Das Celler Loch

Eine erbauliche Kurzgeschichte aus der Reihe

Fries van Rinnen - Der fliegende Hollaneder

"Ich matsch sie alle weg!"

von SNORR

Alles wäre nicht passiert, wenn Fries nicht mitten in der verkehrsberuhigten Zone angefangen hätte zu onanieren. Während er immernoch an diese 14-jährige Discoschlampe dachte, die er gestern Abend noch mitgenommen hatte, wurden er und sein 38-Tonnen-LKW immer schneller. Viel zu schnell für den vielversprechenden jungen braungebrannten Heizungsmonteur Karl-Herbert, welcher gerade forsch aus seinem Golf-Cabriolet springen wollte, und nurnoch staunend seinem, in roten Fontänen sprühenden, in den azurblauen Himmel davonwirbelnden linken Arm, und die ihm folgende Wagentür, mit weit aufgerissenen Augen verfolgen konnte.

Fries, der bei dem krachenden Geräusch mehr an Betonblumenkübel, als an unglückliche Cabrioletfahrer dachte, bremste unverzüglich. Hätte er mehr auf die Straße, als auf sein abspritzendes Glied geachtet, hätte er beobachten können, wie die Wagentür von Karl-Herbert wie ein gigantischer wirbelnder Diskus zischend vor seinem LKW quer über die Straße flog.

Sie prallte von einer massiven Garagenwand ab, und vergrub sich in einer Gruppe philosophierender Gymnasiasten. Niemand wird je erfahren, wie diese fünf Holzfällerhemden tragenden jungen Leute die Welt verbessern wollten, denn ihr Blut und Innereien reichten gerade aus, daß die Räder der Hinterachsen von Friess LKW nicht mehr den Straßenbelag greifen konnten. Der LKW brach mit seinen 38 Tonnen aus, und schleuderte gegen das Eigentumshaus, wo die restliche Oberstufe bekifft im Partykeller lag.

Der Tank mit 25.000 Litern dioxinbelastetem Altöl hielt der Belastung nicht stand, und zerbarst. Schäumend ergossen sich die schwarzen Massen durch die springenden Kellerfenster, alles ertränkend, was im Weg lag, und füllten das Haus bis zum Erdgeschoß.

Polizei und Feuerwehr fanden Fries, mit einem Fleck in der ausgebeulten Hose, fasziniert vor einem grünschillernden schwarzen Tümpel im Vorgarten sitzen, aus dem mit einem gelegentlichen Blubbern kugelrunde schwarzeinbalsamierte Köpfe auf- und abtauchten.

"Weswegen haben die Schweine dich eingesperrt?"
Fries schenkte dem Männlein in seiner Zelle kaum Beachtung, es
hatte zuviele Haare, im Gesicht, am Kopf.
"Ich habe eine Sitzblockade gemacht. Ich ganz allein!"
Viele lange Haare, von hinten sah das Kerlchen aus wie die
14-jährige Discoschlampe von gestern: "Komm mal her."
"Diese Faschistenschweine! Erst die Juden, dann unsere Umwelt. Die
muß man stoppen!"
"Ist ja gut, dreh dich mal um!", Fries zog ihm die Jeans runter,
wenigstens nicht soviele Haare an den Beinen.
Bei jedem Stoß schrie das Kerlchen: "FASCHIST! FASCHIST!
FASCHIST..."
Als der Amokläufer kam, war Fries schon längst wieder draußen, und entleerte seinen Dickdarm in die Kloschüssel. Der Kopf eines Wärters direkt vor der Zellentür explodierte mit einem lauten Knall, der rotgraue Sabber perlte von den kühlen Gitterstäben, ein Mundstück mit qualmender Kippe landete direkt vor van Rinnens Schuhen, wo er sie reflexartig austrat. Der glühende Zigarettenstummel erlosch zischend in einem Blutklecks.

Hinter dem wegkippenden Rumpf des Wärters erschien ein schweißüberströmtes Gesicht mit dunkel verfilzten Haaren und rollenden blauen Augen: "Wer von euch ist diese holländische Sau?!"

Fries, der solche Fragen in seinem ereignisreichen Leben schon öfter gehört hatte, wies lässig;ig mit dem rechten Daumen auf seinen dürren Zellennachbarn, der zitternd in die Ecke gequetscht stand: "Er war's". Und ließ zischend Gase ab, während die Bröckchen der Kanalisation entgegen tröpfelten.

Der Amokläufer besah das Kerlchen mit einer wilden Vorfreude auf dem Gesicht, ballerte die Zellentür auf, und sprang breitbeinig herein, und zersplitterte seinem aktuellen Opfer mit dem Schrei "MÖRDER!" durch einen gezielten Schuß den linken Oberschenkel. Es sackte nach vorne, und vergrub sich mit der Nase im Zement, um dann mit einem Fußtritt auf den Rücken gedreht zu werden. Es roch nach salzigem Schweiß, Blut und Kot.

   "Was haben dir meine Kinder getan?"
   (*PENG!*)
   "Ich habe jetzt weniger als Scheiße!"
   (*PENG!*)
   "Sie sagen, Claudia und Cindy sind jetzt Sondermüll!"
   (*PENG! PENG! PENG! PENG...*)
Fries bekam die schußweise Zerstückelung seines letzten Sexualpartners nicht mehr mit, denn er bewegte sich eiligst zum Ausgang. So entging ihm auch das total zerfetzte Gefängnispersonal, und die noch frischen rotschleimigen Schmierereien an den Wänden, im Stil Frankfurter Graffiti. Er war mehr mit seinen Hosen beschäftigt.

Im Hof sah er den LKW des BAEH (*Bundesamt Entseuchung und Hirnmasse*) stehen. Fries riß die Tür auf, entdeckte die Schlüssel, und raste los. Der Durchbruch durch das Tor kostete ihn lediglich ein paar Risse in der Windschutzscheibe, zwei gelbe Stahlfäßer mit BAEH-Zeichen und den Aufschriften "Claudia Lagerfeld" sowie "Cindy Lagerfeld" aus der Ladung, und einigen Demonstranten für den offenen humanen Strafvollzug das Leben.

Inzwischen versuchte sich der Amokläufer in der Gefängniszelle mit einer Handgranate das Leben zu nehmen, die er irgendeinem türkischen Kioskbesitzer abgekauft hatte. Niemand sollte sein Gehirn bekommen, so riß er den Zünder ab, und versuchte sie hastig runterzuschlucken. Sie explodierte nicht, sie blieb in seinem Hals stecken. Vor seinen Augen begann sich die Gefängniszelle mit den Überresten des vermeintlichen Unfallfahrers zu drehen. Er bemerkte entsetzt, daß ihm sogar die Luft zum Schreien fehlte, und machte sich vor Angst in die Hose. Als ihm schwarz vor den Augen wurde, kippte er mit dem Kopf in die Kloschüssel, platschend schwappte die braune Brühe heraus. Seine letzten Sinneseindrücke waren der süßliche Geschmack der Fäkalien von Fries, die durch seinen Mund und Nase sickerten, und hämmernde Kopfschmerzen.

So fanden ihn die Mordkommission vor, alle viere von sich gestreckt. Ein Beamter erbrach sich sofort, weitere schlichen vorsichtig in die stinkende Zelle, immer darauf bedacht, nicht soviel von der braunroten Sauce an die Schuhe zu bekommen.

Draußen erwehrte sich Hauptsturmkommissar Rudolph Häßlich eines Reporterpöbels und diverser Kameras: "Nein, Nein! Von einem Massaker, wie das vom Internierungslager Sylt, kann hier nicht die Rede sein!" "Wie erklären Sie dann die völlige Auslöschung der gymnasialen Oberstufe von Celle?" "Ich..."

Weiter kam Häßlich nicht, in der Zelle hatte der Polizeiarzt, nach diversen Photos, die sie für horrende Preise an den "Wachturm" zu verkaufen dachten, die Leiche des Amokläufers zur ersten Obduktion umgedreht. Seine weit aufgerissenen Augen und der offenstehende Mund schien sie anzulachen, die Scheiße tropfte ihm aus den Haaren, dann verutschte die Handgranate in der Speiseröhre, und ging hoch.

Mit einem Grollen spritzten die Fleischmassen, passiert durch das rausbrechende Fenstergitter, auf Hauptsturmkommissar Häßlich und die Journalisten. Sie alle nahmen ein Blutbad, verdickt durch Knochensplitter, Verdauungsorgane sowie 10 lebenswichtige Vitamine. Als Häßlich hustend und spuckend auf das grellrot umrahmte dunkelglänzende Loch in der Gefängnismauer blickte, mußte er an die 14-jährige Discoschlampe von gestern denken. Er beschloß nichts mehr zwischen Dinge zu stecken, die zu stark geschminkt waren.

Fries bekam die Nachrichten vom "Celler Loch" auf der Autobahn über den Polizeifunk mit, dachte sich aber nichts dabei, weil er blinkend auf eine Gelegenheit zum Überholen wartete.

Diese kam mit einem BMW-Fahrer, der mit der Lichthupe seine Bereitschaft signalisierte, Fries auf die Überholspur zu lassen. Mit einem grüßenden Tuten zog Fries den LKW raus. Verwundert registrierte er ein Scheppern unter sich, danach schoß der BMW ohne Dach vorne unter seinem LKW mit 215 km/h heraus, wurde von einer Windbö sanft angehoben, segelte über die Gegenfahrbahn, und prallte in einen Tanklaster, welcher sofort in grünlichen Flammen aufging.

Heroisch lenkte der sterbende Fahrer des Tanklasters sein brennendes Gefährt in ein angrenzendes Wäldchen, und rettete damit 150 jungen Neonazis in drei Überlandbussen das Leben. Einige davon waren zwanzig Jahre später für die nukleare Verwüstung Asiens verantwortlich, was dann aber in Deutschland keinen mehr interessierte, da bis dahin weite Teile der Bevölkerung durch eine schleichende Vergiftung dahingerafft waren, die aus der Reaktion des erhitzten Inhalts des Tanklasters mit, von der Waffen-SS 1945 im Wäldchen eiligst verbuddelten, Zyklon-B Patronen, im Grundwasser verursacht wurde.

Im Rückspiegel sah Fries außerdem noch, wie der modisch kurzgeschnittene Kopf des BMW-Insassen, ein graduierter Jurist, wie eine Billardkugel über die Fahrbahn schoß, die Bande an einem Kleinwagen nahm, mit Wucht von der Fahrbahn gestoßen, und im Wald im Bauch eines Spaziergängers eingelocht wurde.

Der Körper, der unter dem LKW hängen geblieben war, sprühte noch unzählige Windschutzscheiben rot an, und zog seine Spur über 70 Autobahnkilometer, bis er abgerieben war. Fries entschloß sich, es bis zum nächsten Nordseehafen zu versuchen, um dort ein Schiff nach Holland zu kriegen.

Während sie den libanesischen Containerfrachter "Seaquest" mit, für den Irak bestimmter, bewährter Ware der DeGeSch, beluden, unterhielten sich die muskelbepackten Hafenarbeiter, ob sie nach Feierabend noch auf einen Sprung im "Kindergarten" vorbei schauen sollten. Nach einem Betriebsunfall, ein Kurzschluß im Whirlpool hatte etliche Kunden und Mädchen total vergekocht, hatten sie angeblich wieder frische philippinische Teenies da. (*Die Entsorgung hatte wieder die "Heilarmee", mit ihren unzähligen Suppenküchen für Arme, übernommen.*)

Fries van Rinnens Ankunft wurde durch die knatternde Ankunft einiger Kampfhubschrauber einer speziellen Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes angekündigt. Die schwerbewaffneten Jungs wußten, sie hatten noch eine Scharte auszuwetzen. Sie hatten mit der siegesgewissen Funkmeldung "Seit 4.45 Uhr wird zurückgeschossen!" an der polnischen Grenze mit ihren Hubschraubern einen Haufen Typen in Tarnanzügen quer durch die Wallachei gehetzt, um sie dann mit schweren Maschinengewehren zu erledigen. Damit hatten sie die bundesdeutsche Gotcha-Szene um zehn ihrer Spitzenclubs erleichtert.

Am Horizont einer breiten Allee, gebildet aus den Canyons ordentlich aufgeschichteter Container, bildete sich eine Staubwolke. Die ausgebildeten Kämpfer gingen zwischen den riesigen Blechkisten und den Hubschraubern mit ihren Maschinenwaffen in Stellung. Zum Dröhnen des LKW, das nur von den Schaltvorgängen unterbrochen wurde, mischte sich das klackende Entsichern der Waffen.

Fries ahnte nichts von den ihm zugedachten Aufmerksamkeiten, er freute sich nur an der schönen breiten Gasse, und drehte zum Sound von "Brahve Deutsche" den Motor voll auf. Das Rattern und die ersten Kugeln kamen gleichzeitig mit dem Intro: "Auschwitz was a mistake!

Stalingrad was a failure!

We will never do it again!"

Während ein Chor von 100 arischen SS-Brutjungfrauen durch die Lautsprecher heulte, schmiß sich Fries auf den Boden, der Motorblock schützte ihn, über ihm zerfetzten sämtliche Fenster, alles schwankte, Metall verbog sich knirschend, dann der Refrain: "Give another chance!

Dare another romance!"

Der LKW kippte schlitternd zur Seite, und rutschte funkensprühend auf einen der wartenden Hubschrauber zu, um ihn zu rammen, und ebenfalls umzuwerfen. Der laufende Hauptrotor, aus einer extrem widerstandsfähigen Titanlegierung gefertigt, wurde vom Bordcomputer in der berechtigten Annahme einer Notsituation abgesprengt, und schwirrte wie vier blitzende Samurai-Schwerter durch die dahinter verschanzte Truppe, und verarbeitete sie zu einer Masse in der Konsistenz von Baby's süßem Breichen. Lediglich die Maschinenpistolen hinterließen einige Scharten an den Rotorblättern.

Hinter dem Rotor flog der Pilot auf dem Schleudersitz her, mit Sonnenbrille und Bundesadler auf dem Helm, durchschlug scheppernd eine Containerwand, und landete inmitten im gackernden wild umherflatternden Nachschub für "Hugo`s Hühner-KZ".

Ein Kamerad sprang, wild um sich ballernd, quer durch den Blutsee zu ihm, und hockte keuchend vor dem ausgefransten Loch in der Blechwand: "Brauchst Du Hilfe, Kamerad?"

Aus dem dunklen Inneren des Container erklang nur aufgergtes Gegackere, und das asmathische Husten und Stöhnen des Piloten, so daß der Kamerad sein Sturmfeuerzeug zog, und es brennend in den Container hielt.

Das letzte, was er jemals sah, war der Pilot, völlig verklemmt in einem Haufen Drahtkäfige, 5000 Hennen, von denen sich zwei besonders gestreßte Exemplare gerade anschickten, dem Piloten die Augen rauszuhacken, und unheimliche Mengen von völlig ausgetrocknetem Stroh. Danach kam die Staubexplosion, die den Container und die beiden Grenzschützer auseinanderriß, und gegrillte Hühner mit schwelendem Federkleid wie ein Feuerwerk auseinanderspritzen ließ.

Die Schockwelle der Explosion durchdrang meherere dicht nebeneinander stehende Container, bevor sie auf, von gelangweilten Bundeswehrsoldaten schlampig eingelagerter, Munition für den Nato-Partner Türkei stieß. Es gab nur noch einen gigantischen Knall, der auch zahllose überlagerte Chemiedünger und Arzneimittel in der unmittelbaren Nachbarschaft, für Schwarzafrika bestimmt, in Mitleidenschaft zog.

In dem wahnsinnigen Sog befanden sich dreißig weitere Container aus Yugoslawien, die durch einen Computerfehler seit zwei Jahren ziellos auf dem ganzen Containerterminal hin und her bewegt wurden. Es handelte sich um das letzte schlampig organisierte Projekt einer kroatischen Menschen- schieberbande, kurz bevor sie, mit ihren abgerupften Geschlechtsteilen im Mund, erstickt aufgefunden wurden.

Das Containerterminal von Hamburg verwandelte sich in einen glühenden Krater, eine fette schwarze Giftgasolke zog über die Stadt, aus der unabhörlich vertrocknete Leichenteile abregneten, es roch nach Erbsensuppe. Alles verwandelte sich schließlich in eine schmierige tote Einöde, aus der ein holländischer LKW rasch die nächste Autobahn aufsuchte, und verschwand.

Die gelben Fäßer mit der ehemaligen gymnasialen Oberstufe schwammen durch eine breite Meeresbucht in der Nordsee der untergehenden Abendsonne entgegen.

(SNORR)

Letzte Änderungen: [ am 6. April ]
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