Gegen mehr als 40 politische Gefangene waren Strafverfahren anhängig, die international anerkannten Grundsätzen für einen fairen Prozeß nicht zu genügen schienen. Nach wie vor gingen Vorwürfe über Mißhandlungen an Gefangenen und Wehrpflichtigen ein. Mindestens vier Personen wurden zum Tode verurteilt, Hinrichtungen aber haben nicht stattgefunden.
Im April befaßte sich der UN-Ausschuß gegen Folter mit Armeniens erstem Bericht über die Umsetzung der Bestimmungen des Übereinkommens der UN gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Der Ausschuß begrüßte die Verankerung eines Folterverbots in der 1995 verabschiedeten neuen Verfassung, empfahl jedoch unter anderem, die Anwendung der Folter auch im Strafgesetzbuch deutlich als Straftatbestand zu definieren sowie Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, daß keine Person in andere Staaten ausgewiesen oder abgeschoben wird, in denen sie in Gefahr ist, gefoltert zu werden. Berichte über Mißhandlungen, die bei der Sitzung des Ausschusses von den armenischen Delegierten zurückgewiesen worden waren, sollten - so die Empfehlung des Ausschusses - untersucht und die Ergebnisse dem Ausschuß mitgeteilt werden.
Bei den Präsidentschaftswahlen vom September wurde Präsident Lewon Ter-Petrosjan in seinem Amt bestätigt. Die oppositionelle Armenische Revolutionäre Föderation (Armenian Revolutionary Federation - ARF) blieb verboten, so daß die Partei keinen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen hatte aufstellen können. Oppositionsparteien zogen überdies die Wahlergebnisse in Zweifel. In Berichten hieß es, mehr als 100 Personen seien vorübergehend festgenommen und viele von ihnen geschlagen worden, nachdem Proteste der Anhänger des oppositionellen Kandidaten Wasgen Manukian zu gewalttätigen Ausschreitungen eskaliert waren.
Das Verfahren gegen elf Personen, die wegen Straftaten im Zusammenhang mit ihrer vermeintlichen Mitgliedschaft in einer im Untergrund operierenden Gruppe innerhalb der ARF namens »Dro« unter Anklage standen (siehe Jahresbericht 1996), ging im Dezember zu Ende. Drei der Angeklagten - Arsen Artsruni, Armen Grigorian und Armenak Mujojan - wurden zum Tode verurteilt, obwohl Vorwürfe im Raum standen, daß das Verfahren international anerkannten Grundsätzen für einen fairen Prozeß nicht entsprochen hat.
Ähnliche Vorwürfe wurden auch im Verfahren gegen das ARF-Führungsmitglied Wahan Owanessian (siehe Jahresbericht 1996) und 30 weitere Angeklagte laut, denen die Staatsanwaltschaft einen Putschversuch zur Last legte. Während des Prozesses, der im April eröffnet wurde, erhoben mehrere der Angeklagten den Vorwurf, man habe sie - insbesondere in der vorgerichtlichen Untersuchungshaft - zur Unterzeichnung von Geständnissen gezwungen und ihnen keinen umfassenden und angemessenen Zugang zu einem Rechtsanwalt ihrer Wahl gewährt. Manwel Jeghiasarian machte überdies geltend, man habe ihn bei seiner Festnahme im Juli 1995 tätlich angegriffen und ihn vernommen, während er noch an einer Gehirnerschütterung, Prellungen und Rippenfrakturen litt. Andere Angeklagte erklärten, ihre Familienangehörigen seien bedroht worden. Trotz dieser Vorwürfe wiesen die Richter keines der Geständnisse weder in diesem noch dem sogenannten »Dro«-Prozeß als unzulässig zurück.
Zahlreiche Personen sollen nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen mit Schlägen traktiert worden sein. So erklärten vier Mitarbeiterinnen einer nichtstaatlichen Organisation, sie seien von uniformierten Männern, die in ihr Büro eingedrungen waren und Teile der Büroausstattung beschlagnahmt hatten, mit Fußtritten mißhandelt und mit Gewehrkolben geschlagen worden. Der bei dem Vorfall anwesende Abgeordnete Aramasd Sakarian wurde Berichten zufolge ebenfalls tätlich angegriffen, in Haft genommen und auf der Polizeistation erneut verprügelt. Zwei Tage darauf lieferte man ihn mit Verletzungen - dem Vernehmen nach handelte es sich um Schnittwunden im Gesicht, einen Schädelbruch und eine Rippenfraktur - in ein Krankenhaus ein.
Berichten zufolge sollen auch Wehrpflichtige auf Betreiben oder mit Wissen von ranghohen oder Unteroffizieren geschlagen worden sein. Gegen kaum einen der für diese Übergriffe Verantwortlichen sind strafrechtliche Schritte eingeleitet worden. Amajak Oganesjan beispielsweise soll im Juni 1995 von einem Unteroffizier, dessen Einheit er zugeteilt worden war, mit einem Spaten auf den Kopf geschlagen und mit einem Messer an den Rippen verletzt worden sein. Berichten zufolge verweigerte man ihm anschließend die medizinische Versorgung seiner Verletzungen und drohte ihm für den Fall, daß er sich beschwert, weitere Gewalt an. Nach erneuten Schlägen wurde Amajak Oganesjan in ein Militärhospital eingeliefert, wo er nochmals verprügelt worden sein soll. Schließlich verlegte man ihn in ein ziviles Krankenhaus und entließ ihn aus der Armee, nachdem die Ärzte bei ihm Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert hatten. Im August 1995 legte der Vater von Amajak Oganesjan wegen der Behandlung seines Sohnes offiziell Beschwerde ein, auf die die Behörden bis März 1996 in der Sache selbst noch nicht reagiert hatten.
1996 wurden mindestens vier Personen zum Tode verurteilt, so daß sich bei Jahresende die Zahl der vom Vollzug der Todesstrafe bedrohten Gefangenen auf mindestens 17 belief. Hinrichtungen fanden nicht statt, da Präsident Ter-Petrosjan persönlich die Todesstrafe ablehnt. Nach Kenntnis von amnesty international sind allerdings auch keine Todesurteile umgewandelt worden.
amnesty international forderte die armenischen Behörden dringend auf, den sogenannten Fall »Dro« gerichtlich überprüfen zu lassen, sämtliche Berichte über Mißhandlungen gründlich und unparteiisch zu untersuchen, die Ergebnisse publik zu machen und die Verantwortlichen strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen. Im Mai bestritt der Verteidigungsminister jegliche Beteiligung von Militärangehörigen an Übergriffen gegen religiöse Minderheiten im Jahre 1995 (siehe Jahresbericht 1996), machte jedoch keinerlei Angaben, ob und in welcher Weise die Vorwürfe untersucht worden sind.
Auch 1996 forderte amnesty international die Umwandlung aller anhängigen Todesurteile.
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 28. August 1997 |