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amnesty international: ai-Journal 6/97

Todesstrafe in der ehemaligen Sowjetunion: Erbschaft des Riesenreichs

Noch ist die Republik Moldova (Moldawien) einsamer Rufer in der Wüste: Als einziger Nachfolgestaat der ehemaligen UdSSR hat das Land die Todesstrafe abgeschafft. Doch auch in einigen anderen GUS-Republiken ist Bewegung in dieser Frage erkennbar.

Abstimmung im moldawischen Parlament im Dezember 1995: Die Abgeordneten streichen die Todesstrafe aus dem Strafgesetzbuch. Moldova war im Juli 1995 dem Europarat beigetreten und hatte sich verpflichtet, ein Hinrichtungsmoratorium zu erlassen und innerhalb von drei Jahren die Todesstrafe abzuschaffen. Dem Europarat wurden neue Statistiken über die Todesstrafe zwischen 1992 und 1994 vorgelegt, denen zu entnehmen war, daß sechs Todesurteile verhängt, aber keine Hinrichtungen vollzogen worden waren. Im Februar 1996 wurden die Todesurteile von 19 Gefangenen durch ein Dekret des Präsidenten in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt. Das letzte Todesurteil wurde in 1990 in der Endphase der Sowjetunion vollstreckt.

Diese Abstimmung steht den Parlamenten in der Ukraine und in Rußland noch bevor. Denn neben Rußland hat sich auch die Ukraine (siehe auch Seite 6-9) gegenüber dem Europarat zu einem Hinrichtungsmoratorium und einer mittelfristigen Abschaffung der Todesstrafe verpflichtet. Doch in der Praxis scheint es noch ein langer Weg dorthin zu sein. Im vergangenen Jahr wurden Todesurteile vollstreckt. Inzwischen haben die Machthaber in Kiew und Moskau das "Europäische Übereinkommen gegen die Todesstrafe" unterzeichnet, ob die jeweiligen Parlamente das Abkommen auch ratifizieren, ist aber angesichts von bereits geäußertem Widerstand aus den Volksvertretungen noch offen.

Rußland: Langsame Schritte nach Europa

Auch Rußland hatte sich mit seinem Beitritt zum Europarat im vergangenen Februar dazu verpflichtet, ein Hinrichtungsmoratorium zu erlassen und die Todesstrafe innerhalb von drei Jahren abzuschaffen. Bereits Ende 1996 war ein Entwurf für ein solches Moratorium von zwei Duma-Abgeordneten erarbeitet worden, es war aber nicht in Kraft getreten. Die jetzt erfolgte Unterschrift unter das "Europäische Übereinkommen gegen die Todesstrafe" ist der erste Schritt, die in Artikel 20 der russischen Verfassung festgeschriebene Abschaffung der Todesstrafe in die Wirklichkeit umzusetzen. Bis heute ist lediglich die Zahl der Verbrechen, für die ein Todesurteil verhängt werden kann, in dem ab Januar 1997 in Kraft getretenen Strafgesetzbuch verringert worden.

Im krassen Gegensatz zu diesen Bemühungen stehen die hohen Hinrichtungszahlen in Rußland - neben China und der Ukraine sind es die höchsten der Welt. Nach Zahlen, die amnesty international vorliegen, sind 1996 mindestens 140 Menschen hingerichtet worden. Präsident Jelzin lehnte Berichten zufolge von Februar bis April 1996 insgesamt 46 Gnadengesuche ab. Der Vorsitzende des Begnadigungsausschusses, Anatoli Pristawkin, berichtete, daß sich der Präsident auch dann gegen eine Begnadigung entscheide, wenn der Ausschuß sich für eine solche ausspricht. Als Reaktion darauf, übergab die Begnadigungskommission dem Präsidenten keine Fälle mehr zur Entscheidung, um weitere Hinrichtungen zu vermeiden. Unter Verletzung der gesetzlichen Bestimmungen leitete die Administration daraufhin die Gnadengesuche direkt dem Präsidenten zu.

Wenig Bewegung gibt es demgegenüber im Nachbarland Weißrußland (Belarus). Auf einer Pressekonferenz in Minsk am 24. September 1996 erklärte der stellvertretende Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes in Weißrußland, Igar Andrejew, daß seit Jahresbeginn 24 Todesurteile vollstreckt worden seien. Diese Zahl deckt sich mit den Angaben von höchster politischer Stelle. Andrejew gab weiterhin bekannt, daß Präsident Alexander Lukaschenko während seiner Amtszeit keinem einzigen Gnadengesuch stattgegeben habe. Im Jahr 1995 wurden in Weißrußland 46 Menschen hingerichtet.

Kaukasus: Abschaffung in Sicht ?

In den Kaukasusrepubliken Armenien, Aserbaidschan und in Georgien wurden Schritte in Richtung Abschaffung der Todesstrafe in die Wege geleitet - teilweise sind sie jedoch wieder zurückgenommen worden oder erfolgten nur halbherzig. Im vergangenen Jahr wurden in Armenien insgesamt vier Personen zum Tode verurteilt. Die Zahl der von der Hinrichtung bedrohten Gefangenen belief sich damit auf mindestens 17 Personen. Exekutionen fanden zuletzt keine statt, da Präsident Levon Ter-Petrosjan die Todesstrafe ablehnt. Nach Kenntnis von amnesty international sind allerdings auch keine Todesurteile umgewandelt oder Maßnahmen zu einer Streichung der Todesstrafe aus dem Strafgesetzbuch unternommen worden.

In der neuen, 1995 angenommenen Verfassung von Aserbaidschan wird die Todesstrafe als "eine außergewöhnliche Maßnahme der Bestrafung bis zu ihrer vollständigen Abschaffung nur für schwere Verbrechen gegen den Staat und gegen das Leben und die Gesundheit von Personen" beschrieben. Die Machthaber haben seit der Unabhängigkeit Aserbaidschans mehrere Schritte in Richtung Abschaffung unternommen. Beispielsweise wurden im Oktober 1994 Frauen und im Mai 1996 alle über 65jährigen von der Todesstrafe ausgeschlossen. Ebenfalls im Mai 1996 hat das Parlament ein Dekret von Präsident Hejdar Alijew gebilligt, das die Anzahl der mit der Todesstrafe bedrohten Delikte von 33 auf zwölf herabsetzt.

Seit 1993 sind in Aserbaidschan keine Todesurteile mehr vollstreckt worden. Präsident Alijew hat in den vergangenen Jahren viele Todesurteile in langjährige Haftstrafen umgewandelt. Trotzdem gewährt dieser Stopp von Exekutionen keine Sicherheit; jederzeit können die offizielle Politik wieder geändert und damit Todesurteile vollstreckt werden. Die Zahl der ausgesprochenen Todesurteile hat sich trotz der positiven Schritte in den vergangenen Jahren ständig erhöht. Während 1990 drei Menschen zum Tode verurteilt wurden, waren es 1996 bereits 41 Personen. In einem Gespräch mit amnesty international hat ein Mitarbeiter des Obersten Gerichts den Anstieg unter anderem mit dem bewaffneten Konflikt um die Enklave Nagorny-Karabach in Verbindung gebracht. Insgesamt befinden sich etwa 90 Männer in den Todeszellen des Bailow-Gefängnisses in der Hauptstadt Baku.

Im Dezember 1996 sandte Präsident Eduard Schewardnadse einen Brief an die Abgeordneten des georgischen Parlaments, in dem er auf den hohen Stellenwert des Schutz des Lebens durch den Staat hinwies. Am darauffolgenden Tag sprach sich das Parlament dafür aus, die Todesstrafe für insgesamt sechs Verbrechen abzuschaffen. Somit kann die Todesstrafe nur noch bei sieben Delikten verhängt werden. Zu diesen gehören unter anderem Völkermord, Sabotage und vorsätzlicher Mord in besonders schlimmen Fällen.

Georgien war die erste der ehemaligen Sowjetrepubliken, die im Jahre 1991 Maßnahmen für eine Abschaffung der Todesstrafe unternahm. So wurde im Mai 1991 das höchste Strafmaß für vier Wirtschaftsverbrechen neu festgelegt. Doch dieser Schritt wurde in den folgenden zwei Jahren teilweise wieder zurückgenommen. So wurde die Todesstrafe 1993 auf weitere zwei Verbrechen ausgeweitet.

Im Gegensatz zu anderen Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ist die öffentliche Meinung in Georgien für eine Abschaffung der Todesstrafe. Auch setzen sich mehrere Parlamentsmitglieder für eine Abschaffung ein. Trotz eines offiziellen Moratoriums gegen die Vollstreckung der Todesstrafe sprechen georgische Richter allerdings weiterhin Todesurteile aus. Allein im vergangenen Jahr wurden nach offiziellen Angaben mindestens sechs solche Urteile gefällt, die tatsächliche Zahl liegt wahrscheinlich höher. Mindestens 50 Gefangene sind zur Zeit im Todestrakt. Hinrichtungen fanden im vergangenen Jahr nicht statt.

Die zentralasiatischen Republiken: Wenig Bewegung

In mehreren GUS-Staaten ist ein Anstieg der Hinrichtungszahlen zu verzeichnen. Offenbar wird vor allem in den asiatischen Republiken in einer hohen Zahl vollstreckter Todesurteile eine abschreckende Wirkung gesehen, mit der die hohe Kriminalität bekämpft werden soll. So erklärte der Präsident von Kasachstan, Nursultan Nasarbajew, daß er persönlich zwar auch gegen repressive Maßnahmen sei, aber sein Land gegenwärtig nicht in einem Stadium sei, in dem es aus humanistischen Überlegungen auf die Todesstrafe verzichten könnte. Angaben über Hinrichtungszahlen sind teilweise nur aus inoffiziellen Quellen zu erfahren. Wenn amtliche Stellen Auskunft geben, muß damit gerechnet werden, daß die tatsächlichen Zahlen um ein vielfaches höher liegen als angegeben.

Angesichts des Fehlens in sich schlüssiger, veröffentlichter amtlicher Daten über die Anwendung der Todesstrafe in Kasachstan sind auch die amnesty international zur Verfügung stehenden Angaben unvollständig. Die vorhandenen Daten lassen jedoch seit Ende der achtziger Jahre eine stetige Zunahme der Todesurteile vermuten. amnesty international geht davon aus, daß 1996 mindestens 50 Personen zum Tode verurteilt und mindestens zwölf Gefangene hingerichtet wurden. Bei einer Diskussionsrunde, die im Januar 1997 in der Hauptstadt Almaty stattfand, waren Vertreter verschiedener Behörden nicht in der Lage, sich auf die Anzahl der Todesurteile und der Exekutionen für das Jahr 1996 zu einigen, obwohl mehrere Stellen von 68 beziehungsweise von 71 Hinrichtungen sprachen. Auch für das Jahr 1995 waren die Behörden nicht in der Lage, die Zahl der Hinrichtungen anzugeben. Vertreter der kasachischen Regierung wiesen aber die von amnesty international genannte Zahl von 101 Hinrichtungen für 1995 zurück und behaupteten, tatsächlich seien nur 63 Gefangene exekutiert worden. Detaillierte Informationen, um diese Behauptung zu belegen, stellten sie aber nicht zur Verfügung.

In einem Gespräch, das Vertreter von amnesty international mit dem stellvertretenden Innenminister Nikolay Wlassow im Februar 1996 in Almaty führten, sagte dieser, daß die Todesstrafe in Kasachstan nicht so grausam sei wie das Leben im Gefängnis, wo die Menschen unter entwürdigenden Bedingungen ausharren müßten. Es gibt gegenwärtig keine ernstzunehmenden statistischen Bemühungen, die Todesstrafe in Kasachstan abzuschaffen, auch wenn einzelne staatliche Stellen amnesty international gegenüber angedeutet haben, daß es einen positiven Einfluß auf Kasachstan haben könnte, wenn die Russische Föderation Schritte zur Abschaffung der Todesstrafe unternehme.

In Kasachstan ist noch immer das seit 1960 geltende Strafgesetzbuch der sowjetischen Ära mit einigen Ergänzungen in Kraft. Demnach ist die Todesstrafe in Friedenszeiten für 18 Straftaten vorgesehen - unter anderem wegen Spionage, Banditentum oder vorsätzlicher Mord.

In der Nachbarrepublik Tadschikistan blieb die Todesstrafe auch 1996 für 41 Straftatbestände bestehen. Mindestens neun Personen wurden zum Tode verurteilt. Hinrichtungen wurden nicht gemeldet. Im November 1996 gaben die Behörden bekannt, daß sich weitere fünf Gefangene, die 1994 verurteilt worden waren, in den Todeszellen des Landes befänden.

In Turkmenistan wiederum fanden vermutlich mehrere Hinrichtungen statt, doch werden von staatlichen Stellen keine statistischen Angaben über die Anwendung der Todesstrafe veröffentlicht. In Turkmenistan kann die Todesstrafe für insgesamt 14 Verbrechen verhängt werden. Eine zentralasiatische Menschenrechtsgruppe hat Zahlen veröffentlicht, die angeblich von einem ehemaligen Staatsbediensteten stammen. Angegeben wurden 126 verhängte Todesurteile im Jahre 1994. Keines dieser Urteile soll in Haftstrafen umgewandelt und kein Gefangener begnadigt worden sein. Bis zur Jahresmitte 1995 sollen alle Urteile vollstreckt worden sein. Auch in anderen Berichten ist von einer erschreckend hohen Zahl von Hinrichtungen die Rede. So wurden nach Angaben, die amnesty international zur Verfügung stehen, im Jahr 1996 123 Menschen wegen Drogenhandels hingerichtet. Diese Zahl wurde in einem Medienbericht in Kirgisistan genannt und offiziellen Stellen in Turkmenistan zugeschrieben. Statistisches Material über Hinrichtungen für andere Vergehen wurden nicht bekannt. Vorausgesetzt, diese Angaben entsprechen der Wahrheit, würde das bedeuten, daß Turkmenistan zu den zehn Ländern mit den meisten Hinrichtungen pro Jahr gehört. Eine Änderung dieser Politik ist nicht in Sicht, besonders weil turkmenische Stellen die Ansicht vertreten, daß die Todesstrafe ein wirksames Mittel im Kampf gegen das Verbrechen sei.

Im April 1995 trat in Usbekistan ein neues Strafgesetzbuch in Kraft. Doch amnesty international ist nach wie vor besorgt über die Anwendung der Todesstrafe. Nach dem neuen Recht kann für 13 Tatbestände ein Todesurteil gefällt werden. Für Frauen wurde die Todesstrafe jedoch abgeschafft. Auch die usbekischen Behörden veröffentlichen keine Statistiken über die Anwendung der Todesstrafe; inoffizielle Quellen gehen jedoch von einer hohen Zahl von Hinrichtungen aus. So hieß es vor einiger Zeit, daß mindestens sechs Todesurteile unter anderem wegen Mordes und Drogenhandels verhängt worden seien. Im Sommer 1996 haben Menschenrechtler aus Usbekistan sogar angegeben, daß im Zentralgefängnis der Hauptstadt Taschkent mindestens eine Hinrichtung pro Woche stattfindet.

Kirgisistan sieht demgegenüber die Todesstrafe für 15 Straftaten in Friedenszeiten und zwei weitere in Kriegszeiten vor. Einer Delegation von amnesty international, die im April 1992 das Land besuchte, wurde allerdings vom damaligen Generalstaatsanwalt mitgeteilt, daß Todesurteile in der Praxis nur wegen Mordes unter erschwerenden Umständen verhängt würden. Angesichts der steigenden Kriminalität in den vergangenen Jahren ist es auch zu einer vermehrten Verhängung von Todesurteilen gekommen.

Unter der Führung von Präsident Askar Akajew, der seit 1990 im Amt ist, hat sich Kirgisistan den Ruf erworben, das Land unter den zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken zu sein, das die größten demokratischen Fortschritte gemacht und die toleranteste Gesellschaft hat. Vollständige Statistiken über die Anwendung der Todesstrafe waren nicht erhältlich; es wurde jedoch bekannt, daß Gerichte 1996 mindestens zwei Todesurteile ausgesprochen haben. Beide Urteile wurden später in langjährige Haftstrafen umgewandelt. Im Jahr 1995 allerdings sind mindestens 39 Menschen hingerichtet worden.

Kerstin Zyber/hg
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 7. September 1997

© amnesty international


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