Nieder

mit dem Weihnachtsmann!

von MAGIC CEEE (1992)

Nicht, dass ich was gegen den Brauch des Weihnachtsfestes haette, aber manchmal frage ich mich, ob er mehr Fluch oder Segen fuer die Menschheit ist; genauer: Segen oder Fluch fuer mich. Denn immer, wenn sich ein Jahr dem Ende zuneigt und die Tage kuerzer und kaelter werden, befaellt mich jedesmal eine panische Angst Ich pflege naemlich meine Geschenke erst auf die letzte Minute zu kaufen, was jedoch recht nervenverschleissend ist. Aber es sind ja nicht nur die Geschenke. Auch das ganze Drumherum laesst mich nicht gerade frohen Mutes in die Zukunft blicken. Mit Grausen und Zittern erinnere ich mich noch an das Weihnachtsfest des Jahres 1979. . .

Es ist kurz vor sechs Uhr abends. Ich sitze in meinem Zimmer und schaue aus dem Fenster, an dem sich von Zeit zu Zeit Schneeflocken niederlassen, damit sie schmelzen koennen. Irgendwie ist heute alles anders als sonst, eine seltsame festliche Stimmung liegt in der Luft, die nach Moschus und Lebkuchenherzen duftet. Ich schalte meinen Rechner an und starte den ewigen Kalender. Und mit einem Male ist das Geheimnis gelueftet: es ist heute jener Tag, an dem uns Jesus geboren wurde. Aber die Welt lebt in einem Irrtum. Denn er wurde gar nicht am 24. 12. 0000 geboren. Wann genau weiss ich allerdings auch nicht, ich weiss nur, dass sich vor langer, langer Zeit einmal ein Moench an die Kalenderumrechnung gemacht hat, wobei ihm jedoch einige Fehler unterlaufen sind. Aber dies soll mich an einem Tag wie diesem nicht interessieren.

Die Heizung spendet mollige Waerme, ja, selbst in den Gesichtern der Menschen, die an meinem Fenster vorruebergehen, entdecke ich nie gekannte Zuege der Herzlichkeit, und die Kinder auf der Strasse blicken mit grossen, erwartungsvollen Augen auf ihre Uhren. Ich verlasse mein Kaemmerlein und begebe mich auf den Korridor, wo meine Mutter bei meinem Anblick panikartig mehrere Pakete in der Besenkammer verschwinden laesst. Ich gehe ins Wohnzimmer, in dem es nach Duftkerzen und frischen Tannennadeln riecht. Mein traeger Blick faellt auf den reichlich geschmueckten Tannenbaum, der wegen seiner extremen Naturschraeglage von einem meiner Brueder mit einer Schnur an der Wand befestigt wurde. Er haette wenigstens Lametta ueber die Kordel tun koennen, der alte Barbar. Aber anstatt mit ihm zu schimpfen sage ich ihm ein paar liebe Worte. Es muss tatsaechlich was dran sein, am 'Fest der Liebe'.

Allerdings wird meine Schwaermerei jaeh unterbrochen, die Tuerklingel, die von irgendjemandem ununterbrochen bedient wird, holt mich in die Wirklichkeit zurueck. Wer wagt es, die festliche Stimmung zu stoeren? Natuerlich. Meine liebe Schwester. Und sie kommt nicht allein - im Schlepptau hat sie ihre Kinder, die natuerlich auch schon ihre Geschenke erhalten und sie zwecks Vorfuerung mitgebracht haben. Ich glaube, ich brauche noch etwas Ruhe und verziehe mich wieder auf mein Zimmer. Draussen wird es immer dunkler, und auch der Schnee faellt nun etwas dichter, aber immer noch sanft und leise, so, als wuerde man Puderzucker auf frische Waffeln streuen. Kein Auto ist unterwegs, nur hier und da hasten dick vermummte Maenner ueber die verschneite Strasse, wahrscheinlich auf dem Weg nach Hause, wo ihr Schatz schon auf sie wartet. Es ist wie im Traum, wenn da nicht meine kleine Nichte waere, die ihre neue Trompete unablaessig bedient. Ich habe durchaus nichts dagegen, wenn man in jungen Jahren ein Musikinstrument erlernt, aber muss es denn Trompete sein?Es gibt doch viel huebschere Instrumente fuer dreijaehrige Maedels, wie z. B. Floete oder Kontrabass.

Ich versuche, die Anzahl gefallener Schneeflocken pro Quadratmeter zu bestimmen kann mein Ergebnis jedoch nicht auf TRUE oder FALSE hin ueberpruefen lassen, da meine Mutter zum Essen ruft. Ich begebe mich in das Esszimmer, wo sich der Tisch unter einem opulenten Mahl nur aechzend aufrecht halten kann. Es gibt Ente, Kartoffeln, Gemuese, verschiedene Salate, sowie eine Ohrfeige fuer meine kleine Nichte, die versucht hat, ihren Kakao durch die Trompete zu trinken. Mein Gott, was ist denn da so schlimm dran, wenn das Kind die Gesetze des Unterdrucks erforschen will? Aber ich habe keine Zeit, mir darueber Gedanken zu machen, denn ich muss zusehen, dass auch ich an der Opulenz teilhaben kann, denn unsere Familie ist nicht gerade klein. Mit einem Salto rueckwaerts (geschraubt und zweifach gehoeppt) sichere ich mir ein Stueck Putenkeule, was mir neidvolle Blicke seitens meines Schwagers einbringt. Der soll bloss ruhig sein, der elende Dieb. Wegen ihm bekomme ich keinen Rotkohl, da er die Schuessel genommen hat und sie nicht wieder hergeben wird, ich kenne ihn.

Am anderen Ende des Tisches pruegelt sich meine Grossmutter mit meinem Bruder um die Salatzange. Meine Grossmutter siegt schliesslich, nach Einsatz ihres Stockes, durch Punkte und darf sich als erstes vom Salat nehmen. Draussen auf dem Flur poltert es;mein kleiner Neffe ist mit dem Garderobenstaender zusammen gebrochen und sucht heulend unter dem Mantel meiner Schwaegerin Schutz. Meine Schwester hat sich die allgemeine Ablenkung zu Nutze gemacht und sich einen gewaltigen Berg Kartoffeln auf ihren Teller geschaufelt. Nunja. Schliesslich ist ja Weihnachten, das Fest des Friedens. Noch EIN Ton aus der Trompete, und ich werde wahnsinnig. Meine Mutter geht in die Kueche und kehrt mit einem Servierwagen zurueck, auf dem sich verschiedene Nachspeisen befinden, fuer jeden etwas. Nur nicht fuer meinen Schwager. Er verweigert naemlich jede weitere Nahrungsaufnahme. Das hat er nun davon, dass er den ganzen Rotkohl gefressen hat. Die verbleibende Portion wird aufgeteilt zwischen meinen beiden Schwestern. Allerdings fehlt auch ihnen noch das festliche Bewusstsein, denn keine will die andere teilen lassen und bezichtigt sie des Betruges. Ich mache den Vorschlag, dass die eine teilt und die andere dann waehlen darf. Meine weiteren Worte gehen im Beifallssturm unter. Und auch die Welt geht unter. Zumindest beinahe, denn meine kleine Nichte hat infolge ihres Forscherdranges den Tisch umgerissen, an dem sie sich festhalten wollte, um nicht mit dem aus dem Gleichgewicht gebrachten Stuhl umzufallen. Schade. Haette zu gerne erfahren, ob mein Vorschlag wirklich so gut war.

Ich schleiche aus dem Zimmer und versuche, im allgemeinen Chaos die Trompete unschaedlich zu machen. Leider wird diese Absicht durch die fragenden Blicke meiner kleinen Nichte im Keim erstickt. Ich vertusche meine Verlegenheit und setze mir die Trompete auf den Kopf und murmele etwas von ". . . da hast Du aber einen komischen Hut. . . " Meine Nichte blickt mich veraechtlich an, nimmt das Mordinstrument wieder an sich und tritt mich. Also, wenn heute nicht Weihnachten waere. . .

Aber es ist nun einmal so, und meine Mutter laeutet des Dramas letzten Akt ein. Es geht nun naemlich an die Bescherung. Ich gehe in mein Zimmer, um meinen Sack mit den Geschenken zu holen und ertappe meinen Bruder beim spionieren. Also, das ist doch nicht zu fassen. Ein erwachsener Mann und dann sowas!Ich verjage ihn, frage ihn jedoch noch, was ich denn von ihm bekommen werde. Seine Antwort faellt leider zu barsch aus, als dass man sie hier wiedergeben koennte. Ich schnappe mir meinen Geschenksack und gehe ins Wohnzimmer, wo die Schenkerei schon voll in Gange ist. Naemlich die Einschenkerei. Mein Schwager, der alte Wegelagerer, hat naemlich den Vorschlag gemacht, zuvor ein kleines Glaeschen zu trinken, damit die Festlichkeit noch gesteigert wird.

Anscheinend beherrscht er die Kunst der Rede perfekt, denn alle halten Glaeser in der Hand, sogar mein aelterer Bruder, der sonst nicht zu trinken pflegt. Mit einem 'Frohe Weihnachten!' werden die Glaeser nicht nur angesetzt, sondern auch geleert. Somit ist der gemuetliche Teil des Abends eroeffnet und es werden die Geschenke ausgetauscht. Nur mein Schwager tanzt mal wieder aus der Reihe. Er legt die erhaltenen Geschenke direkt zur Seite, damit er die Haende frei zum Eingiessen hat. Mittlerweile ist es ihm egal, ob er alleine trinkt, als ich ihm mein Geschenk bringe, lallt er irgendwas von ". . . Hauptsache, es trinkt ueberhaupt einer!. . . ". Einfach schockierend. Wie kann man sich an einem solchen Tage nur so gehen lassen? Ich ergreife die Flasche und spuele meinen Aerger mit ein paar kraeftigen Schlucken hinab.

Meine Oma versucht das Geheimnis eines Elektrofoehns zu lueften und schliesst das Geraet an die Steckdose an. Es funktioniert tadellos, worauf sie anfaengt, sich zu frisieren. Ich hingegen probiere meinen neuen Rasierer aus und ruecke damit den Kakteen auf der Fensterbank zu Leibe, da ich mich bereits am Morgen von meiner Bartpracht befreit habe. Als ich zurueckkehre, sehe ich, wie sich meine kleine Nichte ueber meinen Teller mit Suessigkeiten hermacht. Ich stehle ihre Trompete und setze sie auf die Tannenbaumspitze, was zwar recht huebsch aussieht, jedoch ein Heulsolo meiner Nichte zur Folge hat, worauf ich den Baum wieder seiner neu gewonnen Pracht beraube.

Mein Schwager torkelt durch das Zimmer und versucht, meine Grossmutter zum Saufen zu verleiten. Sie wehrt sich energisch, indem sie ihn den Foehn in den Mund steckt, worauf mein Schwager fluchend das Weite sucht. Allerdings wusste ich nicht, dass das Weite so nah liegt, denn er kommt nur bis zum Tannenbaum und haelt dort inne, wahrscheinlich aufgrund ernster Koordinationsschwierigkeiten. Ich wende mich vom Elend ab und meinem Bruder zu, der mir nun doch sein Geschenk ueberreicht. Ein Rasierapparat. Super, der andere ging naemlich bei der dritten Kaktee kaputt. Ich drehe mich um und will auf die Fensterbank zugehen, hechte jedoch hinter den Sessel, da mein Schwager mir mitsamt Tannenbaum entgegengefallen kommt. Im Sturz reisst er noch die Stehlampe um, wodurch das Wohnzimmer in komplettes Dunkel getaucht wird.

Ganz dunkel? Nein, in der Ecke flimmert noch ein kleines Licht, das allerdings erstaunlich schnell groesser und heller wird. Wieso musste meine Mutter auch echte Kerzen fuer den Tannenbaum nehmen? Es ist aber nicht der Tannenbaum, der da leuchtet, sondern die Gardine. Bei genauerem Hinsehen entdecke ich, dass sie brennt. Ich reisse sie von der Gardinenstange und werfe sie auf den Balkon. Das ist ja gerade nochmal gut gegangen. Mein Bruder hat inzwischen die grosse Lampe an der Decke eingeschaltet, so dass ich meinem Schwager bei seinen Versuchen, sich des Tannenbaums zu entledigen, zusehen kann. Er faselt irgendwas, ich glaube ". . . na, na, nicht so stuermisch, junge Frau. . . " und waelzt sich am Boden, jedoch gelingt es ihm, die Flasche, die er noch immer krampfhaft festhaelt, so zu halten, dass nichts verschuettet wird. Aber wie will man aus einer leeren Flasche was ausschuetten?

Meine kleine Nichte hat sich mit ihrer Trompete auf dem Lokus eingeschlossen und spielt Haendels Kleine Wassermusik. Komisch, ich hatte das Stueck anders in Erinnerung, vollkommen ohne avantgardistische Elemente. . . naja, den jungen Musikern von heute ist ja nichts mehr heilig. Es geht langsam gegen elf Uhr, meine Grossmutter hat sich inzwischen schon die letzten Reste ihrer Haarpracht weggefoehnt, was ich auf eine uebertrieben gute Heizspirale zurueckfuehre. Meine Nichte ist auch ruhig, sie ist entweder eingeschlafen oder am Mundstueck der Trompete erstickt. Langsam loest sich unsere gemuetliche Runde auf, nur mein Schwager, der alte Schnorrer, tanzt noch immer Blues mit dem Tannenbaum. Aber das interessiert mich nicht. In Gedanken bin ich schon wieder ganz woanders. . . naemlich bei meiner anderen Schwester, bei der ja morgen Bescherung ist. . .

(Magic Ceee)

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