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amnesty international: ai-Journal 6/97

Tschad

Ein zweites Nigeria ?

Die zentralafrikanische Republik Tschad ist eines der ärmsten Länder der Welt. Dort wurde Erdöl von besonders guter Qualität entdeckt. Bedeutet das Hoffnung auf Wohlstand und ein besseres Leben - oder Verwüstung, Unruhen und Menschenrechtsverletzungen?

Berlin, im November 1995: Mitten in das bundesweite Treffen der Koordinationsgruppen von amnesty international platzte die Nachricht von der Hinrichtung Ken Saro-Wiwas und acht seiner Mitstreiter des Ogoni-Volkes. Das Entsetzen war groß, und eine Mahnwache wurde organisiert. Mit Kerzen standen etwa 50 ai-Mitglieder vor dem Gropius-Haus, in dem gerade eine afrikanische Kunstausstellung gezeigt wurde.

Ein Gefühl von Ohnmacht begleitet solche Ereignisse. Denn auch wenn amnesty international schon jahrelang vor der Hinrichtung zugunsten von Ken Saro-Wiwa gearbeitet hat, ist die Frage, ob sein Tod nicht die Wurzel darin hat, daß die Ogoni von dem Reichtum, den die Ölvorräte in Nigeria mit sich brachten, nicht profitierten, sondern daß ihr Land verseucht und die daraufhin entstehenden Proteste unterdrückt wurden.

Ähnliches könnte jetzt dem Tschad drohen, wo seit mehreren Jahren über Ölvorkommen gesprochen wird: Im Jahre 1996 sind Verträge zwischen der Regierung von Präsident Idriss Déby und den drei Mineralölkonzernen Exxon (Esso), Shell und Elf Aquitaine unterschrieben worden. Die Finanzierung dieses Projektes - geschätzt werden zur Zeit etwa zwei Milliarden US-Dollar für die Erschließung der Ölfelder - soll unter anderem durch die Weltbank erfolgen. Weitere Kosten in Höhe von etwa 1,5 Milliarden US-Dollar entstünden durch den Bau einer 1000 Kilometer langen Pipeline, die vom Süden des Tschad durch Kamerun bis zur Küste führen soll.

Daß Ölförderung nicht nur Reichtum und Wohlstand für die Einwohner eines Landes mit sich bringt, wurde in Nigeria eindringlich bewiesen. Nicht nur aus dem Ogoni-Land hört man seit Jahren immer wieder von Chaos, Armut und Menschenrechtsverletzungen, die im weitesten Sinne mit den Ölvorkommnissen zusammenhängen.

Der Tschad - über Jahre hinweg besonders im Süden von Bürgerkriegen, regelmäßigen Unruhen und Menschenrechtsverletzungen geplagt - wird seit der Unabhängigkeit diktatorisch regiert. Zum ersten Mal in seiner Geschichte wurden Ende 1996 und Anfang 1997 Wahlen abgehalten. Die Hoffnung auf Demokratie und Achtung der Menschenrechte hat sich durch Fälschungen im Wahlvorgang zerschlagen. Übergriffe von Polizei und Militär, Folter, staatliche Morde und Vergewaltigungen sind dort alltäglich. Diese Verbrechen wurden in einer Resolution des Europa-Parlaments am 20. Februar erneut scharf verurteilt.

Die ai-Dokumentationen: "Ein Land unter Willkürherrschaft der Sicherheitskräfte mit stillschweigender Zustimmung anderer Länder" (Oktober 1996) und "Betrogene Hoffnungen" vom März 1997 berichten über die fortdauernden gravierenden Menschenrechtsverletzungen, die von Sicherheitskräften verübt werden (siehe Seite 18).

Ölvorkommen wurden kürzlich am Tschad-See sowie im Süden des Landes an der Grenze nach Kamerun entdeckt. Da der Tschad keinen Zugang zum Meer hat, soll das Öl durch eine Pipeline an die kamerunische Küste befördert werden.

Die möglichen - und wahrscheinlichen - Konsequenzen dieses Unternehmens könnten so aussehen: Das bereits enteignete Land der Bauern in der Region Doba wird verwüstet. Dort, wo die Ölfelder entstehen, wird über Jahre kein landwirtschaftlicher Anbau mehr möglich sein. Dabei handelt es sich um eine Region die als "Tschad utile" (nutzbarer Tschad) bezeichnet wird. Dies läßt vermuten, daß ein Projekt dieser Größenordnung die Gefahr von Boden- und Wasserverseuchung in sich birgt und unweigerlich zu Unruhen unter der Bevölkerung führen würde, die von Regierungssoldaten sowie Privatarmeen der Ölkonzerne niedergeschlagen werden dürften. Einen Vorgeschmack auf die mögliche Repression gab Präsident Idriss Déby im November 1996, als er den Befehl erteilte, alle Diebe, die auf frischer Tat ertappt würden, sofort zu erschießen. Innerhalb kurzer Zeit wurden in der Hauptstadt N'Djamena 18 solcher Fälle bekannt. Dieser Befehl soll im Februar, nachdem er weltweit kritisiert wurde, zurückgenommen worden sein. ai bezweifelt, daß die Aufhebung beachtet wird.

Bereits im Jahre 1994 wurde ein Bauer aus der Region Beladjia im Süden des Tschad, der mit seinen Kindern der Landung eines Flugzeuges des Exxon-Konzerns zusehen wollte, erschossen. Es wurde behauptet, daß es sich um einen Rebellen gehandelt habe. Von Regierungsseite wurde der Fall nie untersucht. Die Familie bekam keine Entschädigung.

Die geplante Pipeline würde durch eine tropische Regenwaldregion Kameruns führen und an einer Stelle enden, wo der Lobé-Fluß als Wasserfall in den Atlantik mündet - ein Wunder der Natur. Eine Zerstörung durch die Ölförderung würde das Aus sowohl für den Tourismus als auch für die Fischerei bedeuten. Fischfang ist die Haupteinnahmequelle der Bevölkerung dieser Region.

amnesty international kann sich - im Rahmen ihres eingeschränkten Mandats - erst dann konkret für Menschen einsetzen, wenn die Entwicklung bereits zu Menschenrechtsverletzungen geführt hat. Deshalb gründeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehrerer Nichtregierungsorganisationen ein Team, in dem neben ai auch Brot für die Welt, Misereor, die Peace Brigades, die Evangelische Kirche Deutschlands und Eirene vertreten sind - alle im Rahmen ihres Arbeitsgebietes. Den Organisationen geht es nicht um die Unterbindung der Ölförderung im Süden des Tschad, sondern darum, die Ölkonzerne dazu zu bringen, Bedingungen zu schaffen, welche die lokale Bevölkerung vor Übergriffen der Sicherheitskräfte und die Umwelt vor einer Verseuchung bewahren würde. Auch andere Organisationen aus mehreren Ländern sind inzwischen tätig geworden. Verschiedene Medien haben über die drohende Gefahr für den Tschad berichtet.

Das blieb nicht folgenlos: Auf einen Zeitungsartikel im "Journal of Commerce" vom 12. März - Autorin war Korinna Horta, Mitarbeiterin der US-amerikanischen Umweltorganisation "Environmental Defence Fund" - hat es eine sofortige Reaktion gegeben: in Form eines Briefes von Exxon an die Organisation. Man wolle dieses Projekt sorgfältig begleiten und bitte um ein Gespräch mit der Autorin.

Die tschadische Zeitung "N'Djamena Hebdo" berichtete in ihrer Ausgabe vom 3. April über die Reise von Präsident Déby nach Washington, wo er vor dem amerikanischen Kongreß für das Ölförderungsprojekt plädieren wollte. Der Artikel weist auf die unangenehme Wirkung des Artikels von Frau Horta auf den Präsidenten und seine Umgebung hin. Hintergrund: Die Weltbankbeteiligung an dem Projekt ist von der Zusage des amerikanischen Kongresses abhängig.

Ziel der Nichtregierungsorganisationen ist es nun, im Tschad Aufklärung bei der Bevölkerung über die Gefahren dieses Projektes sowie über die Rechte der Bürger zu betreiben. Als der Journalist Martin Zint im Februar im Tschad war, wurde er überall, wo er auftauchte, nach Material und Dokumenten befragt. Es zeigte sich, daß er besser informiert war als die Menschen dort - inklusive der tschadischen Menschenrechtsorganisationen. Die Regierung und die Ölkonzerne haben bis jetzt nur die Sonnenseite des Projektes sowie die vermeintlichen Vorteile für die Bevölkerung dargestellt.

Im Jahre 2000 soll die Ölförderung in vollem Gange sein. Die Gelder für die Ölgesellschaften Exxon, Shell und Elf Aquitaine will die Weltbank aus dem Armutbekämpfungs-Programm nehmen. Nach einer Anhörung im Mai wird ein Antrag von "Bündnis 90/Die Grünen" im Herbst die Ausschüsse des Bundestages beschäftigen.

Irène Mandeau

Die Autorin ist Sprecherin der Tschad-Koordinationsgruppe in der deutschen Sektion von amnesty international.

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 7. September 1997

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