (40 Punkte) zu der Drachenfläche. Nach oben
in die Z-Richtung sind die interessierenden Grössen aufgetragen. Zu
jedem Kreuzungspunkt auf dem Gebirge gehört ein Waagepunkt in der
darunterliegenden Ebene. Je nach Lage des Gebirges wurde das Bild um 180
Grad gedreht, damit man besser auf die Flächen schauen kann. Leider
kann das Rechenprogramm bei der 3-D Darstellung keine absoluten Koordinaten
darstellen so dass man sich mit den Zahlen 0-30 und 0-40 begnügen
muss. Aus dem zweiten Bild lassen sich aber die absoluten Maße ablesen.
Die gepunkteten Linien deuten die Drachenfläche an.
Hinter den Spitzen an der hinteren Ecke ist kein stabiler Flug möglich.
Wenn die Waagepunkte auf einer fast geraden Linie senkrecht zur Drachenfläche
liegen ändert sich dabei der Anstellwinkel nicht. Der Anstellwinkel
ist dabei in diesem Beispiel ca. 20 Grad.
Aus dem Verhältnis (Auftriebkraft-Gewichtskraft)/Widerstandskraft
kann man beim Maximum der Gleitzahl bei 2,5 sehr gut die günstigen
Waageeinstellungen ablesen. Sie liegen fast auf einer Linie. Bei kurzen
Waageschenkeln in der Nähe des Drachens erreicht man fast die gleiche
Flughöhe - der Punkt muß aber sehr genau gewählt werden.
Weiterhin kann man erkennen, daß bei langen Waageschenkel ein
wesentlich größerer Stabilitätsbereich erreicht wird als
wenn man die Waageschenkel kurz wählt
Als maximaler Leinenwinkel kann man ca. 70 Grad ablesen.
Die Zugkraft in der Leine (angegeben in N) bleibt nahezu konstant, wenn
die Waageeinstellungen auf der oben beschriebenen Linie liegen. Interessanterweise
ist die Zugkraft auf der beschriebene Linie nicht am grössten. Bei
üblichen Waageeinstellungen- die in der Regel unterhalb der optimalen
Linie liegen- würde sich für dieses Beispiel eine Zugkraft von
ca. 4 N ergeben. Wenn der Drache steiler gestellt wird, erhöht sich
die Zugkraft.
Das Ergebnis für die Flughöhe ist zu dem Bild der Leinenwinkel
ähnlich. Bei großen Leinenwinkeln ergibt sich auch eine große
Flughöhe.
Oft findet man in Bauanleitungen für die Einstellung der Waage
den praktischen Hinweis, den Drachen an der Waage aufzuhängen und
dann die Waage so einzustellen, daß die frihängende Drachenfläche
eine angegebene Neigung gegenüber der Horizontalen hat. Dieser Winkel
mit negativen Vorzeichen ist in diesem Bild dargestellt.
Zusammenfassung
-
Je näher der Waagepunkt am Drachen gewählt wird, desto genauer
muß die Waage eingestellt werden.
-
Es gibt eine nahezu senkrecht zm Drachen verlaufende Linie auf der optimales
Flugverhalten zu erwarten ist.
-
Die Ergebnisse sind ausserdem noch von der Windgeschwindigkeit abhängig.
Bei kleinerer Windgeschwindigkeit reduziert sich die Flughöhe und
der stabile Flugbereich engt sich ein.
-
Bei Verwendung eines anderen Gestänges oder Veränderung der Geometrie
werden sich die Kurven ändern.
Literatur zum Thema Auftrieb- und Widerstandskräfte
bei Drachen:
-
[1] Wolfgang Bürger: Der paradoxe Eierkocher. Physikalische Spielereien
aus Professor Bürgers Kabinett. (S 208 bis 221) Birkhäuser Verlag
1995 ISBN 3-7643-5105-5
-
[2] Drachen und 1/2*roh*v^2 Drachenmagazin 1996 Heft 5, S. 29-31
-
[3] Aerodynamik und Flugverhalten. A.C. Kermode 1972 (Mechanics of Flight)
Motor buch Verlag ISBN 3-613-01485-8
-
[4] Wolfgang Bürger: ??? Drachenmagazin 1996 Heft ?, S.
Copyright © Juni 1996 Heinrich Vogelmann
Wenn Sie Fragen oder Anregungen zu dieser Seite haben, wenden Sie sich
via eMail an vogehe@etinovell.etec.uni-karlsruhe.de
(letzte Änderung dieser Datei flug25_h.htm 22.07.97)