Asylum

von SNORR

Asylum - Brought to you by the SSS (Snorr's Secret Service) 1992...

Ich erwachte durch das laute Stöhnen, das aus den Schächten der Klimaanlage des Gebäudes zu mir klang. Irgendwie war mir übel, außerdem sandte mein gesamtes Nervensystem nur eine Botschaft an mein Gehirn: Es war keine gute Idee sich gestern in dieser Tekkno-Disco zu verkriechen. Aber die Premiere von Tortes neuestem Meisterwerk "Bloodrun" war ein vernichtender Erfolg gewesen, dreihundert aufgebrachte Katholen wollten uns einfach nur noch anzünden. "SO HELFT MIR DOCH, ICH VERDURSTE...", der unfähige irakische Hausmeister hatte doch versprochen, das abzustellen, mein Kopf! Ich drehte die Heizung höher, zu dem warmen Luftstrom mischte sich ein "AAARGHH", ich schrie nur noch "Halt's Maul!" in den Schacht. Danach goß ich mir erstmal einen Pappbecher voll Kaffee aus dem Hahn ein, und betrachtete die Stadt in der roten Sonne des späten Nachmittages.

Der Büroturm der IG-Techno stand mitten in der Stadt, und so beruhigte ich meinen aufgebrachten Magen durch den Anblick einiger, sich im überlasteten Luftraum verspielt umkreisender, Flieger. "HABT MITLEID IHR EDLEN HERREN MIT EINER ARMEN SEELE!", das war zuviel, ich besorgte mir einen weiteren Becher zufrieden vor sich hin köchelndem schwarzen Kaffees, schraubte mit meinem Bürowerkzeug das Gitter vom Schacht, und kippte die Brühe da rein. Durch das nun folgende Geschrei fühlte ich mich gleich besser, bis ich diese sanfte Berührung an meiner Schulter spürte.

Es war Morchel, durch die Tapetentür ins Gemach gelangt, ein schäbiges Grinsen auf dem unrasierten Gesicht, wahrscheinlich lauernde Raubtieraugen hinter der vollverspiegelten Sonnenbrille versteckt, entnahm er seinen schwarzen Klamotten eine braun schimmernde Dose mit der Aufschrift "Degesch Revieval 1992", einem grünen Punkt und die übliche Zeichnung "MACH MIT!" drauf, öffnete sie mit einem erfrischendem "PLÖPP", und fragte: "Wollen Sie mal?". Entsetzt mit meinen Armen wedelnd trat ich zurück, und Morchel schmiß das zischende Ding in den Schacht.

Danach stellte er sich an das große Fenster, er machte sich richtig gut mit der am Smog erstickenden Stadt im Hintergrund, und hielt mir einen kleinen Vortrag: "Snorr, wie sie vielleicht bemerkt haben, läßt der Absatz unserer heroischen Produkte in der Ostzone stark zu wünschen übrig. Im Rahmen der Zusammenarbeit innerhalb der IG hat sich Subversive Software zu einer Good-Will-Aktion entschlossen..." In Vorahnung kommender Katastrophen, und vielleicht auch wegen des Kaffees, krampfte sich mein Magen in einem konkulvavischen Zucken zusammen. "... Wir werden heute in Proloswerda (*während der kommunistischen Versklavung "Castro-Rauxel"*) ein Asylantenwohnheim eröffnen."

Er lächelte so unschuldig wie ein kleines Kind, das gerade einer Stubenfliege die Flügel rausreißt. Ich dachte noch darüber nach, daß ich bei diesem Magazin hätte bleiben sollen, als der Alarm über uns hereinbrach. Das schräge Heulen dieser Sirenen, auf meinem Computermonitor war plötzlich ein phantastisch animierter silberner Totenschädel, im Takt der sich überschlagenden Frequenzen glühten seine Augenhöhlen auf, gepanzerte schwarze Rolläden dichteten die Fenster ab, Morchel griff mit seiner linken Hand unter den Mantel, doch es war zu spät, die Türen flogen auf, und der exquisit uniformierte Werksschutz marschierte auf, und grüßte uns zackig. Morchel wedelte lässig mit der blank gezogenen Walther PPK herum, während sich unsere Heldentruppe formierte, einer trat vor, blitzendes Licht auf den weißen Zähnen, holte er eine vergilbte Pergamentrolle hervor, und verlas unter dem dröhendem Geheul, das aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien: "ALARM! Der Oberkommandierende des Werksschutzes, und Großfinanzverweser der Interessengemeinschaft Technologie, Dr. Wiwi Fabo, gibt bekannt: GASANGRIFF! Der Turm ist sofort zu evakuieren."

Mit einer geschmeidigen Bewegung trat er zurück, das Pergament zusammenrollend, während, wie um diese unkulthaften Vorgänge zu unterstreichen, ein kränkelnd gelber Nebel zusammen mit einem erstickten Röcheln aus der Klimanlage klang. Uns wurden erstklassige Gasmasken ausgehändigt, schwarzes Wildschweinleder, angoragefüttert und eingebautem Brennheißer-Kopfhörer aus denen Sisters of Mercy den Alarm klanglich übertraf, und natürlich vollverspiegelte Gläser, dazu schweißneutrale Präzisionsfilter. So schritten wir dann durch die Hölle aus Gasschwaden und sich hilflos am Boden windenden Sekretärinnen, die von den Wachen freundlich beiseite getreten wurden. Die Neonlampen brannten kalt Löcher in die Atmosphäre. In einem der Entwicklungslabors lieferten sich die allerneuesten Zusammenmischungen einen heftigen Kampf mit dem Zeug aus der Klimaanlage, ein Rudel wildgewordener Versuchsmenschen, verfolgt von ihren geschützten Pflegern, passierte unsere geschlossene Gruppe, in einem Großraumbüro hingen leidende Angestellte schnaufend an den Lüftern ihrer Computer, die Evakuierung lief im allgemeinen befriedend.

Aus der startenden Killerwatt heraus konnte ich den sehnsüchtig winkenden Werksschutz im qualmenden Turm erkennen. Die Maschine zog ein Schleifchen um das Gebäude, dessen Probleme sich angesichts der restlichen Stadt eher harmlos ausnahmen. Ich zog den Sega-Mega-Flop aus der Tasche, und spielte ein paar Runden "Pentagon 3D", bis mit einem harten Klacken, dem Zutreten eines handgearbeiteten Lederstiefels nicht unähnlich, H.P., Werbeleiter der IG, sein Haupt auf dem Bildschirm in güldenem Licht erstrahlen ließ: "Wir unterbrechen nun Ihre unwichtigen Tätigkeiten für eine Sondermeldung: Heimtückische nicht soziale Elemente haben in verräterischer Art und Unweise unsere Belegschaft durch den Einlass von giftigen Gasen in die Klimaanlage dezimiert. Nur durch das beherzte Durchgreifen unseres Werksschutzes (*Jetzt sah man ein geöffnetes Fenster in einem der oberen Stockwerke, eine Laufplanke führt ins Nichts, ein Mann vom Werksschutz mit Gasmaske und Piratenhut stubst einen zitternden älteren Angestellten mit einem Säbel in Richtung improvisierten Notausgang.*) konnte Schlimmeres verhindert werden. Geständnisse unter 0130 666 (Gebührenfrei), Hinterbliebene erhalten Auskunft unter 0190 4213 (12 Sekunden = 1 Einheit). Und nun noch eine freudige Mitteilung an unsere (Re)Aktionäre: Der auf der letzten Hauptversammlung angedrohte Sozialplan ist nunmehr hinfällig." Er knippte noch lächelnd das rechte Auge zu, und sein Gesicht verschwand, mir eine "GAME OVER"-Meldung hinterlassend. Ich überlegte, ob ich anrufen sollte, vielleicht lebte mein alter Kumpel Sammy nicht mehr, aber dann ließ ich es, zu teuer.

Schon aus der Luft sah das neogotische Wohnheim wie ein Fremdkörper im Geschwür postkommunistischer Architektur, die im wesentlichen so aussah wie die posttektonische. Von unten war es im wahrsten Sinne des Wortes GEIL! Hoch aufstrebende Stahlerker, Fenster aus Panzerglas, die in den Himmel ragten, und SCHWARZ wie eine Festung des Bösen, was es nach der skandierenden Menge wohl auch war. Zuerst hielt ich sie für viel mehr, aber bei näherem Hinsehen schien es sich etwa bei der Hälfte um echte Holzköpfe in der Form von Baseballschlägern zu handeln. Die Skins wurden von einer ausgedünnten Polizeitruppe gerade noch von der Tribüne abgehalten, auf der ich das Pech hatte mit drauf zu stehen. Morchel grüßte H. P. , und Torte, welcher gerade die Kameras durchprüfte, stolz zeigte er mir jeden einzelnen Mauerkameramann, die er in den Ruinen um uns herum postiert hatte. KP1 (*Kulthaftes Programm Nr. 1*) übertrug bereits den feierlichen Auftakt zur Eröffnung des Asylantenwohnheimes, eine Stiftung der IG-Techno für den östlichen Aufbau. Hinter den Skins, die bereits verbissen die Polizei zurück drängten, um unserer habhaft zu werden, erkannte ich unsere geschätzte Bevölkerung, die meisten hatten Bier und Kartoffelchips dabei, und trugen putzige kleine Kinder und Fackeln in den Armen, zwischen dem auf und ab brandendem Hass wehten über der Tribüne die roten Flaggen der IG, und die schwarzen der Subversive Software, die Sonne versank glutroht in einer Straßenschlucht, zögerlich gingen die Lichter an, von ferne heulten Polizeisirenen, sie spielten Raibach: "Fourth Reich". Etwas versetzt ein unschuldsweißes Band.

Morchel winkte lässig den Clown auf die Bühne, um die Massen ein wenig zu unterhalten. Im traditionellen Kostüm, Maske und Glatze hüpfte er auf und nieder: "HIGH! ICH BIN JACKO DER WACKO!" Plötzlich wurde es etwas ruhiger, damit hatten sie nicht gerechnet.

"WIE IHR SEHT, BIN ICH SO WIE IHR!!!", ein paar schien das zu belustigen, jedenfalls trampelten sie nicht mehr auf dem Polizisten herum, wurden aber von ihren Kameraden abgelöst, und dabei gleich mit aufgemischt.

"ALS ICH FRÜHER NOCH SO BLOND WAR WIE IHR, DA WOLLTE ICH EIN KEBAB ESSEN GEHEN. DA HALTEN MICH DOCH ZWEI POSTEN VOR DEM LADEN AUF, WARUM ICH NICHTS DEUTSCHES ESSE? JA WARUM, SAGE ICH. DAVON KRIEGT MAN DOCH HAARAUSFALL!!! HAHAHAHA...."

Jetzt arbeiteten sie sich doch schneller durch den zurückweichenden öffentlichen Schutztrupp, H. P. schien einzusehen, daß der Clown nicht so gut kam, und pfiff ihn von der Bühne, um dann selbst eine Rede zu halten: "Frreunde von Proloswerda...", er hiellt beide Arme brüderlich ausgestreckt, auf einer Monitorwand konnte man seine ganze edle Geste im Fackelschein bewundern, "... die IG-Techno weiß natürlich um die dummen Vorurteile, die euch ach so jungen Deutschen entgegenschlagen...", jetzt wich er einem Stein aus, "...das ganze Gerede von fehlender Leistungsbereitschaft, und der Spruch 'Soviele Haare wie Gehirnzellen'." Das war zuviel. Mit einem wütendem Aufschrei durchbrachen die Skins, angefeuert von dem überall herumlungerndem Pöbel, die davonlaufende Polizei, um von uns und unserem Geschenk Besitz zu ergreifen. Es ging um Bruchteile von Sekunden, doch wir schafften es. Erst zerschnitten wir das weiße Band mit Schleife, dann rannten wir durch. Krachend schlugen die Stahltüren des Wohnheimes hinter uns zu, Morchel murmelte noch etwas von "Asyl...", während es H. P. einfach nicht schaffte dieses gewinnende Lächeln abzulegen.

"HOW!", langsam wendeten wir uns von der Stahltür, an der Dutzende von unfähigen Fäusten hämmerten, ab. Da standen Indianer. Einer mit vielen Federn und bunt bemalten Oberkörper ging ernsten Gesichts auf Morchel zu: "Weisser Mann mit Libellenaugen haben viele Skalps versprochen? Das...", der Kerl zeigte auf H. P., Torte und mich, "... viele Skalps???" Dem Kerl zuckten enttäuscht die Bizeps, an seiner Hose klapperten ein paar Mordwerkzeuge gelangweilt herum. Natürlich holte H. P. bereits zum verbalen Gegenschlag aus, tief durchatmen, aber Morchel klärte cool die Situation: "Später!"

Wir wurden durch die großzügig bemessenen Hallen des Gebäudes zum Lager geleitet, dort liefen sie sich bereits um ein gigantisches Lagerfeuer aus alten Stasi-Akten herum warm, mehrere Krieger erzeugten mit ihren Trommeln einen Rhytmus, der jeden Discjockey bis in seine tiefsten Alpträume verfolgen würde. Mehrere von diesen Feuern beleuchteten die Halle, man hieß uns zu setzen, und uns unserer Oberbekleidung zu entledigen. Dann brachten sie einen farbfähigen transportablen PackEintosh, auf dem "Colors" von Subversive Software lief. Ich wählte mittels Maus ein konservatives Streifenmuster, macht schlank, mit Totenschädel drin, Torte übernahm ein verkrüppeltes Männchen in einer Art Behelfsrollstuhl mit der Aufschrift "Help me!", und H. P. ein weit aufgerissenes Tigermaul mit grünen Augen. Die Vorlagen wurden mit speziellen Farbbändern ausgedruckt, und während blutjunge schöne dunkelhaarige gutgebaute zierliche freundliche Squaws uns die Muster aufmassierten, wurde eine Pfeife herumgereicht. Der Häuptling, er hieß grob übersetzt "Heimliche Hand", unterhielt sich angeregt mit Morchel, während in mir durch den Qualm so ein Gefühl herauf zog. Ich meinte el Meuro mit E-Guitarre zwischen den tanzenden Kriegern zu sehen, schräge Sounds mischten sich zu den Trommeln, sie drückten Torte und mir ergonomisch gestyle Tomahawks in die Hände, das Kraut kam gut, el Meuro hatte sich natürlich mit Heavy Metal Symbolen ausstaffiert, und trug wieder diese knallschwarze Lederturnhose und die goldene Kette, überhaupt hatte diese Kultur unter Morchels erschreckendem Einfluß gelitten. Mit einem "Hey Snorr!" drückte er mir eine weiter Friedenspfeife zwischen die Zähne, ich fühlte mich wie in "Der mit dem Wolf tanzt", mittels el Meuros Guitarre versuchten wir uns alle im Schlagzeuggewitter an einer Version von "Floorshow", Eldritch hätte uns umgebracht, und tanzten dazu um das Feuer. Hin und wieder wurde Feuerwasser gereicht, was die friedensstillende Wirkung der Pfeife weiter erhöhte.

Danach ging es mit der aufgeschaukelten Meute zurück zum Ausgang, mit dem gewissen Lächeln entsicherte Morchel die Tore, und ließ sie raus. Vor den verblüfften Skins kletterte ein Indianer an dem Zierrat des "Wohnheims" hoch: "Ich bin AUFRECHTER MITTELFINGER, der Sohn von HÄUPTLING HEIMLICHE HAND! Eure Mütter haben bei Hunden gelegen, eure Väter suhlen sich im eigenen Kot! Ich verachte euch!" Dann spuckte er, und sprang in sie hinein, H. P. konnte das so nicht auf sich sitzen lassen, angetörnt erkletterte er ebenfalls die Wand: "Ich bin H. P., der glorreiche Redner der IG! Eure Weiber werden an unseren Produkten qualvoll zugrundegehen, eure Feinde euch mit unseren Blastern genußvoll zerstückeln. Ich verarsche euch!" Jetzt sprang auch er, das Spielchen hätte ewig so weiter gehen können, aber Heimliche Hand wollte endlich seine Skalps. Mit einem johlenden zugedröhntem Kriegsschrei ging es auf sie los...

Sie wurden Geschichte...

Westernstyle, noch nie so kulthaft wie heute...

"Weißer Mann!", Morchel sah den, mehrere Körper anschleppenden, eine fleckige Bomberjacke tragenden Häuptling an. Überall brannten Feuer, wurden noch Nester ausgehoben.

"Yeah?", er zeigte fragend auf die glatzigen Körper.

"Wo Skalps?"

Irgendwie schien Morchel mit solchen Pingeligkeiten gerechnet zu haben, er winkte einen kleinen Kopfjäger zu sich, der Häuptling Heimliche Hand eine vorläufige Kollektion Schrumpfköpfe präsentierte: "... und diese hier sind für den Gürtel, beachten Sie den Glanz in den toten Augen, und die Politur oben, und das hier ist ein besonderes Stück für die Frau Gemahlin, mit SS-Runen am Ohrläppchen, am Hals zu tragen, vielleicht bei der monatlichen Marterung, und hier ein größerer für das Tipi, mit drei Fragmenturen oben, ganz toll, man muß mit der Zeit gehen, unsere Vertragspartner von der IG-Techno garantieren den Nachschub an Utensilien, ich muß so einem stattlichen Mann wie Ihnen nicht sagen, wie gut ihm seine Feinde als Schrumpfköpfe stehen..."

P. S.: Die IGT weißt jede Verantwortung für die Vorgänge im jetzigen Reservat Proloswerda weit von sich.(SNORR)

Letzte Änderungen: [ am 1. Juli ]
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