Der erste Tag des ZYN!

von SNORR

"Aber... sie wollen doch die ganze Welt beherrschen, hihi...", SuperSammy stand in seiner rotgepunkteten Unterhose und dem tuerkisen Cape mit einem schweren Blaster vor Morchel, der ihn hinter seiner Barriere aus der vollverspiegelten Sonnenbrille und der schwarzen Uniform nur noch hoehnisch angrinste. Mit einem verzweifelten Aufschrei nach Frieden schwang SuperSammy in eine geduckte, breitbeinige Stellung, und feuerte auf Morchel, der sich in einem irren Gekicher in einem gleissendem Flammenmeer aufloeste: "WELTHERRSCHAFT, HAHA!!! Wer bin ich denn?"

Danach hatte SuperSammy allerdings Schwierigkeiten mit dem Dust-to-Dust Blaster, mit den Worten "Du Snorr, wie kriegt man das Ding aus?" drehte er sich zu mir um...

Mit einem Schuetteln erwachte ich, Schweissstroeme flossen in die Tastatur meines Pappel PackEintosh, wo sie lustige Funkenschlaege verursachten. Erst ein Blick auf meinen Bildschirmschoner, eine Schnellstrasse, worueber einige Froesche vergebens zu ihren Laichplaetzen zu gelangen suchten, beruhigte mich. Dann suchten meine Augen die Ursache des Unwohlseins, und fanden Sammy, der von seinen neuen tollen Plaenen mit dem ZYN!-Magazin zwitscherte, obwohl ich ja die Redaktionsraeume unbedingt im IGT-Turm anmieten musste, wo doch jeder wusste, was fuer Irre dort hausten. Ueberfluessig zu erwaehnen, dass wir, nach der letzten Ausgabe des PM-Magazines, sogar von den Junkies aus der Bahnhofstoilette rausgejagt wurden, und Sammy erstmal in einer psychiatrischen Klinik eingeliefert wurde. Wie war er da eigentlich wieder rausgekommen?

"...jedenfalls kannst Du wenigstens zugeben, dass Pressefreiheit in meinem Sinn in einem Gebaeude zusammen mit Subversive Software ja wohl nicht gegeben ist!"

Pressefreiheit in Sammys Sinn bedeutete die billigende Inkaufnahme geistiger Deformationen bis in den Freitot hinein beim Leser. Als Folge eines seiner letzten Artikel versuchten Hunderte eine zaertliche Beziehung zu ihren Waschmaschinen aufzubauen. Allein aus den Trommeln der Waschvollautomaten eines Duesterburger Betriebes wurden 23 ultrareine fleckenfreie Tote geborgen. Manche einsame Rentnerin dreht sich bis heute bei wolluestigen 30 Grad mit einer Frischekugel in der Trommel, unentdeckt von desinteressierten Nachbarn.

"Auch wenn es jetzt Interessengemeinschaft Technologie heisst, das sind die selben Arschloecher wie frueher, die...
"Sprechen Sie sich ruhig aus, Sammy, Sie sind unter Freunden.", Morchel stand hinter ihm, die Stahlschleuse mit dem allgegenwaertigen IGT-Emblem schloss sich geraeuschlos wieder, Morchel blickte durch die Sonnenbrille ueber Sammy hinweg zu mir, und laechelte. Sammy zuckte. Durch eines der hohen gotischen Fenster konnte ich sehen, wie ein Verkehrsflugzeug in einem grellen Blitz explodierte, und seine Truemmer ueber einen Vorort verteilte.
"Ich kann meinen 486'er nicht an dieses Netzwerk hier anschliessen!", maulte Sammy in einem Versuch irgendeine Form von Kontrolle zu gewinnen. Morchel betrachtete ihn interessiert: "Ach ja?". Dann ging er langsam um Sammys eigens mitgeschleppten PC herum, fuhr zu Sammys Entsetzen mit dem Finger ueber die Anschluesse an der Rueckseite, zuckte mit den Augenbrauen und meinte: "Tatsaechlich!".

Er entnahm seinem schwarzen Mantel einen roten Marker, und malte ein Kreuz auf Sammys PC, dann betrachtete er Sammy, als ob er ueberlegte diesen ebenfalls mit einem roten Kreuz auf der Stirn zu bedenken, steckte bedaechtig den Stift wieder ein, und sagte: "Ich bin sicher, die Hardwareabteilung wird eine endgueltige Loesung zu Ihrer PC-Frage finden."

Sammy schnappte nach Luft, aber Morchel redete weiter: "Eigentlich hatte ich andere Gruende fuer meinen Besuch in Ihrer neuen Redaktion. Ich habe Ihnen Ihren Personal-Spitzel mitgebracht, mit dem Sie sich im ganzen Turm frei bewegen duerfen."

Er drueckte Sammy mit einer kameradschaftlichen Geste des Schulterklopfens eine Art schwarze Scheck-Karte in die feuchtschwitzige Hand.
"Und wenn er voll ist, dann tauschen Sie ihn beim Sicherheitsdienst einfach gegen einen neuen aus."
Sammy schob seinen Personal-Spitzel in die Hosentasche und murmelte ein sarkastisches "DANKE".
"Uebrigens, das Kult-4-Net, durch dessen uebernatuerliche Ueberlegenheit die IG-Techno veraltete Feindbewerber wie die Telefromm aus dem Markt werfen wird, hat seinen Betrieb aufgenommen. Ich war so frei Ihre Apparate daran anschliessen zu lassen, und erwarte einen positiven Test."

Noch einige Zeit nachdem Morchel wieder gegangen war, starrte Sammy das Telephon an, als sei es ein wildes Tier, bereit sich auf alles zu stuerzen und zwischen seinen Fangzaehnen zu zerreissen, was kleiner als ein Grizzly war. In all den endlosen Jahren verlernte ich die Angst, so dass ich lediglich einen Stahlhelm, eine Kevlarweste und eine Schutzbrille aus dem Schreibtisch herauskramte, bevor ich unter Sammys entsetztem "NEEEEIIIINNNNN!!!!!!!" den Hoerer abnahm.

Statt des gewohnt langweiligen Freizeichens erscholl eine Wagneraufnahme (*Siegfried*) in CD-Qualitaet, und H.P.'s siegesgewisse Stimme bedroehnte mich: "SEI HIGH! Die IG-Techno beglueckwuenscht Sie zur Wahl des einzig wahren Kommunikationssystems! KULT-4-NET wird gestuetzt durch einen Ring aus 32 Killersatelliten, nuklear gestuetzten Relaisstationen in jeder groesseren Stadt einschliesslich Moers, sowie durch Offensiv Organisierte Operator Protokoll Software, kurz Ooops genannt, programmiert durch Ihre Subversive Software. Nur KULT-4-NET garantiert die totale Kommunikation!!!"

Sammy hatte inzwischen seinen Schreibtisch umgeschmissen, und sich dahinter verschanzt. In einem ungewohntem Anfall von Sadismus gab ich ihm das Telephon zum Ausprobieren. Natuerlich waehlte der Kerl sofort den Notruf 112, eine sanfte, ja fast zaertliche Frauenstimme hauchte ihm ins erroetende Oehrchen: "Ooops an privilegierten Teilnehmer ZYN!-Redaktion: Der Anschluss 112 ist zur Zeit leider besetzt. Waehlen Sie '1' um zu warten, '2' um das gegnerische Gespraech zu unterbrechen oder '0' um abzubrechen. Danke fuer Ihre Aufmerksamkeit."

Praktisch fuer dauernd besetzte Mailboxen, dachte ich noch, waehrend Sammy hastig auf die '2' haemmerte. Ein trockenes Klacken, danach eine beruhigende maennliche Stimme: "Hoeren Sie, ich habe Ihre Adresse nicht verstanden, Sie muessen ruhiger sprechen!"

"Mein Telephon EXPLODIERT gleich!"
"Ich brauche Ihre Adresse, sonst kann ich keinen Rettungswagen schicken."
"Die werden mich noch UMBRINGEN!!"
"Niemand will Ihnen was tun, Ihre Adresse, Mann!"
"Machen Sie ein ENDE, schmeissen Sie DIE Bombe..."
"Bitte hoeren Sie mir zu, Ihnen geht es dreckig, aber wenn Sie mir sagen wo Sie sind, dann schicke ich einen Wagen, und..."
Vorsichtshalber drueckte ich auf die Gabel, man weiss ja nie. Danach bereitete ich Sammys Lieblingsdrink nach einem Vorschlag aus Uncle Toms Rezeptbuch. Das wichtigste daran ist, den Kram gut zu schuetteln, weil sich Tranquilizer und Valium nur beschraenkt in Vodka loesen. Waehrend Sammy sich noch, mit sich und den neuen Redaktionsraeumen zufrieden, auf seinem Sessel diskret entspannte, klingelte das Telephon.

Ich hob ab.
"Hey Chef, ich glaube der Kerl will tatsaechlich springen!"
"Niemals!"
"Verarschen Sie mich nicht, Chef! Was soll ich machen?"
"Schubsen Sie ihn doch runter."
"Hae... WAS???"
"Schubsen Sie ihn runter."
"Na gut... ... ___ ... ...und jetzt?"
"Hat er geschrien?"
"Und ob!"
"Sehen Sie, der wollte garnicht springen."
Ich legte auf.

Sammys entsetzter Gesichtsausdruck ueber meine Weitergabe professioneller Erkenntnisse aus meiner Zivildienstzeit wich unglaeubigen Entsetzen, als der blonde Barbar aus der Hardware-Abteilung auftauchte. Mit einem zackigen "SEI HIGH!! Ich hoerte, Sie haben Probleme?" gruessend, in der anderen Hand einen schwarzen Stahlkoffer, wurde er von den schwarzen Lederstiefeln an ueber die knallenge, glaenzende schwarze Lederhose an offensichtlich durchtrainierten trittgestaehlten Beinen, bis zu den gekreuzten Patronengurten auf dem nackten oeligen muskuloesen Oberkoerper und den schwarzen nietenbeschlagenen Lederkaeppi auf dem kantigen Schaedel, langsam von Sammy durch die Augen in sein Gehirn uebertragen, zuletzt ein winzig kleines Schnaeuzerchen.

Sammy ein aufforderndes Laecheln durch seine makellosen Zaehne schenkend, liess er seinen stahlharten Blick durch unsere Redaktion wandern, bis sie schliesslich gnadenlos auf dem roten Kreuz an Sammys 486'er haengen blieben.
"Ich sehe", geschickter als ich es seinen gigantischen Pranken zugetraut haette oeffnete er sein Koefferchen, und entnahm ihm ein knallrotes laengliches Objekt, bei dessen Anblick Sammy ehrfurchtsvoll seufzte. Der Barbar hatte dies wohl bemerkt, mit den Worten "Keine Panik, ist nur ein Entsorger" presste er das stumpfe Ende auf das rote Kreuz von Sammys PC, drueckte einen Knopf, worauf sich der Entsorger schmatzend festsaugte. Eine Klappe oeffnete sich automatisch, und er tippte schnell etwas ein, sie schloss sich wieder, der Entsorger fing an zu sirren, und klappte vier Fluegel eines Rotors aus, der sofort mit einem "FLAPP FLAPP FLAPP" zu rotieren begann. Derweil hatte der Barbar eines der Fenster geoeffnet, wodurch der Entsorger mit Sammys 486'er und dem "FLAPP FLAPP FLAPP FLAPP" am Horizont entschwand. Mit einem Tippen an die schwarze Muetze verschwand auch der Barbar, und liess mich mit Sammy und der frischen Luft allein.

Offensichtlich geschockt nahm Sammy wieder den Hoerer ab, vergass aber rechtzeitig eine Nummer zu waehlen, aus dem Telephon erschollen Fanfaren, dazu eine marktschreierische, fast schon hysterische Stimme: "Koennen es sich bewusste Menschen angesichts weltweiter Katastrophen und Elends heutzutage noch leisten, ohne eine Spur der Betroffenheit im Gesicht ueber Deutschlands Strassen zu wandeln? Wir, die KAUF-DIES G.o.b.H. in der IG-Techno Low Chem, sagen dazu NEIN und bieten ihnen ein voellig neues Kosmetikprodukt an: TOTALSCHADEN!!!

   TOTALSCHADEN (tm) solidarisiert SIE mit den Opfern von HEUTE!
   TOTALSCHADEN-INFECT, wer immer mal so aussehen wollte wie Rock Hudson,
                        der ist hier richtig!
   TOTALSCHADEN-SOMALIA, eingefallene Wangen, knochiges Outfit, echt STARK!
   TOTALSCHADEN-NAZI, einfach uebermenschlich...
   TOTALSCHADEN-BALKAN, besser Granatsplitter im Gesicht, als Pickel!
                        Platzwunden und ausgelaufene Augen runden dieses
                        Produkt ab.
Und jetzt NEU: TOTALSCHADEN Deodorant in den Duftnoten Rohoel, Dioxin und Schoenhuber!"

Desillusioniert spielte Sammy an den Tasten herum, eine kernige Maennerstimme wie aus einem weiteren Versuch zur Bewaeltigung des Vietnamtraumas belohnte ihn mit einem: "Mr. President?"
Erfreut endlich mal ernst genommen zu werden, gurgelte er in unglaublicher Anstrengung die traurigen Ueberreste seines Schulenglisches in den unschuldigen Hoerer: "Yes?"

"We are awaiting your decision."
Geistige Mehrarbeit in ungeheurer Form kam auf Sammy zu, doch er bewaeltigte sie mit einem: "Yes?"
"Should we bomb that drug-dealer-bastards to stone-age?"
Funkenschlaege kurzgeschlossener Neuronen rasten durch Sammys Gehirn, seine Kapazitaeten luden sich in einem massiven Versuch des Verstehens auf: "Yes?"
"Therefore we have to bomb that commie-bastard-island straight to Atlantis."
Gigantische Wirbelstuerme von Gedanken wueteten in Sammys Gehirn, Fluten der Erkenntnis liessen ihn in immer neuen tollen Ideen ertrinken: "Yes?"
"Your permission to use nuclear weapons to bomb all that bastards, so they will kiss our suns of freedom?"
Die Komplexitaet Sammys Denkens liess seinen Koerper erschauern, myriaden von Mustern bauten sich in seinem Geist auf, wurden geprueft, teilweise verworfen, immer wieder verbessert in sekundenbruchteilen: "Yes?"
"THANK YOU!", das klang wie ein gluecklicher Mensch. Ich legte fuer Sammy den Hoerer wieder auf die Gabel, denn er war vornueber gekippt, und sanft eingeschlafen.

Ich tippe diesen Bericht zu Hause, denn eigentlich wollte ich "AUA!" im Splatter Channel nicht verpassen. Sie haben schon zwei Faelle ueber den maroden deutschen Rettungsdienst gebracht (eine Frau, die trotz Notrufes mit einem Blinddarmdurchbruch zu Hause liegen gelassen wurde, und ein Selbstmoerder, der von einem Polizisten, angeblich nach einem Rueckruf bei der Dienststelle, aus dem 42. Stock eines Bueroturmes gestossen wurde), als die Sondermeldung ueber die Krise in Mittelamerika kam. Waehrend auf meinem Fernseher Kuba feurig strahlend im Atlantik versinkt, kommt mir der Gedanke, ob ich meinem Spieltrieb besser unterdrueckt, und Sammy dieses rote Kreuz nicht auf sein Hinterteil gemalt haette. Der Luftraum ueber der Stadt ist ziemlich voll. Das Telephon klingelt...

SNORR

Letzte Ă„nderungen: [ am 6. April ]
Anzahl der Lesezugriffe: [ 66 ]