Sperrfrist: Donnerstag, 3. April 1997, 6.00 Uhr
Bonn/Moskau, 3. April 1997- Unter dem Deckmantel der Verbrechensbekämpfung werden in der Russischen Föderation Häftlinge systematisch mißhandelt und gefoltert. Wie die Menschenrechtsorganisation amnesty international in dem heute veröffentlichten Bericht "Folter in Rußland - die Hölle auf Erden" dokumentiert, hat die Macht des russischen Sicherheits- und Polizeiapparates in den letzten Jahren erheblich zugenommen. So erlaubt das von Präsident Boris Jelzin 1994 erlassene Dekret "Dringende Maßnahmen zur Verteidigung der Bevölkerung gegen das Bandenwesen und andere Erscheinungsformen organisierter Kriminalität" den Sicherheitskräften, verdächtige Personen bis zu 30 Tage ohne Anklage, ohne Zugang zu einem Anwalt und ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt festzuhalten. Dies widerspricht Artikel 22 der russischen Verfassung, die es verbietet, Personen ohne richterliche Entscheidung länger als 48 Stunden festzuhalten.
Auf russischen Polizeiwachen und in den Gefängnissen würden Menschen mit Schlägen und mit Sauerstoffentzug bis zum nahen Erstickungstod gefoltert und gezwungen, in schmerzhaften Körperpositionen zu verharren. Nicht nur Sicherheitskräfte seien für diese Folter verantwortlich, sondern auch Ärzte, die in ihren medizinischen Berichten die von den Opfern erlittenen Verletzungen unterschlügen oder sogar selbst an den Folterungen beteiligt seien. "In einigen Fällen haben Ärzte während der Mißhandlungen den Puls der Gefolterten gemessen und Auskunft darüber gegeben, ob die Opfer noch weitere Mißhandlungen vertragen könnten oder nicht", so der Bericht. Besonders betroffen von der Folter in Polizeigewahrsam seien Angehörige ethnischer Minderheiten, unter anderem Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker.
Auch die allgemeinen Bedingungen in russischen Gefängnissen und insbesondere in den Untersuchungshaftanstalten sind nach den Erkenntnissen von amnesty international grausam, unmenschlich und erniedrigend: Die Gefängnisse sind er-heblich überfüllt; Tausende von Inhaftierten haben kein eigenes Bett und schlafen in Schichten. Die medizinische Versorgung ist oft mangelhaft. In nahezu allen größeren Untersuchungsgefängnissen sind schon Häftlinge wegen Sauerstoffmangels erstickt. In einem überfüllten Gefängnis in Nowokusnjetsk (Gebiet Kemerowo) sind im Juli 1995 11 Häftlinge an einem Hitzschlag gestorben. Bis zu 25 Menschen waren dort in einem Raum untergebracht, der ursprünglich für zehn Insassen gedacht war - die Raumtemperatur betrug manchmal über 50 Grad.
Wie ai weiter berichtet, kommen in den Gefängnissen nach wie vor die alten GULAG-Methoden zur Anwendung. Beispielsweise werden ausgesuchte Häftlinge mit der Kontrolle und Bestrafung anderer Häftlinge betraut. Diese sogenannten "Pressowtschiki", die meistens wegen schwerer Verbrechen lange Haftstrafen absitzen müssen, werden gegen Privilegien damit beauftragt, sich um unbequeme Insassen zu "kümmern". In der Praxis bedeutet das, daß sie diejenigen foltern und mißhandeln, die Beschwerden einreichen, politische Gefangene sind oder Geständnisse ablegen sollen. "Einige so erpreßte Geständnisse werden dann wiederum vor Gericht als Beweismaterial verwendet und können auch zu einem Todesurteil führen", so ai. Wenn aufgrund der Mißhandlung durch die "Pressowtschiki" Häftlinge schwer verletzt oder getötet werden, kann sich die Gefängnisverwaltung jedoch immer darauf zurückziehen, daß es sich um Reibereien unter Häftlingen gehandelt habe, für die man nicht verantwortlich sei. "Meist verhindert die Gefängnisverwaltung jegliche Untersuchung der Umstände, die zum Tod eines Häftlings geführt haben. Selbst in den Fällen, wo es gerichtliche Untersuchungen gegeben hat, sind die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen worden."
Schließlich dokumentiert der Bericht zahlreiche Fälle von Wehrdienstverweigerern, die gegen ihren Willen in der Armee festgehalten und mißhandelt werden, sowie von Menschen, die während des bewaffneten Konfliktes in Tschetschenien willkürlich in Haft genommen wurden. Auch die Abschiebepraxis gegenüber Asylsuchenden, die meist aus anderen GUS-Staaten oder aus Nordkorea kommen und denen in ihren Heimatländern Gefahr für Leib und Leben droht, kritisiert ai scharf.
Die Russische Föderation hat sowohl die UN-Antifolterkonvention als auch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unterzeichnet. Beide verbieten - ebenso wie die russische Verfassung - Folter und Mißhandlung. amnesty international fordert die russische Regierung auf, Folter und Mißhandlung in Gefängnissen und im Polizeigewahrsam umgehend zu been-den, Folter als Straftatbestand in das neue Strafgesetzbuch aufzunehmen und die Haftbedingungen so zu verbessern, daß sie nicht länger zu grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung führen. Von der Bundesregierung fordert ai, daß sie sich sowohl in den bilateralen Beziehungen als auch auf internationaler Ebene dafür einsetzt, daß die Russische Föderation ihre Rechtsnormen an die internationalen Menschenrechtsstandards angleicht und sie auch einhält.
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Verantwortlich für diese Seite: Guido Gabriel | Letztes Update: 27. August 1997 |
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