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Fortschritt oder Propaganda?





Ein Schritt vorwärts

Nach schweren Folterungen in einem "Geisterhaus" Khartums mußte sich der frühere Abgeordnete Abdelrahman Abdallah Nugdallah im Oktober 1991 mit 52 anderen Gefangenen vor einem Militärgericht wegen einer angeblichen "Verschwörung zurm Sturz der Regierung" verantworten. Das Verfahren fand mitten in der Nacht statt, während draußen Ausgangssperre herrschte. Die Angeklagten hatten keinerlei rechtlichen Beistand, und der Prozeß jedes von ihnen dauerte jeweils nur wenige Minuten.

Seine Angehörigen und Freunde erfuhren erst zwei Monate später via Fernsehen, daß man Abdelrahman Abdallah Nugdallah zum Tode verurteilt, die Strafe jedoch später in lebenslangen Freiheitsentzug umgewandelt hatte. Im Juli 1992 wurde die Strafe per Regierungserlaß noch einmal auf zehn Jahre Haft herabgesetzt. Abdelrahman Abdallah Nugdallah war einer von 15 Appellfällen der ai-Kampagne Im August 1995 wurde er freigelassen - auch dank Ihrer Unterstützung.











Nuer-Frauen in einem Dorf im Südsudan.

Der Sudan ein Jahr nach der ai-Kampagne "Keine Zukunft ohne Menschenrechte": Ein "Geisterhaus" wurde geschlossen. Mehrere politische Gefangene kamen frei. Aber ändert sich damit die Menschenrechtspolitik? fragt Jürgen Adam.

Die Sicherheitskräfte hatten das Haus im Vorort von Omdurman im Sturm genommen. Die Ausbeute der Razzia: 23 Festnahmen, vor allem Studenten, Hochschulabsolventen und der Lehrer Adlan Ahmad Abdel Aziz in al-Thawra. Einige der Männer wurden gefoltert. Drei der Festgenommenen, unter ihnen der 36jährige Adlan Ahmad Abdel Aziz sind noch immer in Haft. Von einer Anklage oder einem Gerichtsverfahren hat amnesty international nichts erfahren - ein Indiz dafür, daß keine Beweise gegen sie vorliegen dürften. Die Inhaftierten wurden als "Kommunisten" beschimpft, die Sabotageakte vorbereitet haben sollen.

Adlan Ahmad Abdel Aziz ist aus politischen Gründen aus dem Schuldienst entlassen worden. Als ehemaliges Mitglied der verbotenen Sudanesischen Kommunistischen Partei (SCP) wurde er schon mehrfach festgenommen. Folterungen begleiteten seine Haft zwischen September 1991 und Februar 1992.

Menschenrechtsverletzungen wie diese waren für amnesty international im Jänner 1995 Anlaß genug, eine weltweite Kampagne zum Sudan zu starten. Der größte Flächenstaat Afrikas gehört vor allem seit der Machtübernahme einer Militärregierung mit islamisch-fundamentalistischem Anspruch im Juni 1989 zu den Ländern, in denen schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen werden.

Über verschlungene, aus Angst verschleierte Wege erreichte amnesty international der Dank einiger Gefangener. Ein im Herbst 1995 Freigelassener schrieb: "Meinen tiefsten Dank für ihre wertvolle moralische und menschliche Unterstützung während meiner Haftzeit, in der ich gefoltert und mißhandelt worden bin". Ein Gefangener, der Karten von ai-Mitgliedern ins Gefängnis bekommen hatte, betonte: "Wenn Gefangene Unterstützung vom Ausland erhalten und ihre Namen im Ausland veröffentlicht werden, hilft das."

Weniger euphorisch hat erwartungsgemäß die Regierung auf die Aktivitäten von amnesty international reagiert: Khartum hat auf vier verschiedene Weisen auf die Kritik geantwortet. So wurde behauptet, die Darstellungen im ai- Kampagnenbericht seien verallgemeinernd und falsch. Diese Unterstellung wird aber an keiner Stelle belegt. Zweitens wurde ai Feindschaft gegenüber dem Islam und einseitige Stellungnahme für die bewaffnete Opposition vorgeworfen. Drittens hat die Regierung dem Sonderberichterstatter der UNO, genauso wie amnesty international und anderen Menschenrechtsorganisationen, die Einreise ins Land verweigert, um dann später zu behaupten, das Land gar nicht aus eigener Anschauung kennen. Schließlich wurde mehrmals behauptet, alle politischen Gefangenen seien freigelassen worden, was aber widerlegt werden konnte. Der wichtigste Ideologe des sudanesischen Regimes, Hassan-al-Turabi, verstieg sich sogar in die Behauptung, ai werde vom britischen Geheimdienst finanziert.

Es blieb aber nicht nur bei verbalen Attacken: Bald nach Veröffentlichung des ai-Berichtes wurde das bekannteste geheime Haftzentrum, das "Geisterhaus" al-Waha ("die Oase") geschlossen. 16 der 18 winzigen, schlecht belüfteten Zellen, von denen einige nicht größer als ein Gebetsteppich waren, wurden abgerissen. Das Haftzentrum war für die Regierung ein Problem geworden, nachdem ai in einem Film seine Lage und seinen Grundriß bekanntgemacht hatte. Andere Haft- und Folterzentren existieren jedoch weiterhin. Auch die politisch motivierten Festnahmen gingen weiter: Besonders nach Demonstrationen im September 1995, als sich oppositionelle Studenten mit der gegen die Anhebung des Brotpreises protestierenden Bevölkerung zusammentaten, nahm die Polizei Hunderte Demonstranten fest. Mindestens fünf Personen sollen dabei getötet worden sein, andere wurden in "Geisterhäuser" verschleppt, wo sie geschlagen und gefoltert wurden.

Im August 1995 wiederum hatten die Behörden eine Amnestie verkündet - kurz vor dem Besuch einer gemeinsamen Delegation von Parlamentariern der Europäischen Union sowie der AKP-Staaten (Länder aus dem afrikanischen, karibischen und pazifischen Raum). 32 Personen konnten daraufhin das Gefängnis verlassen. Am 30. August wurden weitere 18 Personen freigelassen, die zwischen 1991 und 1994 in unfairen Prozessen verurteilt worden waren.





"Unsere Religion sagt, daß es falsch ist, Katzen zu mißhandeln. Wie können wir dann Menschen foltern?"

Der sudanesische Justizminister


In den Kriegsgebieten des Südsudan gehen die von ai aufgedeckten Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten weiter. Die Entführung von Kindern durch Armee und regierungstreue Milizen wird zunehmend als Mittel psychologischer Kriegsführung gegen die von der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) kontrollierten Dörfer mißbraucht. In der umkämpften Bahr al-Ghazal-Region werden Dorfbewohner regelmäßig von regierungstreuen Milizen überfallen. Zuletzt verschleppte die Volksbefreiungsarmee im April 1996 fünf Kinder aus der Region Udici, die seither "verschwunden" sind. Andere Kinder werden seit ihrer Entführung als Haussklaven gehalten oder landen in Regierungsschulen, die wie Militärlager geführt werden. Bei Fluchtversuchen aus diesen Schulen wurden Kinder erschossen. Die sudanesische Regierung bestreitet die Entführung von Kindern und bezeichnet die Übergriffe gege Bauerndörfer als "traditionelle Vieheintreibungsaktionen". Eine Frau berichtete: "Sie schlugen mich mit einer großen Keule bewußtlos. Dann erschossen sie meine vier Söhne, die Vieh hüteten, und entführten meine Tochter Ajak. Sie nahmen meinen gesamten Besitz."

Viehbauern und ihre Familien sind auf der Flucht vor den Menschenrechtsverletzungen der Regierungstruppen den Angriffen der Südsudanesischen Befreiungsarmee (SSIA) ausgesetzt. Ende März 1996 wurde ein Viehlager in der Makua Region von SSIA-Truppen überfallen. 50 Zivilisten wurden ermordet. Kinder wurden mit Speeren und Messern zu Tode gehackt.

Die Kämpfe der verschiedenen Fraktionen von SPLA und SSIA haben während des seit 13 Jahren dauerenden Bürgerkrieges zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert. Die Rebellen mordeten und plünderten oft unter den Ärmsten und Hilflosesten.

Der politische Flügel der SPLA verabschiedete im Mai 1996 eine Menschenrechtscharta mit dem Versprechen, im Südsudan eine starke Zivilgesellschaft aufbauen zu wollen. Diese Ankündigungen bleiben pure Rhetorik, solange die SPLA nicht bereit ist, etwa die Ermordung von über 200 Menschen in Ganyliel am 30. Juli 1995 aufzuklären.

Auch wenn im vergangenen Jahr ein Haftzentrum geschlossen, Dutzende von politischen Gefangenen freigelassen und - nach neusten Informationen - der UNO-Sonderberichterstatter wieder zu einem Besuch eingeladen wurde, bedeutet das keinen grundlegenden Wandel der Menschenrechtssituation im Land. Nur weiterer internationaler Druck auf Regierung und die bewaffneten Oppositionsgruppen kann eine Wende herbeiführen. Denn für das geschundene Land gilt noch immer, was ai 1995 zum Motto ihrer Kampagne gemacht hatte: "Keine Zukunft ohne Menschenrechte".


Pagemaster: Robert Danzmayr
Letztes Update: 16. Juli 1996

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