Heckenschützen

von I.WAHN

Die wissenschaftliche Erkenntniss, daß der Konsum von Haschisch zu einer Verbesserung der Nachtsichtigkeit um 30% führt, war eine Tatsache, die den Planungstäben der Bundeswehr schon längere Zeit die Denkfalten in die Stirn trieb. Schließlich wurde ein geeignetes Anwendungsgebiet gefunden, Mittel aus dem Bundeshaushalt bewilligt und es kam zur Bildung einer streng geheimen Spezialeinheit: Den Heckenschützen.

Bei dieser Einheit handelte es sich um speziell in Guerilla-Taktiken ausgebildete Männer, deren Einsatzgebiet im Hinterland des Feindes liegen sollte. Da Haschisch aber neben der verbesserten Nachtsichtigkeit zu einer eher pazifistischen Haltung führte, ergab sich die Notwendigkeit, diese unerwünschte Nebenwirkung durch ein anderes Mittel aufzuheben. Durch unzählige Experimente wurde schließlich festgestellt, daß ganz einfacher Alkohol die gewünschte Steigerung der Aggressivität mit sich brachte.

So wurde die Spezialeinheit schließlich in der Rommel-Kaserne bei Köln stationiert und wäre auch sicherlich bis zum nächsten Krisenfall von der Bevölkerung völlig unmbemerkt geblieben, wenn es nicht diese Verkettung von unglücklichen Ereignissen gegeben hätte, die zu dem führten, was heute im allgemeinen Sprachgebrauch nur noch als der "Fall Hasch" bekannt ist...

In der Nacht zum 7. Juli 1996 sollte Unteroffizier Planke eine Stube mit frisch rekrutierten Rekruten wecken, die für einen Orientierungsmarsch ausgewählt worden waren, d.h. sie wurden mit voller Ausrüstung irgendwo in der Pampa ausgesetzt und mußten dann gefälligst alleine zurück finden.

Wie es das Schicksal so wollte, hatte Planke am vorhergehenden Abend ausgiebig die aggressionsfördernde Wirkung des Alkohols getestet und taumelte deshalb mit einem Restalkoholpegel um 4 Promille durch die Gänge der Rommel Kaserne. Da es eigentlich ziemlich unerheblich war, welche Stube er nun weckte, wählte er einfach einen Raum aus, riß die die Tür auf und schrie:

Hätte sich Unteroffizier Planke nicht in dieser Sekunde übergeben müßen dann wäre ihm vielleicht das verklärte Lächeln der Soldaten aufgefallen. Eventuell hätte er sogar bemerkt, daß diese Soldaten, was nun doch eher ungewöhnlich war, aus einem speziellen Stahlschrank Präzisionsgewehre entnahmen und sich Handgranaten, Unmengen von Munition mit dem Aufdruck "NATO banned" sowie einige andere Dinge in ihre Taschen stopften...

Hätte er nichts getrunken, wäre ihm wahrscheinlich aufgefallen, daß er sich in einem völlig falschen Flügel der Rommel-Kaserne befand, aber so war er einfach nur froh, in sein Bett kriechen zu können und den Kopf noch für einige Stunden in einen Eimer zu stecken. Mit den Worten "U... U.... Und wischt die Sauerei da weg!" verschwand er aus dem Zimmer.

Der Kraftfahrer Bradtke, der den geschlossenen Kastenwagen lenkte, mit dem die Rekruten zum Ausgangspunkt ihres Orientierungsmarsches gefahren werden sollten, sagte später vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages aus, daß er sich zwar über die Gewehre gewundert hätte, aber da die Soldaten sofort in den Wagen gestiegen seien keine weiteren Fragen stellte. Nach wenigen Minuten erschien auch Feldwebel Stürmer, der den Rekruten die Instruktionen für den Orientierungsmarsch geben sollte, stieg auf den Beifahrersitz des Kastenwagens und befahl abzufahren, ohne einen Blick in den Laderaum zu werfen.

Durch einen Zufall führte der Weg des Bundeswehr-Kastenwagens über die Ringe, einem Zentrum des Kölner Nachtlebens, welches um diese Uhrzeit aufgrund des vierspurigen Ausbaus, und der vielen Disco-Girlies auf den Fußwegen, die bevorzugte Stelle zur Austragung von Rennen des GTI-Clubs "Gib Gummi" Ehrenfeld (gegr. 1989) e.V. war. Der Automonteur Uwe Schmitz, 23, und Klaus Klawotzke, 19, Darmentlehrer im Schlachthof, schossen gerade mit 180 km/h durch die Kölner Innenstadt, als der in Tarnfarben gestrichene Kastenwagen um die Ecke auf die Ringe einbog.

Weder Klaus Klawotzke, der im Handschuhfach nach dem Rinderdickdarm wühlte, den er im Moment seines Sieges seinem Konkurrenten auf die Windschutzscheibe schleudern wollte, noch Uwe Schmitz, der ein paar Discoschlampen läßig zuwinkte während er mit der anderen Hand durch seinen Schnäuzer strich, bemerkten den Wagen bis zu der Sekunde, in der sie sich in ihn hinein bohrten.

Klaus Klawotzke wurde mit dem Kopf im Handschuhfach aufgefunden, wo er offensichtlich in einem Rinderdickdarm erstickt war. Der Oberkörper von Uwe Schmitz wurde auf Feldwebel Stürmer liegend gefunden. Sein Arm hatte einer der Discoschlampen die Frisur zerstört, woraufhin diese einen hysterischen Anfall bekam und begann ihre Umgebung mit Tränengas einzunebeln. Uwes Kopf blieb zunächst verschwunden.

In dem vorherrschenden Chaos bemerkte niemand, wie aus der aufgesprungenen Ladeluke des auf der Seite liegenden Kastenwagens zwei Rauchgranaten geschleudert wurden, deren dichter Qualm sich mit den über die Straße ziehenden Tränengasschwaden vermischte, und in dessen Schutz drei albern kichernde Gestalten die Überreste des Kastenwagens verließen, um in verschiedene Richtungen davonzuschleichen...

... Am Unfallort zumindest bemerkte es niemand. Aus den Berichten der wenigen überlebenden Augenzeugen, war der erste, der das Verschwinden der drei Gestalten bemerkte, der Versicherungsvertreter Hermann Kaiser. Die Erkenntnis, daß hier etwas nicht stimmen konnte, ereilte ihn wenige Sekunden, nachdem er einen Sex-Shop verlassen, und sein Kopf sich wie eine aus dem 10. Stock geworfene Wassermelone über Straße und Schaufensterscheiben verteilte. Seine Hand klammerte sich immer noch um die braune Papiertüte, in der ein kleiner mit Dornen besetzter Analvibrator vor sich hinbrummte, der sich beim Aufprall auf den Boden eingeschaltet hatte.

Schütze Koslowski grinste debil in sich hinein, nahm einen weiteren Zug von seinem Joint, und spülte mit einem kräftigen Schluck aus seinem Flachmann nach. Endlich war er im Einsatz, endlich hatte die jahrelange Kifferei und Sauferei einen Sinn bekommen - jetzt würde er es ihnen allen zeigen, dachte er, während er vom Dach des Kaufhauses das er als Standort gewählt hatte, Ziel nahm und dafür Sorge trug, daß ein Zeitungsverkäufer Teil der Schlagzeile des nächsten Tages wurde.

Unterdessen mußte eine Gruppe Yuppies feststellen, daß Handys tatsächlich gesellschaftlich nicht aktzepiert sind. Im Biergarten des nahen Stadtgartens entdeckte Jungbanker Michel Siebmann den Grund, warum man in Biergärten das Funktelefon abstellen sollte. Kaum hatte er nach dem fünften Klingeln - solange wartete er immer, damit auch jeder im Umkreis mitbekam, daß er ein Handy hatte - mit einem gewinnenden Lächeln zu den kichernden Gymnasiastinnen am Nebentisch sein Telefon aus der Tasche gezogen und sich mit "Siebmann, Vermögens- und Finanzberatung" gemeldet, als plötzlich sein Telefon, sein alkoholfreies Bier und er selbst von Stahlmantelgeschossen getroffen wurden.

Schütze Glöber war da, wo er immer hingewollt hatte: Gut verschanzt in einer Baumkrone, mit genügend Zielen und genügend Munition. Von seiner ursprünglichen Taktik, seine Ziele mit Einzelschüssen zu erledigen wich er sehr schnell ab, stellte sein Gewehr auf Dauerfeuer, und schwengte es einfach hin und her, während er dabei immer "BUMM! BUMM! BUMM!" rief.

Etwa zum gleichen Zeitpunkt brachte Schütze Vollmann den Priester einer etwa zwei Kilometer entfernten Kirche während der Spätmesse dem Herrn ein bedeutendes Stück näher. Er hatte die Tür gründlich verschlossen, bevor er sich auf die Kanzel schlich und mit den Worten "Wo sind die Weihrauchstäbchen!" anfing Handgranaten in die Menge zu werfen. (Übrigens ist das werfen von Handgranaten in Kirchen eine Eigenschaft, die bei Soldaten in den Genen verankert ist. Sobald ein Soldat eine Kirche sieht, empfindet er das unbändige Bedürfnis, ein Bündel Handgranaten hineinzuwerfen.)

Polizeiobermeister Walter und Hauptwachmeister Stenzel wurden durch die Explosionen in der Kirche aufmerksam, als Sie auf der Rückseite des Gebäudes gerade einen Obdachlosen zusammentraten. Die Magazine ihrer Dienstwaffen leerend, stürmten Sie durch den Hintereingang in die Kirche, wo Sie auch schon durch zwei Fangschüsse gestoppt wurden. Die Gerichtsmediziner stellten fest, daß es ihnen dennoch in der kurzen Zeit ihrer Anwesenheit in der Kirche gelungen war, 17 Meßdiener mehr oder minder schwer mit ihren Kugeln zu verletzen.

Die weiteren Vorgänge in der Kölner Innenstadt lassen sich nur sehr schwer und lückenhaft rekonstruieren. Nach knapp einer Stunde war die Polizei zu der Erkenntnis gekommen, daß etwa ein halbes dutzend wahnsinniger Amokläufer in der Innenstadt unterwegs sein mußte und sperrte den Bereich weiträumig ab.

Im Laufe der Nacht gelang es schließlich, den Schützen Koslowski (43 Opfer) zu stoppen - allerdings nur durch die gezielte Sprengung des Gebäudekomplexes, in dem er vermutet wurde.

Schütze Vollmann (57 Opfer) wurde vom Küster der St. Maria Gnaden auf dem Altar gefunden, wo er zwischen leeren Meßweinbechern und den Resten mehrerer Joints mit zwei Räucherstäbchen in den Nasenlöchern lag und leise "Blib! Blib!" murmelte.

Schütze Glöber (195 Opfer) schließlich konnte erst nach 4 Tagen gefaßt werden, nachdem der komplette Stadtgarten mit Hilfe von Agent Orange entlaubt worden war. Wie sich herausstellte, hatte er das Hanfanbauprojekt einer alternativen Wohngemeinschaft in einem nahen Schrebergarten entdeckt, und wäre somit in der Lage gewesen, noch weitere vier Wochen zu operieren. Um seinen Hals trug er einen nicht identifizierten frisch präparierten Schrumpfkopf.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums meinte in einer ersten Stellungnahme: "Es ist eine bodenlose Unverschämtheit zu behaupten in der Bundeswehr gäbe es so etwas wie Heckenschützen. Am Ende wollen Sie der Bundeswehr noch so etwas wie Tötungsabsicht bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstellen! Aber?! Aber?!! Was aber??! Erich, Bruno, packt ihn!"

(I.WAHN)

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