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amnesty international: Jahresbericht 1997

Argentinien (Republik)

Berichtszeitraum: 1. Januar 1996 - 31. Dezember 1996


Ein gewaltloser politischer Gefangener blieb weiterhin in Haft. Berichte sprachen von Folterungen und Mißhandlungen an Gefangenen im Gewahrsam der Polizei. Obwohl neue rechtliche Verfahren zur Aufklärung von Fällen von »Verschwindenlassen« aus den Vorjahren eingeleitet wurden, waren bei den laufenden Ermittlungen in solchen Fällen kaum Fortschritte zu verzeichnen. Zahlreiche Menschen wurden von Polizeibeamten unter Umständen getötet, die den Verdacht nahelegen, daß es sich dabei um extralegale Hinrichtungen gehandelt hat. Vielfach wurden Demonstranten von der Polizei geschlagen und in anderer Weise mißhandelt.

Im Februar ratifizierte Argentinien die Inter-Amerikanische Konvention über das gewaltsam verursachte Verschwinden von Personen.

Im September änderte die Gesetzgebende Versammlung von Buenos Aires, ein neu gewähltes Gremium, das der Hauptstadt ein eigenes Statut geben soll, die Polizeigesetze von Buenos Aires. Die Novelle sah die Aufhebung der Befugnisse der Bundespolizei vor, straftatverdächtige Personen festzunehmen, sie zu verhören und bis zu 30 Tage lang ohne Vorführung vor einen Richter im Gewahrsam zu halten. Eine neue Polizeiordnung, in der diese Änderungen verankert sind, war bis Jahresende noch nicht verabschiedet worden.

In ihrem Bericht an die UN-Menschenrechtskommission betonte die Arbeitsgruppe für das gewaltsam verursachte oder unfreiwillige Verschwinden von Personen, daß Argentinien gemäß den Bestimmungen der UN-Erklärung über den Schutz aller Personen vor gewaltsam verursachtem Verschwinden dazu verpflichtet ist, Ermittlungen in solchen Fällen umfassend und unparteiisch »so lange fortzusetzen, bis die Schicksale der Opfer des gewaltsam verursachten Verschwindens aufgeklärt sind«.

Ende des Berichtsjahres befand sich ein gewaltloser politischer Gefangener noch immer in Haft. Der 68jährige Franziskanermönch Fray Antonio Puigjane war im Januar 1989 nach einem von Angehörigen der Bewegung für das Vaterland (Movimiento Todos por la Patria - MTP) verübten bewaffneten Anschlag festgenommen worden (siehe Jahresberichte 1990 bis 1993). Der Mönch, der selber ein führendes MTP-Mitglied ist, hatte nicht an dem Überfall teilgenommen und bestritten, davon etwas gewußt zu haben. Im Oktober 1989 war er auf der Grundlage unbewiesener Behauptungen, denen zufolge er von dem Anschlag Kenntnis gehabt und daran mitgewirkt haben soll, zu 20Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Bei Jahresende war sein Fall noch vor der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten anhängig.

Berichte sprachen von Folterungen und Mißhandlungen an Gefangenen im Gewahrsam der Polizei. Im Februar beispielsweise wurde Leandro Oliva, bei dem man angeblich Cannabis gefunden hatte, zusammen mit seiner noch minderjährigen Begleiterin von einer Polizeipatrouille in Buenos Aires festgenommen. In seiner bei der Unterabteilung für Menschenrechte des Innenministeriums eingelegten Beschwerde erklärte Leandro Oliva später, daß er auf der Fahrt zum Polizeikommissariat Nr.5 unter anderem mit brennenden Zigaretten gefoltert worden sei. Auf der Polizeistation - so die Aussage des jungen Mannes - hätten die Beamten den beiden Festgenommenen Handschellen angelegt, ihnen Schläge versetzt und damit gedroht, daß es ihnen genauso ergehen werde wie Walter Bulacio, einem Jugendlichen, der 1991 im polizeilichen Gewahrsam gestorben war (siehe Jahresbericht 1996). Im März erhob Clarisa Andrea Lencina offiziell Beschwerde gegen zwei Beamte des Polizeikommissariats Nr.3 in Berazategui, Provinz Buenos Aires. Sie war zunächst im Februar und erneut im März in Polizeigewahrsam genommen und dort, wie sie erklärte, beide Male geschlagen, beinahe zum Ersticken gebracht und auf andere Weise körperlich mißhandelt worden.

Im Juli wurde in San Carlos de Bariloche, Provinz Neuquén, der Student Fernando Pérez Ferreira festgenommen. In einer von seinen Eltern eingelegten Beschwerde hieß es, er sei während der sieben Stunden, die man ihn in Gewahrsam gehalten hat, schwer geschlagen worden. Die Behörden sollen daraufhin drei Polizisten vom Dienst suspendiert haben. Außerdem kündigten sie eine polizeiliche Untersuchung des Vorfalls an.

Im Juli nahmen in Buenos Aires bewaffnete Polizisten, die Zivilkleidung trugen, elf Jugendliche fest und brachten sie auf die dortige Polizeistation Nr.21, wo sie dem Vernehmen nach geschlagen wurden. Einige von ihnen sind 17 Stunden lang ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten und über ihre Teilnahme an einem öffentlichen Treffen der Organisation Hijos por la Identidad y la Justicia contra el Olvido y el Silencio, einer von Kindern von »Verschwundenen« gegründeten Gruppe, verhört worden. Im Zusammenhang mit diesem Vorfall wurde bei den Behörden Beschwerde eingelegt, soweit bekannt, ist jedoch keine Untersuchung eingeleitet worden.

Bei den Ermittlungen zur Aufklärung von Fällen von »Verschwindenlassen« aus den Vorjahren waren kaum Fortschritte zu verzeichnen. Allerdings traten in den Nachbarländern Argentiniens neue Informationen zutage, denen zufolge die dortigen Sicherheitskräfte in der Vergangenheit mit der argentinischen Militärregierung zusammengearbeitet haben und gemeinsam für Menschenrechtsverletzungen Verantwortung tragen. Im Mai erklärte der ehemalige uruguayische Marinekapitän Jorge Tróccoli, Angehörige der Sicherheitskräfte beider Länder hätten uruguayische und argentinische Staatsangehörige festgenommen und »verschwinden« lassen (siehe Uruguay-Kapitel). Im Juli übermittelte der Oberste Gerichtshof von Paraguay den argentinischen Behörden Akten über die in Paraguay erfolgte Festnahme und das anschließende »Verschwinden« der argentinischen Staatsangehörigen Alejandro Logoluso, Dora Marta Landi und José Nell im Jahre 1977 (siehe Paraguay-Kapitel). Aus den Protokollen der Polizei über ihre Festnahme geht hervor, daß die drei Personen zusammen mit zwei uruguayischen Gefangenen an die argentinischen und uruguayischen Sicherheitskräfte übergeben worden waren. Ihr Verbleib war Ende des Berichtszeitraums noch immer unaufgeklärt.

In den Monaten März beziehungsweise Juni nahm das argentinische Berufungsgericht die Ermittlungen in den Fällen von drei Ausländerinnen wieder auf, die im Jahre 1977 »verschwunden« waren. Es handelte sich um die beiden französischen Nonnen Alice Domon und Léonie Duquet sowie Dagmar Hagelin, die sowohl die schwedische als auch die argentinische Staatsbürgerschaft besitzt. Ende des Jahres dauerten die Untersuchungen noch an.

Im Berichtsjahr leiteten Gerichte in Italien und Spanien Ermittlungen in den Fällen von Staatsangehörigen beider Länder ein, die in Argentinien dem »Verschwindenlassen« zum Opfer gefallen waren. So ordnete im Mai ein italienischer Richter an, daß die Untersuchungen zur Aufklärung der Fälle von mehr als 70 Italienern und Argentiniern italienischer Abstammung, die während der Militärherrschaft in Argentinien »verschwunden« sind, fortgesetzt werden sollen. Im September lud ein spanischer Richter eines Oberen Gerichts mehr als 100 Angehörige der argentinischen Sicherheitskräfte, darunter auch Mitglieder ehemaliger Militärjunten, als Zeugen vor, um in den Fällen von 300 zwischen 1976 und 1983 in Argentinien »verschwundenen« spanischen Staatsbürgern auszusagen.

Im Februar erklärte sich die Regierung bereit, den Familien von Adolfo Argentino Garrido, Raúl Baigorria und Pablo Cristian Guardatti eine Entschädigung zu zahlen, nachdem ihre Fälle dem Inter-Amerikanischen Menschenrechtsgerichtshof der Organisation Amerikanischer Staaten unterbreitet worden waren. Die drei Männer sind zwischen 1990 und 1992 in Mendoza nach ihrer Festnahme durch Angehörige der Provinzpolizei »verschwunden« (siehe Jahresberichte 1993 und 1994). Die Provinzregierung erteilte ihr Einverständnis zur Einsetzung einer unabhängigen Kommission, die Ermittlungen zur Aufklärung des Verbleibs der drei Männer aufnehmen soll.

Berichte sprachen von zahlreichen Tötungen durch die Polizei unter Umständen, die den Verdacht nahelegen, daß es sich möglicherweise um extralegale Hinrichtungen gehandelt hat. In einigen dieser Fälle leiteten die Behörden Ermittlungen ein. Im Februar beispielsweise wurde in Belgrano, einem Bezirk von Buenos Aires, Alejandro Mirabete von zwei Polizeibeamten, die Zivilkleidung trugen, erschossen. Er starb neun Tage später im Koma im Krankenhaus von Pirovano. Die Polizisten hatten Schüsse auf Alejandro Mirabete abgegeben, als er, nachdem sie seine Papiere sehen wollten, zu flüchten versuchte. Der Darstellung der Polizeibehörden, denen zufolge der Mann bewaffnet gewesen und bei einem Handgemenge mit den beiden Beamten verletzt worden war, widersprachen Augenzeugen, die später berichteten, daß sie nach ihrer Aussage schikaniert und mit dem Tode bedroht worden seien. Ein Polizeibeamter wurde im Zusammenhang mit dem Vorfall festgenommen und des Totschlags angeklagt.

Während des Berichtsjahres löste die Polizei wiederholt landesweite Demonstrationen gegen die Regierungspolitik gewaltsam auf, indem sie die Teilnehmer mit Schlägen traktierte und in anderer Weise mißhandelte. Im Februar beispielsweise gingen Polizeibeamte, von denen sich einige mit Kapuzen maskiert hatten und nicht gekennzeichnete Fahrzeuge fuhren, in La Plata, Provinz Buenos Aires, mit Gummigeschossen und Tränengas gegen eine Studentendemonstration vor. Mehrere Journalisten wurden mit Schlagstöcken verprügelt. Der Kameramann Hernán Ramos, der für das Fernsehen arbeitete, erlitt schwere Verletzungen durch Gummigeschosse, die Polizisten in Zivilkleidung aus nächster Nähe auf ihn abgefeuert hatten.

Im Februar drängte amnesty international in einem an die Bundes- und Provinzbehörden gerichteten Schreiben auf eine umfassende und unparteiische Untersuchung der Vorfälle in La Plata. In einer Antwort vom April erklärte der Sicherheitssekretär der Provinz, elf Polizeibeamte seien vorübergehend vom Dienst suspendiert worden, und die Polizei hätte bereits eine Untersuchung der Ereignisse eingeleitet. Bis Jahresende waren, soweit bekannt, keine Ergebnisse publik gemacht worden. In einem im Juli an den Justizminister der Provinz Corrientes gerichteten Schreiben forderte amnesty international eine umgehende, umfassende und unabhängige Untersuchung der Tötung von Pedro Salvador Aguirre. Der Minister ließ die Organisation daraufhin wissen, daß zwei Polizeibeamte vom Dienst suspendiert und Ermittlungen zur Aufklärung des Vorfalls eingeleitet worden seien. Bis Jahresende sind jedoch auch in diesem Fall keine Ergebnisse publik gemacht worden.

Das ganze Jahr über drängte amnesty international die Regierung, Schicksal und den Verbleib der in den Vorjahren »verschwundenen« Menschen aufzuklären. Die Organisation wiederholte ihre Forderung, den Franziskanermönch Antonio Puigjane umgehend und bedingungslos freizulassen.

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 28. August 1997

© amnesty international


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