amnesty international lehnt die Todesstrafe bedingungslos ab und setzt sich für ihre weltweite Abschaffung ein. Mit einer ständigen Kampagne gegen diese Verletzung fundamentaler Menschenrechte sucht die Organisation die Leben derjenigen zu retten, über die diese äußerste Form von grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Strafe verhängt wurde.
Auch arbeitet die Organisation daran, Politiker und die Öffentlichkeit über die Willkür und Unwiderruflichkeit der Todesstrafe aufzuklären. Sie wird als Mittel politischer Unterdrückung benutzt und unverhältnismäßig häufig an Armen und Unterprivilegierten vollzogen. In Kampagnen und Publikationen macht amnesty international die Haltlosigkeit des Arguments klar, die Anwendung der Todesstrafe habe irgendeine abschreckende Wirkung oder einen Einfluß auf die Verbrechensrate oder auf politische Gewalttaten in einer Gesellschaft. Die Organisation sammelt Informationen über Todesurteile und Hinrichtungen weltweit. Wenn eine Hinrichtung unmittelbar bevorsteht, fordert sie die Umwandlung der Strafe.
1994 wurden nach vorliegenden Erkenntnissen 2331 Gefangene in 37 Ländern hingerichtet und 4032 Menschen in 75 Staaten zum Tode verurteilt. Es sind dies nur die Fälle, die amnesty international bekanntgeworden sind. Die tatsächlichen Zahlen liegen mit Sicherheit höher. Wie für die Vorjahre gilt auch für 1994, daß die Mehrzahl der registrierten Hinrichtungen in nur einigen wenigen Staaten vollzogen worden ist.
Das italienische Parlament stimmte am 5. Oktober 1994 der Abschaffung der Todesstrafe aus dem für Kriegszeiten geltenden Militärstrafgesetzbuch zu. Das entsprechende Gesetz trat am 25. Oktober 1994 in Kraft.
Ende 1994 hatten 54 Länder vollständig auf die Anwendung der Todesstrafe verzichtet. 15 sahen sie nur noch für außergewöhnliche Straftaten und für Kriegsverbrechen vor. In weiteren mindestens 27 Staaten und Territorien, in denen die Todesstrafe zwar noch gesetzlich verankert ist, sind seit mindestens zehn Jahren keine Hinrichtungen mehr vollzogen worden..
Im Laufe des Jahres 1994 traten Dänemark, Malta, Namibia, Slowenien, die Seschellen, die Schweiz und Ungarn dem Zweiten Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte bei, das die Abschaffung der Todesstrafe zum Ziel hat. Die Zahl der Vertragsstaaten des Protokolls erhöhte sich damit auf 26. Die Zahl der Vertragsstaaten des 6. Zusatzprotokolls zur Europäischen Konvention zum Schutz der menschenrechte und Grundfreiheiten, dessen Intention ebenfalls die Abschaffung der Todesstrafe ist, stieg mit dem Beitritt von Irland, Rumänien und Slowenien auf 23 an. Mit der Ratifizierung des Protokolls der Amerikanischen Menschenrechtskonvention zur Abschaffung der todesstrafe durch Uruguay erhöhte sich die Zahl der Vertragsstaaten auf drei. Die brasilianische Regierung unterzeichnete das Protokoll und behielt sich die Ratifizierung zu einem späteren Zeitpunkt vor.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats sprach am 4. Oktober 1994 die Empfehlung aus, ein weiteres Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention zu erarbeiten, das die vollständige Abschaffung der Todesstrafe zum Ziel hat. Das Protokoll Nr. 6 sieht die Abschaffung der Todesstrafe lediglich in Friedenszeiten vor und erlaubt ihre Anwendung in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr. Der Lenkungsausschuß für Menschenrechte des Europarates reagierte auf die Initiative der Parlamentarischen Versammlung mit der Ernennung eines Berichterstatters, der den Vorschlag weiter prüfen soll.
Zu den positiven Entwicklungen im Jahre 1993 zählte die Abschaffung der Todesstrafe in vier weiteren Staaten. Die Nationalversammlung von Guinea-Bissau schaffte durch einen Verfassungszusatz die Todesstrafe für alle Tatbestände ab. Bis zu dieser Verfassungsänderung hatten Militärgerichte die Todesstrafe für Mord in besonders schweren Fällen und für Straftaten gegen die Staatssicherheit verhängen können. Im April schaffte der Gesetzgebende Rat von Hongkong die Todesstrafe für alle Tatbestände ab. Im selben Monat strich auch das Parlament Gambias die Todesstrafe aus den Gesetzbüchern des Landes. Im Dezember schließlich schaffte Griechenland die Todesstrafe gänzlich ab, sowohl in Kriegs als auch in Friedenszeiten.
Eine weitere positive Entwicklung ist in einer Entscheidung des Rechtsausschusses des Kronrats des Vereinigten Königreichs zu sehen. Der Rechtsausschuß des Kronrats, die letzte Berufungsinstanz für zahlreiche Commonwealth-Staaten, entschied, daß Hinrichtungen dann als unmenschliche und erniedrigende Strafe anzusehen sind, wenn zwischen Verhängung und Vollstreckung des Todesurteils mehr als fünf Jahre liegen. Der Rechtsausschuß stellte weiterhin fest, daß in solchen Fällen die Todesstrafe in eine lebenslange Gefängnisstrafe umzuwandeln ist. Es ist anzunehmen, daß diese Entscheidung, die sich auf die Fälle von zwei Jamaikanern bezieht, die mehr als 14 Jahre lang mit ihrer Hinrichtung hatten rechnen müssen, weitreichende Auswirkungen in mindestens 16 Commonwealth-Staaten haben wird. Allein in Jamaika ist die Umwandlung von mehr als 100 Todesurteilen zu erwarten.
Ein schwerer Rückschlag war dagegen eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten, der zufolge ein zum Tode Verurteilter, der Unschuldsbeweise verspätet vorlegt, normalerweise nicht das Recht hat. vor seiner Hinrichtung noch ein neues Verfahren vor einem Bundesgericht anzustrengen. Der Oberste Gerichtshof stellte fest, daß in einem Todesstrafenverfahren die »wirklich überzeugende« Darlegung der Unschuld nach Abschluß des Prozesses zwar die Hinrichtung des Angeklagten verfassungswidrig machen würde, führte aber weiter aus, daß »wegen der sehr zerstörerischen Wirkung, die dieses Vorbringen von wirklicher Unschuld haben würde ... die Schwelle für die Beanspruchung eines solchen Rechtes notwendigerweise außerordentlich hoch sein muß«. Der texanische Gefangene Leonel Herrera, dessen Berufungsantrag Grundlage des Entscheids gewesen war, wurde am 12. Mai hingerichtet.
Insgesamt wurden während des Berichtsjahres in den Vereinigten Staaten 38 Menschen exekutiert. davon allein 17 in Texas. Bei vier der Hinrichtungsopfer handelte es sich um Personen, die zur Zeit der Tat, für die sie zum Tode verurteilt worden sind, erst 17 Jahre alt gewesen waren. Zahlreiche internationale Abkommen untersagen die Hinrichtung von jugendlichen Straftätern. und es ist äußerst selten der Fall, daß Länder diesem Verbot zuwiderhandeln.
amnesty international äußerte Bedauern über die auf den Philippinen und in Peru getroffenen Entscheidungen, die Todesstrafe wieder einzuführen oder ihren Anwendungsbereich auszudehnen. Auf den Philippinen trat im Dezember ein Gesetz in Kraft, mit dem die 1987 per Verfassung getroffene Entscheidung zur Abschaffung der Todesstrafe wieder aufgehoben und eine Reihe von Tatbeständen, beispielsweise Mord, Drogenhandel, Vergewaltigung und Brandstiftung. zu Kapitalverbrechen erklärt wurden. Im September verabschiedete das peruanische Parlament eine neue Verfassung. mit der der Anwendungsbereich der Todesstrafe um den Tatbestand des »Terrorismus« erweitert wurde. Die neue Verfassung, der die peruanischen Wähler per Referendum zustimmten, stellt somit einen Verstoß gegen Artikel 4.2 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention dar, die Peru im Jahre 1978 ratifiziert hat. Darin heißt es, daß die Todesstrafe nicht auf Delikte ausgedehnt werden darf, auf die sie gegenwärtig nicht anwendbar ist.
Gegenüber denjapanischen Behörden äußerte sich amnesty international äußerst besorgt, als diese im März bekanntgaben, nach über drei Jahren Hinrichtungen wieder aufnehmen zu wollen. Noch im selben Monat wurden drei Gefangene durch den Strang hingerichtet, von denen einer an einer Geisteskrankheit litt. Bis Ende des Jahres starben insgesamt sieben Gefangene - die höchste Anzahl von Hinrichtungen während eines einzigen Jahres seit 1976. Auch in Kuwait wurden Hinrichtungen wieder aufgenommen. Im Mai starb dort ein irakischer Staatsangehöriger durch den Strang, nachdem ihn ein Gericht der "Kollaboration" mit den irakischen Streitkräften 1990/91 während der Besatzung Kuwaits für schuldig befunden hatte. Es war die erste offiziell bekanntgegebene gerichtlich verhängte Hinrichtung in Kuwait seit 1989 gewesen. amnesty international äußerte die Befürchtung, daß für weitere 22 seit April 1992 in Kuwait wegen "Kollaboration" zum Tode verurteilte Personen die unmittelbare Gefahr besteht. ebenfalls exekutiert zu werden. Ihre Gerichtsverfahren hatten international anerkannten Grundsätzen der Fairneß nicht entsprochen.
Auch die Wiederaufnahme von Hinrichtungen in Algerien nach drei Jahren kommentierte amnesty international mit Unverständnis. 1993 richteten die algerischen Behörden insgesamt 26 Menschen hin, und mehr als 300 Personen wurden nach grob unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt. Auch in anderen Teilen des Nahen und Mittleren Ostens mußte amnesty international einen Anstieg der Hinrichtungszahlen zur Kenntnis nehmen. In Ägypten wurden im Berichtsjahr 33 und in Saudi-Arabien 87 Personen exekutiert. Mindestens 77 Menschen wurden 1993 im Iran hingerichtet, doch lagen die tatsächlichen Zahlen vermutlich weit höher. In China wurde die Todesstrafe weiterhin in großem Umfang angewendet. 1993 haben die chinesischen Behörden mehr als 1300, vermutlich sogar noch weit mehr Menschen hingerichtet.
1993 sind Ecuador, Gambia, Mosambik, Österreich, Panama, Slowenien, Uruguay und Venezuela dem Zweiten Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, weiches die Abschaffung der Todesstrafe zum Ziel hat, als Vertragsstaaten beigetreten.
Ende 1993 war die Todesstrafe in 47 Prozent aller Staaten der Welt per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft. 53 Länder hatten vollständig auf die Anwendung der Todesstrafe verzichtet, 16 sahen sie nur noch für außergewöhnliche Straftaten wie Kriegsverbrechen vor. In weiteren 21 Staaten und Territoricn, in dcnen die Todcsstrafe zwar noch gesetzlich verankert ist, sind seit mindestens zehn Jahren keine Hinrichtungen mehr vollzogen worden.
1993 wurden nach vorliegenden Erkenntnissen 1831 Gefangene in 32 Ländern hingerichtet und 3670 Menschen in 61 Staaten zum Tode verurteilt. Es sind dies nur die Fälle, die amnesty international bekanntgeworden sind; die tatsächlichen Zahlen liegen mit Sicherheit höher. Wie schon für die Vorjahre gilt auch für 1993, daß die Mehrzahl der registrierten Hinrichtungen in nur einigen wenigen Staaten vollzogen worden ist.