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Tschad

"Journalistische Pflicht"

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Zarah Yacoub aus dem Tschad drehte einen aufsehenerregenden Fernsehfilm über die Beschneidung von Mädchen in ihrem Land. Nach der Ausstrahlung des Films wurde sie mit Mord bedroht. Ende Oktober war die Journalistin in Deutschland.

Tanzende Frauen singen in ihren bunten Festtagskleidern: "Wenn du weinst, singen wir nicht mehr für dich. Wenn du weinst, verzeihen wir dir nicht." Ein Dorf im Tschad: Am Boden, den Oberkörper im Schoß einer alten Frau geborgen, den Unterleib nackt und die Beine gespreizt, liegt ein etwa zehnjähriges Mädchen mit zusammengepreßten Lippen und angstvoll aufgerissenen Augen. Dann geht die Kamera nah heran und filmt, wie dem Mädchen ohne Betäubung mit einem Rasiermesser die Klitoris herausgeschnitten wird.

Das ist eine Sequenz aus dem Fernsehfilm "Dilemma der Weiblichkeit" ("Dilemme au Feminin"), der um so bemerkenswerter ist, als er von der 32jährigen afrikanischen Journalistin Zarah Yacoub Ende 1994 in ihrem Heimatland Tschad gedreht und im dortigen Fernsehen im September 1995 auch ausgestrahlt wurde. 13 Tage später wurde in allen 15 Moscheen der Hauptstadt N'Djamena über die Autorin die "Fatwa" verhängt - ein Aufruf zum Mord. Ausschlaggebend war vor allem die oben beschriebene Szene. Im Rahmen einer Einladung des Auswärtigen Amtes für afrikanische Journalisten kam Zarah Yacoub Ende Oktober eine Woche lang nach Deutschland und erläuterte die Hintergründe ihres Films.

Die Beschneidung der Frauen gehört bis heute zum Alltag in den islamischen Ländern des nördlichen Afrikas. Fast ausnahmslos werden die Mädchen zwischen sieben und zwölf Jahren beschnitten - ein Initiationsritus, der sie "zur Frau" machen soll und ohne den sie als solche in ihrer Gesellschaft nicht anerkannt werden. "Die schlimmste Beleidigung, die man gegenüber einem Mädchen aussprechen kann, ist, daß es nicht beschnitten sei," berichtet Zarah Yacoub.

Die Folgen der Prozedur sind gravierend: Häufig kommt es unmittelbar danach zu Blutungen oder Infektionen wie Tetanus oder Aids - nicht selten mit tödlichem Ausgang. Beschnittene Frauen empfinden kaum sexuelle Lust, und - je nach Art der Beschneidung - sind Geschlechtsverkehr, Empfängnis und Geburten erheblich erschwert.

Es gibt drei Arten der Beschneidung: Die "einfache" Form ist die Entfernung der Klitoris. Bei der zweiten wird zusätzlich ein Teil der Vulva entfernt. Die extreme Form ist die sogenannte Infibulation: Klitoris und beide Schamlippen, also die gesamte Vulva, werden herausgeschnitten und die Wunde anschließend vernäht. Man läßt eine kleine Öffnung - oftmals nicht größer als der Umfang eines Bleistifts. Diese Form der Beschneidung verursacht bei erwachsenen Frauen die größten Probleme. Oft müssen die Frauen vor Geburten aber auch häufig zur Ermöglichung eines normalen ehelichen Verkehrs und einer Schwangerschaft operiert werden.

"Es ist keine Seltenheit", sagt Zarah Yacoub, "daß Ehepaare nach ihrer Heirat Monate oder sogar Jahre ohne Erfolg auf eine Schwangerschaft warten, bis sie bei einer ärztlichen Untersuchung der Frau feststellen, daß sie durch die Beschneidung nicht empfangen kann." Allerdings - so betont Zarah Yacoub in ihrem Film - könne man nicht behaupten, daß die einfache Beschneidung viel harmloser sei als die Infibulation. Denn: "Schon eine Infektion kann bewirken, daß durch die Vernarbung die Vagina praktisch verschlossen wird." Langfristig können alle Formen der Beschneidung also zu denselben gesundheitlichen Problemen führen.

ZÜ: Vorislamische Tradition

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, daß die Beschneidung der Mädchen in der islamischen Religion verankert sei. Sie wurde schon in vorislamischer Zeit praktiziert, worauf auch die Bezeichnung "pharaonische Beschneidung" für die Infibulation hindeutet. Sie ist also eine im Bewußtsein der Menschen tief verwurzelte Tradition, die vor allem in den afrikanischen Ländern von der islamischen Religion übernommen wurde, aber auch in christlichen Familien praktiziert wird.

"Nach dem alten Glauben", so erläutert eine Erzieherin in Yacoubs Film den Sinn dieser Tradition, "diente die Beschneidung dazu, das Mädchen in Standhaftigkeit, Tapferkeit und Abstinenz zu initiieren, dies wiederum mit dem Hauptziel der Jungfräulichkeit des Mädchens und der Treue der Frau. Es war also eine erzieherische Maßnahme. Heute prangern wir die Unmenschlichkeit derartiger Praktiken an. Das ist nur normal, denn die heutige Wissenschaft in Erziehung oder Medizin hat sich enorm entwickelt und die Dinge können nicht bleiben, wie sie sind."

Dieser Meinung sind auch immer mehr aufgeklärte Muslime. Es gibt im Tschad bereits viele Familien, die ihren Töchtern diesen Initiationsritus ersparen. Dennoch brach die TV-Journalistin Yacoub mit ihrem Film eines der strengsten Tabus. Sie war sich dessen voll bewußt, aber: "Als Bürgerin des Tschad bin ich täglich mit der Praxis der Beschneidung und ihren gesundheitlichen Folgen konfrontiert. Während ich den Film machte, stolperte ich auf dem Nachhauseweg vor dem zentralen Krankenhaus in N'djamena fast über ein Mädchen, das dort vor dem Eingang der Notaufnahme lag und furchtbar blutete. Sie sagte, sie sei vor einigen Tagen beschnitten worden. Oder ich erfahre im Vorübergehen, daß die Tochter unserer Nachbarn beschnitten wurde." Als Journalistin fühlte sie sich verpflichtet, darüber zu berichten und - so betont sie nachdrücklich - sie würde diesen Film jederzeit genauso wieder drehen, trotz der "Fatwa" durch die Islamisten.

"Ich konnte damals nicht mehr aus dem Haus gehen, weil ich fürchten mußte, daß man mich angreift. Ich erhielt am Telefon Morddrohungen und wurde davon richtig krank." Nur dem massiven Druck aus dem Ausland, speziell den Briefaktionen der Vereinigung der "Frauen unter islamischem Recht" ("Femmes sous lois musulmanes") mit Sitz in Dakar sowie der Weltorganisation gegen die Folter (Organization mondiale contre la torture OMCT) in Genf und den Bemühungen von amnesty international und anderen Organisationen ist es zu verdanken, daß der Staatspräsidenten des Tschad, Idriss Déby, den Obersten Imam von N'Djamena aufforderte, die Verfolgung einzustellen - wenngleich das Verdikt nicht offiziell aufgehoben wurde.

ZÜ: Erfolgreicher internationaler Druck

Heute kann Zarah Yacoub wieder ein normales Leben führen. Sie arbeitet im tschadischen Fernsehen für eine Sendung über Rechtsfragen und wird bald heiraten. Doch manche Türen bleiben seither verschlossen: "Bei manchen Stellen, für die ich früher gearbeitet habe, sagen sie: 'Nein, wir haben für dich keine Arbeit.'"

Der Film "Dilemme au Féminin" wurde inzwischen von Fernsehstationen in Burkina Faso, Frankreich und Kanada ausgestrahlt. Weltweite Öffentlichkeit ist für die Journalistin Zarah Yacoub ein wichtiges Mittel, um langfristig die Abschaffung der Beschneidung zu bewirken: "Wenn heute weniger Mädchen als früher diese Tortur erleiden müssen, dann vor allem wegen des internationalen Drucks".

Claudia Oberascher

(Kasten Tschad)

Willkürherrschaft der Armee

Unterdrückung und Terror waren die Merkmale der Herrschaft im Tschad unter Präsident Hissein Habré. Auch unter seinem seit 1990 regierenden Nachfolger Idriss Déby wird diese Politik fortgesetzt. Wird der Trend nicht gestoppt, könnten die bereits geschwächten Strukturen der Gesellschaft zerstört werden.

amnesty international hat die Behörden wiederholt auf willkürliche Festnahmen, Folter und Mißhandlung, Todesfälle in der Haft, Verfolgung von Menschenrechtlern und Massaker an Zivilisten hingewiesen. Es hat sich wenig geändert. Menschen kommen ohne Anklage oder Verfahren ins Gefängnis, Oppositionelle müssen damit rechnen, wegen konstruierter krimineller Delikte angeklagt zu werden, mit denen ihre Inhaftierungen gerechtfertigt werden sollen.

Eine häufig angewandte Foltermethode ist das Zusammenbinden von Armen und Beinen auf dem Rücken des Inhaftierten. Das verursacht extremen Schmerz und nicht selten offene Wunden. Einige Gefangene sind danach gestorben.

Andererseits haben die Machthaber im vergangenen Jahr wichtige internationale Menschenrechtsabkommen ratifiziert - darunter den Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte sowie die Anti-Folter-Konvention der UNO. Am politischen Willen, die Inhalte der Verträge auch umzusetzen, fehlt es bisher jedoch. So wurden einige Sicherheitsdienste zwar umbenannt, ihr repressiver Charakter blieb aber unverändert.

In den vergangenen 15 Jahren haben mehrere Staaten den Tschad politisch, finanziell und auch militärisch unterstützt. Die Konsequenzen für die Menschenrechte wurden dabei kaum berücksichtigt. Die Waffenlieferungen aus China, Frankreich und den USA sowie das Problem der Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzern sind die Schwerpunkte einer amnesty-Aktion, an der sich zur Zeit auch zahlreiche deutsche ai-Gruppen beteiligen.


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Letztes Update: 15. Dezember 1996

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