Die Justiz setzte ihre Ermittlungen zur Aufklärung von Vorwürfen
fort, denen zufolge in den 80er Jahren ein verdeckter »schmutziger
Krieg« gegen die bewaffnete baskische Organisation ETA (Euskadi Ta
Askatasuna) geführt worden ist. Zwei gewaltlose politische Gefangene
wurden unter Auflagen aus der Haft freigelassen. amnesty international erhielt
erneut von Vorwürfen über Mißhandlungen durch die Polizei
Kenntnis. Mehrere Beamte, die angeklagt waren, in den Vorjahren Menschen
gefoltert oder mißhandelt zu haben, mußten sich im Berichtszeitraum
vor Gericht verantworten. Mehr als 100 Bürger verschiedener afrikanischer
Staaten, unter ihnen Asylbewerber, wurden in Länder abgeschoben, in denen
sie sich zum Teil Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sahen. Die ETA
zeichnete erneut für vorsätzliche und willkürliche
Tötungen, Geiselnahmen und andere Verstöße gegen die
Menschenrechte verantwortlich.
Aus den Parlamentswahlen vom März ging die Volkspartei mit knappem Vorsprung als Siegerin hervor. Im Mai übernahm José María Aznar von seinem Vorgänger Felipe Gónzalez von der Sozialistischen Partei das Amt des Regierungschefs.
Ebenfalls im Mai trat ein neues Strafgesetzbuch in Kraft. Der Kongreß entschied im November, Beratungen über eine Reform des Gesetzes über Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen aufnehmen zu wollen. Der vorliegende Gesetzentwurf sah vor, Wehrpflichtigen auch nach Antritt des Militärdienstes die Möglichkeit einzuräumen, ihre Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen zu beantragen. Die größeren Parteien Spaniens signalisierten jedoch ihre Absicht, den Entwurf in zentralen Punkten abändern zu wollen.
Im März veröffentlichte das Europäische Anti-Folter-Komitee - jeweils zusammen mit der Stellungnahme der Regierung - Berichte über drei von seinen Mitgliedern in den Jahren 1991 bis 1994 in Spanien durchgeführte Inspektionsbesuche. Das Komitee äußerte sich besorgt über das nach wie vor akute Problem der Mißhandlung inhaftierter Personen. Es merkte zwar an, daß Folterungen und schwere Mißhandlungen eher die Ausnahme darstellen, dokumentierte jedoch zugleich eine Reihe von Beschwerden über derartige menschenrechtsverletzende Praktiken, die insbesondere von Personen erhoben worden waren, die sich auf der Grundlage der Anti-Terrorismus-Gesetze ohne Kontakt zur Außenwelt in Gewahrsam befunden hatten.
Der UN-Menschenrechtsausschuß befaßte sich im März mit dem vierten periodischen Bericht der spanischen Regierung über die von ihr zur Umsetzung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) ergriffenen Maßnahmen. Beunruhigt zeigte sich der Ausschuß über die ihm zur Kenntnis gelangten »zahlreichen Berichte... über Mißhandlungen und sogar Folterungen an terroristischer Handlungen verdächtigten Personen durch die Sicherheitskräfte«. Der Ausschuß monierte, daß Ermittlungen zur Aufklärung derartiger Berichte »von den Behörden nicht immer systematisch durchgeführt worden sind« und daß wegen Folterungen oder Mißhandlungen zu Gefängnisstrafen verurteilte Angehörige der Sicherheitskräfte »oftmals begnadigt oder vorzeitig freigelassen werden oder ihre Strafe ganz einfach nicht antreten«. Die Ausschußmitglieder betonten des weiteren, daß einige innerstaatliche Gesetzesvorschriften mit dem IPBPR unvereinbar seien. Sie sprachen die Empfehlung aus, gesetzliche Regelungen, die es Häftlingen verwehren, einen Rechtsanwalt eigener Wahl mit der Wahrnehmung ihrer Verteidigung zu beauftragen, außer Kraft zu setzen und die Inhaftierung von Personen ohne Kontakt zur Außenwelt abzuschaffen. Der Ausschuß äußerte sich ferner »zutiefst besorgt« darüber, daß Wehrpflichtigen in Spanien nicht das Recht eingeräumt wird, auch nach Antritt ihres Kriegsdienstes ihre Anerkennung als Militärdienstverweigerer aus Gewissensgründen zu beantragen. Er empfahl, gesetzliche Vorkehrungen zur Gewährleistung dieses Rechtes zu treffen.
Die Justiz setzte ihre Ermittlungen zur Aufklärung von Entführungen, Folterungen und Morden fort, die zwischen 1983 und 1987 im Zuge eines »schmutzigen Krieges« gegen die ETA begangen worden sind. Die Verantwortung für die genannten Verbrechen tragen sogenannte Anti-Terroristische Befreiungsgruppen (Grupos Antiterroristas de Liberación - GAL), die verdeckt und jenseits von Recht und Gesetz gehandelt haben und in deren Aktivitäten ranghohe Regierungsvertreter verwickelt gewesen sein sollen (siehe Jahresbericht 1996). Im Berichtszeitraum wurden im Zusammenhang mit der GAL-Affäre mehrere hochstehende Persönlichkeiten unter Anklage gestellt, so beispielsweise ein ehemaliger Innenminister, ein ehemaliger Staatssekretär für Sicherheit und ein General, der in der fraglichen Zeit Befehlshaber der Zivilgarde gewesen war.
Gegenstand von Ermittlungen der Justiz war unter anderem die Entführung, Folterung und Ermordung der beiden ETA-Mitglieder José Antonio Lasa und José Ignacio Zabala durch die GAL sowie die Entführung von Segundo Marey und die Tötung des vermeintlichen ETA-Aktivisten Ramón Oñedera in den 80er Jahren. Im November wurde ein ehemaliger Geheimdienstoffizier verschleppt, nachdem er von dem mit dem Fall Lasa und Zabala befaßten Untersuchungsrichter als Zeuge vernommen worden war und Berichten zufolge Angehörige der Zivilgarde als die für die Verbrechen Verantwortlichen belastet hatte. Der Offizier gab an, bewaffnete Männer hätten ihn an einen Strand nahe Cadiz gebracht und dort brutal auf ihn eingeschlagen, ihn mit Zigaretten verbrannt und einen stumpfen Gegenstand in seinen After eingeführt. Darüber hinaus war ihm eine Kopie des Antrags des Untersuchungsrichters, ihn unter Polizeischutz zu stellen, in den Mund gezwängt worden. Aus medizinischen Gutachten geht hervor, daß er 22 von glimmenden Zigaretten herrühende Brandmale sowie Verletzungen im Analbereich davongetragen hat.
José Antonio Escalada und Manuel Blázquez Solís, zwei Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, die im Dezember 1995 die gegen sie wegen Desertion verhängten Haftstrafen hatten antreten müssen, kamen im April beziehungsweise Mai 1996 unter Auflagen frei. Bei beiden hatte es sich um gewaltlose politische Gefangene gehandelt (siehe Jahresbericht 1996).
amnesty international erhielt erneut von Berichten über Mißhandlungen durch Beamte mit Polizeibefugnissen Kenntnis. Im Januar wurde eine Untersuchung eingeleitet, um Aufklärung in Vorwürfe zu bringen, denen zufolge Polizisten den marokkanischen Staatsbürger Sallam Essabah mißhandelt haben. Das mutmaßliche Opfer gab an, im Dezember 1995 nahe der Stadt Alicante von zwei Polizeibeamten auf der Straße angehalten, mit Schlägen traktiert und später nackt und in bewußtlosem Zustand in einer abgelegenen Gegend ausgesetzt worden zu sein. Sallam Essabah mußte sich anschließend wegen Verletzungen in der Magengegend, an der Brust und im Lendenbereich in ärztliche Behandlung begeben.
Im Berichtszeitraum fanden mehrere Gerichtsverfahren gegen Beamte mit Polizeibefugnissen statt, die angeklagt waren, Menschen gefoltert oder mißhandelt zu haben. Im Februar stellte die Staatsanwaltschaft 14 in Colmenar Viejo stationierte Zivilgardisten wegen Folterhandlungen unter Anklage. Die Beamten hatten im Oktober 1994 drei junge Männer festgenommen und diese laut Aussagen der Häftlinge systematisch mit Fausthieben und Fußtritten sowie mit Schlägen ins Gesicht traktiert, während die mutmaßlichen Opfer unbekleidet und an den Händen gefesselt waren.
Ein Gericht in Barcelona sprach im November zwei Zivilgardisten von der Anklage frei, den im August 1994 während eines versuchten Raubüberfalls zusammen mit seinem Komplizen verhafteten Jorge Xurigué gefoltert und ermordet zu haben. Jorge Xurigué war an einer durch einen Schlag gegen die Schläfe ausgelösten Gehirnblutung gestorben. Das Gericht sah es zwar als erwiesen an, daß die Beamten die beiden Männer, während sie auf dem Boden lagen, mit Schlägen und Fußtritten traktiert hatten, erklärte jedoch, es sei nicht schlüssig und zweifelsfrei dargelegt worden, daß der Tod von Jorge Xurigué ursächlich durch die Schläge herbeigeführt worden sei. Darüber hinaus sah sich das Gericht außerstande, einem der beiden Angeklagten mit Gewißheit die Schuld an den Verletzungen zuzuweisen, die Jorge Xurigué und sein Mittäter erlitten hatten.
Im Juni wurden 103 Bürger verschiedener afrikanischer Staaten, unter ihnen Asylbewerber, in Flugzeugen der spanischen Luftwaffe zwangsweise aus Melilla und Malaga abgeschoben. Einigen von ihnen gab man während des Fluges in Wasser aufgelöste Beruhigungsmittel. In Berichten hieß es ferner, Polizeibeamte hätten mehrere der Abschiebehäftlinge mit Schlägen mißhandelt. 50 der abgeschobenen Männer wurden nach Guinea-Bissau geflogen und dort bei ihrer Ankunft in Haft genommen und erneut mit Schlägen traktiert. Einer von ihnen wurde im September bei einer gewalttätigen Demonstration von der Polizei erschossen, andere der aus Spanien Ausgewiesenen bei den Ausschreitungen verletzt (siehe Guinea-Bissau-Kapitel).
Die baskische ETA zeichnete erneut für Verstöße gegen die Menschenrechte verantwortlich. Ihre Anschläge auf Angehörige der Sicherheitskräfte und auf Zivilisten forderten fünf Menschenleben. In mehreren Regionen verbreitete die ETA mit einer Serie von Sprengstoffattentaten Angst und Schrecken. Im Februar ermordete sie den ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Francisco Tomás y Valiente sowie den Rechtsanwalt Fernando Múgica, den Bruder eines ehemaligen Justizministers. Ende des Jahres hielt die ETA zwei Geiseln in ihrer Gewalt. Es handelte sich um den Gefängnisbeamten José Antonio Ortega Lara, der im Januar entführt worden war, sowie um Cosme Delclaux Zubiria, einen Rechtsanwalt und Geschäftsmann, den die ETA im November als Geisel genommen hatte. José María Aldaya kam hingegen im April nach elfmonatiger ETA-Gefangenschaft frei.
Im März veröffentlichte amnesty international den Bericht Spain: Comments by Amnesty International on the government's Fourth Periodic Report to the Human Rights Committee, in dem sie anhand konkreter Beispiele Verstöße der spanischen Behörden gegen die Bestimmungen des IPBPR nachwies.
Gegenüber der Regierung in Madrid äußerte sich amnesty international beunruhigt über das Versagen offizieller Stellen, Zeugen der Staatsanwaltschaft in der GAL-Affäre hinreichend Schutz zu gewähren. Die Organisation rief dazu auf, die Sicherheit der Zeugen zu gewährleisten.
Des weiteren setzte sich amnesty international für die Freilassung von Manuel Blázquez Solís und José Antonio Escalada ein und rief dazu auf, gesetzliche Vorkehrungen zu treffen, um Wehrpflichtigen auch nach Antritt ihres Militärdienstes die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen zu beantragen. Die Organisation appellierte an die spanischen Behörden, sämtliche Vorwürfe über Folterungen und Mißhandlungen umfassend und unparteiisch zu untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.
An die Regierungen in Spanien und Guinea-Bissau richtete amnesty international die Forderung, ihren vertraglich eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und keine Person in Länder auszuweisen oder abzuschieben, in denen ihr Menschenrechtsverletzungen drohen. Im Zusammenhang mit der Abschiebung der 103 afrikanischen Staatsbürger im Juni rief die Organisation dazu auf, Vorwürfen über Mißhandlungen umfassend nachzugehen.
amnesty international verurteilte mehrfach die von bewaffneten Oppositionsgruppen in Spanien zu verantwortenden vorsätzlichen und willkürlichen Tötungen, Geiselnahmen und andere Übergriffe als Verstöße gegen internationale völkerrechtliche Normen. amnesty international forderte die ETA öffentlich auf, ihre Geiseln unverzüglich und bedingungslos freizulassen.
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 28. August 1997 |