Sperrfrist: Dienstag, 23. Juli 1996
Bonn/Atlanta, den 23. Juli 1996 - Während die Olympischen Sommerspiele in Atlanta in vollem Gange sind, müssen im US-Bundesstaat Georgia über 100 Menschen in den Todesszellen mit ihrer Hinrichtung rechnen. "Es zeugt von grenzenloser Heuchelei, wenn Atlanta sich einerseits als moderne Hauptstadt der Menschenrechte präsentiert, andererseits aber weiterhin Menschen auf dem elektrischen Stuhl tötet", erklärte Pierre Sané, internationaler Generalsekretär von amnesty international, heute in Atlanta. Bei der Vorstellung des ai-Berichts "Die Todesstrafe in Georgia: rassistisch, willkürlich und unfair" wies Sané darauf hin, daß schwarzte Angeklagte wesentlich öfter zum Tod verurteilt würden, als dies bei Weißen für die gleichen Verbrechen der Fall sei. Auch die Hautfarbe des Mordopfers spiele eine entscheidende Rolle: "Von 20 Verurteilten, die seit 1983 in Georgia hingerichtet worden sind, sind 19 des Mordes an einem weißen Opfer für schuldig befunden worden. Kein Weißer ist jemals für einen Mord an einem Schwarzen mit dem Tod bestraft worden."
Der ai-Bericht belegt weiterhin, daß bei der Verhängung eines Todesurteils häufig politische Erwägungen entscheidend sind: Da die Ämter von Bezirksstaatsawälten und Richtern in den USA meist Wahlämter sind, demonstrieren die Amtsanwärter gerne besondere Härte in der Verbrechensbekämpfung, wenn sie gewählt oder wiedergewählt werden möchten. Gleichzeitig werden die Angeklagten in Todesstrafenprozessen oft von unerfahrenen oder ihnen feindlich gesonnenen Pflichtverteidigern vertreten. So wurde der schwarze Amerikaner Eddie Lee Ross beispielsweise von einem Anwalt verteidigt, der 50 Jahre lang ein führendes Mitglied im Ku Klux Klan war und öffentlich gegen Schwarze gehetzt hatte, die "die meisten Vergewaltigungen und Morde an wEißen" begingen und vor Gericht immer davonkämen. Eddie Lee Ross wurde zum Tod verurteilt.
Den US-Bundesbehörden legt amnesty international zur Last, daß sie noch immer nichts gegen diese menschenverachtende Strafe und ihre rassistische Anwendung unternehmen. Ein Bericht der Bundesbhörden aus dem Jahr 1990 stellte zwar fest, daß Rassismus bei der Verhängung von Todesurteilen in zahlreichen Bundesstaaten eine Rolle spielt - Konsequenzen daraus wurden aber nicht gezogen. Stattdessen hat die Bundesregierung das "Gesetz gegen den Terrorismus und für eine effektive Todesstrafe" erlassen, das die Berufungsmöglichkeiten von zum Tod Verurteilten weiter eingeschränkt. In derselben Woche, in der das Oberste Gericht der USA das Gesetz für verfassungsmäßig erklärte, wurden zwei Häftlinge aus dem Todestrakt eines Gefängnisses in Illinois entlassen, weil ihre Unschuld bewiesen werden konnte. Die beiden hatten 11 beziehungsweise 18 Jahre in Haft auf ihre Hinrichtung gewartet. Der Generalstaatsanwalt von Georgia, Mike Bowers, hat dagegen noch vor einem Monat behauptet: "Es gibt keine unschuldigen Menschen, die im Todestrakt sitzen".
Ungeachtet des weltweiten Trends, die Todesstrafe abzuschaffen, sind die USA neben Japan die einzige führende Industrienation, die daran nicht nur festhält, sondern ihre Anwendungsmöglichkeiten sogar ausweitet. Die Todesstrafe kann in 38 von 50 amerikanischen Bundesstaaten verhängt werden. Darüber hinaus sind Todesurteile auf Bundesebene und nach dem Militärstrafrecht möglich. Vor knapp zwei Jahren verabschiedete der US-Kongreß ein Gesetz, nach dem für mehr als 60 Straftatbestände Todesurteile verhängt werden können.
Derzeit sitzen in US-amerikanischen Gefängnissen über 3000 zum Tod verurteilte Männer und Frauen, die ihrer Hinrichtung entgegensehen. Im vegangenen Jahr hat es in den USA 56 Exekutionen gegeben - dies ist die höchste Zahl seit der Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1977. In den USA wie überall sonst in der Welt verstößt diese Strafe gegen die Menschenrechte auf Leben sowie auf Schutz vor grausamer unmenschlicher und erniedrigender Behandlung,betont amnesty international.
Die Menschenrechtsorganisation forderte den Gouverneur von Georgia, Zell Miller, auf, eine unabhängige Kommission einzusetzen, die die Todesstrafenpraxis in Georgia untersucht. Außerdem übergaben ai-Vertreter dem Gouverneur eine Petition mit 500.000 Unterschriften aus 15 Ländern. Darin fordert ai ein Ende der Verhängung derTtodesstrafe in Georgia und eine Umwandlung aller bestehenden Todesurteile in Haftstrafen.
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