Jahresbericht 1996
amnesty international: Jahresbericht 1996

Tschechische Republik

Berichtszeitraum: 1. Januar 1995 - 31. Dezember 1995


Während des Berichtsjahres wurden zwei Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen in Haft genommen. Bei beiden handelte es sich um gewaltlose politische Gefangene. Eine Person wurde wegen Beleidigung des Präsidenten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Ein Gefangener starb in der Haft an Verletzungen, die ihm Gefängnisbeamte zugefügt hatten.

Im März merkte Präsident Václav Havel kritisch an, daß insbesondere im Umgang mit Angehörigen der Minderheit der Roma allgemein ein Mangel an Respekt für die Menschenrechte zu verzeichnen sei. Er forderte die Einsetzung eines Ombudsmanns (Bürgerbeauftragten) und ihn mit der Überwachung der Menschenrechtslage zu beauftragen. Bis Ende des Jahres war allerdings noch keine entsprechende Stelle geschaffen worden.

Im September entschied das Verfassungsgericht, daß es verfassungsmäßig unzulässig ist, eine Person mehr als einmal unter Berufung auf Paragraph 269 des Strafgesetzbuchs wegen Wehrdienstverweigerung zu verurteilen.

Zwei Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen - Martin Novák und Martin Duda - wurden von März bis September beziehungsweise von Juni bis Oktober in Haft genommen, weil sie ihren Militärdienst nicht angetreten hatten. Beide hatten die Anerkennung als Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen beantragt und dabei religiöse Motive geltend gemacht. Ihre Anträge waren jedoch nicht fristgerecht eingereicht und deshalb abgewiesen worden. Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts kamen Martin Novák und Martin Duda aus der Haft frei.

Im März mußte sich Zdene_k Spálowski unter der Anklage der Beleidigung und Verleumdung des Präsidenten vor dem Landgericht von Kromeriz verantworten. Das Gericht verurteilte ihn zu einer auf ein Jahr zur Bewährung ausgesetzten viermonatigen Freiheitsstrafe, weil er den Präsidenten in einem Zeitungsartikel als »Verräter und falschen Propheten« bezeichnet hatte.

Im April starb im Gefängnis von Horní Slawkow der Gefangene Frantis_ek Kahánek an den Folgen von Verletzungen, die ihm Wärter zugefügt hatten. Noch im selben Monat wurden vier Gefängnisbeamte im Zusammenhang mit dem Todesfall wegen Amtsmißbrauchs und Körperverletzung angeklagt.

Im Zusammenhang mit dem Tod des Roma Martin Cerven_ák, der im Juni 1994 in Horsovs_ky´ Ty´n in der Haft von einem Polizeibeamten erschossen worden war, kam es dagegen zu keiner Anklageerhebung. In einem Ermittlungsbericht der Staatsanwaltschaft von Pilsen vom Juni 1995 hieß es, während der Vernehmung des Verdächtigen sei es zu einem Handgemenge gekommen, in dessen Verlauf »durch Zufall ein Schuß abgefeuert worden sei, der seinen Kopf aus nächster Nähe getroffen hatte«. Mit diesem Bericht wurden darüber hinaus Anweisungen des Innenministeriums bekannt, denen zufolge es zulässig ist, daß Polizeibeamte bei der Durchsuchung von Häusern der Roma Waffen bei sich tragen, die entsichert und durchgeladen sind.

amnesty international ersuchte das tschechische Justizministerium um Informationen über die Untersuchung des Todes von Martin Cerven_ák und forderte die Aufhebung diskriminierender Anweisungen, auf deren Grundlage Polizeibeamte ermächtigt sind, Häuser der Roma mit schußbereiten Waffen zu durchsuchen. Gegenüber Präsident Vaclav Havel nahm die Organisation zum Fall von Zdene_k Spálowski Stellung und äußerte Bedenken, daß das Gesetz über Verleumdung des Präsidenten anscheinend das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränkt. Des weiteren drängte amnesty international die Regierung sicherzustellen, daß das Zivildienstgesetz Militärdienstverweigerern aus Gewissensgründen nicht das Recht beschneidet, zu jedem Zeitpunkt einen entsprechenden Antrag zu stellen.

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 11. September 1997

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