Während noch unklar ist, wer von den Erdölfunden im Tschad profitieren wird, hat sich die Menschenrechtssituation weiter verschlechtert. In dem kürzlich veröffentlichten Bericht "Tschad - Betrogene Hoffnungen" dokumentiert amnesty international schwerwiegende Menschenrechtsverstöße, die vor allem von den Sicherheitskräften des Landes, aber auch von bewaffneten Oppositionsgruppen begangen wurden.
Ein paar Tage nach der Veröffentlichung eines Tschad-Berichts von amnesty international im Oktober 1996 erklärte Präsident Idriss Déby in einem Interview im Internationalen Französischen Radio, daß "diese Organisation versucht, den Tschad zu destabilisieren." Der Präsident führte weiter aus, die Berichte, die amnesty international jedes Jahr veröffentlichte, hätten "keine Beziehung zur Wirklichkeit". Zwar gebe es einige Probleme mit den Menschenrechten, aber diese würden sich auf zurückliegende Ereignisse beziehen. Ende 1996 hätte amnesty international wenig Grund zur Kritik gehabt.
Im krassen Gegensatz zu den Äußerungen des Präsidenten steht nicht nur der Befehl des höchsten Polizeioffiziers vom 14. November 1996 an alle Polizeieinheiten: "Bei Diebstahl ist kein Verfahren einzuleiten. Wird ein Dieb auf frischer Tat ertappt, so hat dies automatisch seine Eliminierung zur Folge." Diese Unterstützung von staatlichen Morden ist nicht neu: Bereits zwei Jahre zuvor hatte Präsident Déby während eines Besuchs im Osten des Landes erklärt, daß bewaffnete Räuber, die ohne Strafe töten und auf Bürger und Mitglieder der Sicherheitskräfte schießen, "Hunde sind, die auf der Stelle erschossen werden. Solche Menschen verdienen keinen Schutz, sie sollen wie Hunde einfach abgeknallt werden." Die Anordnung wurde inzwischen offiziell zurückgenommen.
Dennoch sind die Zahlen von staatlichen Morden spürbar gestiegen. So wurden im November und im Dezember 1996 viele Menschen ermordet, ohne daß die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden. Ein Beispiel ist die Ermordung eines Grundschülers in der Hauptstadt N'Djamena. Als er Lebensmittel von einem Nachbarn stahl, wurde dem Jungen eine Tüte über den Kopf gezogen; anschließend wurde er durch einen Kopfschuß getötet. In einem anderen Fall wird von einer schwangeren Frau berichtet, die wegen Diebstahls auf dem Hirsemarkt in N'Djamena von Polizisten überwältigt und auf der Stelle öffentlich hingerichtet wurde.
Im November wurden auch drei Männer festgenommen, denen vorgeworfen wird, den schriftlichen Tötungsbefehl des höchsten Offiziers der Spezialeinheiten der Polizei veröffentlicht zu haben. Sie sind ohne offizielle Anklage im Gefängnis Faya Largeau inhaftiert. amnesty international betrachtet sie als politische Gefangene.
Auch wurden in den vergangenen Monaten viele verstümmelte Leichen aus Chari und Logone, die beide durch N'Djamena fließen, geborgen. Es ist bekannt, daß Gefangene gefesselt und dann in die Fluten geworfen werden. So berichtet Adoum Godi in der unabhängigen Zeitung "N'Djamena Hebdo", wie er durch Glück seiner Hinrichtung entkommen ist: "Zu meiner größten Überraschung wurde ich nach zehn Tagen zusammen mit meinen beiden Mitgefangenen am Morgen des 30. Januar aus der Zelle geholt und in ein Transportfahrzeug gebracht. Wir wurden zum Chari gefahren und gefesselt in den Fluß gestoßen. Meine Fußgelenke waren mit meinem Gürtel und meine Hände mit meinem T-Shirt gefesselt. Als sie uns ins Wasser stießen, konnte ich die Fesseln lösen. Ich weiß nicht, was mit meinen Freunden geschah. Sie waren sehr fest gefesselt. Wahrscheinlich sind sie ertrunken." Von der Zeitung zu diesem Vorfall befragt, gaben Vertreter der Sicherheitskräfte an, daß sie den Dieb Adoum Godi freigelassen hätten.
Aber nicht nur Angehörige der Polizei machen sich schwerer Menschenrechtsverstöße schuldig. Auch von den bewaffneten Oppositionsgruppen des Landes werden Übergriffe auf die Zivilbevölkerung berichtet. Mehrere von der "Bewegung für Demokratie und Entwicklung" genommene Geiseln wiesen nach ihrer Freilassung Folterspuren auf.
Gefangene, die aus dem Gefängnis Faya Largeau entkommen konnten, berichten von katastrophalen Zuständen. Sie erzählten davon, wie sie angekettet wurden und nur wenig Nahrung erhielten. Von Offizieren werden Gefangene auch zu Arbeiten in den Privatwohnungen und Gärten der Offiziere gezwungen. "Wenn wir außerhalb arbeiten mußten", so der Gefangene, "steckten sie uns in Kampfanzüge. Keiner, für die wir arbeiteten, fragte uns, ob wir Gefangene seien."
Das Europäische Parlament hat am 20. Februar dieses Jahres eine Resolution verabschiedet, in der die Menschenrechtslage im Tschad und die Unterstützung der Regierung des Tschad durch einzelne EU-Staaten verurteilt wird. Der Resolutionstext kritisiert, daß "einige Mitglieder die Regierung im Tschad nicht nur politisch und finanziell, sondern auch mit militärischen Hilfestellungen unterstützen, über die Auswirkungen dieser Hilfe für die Opfer nicht nachdenken."
Kerstin Zyber
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 7. September 1997 |