GUY`O`GUY

oder: Ein ganz normaler Fernsehabend

von VAN

Also eins muss ich ja zugeben: Diese durchgemachten Naechte ziehen doch immer maechtig rein. Sicher, es hat einen gewissen Reiz, wenn man von acht Uhr abends bis sechs Uhr am naechsten Morgen die Computer-Version des Gesellschaftsspiels Risiko spielt. Es ist natuerlich, dass einige Mitspieler waehrend dieser Zeitspanne wegen gewissen physischen Mangel-Zustaenden auf der Strecke bleiben. Es ist auch nicht verwunderlich, dass sich gegen sechs Uhr morgens nur noch die Haertesten der IG Techno mit unverminderter Heftigkeit bekriegen. Desweiteren gehoert es sich auch, dass man sein Fruehstueck am naechsten Tag um sieben Uhr abends zu sich nimmt, wobei es wegen der angeschlagenen physischen Kondition und beeintraechtigter visueller Wahrnehmung durchaus vorkommt, dass Teile der lebensnotwendigen Fast-Food-Nahrung nicht auf Anhieb oral aufgenommen werden, sondern eigenwillig versuchen, der Vernichtung durch das bereits vorgeschaedigte Verdauungssystem zu entgehen. Eventuelle Stoerungen durch Telefonklingeln werden mit biblischen Zitaten (Joh 2,4) schnell abgewuergt: "Weib, was willst du von mir?" Waehrend man noch darueber nachdenkt, warum das ganze Zimmer nach Allohol stinkt, haben sich die Finger bereits autonom zur Fernseh-Fernbedienung vorgetastet und den haertesten aller Sender eingeschaltet: Rundschlag-Television. Schliesslich muss man den noch jungen Tag laessig beenden...

Werbung, was sonst. Aus der Vogelperspektive blickt man auf einen Wald. Man fliegt ueber Wald. Man fliegt weiter ueber Wald. Endloser, gruener Wald. So langweilig, dass man schon bewusst die einlullende Hintergrundmusik wahrnimmt. Und noch immer Wald. Man fliegt immer noch ueber gruenen, gesunden Wald. Kein Hubschraubergeraeusch, kein sonstiges Geraeusch, nur leise Musik. Und Wald. Ploetzlich - waehrend man weiter ueber den gruenen, gesunden Wald fliegt - stoppt die Musik und eine Stimme sagt: "Aus diesem Holz werden MehlBritta-Filtertueten gemacht." Wir verschmerzen diesen Tiefschlag wider jegliche Aesthetik und bereiten uns mental auf den naechsten Schlag vor.

Ein deutlich ergrauter Moderator mit hartem Akzent kuendigt eine neue Show an: "Wirr haben eine neue Show fuerr Sie. Machen Sie mit, denn bei uns geht die Pest ab. Wirr haben schoene Maedchen luesternes Grinsen und auch sonst viele nette Ueberrraschungen. Schalten sie ein, wenn es heisst: Die Pest geht ab!" Das Bild ist ploetzlich weg, doch der Ton ist noch da: "Wie waerrr es denn mit uns beiden? tuut..tuut..grapsch" - weibliche Stimme: "Du Schwein!" KLATSCH!

Eine aeusserst attraktive Dame wird sichtbar und kuendigt die Sendungen des Abends an: "Guten Abend. Ich moechte ihnen nun Ausschnitte der Sendungen zeigen, die sie heute Abend bei uns sehen koennen."

Als erstes erscheint eine riesige Sporthalle mit Hunderten von Zuschauern, in der Mitte ein Ring, wie man ihn vom Boxen kennt. Die Kamera zoomt darauf zu. Man erkennt einen dicken Fleischkloss, der auf einem kleinen schwarzgekleideten Typ rumhuepft, waehrend das Publikum ihn mit Pfiffen eindeckt. Der kleine Schwarze schafft es, sich etwas zur Seite zu rollen, was zur Folge hat, dass der Dicke voll auf die Fresse knallt. Frenetischer Jubel des Publikums. Der Kleine geniesst den Jubel. Er geniesst ihn zu lange. Der Dicke ist wieder aufgestanden und hat sich den Kleinen unbemerkt von hinten gegriffen. Er schleudert ihn in eine Ecke gegen den Pfosten. Der Kleine kann nicht ganz abfangen und ist etwas benommen, waehrend der Dicke bereits wie ein Stier mit dem Kopf voran auf ihn losstuermt. Im letzten Moment kann sich der Kleine etwas zur Seite drehen. Fleischkloss rammt mit seinem Schaedel mit voller Wucht gegen den Pfosten. Der Pfosten bricht, doch ergibt eine von Smartball-Sanitoetern schnell durchgefuehrte IQ-Kontrolle keinen Verlust von IQ-Punkten - zumindest konnte das Messgeraet nichts anzeigen, da es am linken Anschlag stand. Da er solche Schlaege gewohnt ist, ist der Dicke schon wieder bei Bewusstsein. Doch ehe er eine neue Attacke starten kann, ist der Kleine schon da und sprueht ihm mit den Worten "Nimm dies! Marke Gabriela!" ein Parfuem ins Gesicht. Der Dicke bricht endgueltig zusammen. Doch statt Jubel geht im Publikum wie auf Kommando zwischen den Schwarz-Fans und den wenigen Fans des Dickens eine Schlaegerei los. Man hoert noch vereinzelte Rufe "Nimm dies!" waehrend das Bild ausgeblendet wird.

Die attraktive Dame erscheint wieder und sagt: "Danach sehen sie unsere beliebte Show 'Nightmare Wedding' mit Linda das Maul. Hierbei geht es darum, dass die Kandidaten die Aufgabe haben, mit allen Mitteln eine Hochzeit mit einem nicht zu ihnen passenden Partner zu verhindern, z.B. verbale Schlammschlachten zwischen einem Popeldore-User und einer Tatari-Userin, ueble Hetzreden ueber Computer-Frauen allgemein, etc. Anschliessend sehen sie eine neue Folge von Dr. Westphallus, der diesmal in arge Bedraengnis geraet, da er oeffentlich preisgegeben hat, dass er selber einst Alice Schwatzer umoperiert hat. Dann wird sie Margarete Marktschreiers in ihrer Show darueber aufklaeren, wie sie es geschafft hat, zu so einer guten Journalistin und Moderatorin zu werden, wie sie es jetzt ist. Sie wird ihnen Schritt fuer Schritt erklaeren, wie auch sie die steile Treppe des Rundschlag-Erfolgs hinaufklimmen, indem sie ihr journalistisches Training mit Spielen wie Stadt-Land-Fluss oder Letra-Set beginnen. Doch nun sehen sie unsere beliebte, lebensrettende Serie 'Ruf 112' !"

Das Logo der Sendung erscheint auf dem Bildschirm. Ueberdimensional, als wolle es die Bildroehre sprengen. Dazu ein wahrhaft apokalyptischer Sound, finale Musik, die endgueltige Kompostion in der Tradition Wagners, Bruckners und elMeuros. Knallharrte, MXR-verzerrte, ueber Riesen-Exef-Amps droehnende selbstgebaute Gitarren bereiten den potentiellen (d.h. noch zuschauenden) Fernseh-Konsumenten meditativ darauf vor, dass jetzt die haerteste aller Rundschlag-Sendungen mit dem groessten Blut-pro-Minute-Quotienten folgt. Hinter dem pangalaktischen Logo erkennt man schemenhaft wie Mitglieder des MAO (nichts Chinesisches), dem Malteser-Aquavit-Orden, vergeblich versuchen, eine kleine Katze mit Liebeskummer von ihrem todbringenden Sturz von einer nur 3 Jahre alten Tanne abzubringen. Das Logo verschwindet und ein schleimiger Moderator mit einem 5-Zoll-Grinsen (nicht ganz 5.25 Zoll) begruesst die Zuschauer mit einem Sekt-Cocktail Marke 'Blut-Royal'. Eiskalt zieht er ihn sich rein, fuer einen kurzen Moment werden lange Eckzaehne sichtbar, dann toent er mit Grabesstimme:

"Guten Abend, liebe Rundschlag-TeLevisions- und 112-Suechtige. Nachdem unsere Sendung einen gigantischen Erfolg hatte, moechten wir ihnen auch zeigen, dass sie einen recht hohen praktischen Nutzen hat. Zu diesem Zweck haben wir als Gaeste die Familie Titschie eingeladen Kamera schwenkt. Zu sehen ist eine dickliche, resolut wirkende Frau, ein duemmlich schauender, hagerer Typ mit Foen-Explosion-Frisur und ein kleines, ebenfalls resolut wirkendes Maedchen. Guten Abend! Moderator wendet sich der Frau zu, der anscheinend wichtigsten Person dieser Familie Ihre Tochter wird uns jetzt zeigen, was sie durch Sehen unserer famosen Serie bis jetzt praktisch erlernt hat."

Frau T.: "Nun ja, eigentlich ist sie ja nur unser Adoptivkind, weil mein Mann... Aber sie ist sehr gescheit, sie hat praktisch schon viel gelernt, ganz der Vater ???! packt ein Nudelholz aus, zieht es ihrem Macker ueber den Schaedel. T. faellt bewusstlos hin Cecilie, nun zeig uns mal den Rettungsgriff!"

Cecilie geht zu ihrem 'Papa', hebt seinen Kopf an und umfasst mit beiden Armen mit sicherem Griff seinen Hals. T. faengt an zu Roecheln, sein Gesicht laeuft blau an und zeigt viele seltsame Puenktchen. Cecilie laesst sich davon nicht beeindrucken und schleift den mittlerweile zuckenden T. hinter die Kulissen. Die Kamera schwenkt zu sehr nach, man sieht einen Student waehrend seiner anspruchsvollen Nebentaetigkeit bei RTL: Er haelt ein grosses Schild mit dem Aufdruck "APPLAUS!" in Richtung Zuschauer und huepft staendig wie Haenschen Rosenthal in die Luft. Die Bildregie beendet diese peinliche Darstellung indem sie auf eine andere Kamera umschaltet. Diese zeigt den Moderator jedoch in Grossaufnahme. Leise hoert man Brechgeraeusche aus dem Regieraum. Der Moderator setzt sein blutruenstiges Grinsen auf und sagt: "Als naechsten Gast haben wir Dr.Dr.Hansen. Guten Abend!"

Hansi betritt das Studio in fachmaennisches Weiss gekleidet, jedoch ohne die Smartball-ueblichen blutroten Flecken, und erzaehlt einen vom Pferd: "Liebe Zuschauer! Ich war lange Zeit Notarscht und habe vor Ort die Probleme erfahren, die in dieser Sendung zur Sprache kommen bei dem Wort Notarscht bekommt er ein leicht ueberhebliches Grinsen. ICH klopft sich auf die Brust haette viele Leben retten koennen, wenn viele Ersthelfer an der Unfallstelle fachmaennisch geholfen haetten, wie es die kleine Cecilie dank RTL eben gezeigt hat. Diese Sendung klaert auf, sie rettet Leben!" Der Moderator probt einen pseudo-bescheidenen Augenaufschlag und meint: "Danke, danke! Im Namen des gesamten 112-Teams. Wir koennen diese Behauptung nur bestaetigen. Als naechstes haben wir wieder Gaeste im Studio, die dank unserer Sendung jetzt auch in der Lage sind, fachmaennisch Erste Hilfe zu leisten. Wir begruessen drei Mitglieder des Bergheimer Manta-Clubs 'Fuchsschwanz im Wind' !"

Aus dem Publikum erschallt lautes, proletenhaftes Groelen. Anscheinend haben sich auch die restlichen Club-Mitglieder hineingeschlichen. Drei Typen mit Jogginghose und Cowboy-Stiefel erscheinen, was noch lauteres Groelen zur Folge hat. Irgendwo huepft jetzt ein armer Student mit einem 'RUHE!'-Schild herum. Der Moderator, der jetzt wegen des Groelens unter Zeitdruck steht und ueber Ohrhoerer von der Regie schon einen Anschiss kassiert hat, meint nur knapp: "Diese Herren zeigen uns jetzt, wie man eine Stabile Seitenlage macht."

Manni mit den groessten Mantaletten befiehlt: "Manni 2, hol mal das Opfer!" Manni 2 verschwindet kurz hinter der Buehne und erscheint wieder mit dem fast leblosen T., den er am Fuss hinter sich herzieht. Manni 1, offensichtlich der erste Mann der Clubhierarchie wegen seiner Mantaletten (der Rest hat wohl kein Geld mehr), befiehlt: "Manni 2, du haeltst das Opfer fest, wie wir es geuebt haben. Manni 3, wir holen beide unsere MANTAS und machen auch weiter wie geuebt!"

Manni 1 und Manni 3 verschwinden auch. Ploetzlich hoert man dumpfes Motorgrollen aus illegal grossen Auspufftoepfen. Zwei superbreite Opel Manta B fahren vor. Manni 1 gibt ein Zeichen und Manni 2 haelt den wehrlosen T. an einem Arm so fest, dass er auf einer Seite zu liegen kommt. Die beiden Mantas geben Gas. Man sieht eine Rauchwolke, bestehend aus Abgasen und verbranntem Gummi. Ohrenbetaeubendes Quietschen. Der Rauch verzieht sich und laesst die beiden Mantas erkennen. Diese stehen auf gleicher Hoehe, exakt parallel in einem Abstand von 20 bis 30cm. In ihrer Mitte liegt - eingekeilt von der turbogeilen Plastik-Verbeiterung der arme T. in einer Art 'Stabilen Seitenlage'. Eine Meisterleistung, die selbst der ebenfalls aus dem Kreis Bergheim stammende Rennfahrer Michael Schumacher nicht besser gekonnt haette. Zwei neue foerderungswuerdige Talente, die sofort angemessen gefeiert werden. Lautes Geschrei, Rasseln von Mantaschluesseln, Fuchsschwaenze fliegen auf die Buehne, Kronkorken knallen und Bier spritzt durch das Studio. Die Kameras scheinen defekt, zeigen nur noch schemenhafte Bilder, man hoert Hunderte von Mantaletten auf der Studiobuehne klappern, Schlachtrufe wie "Manta, Bier und Weiber - sind uns're liebsten Zeitvertreiber", das Wimmern eines wehrlosen Opfers, das Droehnen von Kenwood-Anlaachen und ganz leise einen Moderator, der sich kaum gegen den Laerm durchsetzen kann: "Nun sehen sie unseren Filmbeitrag aus der Praxis..."

(Jetzt geht's richtig los!)

Schnell blendet die Regie aus und zeigt den Film.
Der Hubschrauber mit der Kamera an Bord wirft in der tiefstehenden Fruehlingssonne einen gespenstischen ueberdimensionalen Schatten. Fast scheint es, als wuerde er hoehnisch grinsen, so als ob er die wahre Macht ueber die nun folgenden Ereignisse haette und die Menschen, egal ob Notarsch oder tapfere Smartballs, nur kleine Raedchen in einem riesigen Uhrwerk waeren, die sich weiterdrehen, weil sie nicht anders koennen. Auch das Rotationsgeraeusch scheint die totale Macht ueber die akustische Seite der multimedialen Wahrnehmung zu haben. Doch bevor sich der Eindruck verstaerken kann, um eventuell sogar nachtmar-aehnliche Halluziationen hervorzurufen, zeigt sich in dem Schatten das Teilstueck einer Autobahn mit einem schweren Massen-Unfall. Der Pilot, dessen Coolness in Harmonie mit seiner vollverspiegelten Sonnenbrille und der schwarzen Uniform mit silbernem IG-Techno-Emblem steht, zeigt, dass seine Ausbildung bei der Black Riders School, einer Fahr- und Pilotenschule, die dem IGT-Konzern angeschlossen ist, die beste ist, die man sich fuer viele Credits kaufen kann. In einem fast vertikalen Sturzflug schiesst er auf eine Wiese neben der Autobahn zu.

Einen kurzen Moment sieht man nichts, da der Kameramann gerade seine Zaehne in die Polster des Copilotensitzes geschlagen hat und sich an anderen Stellen seines Schaedels eine rote und eine graue Fluessigkeit ihren Weg in die Freiheit bahnen. Schon hat der Pilot die Kamera ergriffen und zeigt jetzt in Grossaufnahme dieses Stueck totes Fleisch. Man hoert seinen Kommentar: "You don't have to fasten your seat belts - anymore!" Dann geht er zielstrebig auf den Ort des groesseren Blutvergiessens zu . Ein Ort des Grauens. Selbst als Zuschauer scheint man den Geruch von verbranntem Gummi, Benzin, diversen Koerperfluessigkeiten und Mastdarmentleerungen bereits verreckter potentieller Opfer foermlich wahrnehmen zu koennen. Die Luft ist durchsetzt mit einem Dunst von brennenden Koerpern, brennenden Wagen und austretenden Gasen von Gefahrgut-Transportern. Diese apokalyptische Szenerie ist gepraegt durch Schmerzensschreie von Menschen, die ihr noch kurz waehrendes Leben eingeklemmt zwischen scharfem Blech und Glas verbringen oder die fuer einen kurzen Moment den Erfolg der Gebrueder Wright nachvollzogen haben, ohne jedoch eine vergleichbare angenehme Landung gehabt zu haben. Motoren heulen, Hupen haben Dauerbetrieb und aus einem Wagen, der den Platz unter einem vorhergefahrenen LKW ausfuellen wollte, da er tiefergelegt und verspoilert auch sehr gut darunter passt, dringt Musik aus der Kenwood-Anlaache. Dumpfe Orgelmusik droehnt und eine Marionette singt einen Reim aus dem Liber Umbrarum:

 "If there's no place to run, no place to hide,
  I show you the color of suicide.
  If there's no place to run, no place to hide,
  I show you the color of suicide."
Man hoert den Piloten: "Yeah! Vietnam, I'm back again!" Zielstrebig geht er auf den komprimierten Wagen zu. Der Fahrer hatte seinen selbsteingebauten Schrotth-Gurt wohl nicht richtig befestigt und befand sich nun teilweise auf der Motorhaube. Der Pilot geht auf den in seiner Ganzheit beeintraechtigten Mann zu und zeigt eine Grossaufnahme. Der Hals liegt aufgespiesst in Ueberresten der Frontscheibe, ein Glassplitter hat eine ungewollte frontoplare Lobotomie vorgenommen, die Nase ist extrem abgeflacht, die Lippen haengen in Fetzen, ein Ohr und ein Teil des Kiefers liegen abgetrennt auf der Motorhaube und die Augen scheinen rote Murmeln zu sein, die jeden Moment herausquellen koennten, was dem Mann ein zombiehaftes Aussehen gibt. Der Pilot spricht ihn an: "Sei high! Ich bin von der IG Techno und du hast das Glueck, demnaechst im Fernsehen zu sein, weil ich dieses Video fuer gute Credits verkaufen werde. Bitte ein paar Worte fuer die Zuschauer!" Seine mit fast schon geronnenem Blut getraenkten Gehoergaenge lassen den Zombie nichts verstehen, doch er versucht etwas zu sagen. Er oeffnet den Rest seines Mundes, doch das einzige, was sein Schlund hergibt, ist ein grosser Schwall schwarz-roten Blutes, gespickt mit Zaehnen und diversen Innereien, der sich eilig ueber die Motorhaube ausbreitet und dieser zu einem neuen, recht individuellen Design verhilft.

Der Pilot zeigt sich hocherfreut: "Geil! Da bekomme ich noch eine Blut- und Sensationszulage!". Gerade, als er weiter zoomen will, um die Echtheit der Aufnahme zu unterstreichen, hoert er von hinten gleichmaessiges, einheitliches Stiefelgeklapper wie bei einem Militaeraufmarsch. Er schwenkt die Kamera. Man sieht zwei Smartballs, die ausser dem monotonen Paradeschritt sonst keine Gemeinsamkeit aufweisen. Der Kleinere von beiden traegt keine normale Retter-Uniform. Er ist ganz in schwarz gekleidet, traegt eine vollverspiegelter Sonnenbrille, hat die Lippen zu einem schmalen, zynisch wirkenden Spalt zusammengepresst und schleppt einen schwarzen Koffer mit IGT-Emblem. Der zweite ist gross, traegt die weisse Smartball-Uniform (mit hart gezacktem S im gelben Kreuz), das traditionelle Notfall-Taschenbuch von Rossi/Dobler in einer bereits zerfledderten dritten Auflage in der Tasche, ein Stethoskop Marke "IGT Last-Help" um den Hals, ein sogenanntes "Wichtig" (Euro-Piepser) in der Brusttasche und in der anderen Brusttasche diverse Retter-Utensilien (Schere, kleine Leuchte, Pflaster, Maulkorb). Der Kleine bruellt den Piloten an:

"Ersthelfer! Sofort Meldung machen! Wie sind die Vitalwerte? Zack, zack!"
Der Pilot ist vollkommen ueberrumpelt und weiss sich mit einer Luege zu helfen:
"Ich bin auch gerade erst angekommen. Ehrlich!"
Waehrend der Kleine ihn noch misstrauisch mustert, hat sich der Grosse schon das Opfer naeher angesehen. Mit seiner kleinen Funzel leuchtet er auf die rot ueberquellenden Augen.
"Hey, Snorr! Ich glaube, wir haben hier ein postpubertaeres Mutationstrauma eines Vulkaniers."
Er tippt sich mit der Hand auf die linke Brusttasche und sagt:
"Kirk an Scotty! Einen Patienten auf die Krankenstation hochbeamen!"
Daraufhin scheint der Kleine auszuflippen:
"Spinnst Du? Wir sind hier nicht im Kino und Du bist nicht Captain Kirk!"
Etwas irritiert meint der Grosse:
"Aeh...ach ja! Aeh... am Besten bringen wir ihn in die Stabile Seitenlage!"
"Und wie?"
"Ich glaube, wir sollten ihn aus dem Auto herausholen."
"Muss das sein? Koennen wir das nicht im Auto machen?"
"Nein, wahrscheinlich nicht. Im Fernsehen bei 'Ruf 112' luemmeln sich die Typen auch immer auf der Strasse. Du nimmst ihn am Oberkoerper!"

Der Kleine reisst die leicht verklemmte Tuer mit schier unmenschlicher Kraft auf; und mit der gleichen Kraft zieht er den Verletzten heraus. Der Kopf macht noch ein paar seltsame Geraeusche, waehrend er brutal durch die Ueberreste der Scheibe gezogen wird und somit sein zombiehaftes Aeusseres noch weiter perfektioniert. Der Mann versucht zu Schreien, doch sein Mund gibt nur einen neuen Schwall schwarzen Blutes wieder. Dumpfe Gurgelgeraeusche und kurze Muskelkraempfe dieser armen Kreatur scheinen dem Schwarzen nichts auszumachen. Es gelingt ihm aber nicht, den Verletzten direkt herauszuziehen, da sich seine Beine unter den Pedalen verheddert haben. Doch die brachiale Gewalt hat ihre Folgen: Man hoert es mehrmals laut knacken und die jetzt seltsam geformten Beine bieten keinen Widerstand mehr. Lautstarkes Gurgeln von riesigen Blutmengen und staerkere Muskelzuckungen lassen den Schwarzen weiterhin kalt. Der Verletzte wird "abgelegt" - erkennbar am deutlichen "PATSCH!" des Kopfes auf dem Asphalt.

"Nicht hier", meint der Grosse, so als ob man keine Zeugen haben duerfe.
"Er muss doch aus dem Gefahrenbereich heraus!"
"Was'n das?"
"Aeh... auf jeden Fall nicht direkt neben dem Auto, es koennte ja explodieren!"
"Ich glaube, Du hast zuviele amerikanische Filme gesehen oder zuviele Zyn-Texte gelesen!"
"Trotzdem. Er muss hier weg."
"Na gut."
Der Kleine nimmt den Verletzten am Arm und schleppt ihn ein paar Meter zur Seite. Man hoert ein unregelmaessiges Geraeusch, immer wenn der Kopf auftitscht.
"KLONK - KLONK"
"Wie weit?"
"KLONK - KLONK"
"Das reicht!"
"KLONK - KLONK"
Die Spur ist von Blut gekennzeichnet. An jeder Stelle, wo der Kopf aufschlug ist eine groessere Blutlache zu sehen. Mindestens zwei Liter haben sich auf diese Weise mit anderen Fluessigkeiten und Innereien zwischen den Autowracks vermengt.

"KLONK - KLONK - PATSCH!"
"Na gut. Und jetzt?"
"Bei der Stabilen Seitenlage muss man zuerst immer die Brille des Verletzten entfernen!"
"Er traegt aber keine Brille!"
"Oh!"
"Und jetzt?"
"Aeh... am Besten nochmal die Vitalwerte ueberpruefen!"
"Er zuckt nicht mehr! Das habe ich gerade schon beim letzten 'KLONK - KLONK' festgestellt."
"Dann muessen wir jetzt beatmen. Wo ist der Ambu-Beutel?"
"Aeh, was fuer'n Ding?"
"Vergess es... wir machen direkt die Herzdruckmassage."
"Au fein!"

Ehe der Grosse begreift, was passiert, beginnt der kleine Schwarze auf dem Verletzten herumzuhuepfen. Bei jeder Landung presst er die Rippen bis auf die Wirbelsaeule herunter. Bei jeder Landung ergiesst sich ein neuer Schwall schwarz-roten Blutes aus Mund und Nase des Verletzten. Bei jeder Landung zersplittern die Knochen und stossen mit den Spitzen tief in das Fleisch des Opfers, reissen so noch mehr Organe in Fetzen und durchloechern auch das Herz, das nur noch wenige Mal kurz zuckt und sich dann zur wohlverdienten Ruhe begibt.

"HEY! Bist Du verrueckt! Runter da! So geht das nicht!"
"Nein?" meint der Kleine nur und steigt enttaeuscht von den Ueberresten des Opfers, das jetzt wohl eher zwei-, als drei-dimensional ist.
"Das macht man viel sanfter!"
"Bin doch nicht schwul!"
"Penner!"
"Stuemper", hoert man auch den Piloten hinter der Kamera murmeln.
Der Grosse faengt ploetzlich an zu Schnueffeln und meint:
"Riechst Du das?"
"Was?"
"Dieser Geruch. Scheisse!"
"Stimmt. Es riecht nach Scheisse!"
"Der ist abgekackt! Der Typ ist voll abgekackt!"
"Versteh ich nicht."
"Wenn einer krepiert, sind alle Muskeln entspannt, einschliesslich des Anal-Muskels..."
"Dann ist er ja richtig abgekackt!?"
"Sag ich ja."
"Igitt! Baeh!"
Ploetzlich hoert man von irgendwoher Stimmen:
"Halt! Stehenbleiben!"
Der Grosse ist voll entsetzt:
"Mann-O-Mann, das sind die Professionellen vom Dubiosen Rosa Kreuz! Bloss weg hier!"

Noch ehe sich der Pilot mit der Kamera richtig orientieren kann, sind die zwei im Gewuehl der Auto-Lawine verschwunden und zwei sympathisch ausschauende Boys in glaenzend weisser Uniform mit dem Rosa-Kreuz-Emblem stehen vor dem Verletzten. Leise hoert man den Piloten:
"Ah! Die Professionellen! Den Film kann ich bestimmt noch als Lehr-Film fuer die Uni-Klinik oder das Schulfernsehen gebrauchen." Der Juengere der beiden "Profis" kniet sich mit mitleidiger Miene neben den Toten und will gerade etwas sagen, als ploetzlich ein Reporter mit Recorder und Mikro herbeigelaufen kommt und noch von weitem bruellt:
"HALT! Um Gottes Willen! Machen Sie nichts und sagen Sie nichts!" Schnell ist er da und haelt dem Toten das Mikro vor die abgetrennte Nase: "Wie heissen Sie? Wie ist es zu diesem schrecklichen Unfall gekommen? Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder? Leben Ihre Eltern noch?" Ohne jedoch eine Antwort abzuwarten laeuft er gleich wieder weiter. Von weitem hoert man ihn noch rufen:
"Heissa! Das gibt meine Schlagzeile: 'BILD sprach zuerst mit dem Toten!' Genial."

Der junge Retter scheint das jedoch nicht gehoert zu haben. Auch den stechenden Geruch von ausgetretenen Anal-Sekreten scheint er nicht wahrzunehmen. Mit selbstbewusster, jedoch interessierter Miene in seinem jungen, huebschen Milch-Gesicht sagt er zur Leiche: "Haben Sie Schmerzen? Sie brauchen keine Angst zu haben, wir sind ja jetzt da und helfen Ihnen."
Mit fast vaeterlichem Wohlwollen betrachtet der Aeltere ihn, nickt, und meint:
"Gut so."
Doch der Junge laesst sich nicht beirren, taetschelt dem Toten beruhigend die Hand und sagt:

"Wir sind professionell ausgebildete Berufs-Retter vom Dubiosen Rosa Kreuz. Bei uns sind Sie in besten Haenden. Haben Sie Schmerzen? Keine Angst, wir tun Ihnen nicht weh. Ach, Sie koennen mich nicht verstehen? Dann muss ich lauter reden. Also nochmal von vorne..."

Leise meint der Pilot:
"Shit! Das war wohl nix. Die werden sich wohl noch laenger mit der Leiche unterhalten."
Ohne sich weiter um die einseitige, aber doch anregende Unterhaltung zu kuemmern, geht der Pilot weiter.
Von weitem hoert er das Aufheulen eines billigen italienischen Motors. Der Pilot dreht sich um und sieht ein kleines Auto zwischen den Wracks naeherkommen. Fast so laut wie der Motor hoert man die Stereo-Anlage des Wagens: "We got the kingdom, we got the key, we got the empire..." Mit jedem wuchtigen Bassschlag scheint die kleine Spaghettischleuder einen Huepfer zu machen. Doch dann ist der Wagen auch schon da. Mit quietschenden fuer diese enorme Belastung nie konstruierten Bremsen kommt er neben dem Piloten zu stehen. Zwei Gestalten springen heraus. Der eine ist ein grosser Blonder mit schwarzem Schuh und sonstigem schwarzen Outfit. Er haelt eine Video-Kamera in der Hand und meint mit zynischem Grinsen zum Piloten:

"Hey, Kollege! Bist Du nicht der Typ von der Metzger-Innung?" Ohne jedoch eine Antwort abzuwarten sagt er zu seinem Partner, einem kleinen, schmaechtigen Typen im schwarzen Anzug mit Aldi-Hemd und Aldi-Krawatte:
"Wir muessen uns beeilen! Dein Kleiner braucht wieder Essen. Das letzte Mal haben wir ihn vor fast fuenf Stunden gefuettert."
Sie rennen zu einem nahegelegenen LKW, der in Flammen aufgegangen ist. So weit es geht naehern sie sich dem LKW. Die Fahrerkabine ist eingedrueckt, die Tuer ist verkeilt und der Fahrer ist unter den Fusspedalen eingeklemmt. Er brennt. Mit seinen brennenden Armen schlaegt er wie wild um sich. Sein Gesicht ist durch das Feuer entstellt. Aufgeplatzte rot-schwarze Brandblasen ueberziehen seine linke Gesichtshaelfte, waehrend auf der rechten Gesichtshaelfte kaum noch Fleisch uebrig ist und man schon die Knochen sehen kann. Die Augen sind bereits verbrannt, man sieht nur noch dunkle Hoehlen aus denen heisses, dampfendes Blut tropft. Die grauenhaften Laute und Schreie, die der Mann ausstoesst sind das Letzte, was seine versengten Stimmbaender noch von sich geben koennen. Draussen steht der Blonde und filmt mit groesster Professionalitaet diese seltene Schauspiel, waehrend der Kleine wie ein Gummiball auf und ab titscht und die ganze Zeit schreit:

"Geil, geil! Das Beste, was wir je fuer Video-Zyn hatten! Das ist harrrtes Reality-Zyn!"
Die Abscheulichkeit dieser Szene wird jedoch noch durch zwei professionelle Retter von den Dubiosen komplettiert, die eiligst herbeigelaufen kommen und ihren Standard-Satz rufen:
"Haben Sie Schmerzen? Sie brauchen keine Angst zu haben, wir sind ja jetzt da und helfen Ihnen."
Leise hoert man den Piloten murmeln: "Ich glaube, mir wird schlecht." Dann schaltet er die Kamera aus.

Die Kamera zeigt wieder das Studio und den freundlich laechelnden Moderator.
"Das, liebe Zuschauer, war der heutige Film. Damit sind wir auch schon am Ende unserer Sendung angelangt. Zum Abschluss moechte ich nur noch bemerken, dass es auch schon Erste-Hilfe-Kurse fuer Kinder gibt, die durch den Anreiz unserer Sendung initiert wurden. Guten Abend!"

Bevor ganz ausgeblendet wird hoert man noch eine aufgebrachte Stimme aus dem Publikum:
"Ihr Penner! Kinderkurse gibt es schon seit ueber 10 Jahren! Ausserdem seid ihr alle Stuemper und die Sendung ist kein Anreiz, sondern ein Brechreiz! Und die..."
Doch auch mir genuegt es vorerst. Ich schalte den Fernseher aus. Irgendwie haette ich jetzt gerne eine grosse Flasche Blut-Orangen-Nektar.

VAN

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