Boxer und Koerperverletzung

oder: Kein Support mehr fuer XFree86/OS2 in Deutschland
Wer das Usenet kennt und nutzt, weiss, dass dort Diskussionen oft mit recht harten Bandagen gefuehrt werden koennen und bisweilen auch ein hitziges Niveau erreichen, das es bei Diskussionen von Angesicht zu Angesicht so nie geben wuerde. Ungeachtet jeglicher (informaler) Netiquette kann es jedem passieren, dass er beschimpft wird oder auch selbst durch bewusste oder unbewusste Wortwahl andere Personen angreifen kann. Jeder, der am Usenet teilnimmt, ist sich des Phaenomens der "flamewars" bewusst, und kann entsprechend reagieren und etwa Threads und Personen in ein "Killfile" schreiben.

Das Usenet ist nicht homogen, sondern besitzt einige Gates zu anderen Netzen, die z.T. andere Strukturen - etwa die Aufteilung oder Abbildung von Newsgroups auf "Bretter" - und andere Regeln besitzen.

Meine Auffassung war bislang, dass ein Transport von Daten vom Usenet zu solchen Netzen und umgekehrt dem bislang im Usenet entsprechenden Konsens entspraeche, demzufolge man Dinge, die man nicht sehen wolle, herausfiltern koenne, etwa durch ein Killfile. Tatsaechlich aber existiert nach meiner Beobachtung ein missionarischer oder auch weltverbesserischer Eifer von bestimmten Teilnehmern solcher Netze, dem Usenet, an das sie sich freiwillig angeschlossen haben, die eigenen Auffassungen von Zusammenleben oder Moral aufzuzwingen.

Wuerde man solchen Personen oder Interessengruppen nachgeben, wuerde das Usenet seinen unschaetzbaren Wert als weltweite oeffentliche "Speaker's Corner" und als Instrument des oeffentlichen Meinungsaustausches und der Meinungsbildung verlieren und wuerde zum Spielball von Meinungsmachern. Denn es findet sich im Netz zu jedem Thema eine Kontraposition, zu jeder Ansicht abweichende Meinungen, und zu jeder persoenlichen Meinung jemand mit abweichender Meinung, der sich persoenlich angegriffen fuehlt. Die besondere Oeffentlichkeit des Usenet als weltweites oder auch nur deutschlandweites Diskussionsforums bedingen dieses wesentlich mehr und eher als etwa eine raeumlich eingeschraenkte Zusammenkunft in einem Gebaeude oder auf einem oeffentlichen Platz.

Personen, die nicht in der Lage sind, zwischen dieser virtuellen Welt und der Realitaet zu unterscheiden, oder nicht gewillt sind, dieses zu tun, und stattdessen ihre eigenen Wertvorstellungen oder hausgemachten Gesetze den anderen Teilnehmern aufzuoktroieren versuchen, sind im Sprachgebrauch des Usenets als "Netzpolizei" (mit der negativen Konnotation des uebertriebenen Ueberwachens) oder auch "Netzsheriffs" bekannt. Ueblicherweise werden solche Personen im Usenet ignoriert, oder auch mal massiv in der Oeffentlichkeit der Newsgroups angegriffen.

Ich bin seit Beginn meiner Teilnahme am Usenet von zahlreichen solcher selbsternannter "Polizisten" und "Hueter der eigenen Gesetze" elektronisch angeschrieben worden - zum Teil aus augenscheinlich nichtigen Gruenden:

aber auch

Zu solcherart Aussagen ist verschiedenes bemerkenswert:

Unter letzterem Aspekt sind die Vorwuerfe gleichsam verstaendlich, wie auch unverstaendlich: Ich kann mich natuerlich nicht an lokale Konventionen halten, welche ich nicht kenne; und ich habe es selten, bis nie, in der Hand, zu entscheiden, welches meiner Postings in welches Brett gepostet wird, und ob es dort angebracht ist oder nicht. Ueberdies halte ich ein Zurueckziehen auf "allgemein anerkannte Regeln des Umgangs" fuer zu Wischi-Waschi, und zum Teil auch kontraproduktiv, um Argumenten zu entgegnen. Die oft zitierte Netiquette hat laengst als regulierendes Medium versagt; genau genommen funktioniert sie lediglich in abgeschlossenen und streng reglementierbaren Benutzergruppen, bei denen sie als Gesetz-Ersatz mit der entsprechenden Exekutivmoeglichkeit (etwa Ausschluss aus der Gruppe) Einsatz finden kann.

Wie gesagt, bin ich seit Beginn meiner Usenet-Aktivitaeten immer wieder von solchen Belehrungen betroffen worden, woraus sich zwei moegliche Interpretationen ergeben koennen:

Der ersteren Abschaetzung widerspricht, dass es auch zahlreiche Usenet- Benutzer und andere im Netz taetigen Personen gibt, die mich anerkennen oder meine Auffassungen bestaetigen. Die zweite Interpretation ist im Hinblick auf ad-hominem-Angriffe auf mich, und etwa auch Kritik an der Fuehrung ("das Protzen", wie sich jemand ausdrueckte) meines rechtmaessigen akademischen Titels, hingegen nicht von der Hand zu weisen - allerdings weiss ich nicht, wie hoch die Frequenz solcher Briefe an andere User ist.

Man mag mir vorwerfen, dass ich solchen Vorwuerfen Vorschub leiste, indem ich mich tatsaechlich nicht daran halte, solchen Regelsaetzen wie der Netiquette zu folgen, etwa was die Wortwahl im Umgang mit anderen oder auch die Laenge und der Aufbau der Signatur angehe. Meine Auffassung und Beobachtung dazu ist, dass ich mich lediglich an den mittlerweile im Netz geltenden Stil angepasst habe - tatsaechlich hat sich das Usenet mit der derzeitigen Verdopplung der Userschaft alle paar Monate unglaublich im Vergleich zum urspruenglichen eher familiaeren Netz noch vor ein paar Jahren veraendert, und ich denke, dass sich mein Stil und Auftreten sich kaum von dem anderer Benutzer unterscheidet.

Ich habe bei solchen Kritiken stets dem Urheber, teils recht klar, meine Ansichten mitgeteilt. Nichtsdestoweniger stellen solche dauernden Angriffe aber auch eine Belaestigung dar, eine Auffassung, die nach meiner Beobachtung von vielen anderen Usenetteilnehmern geteilt wird, so dass meine Antworten auch mal wesentlich klarer ausfallen, als das Gegenueber es gerne hoeren mag.

Bislang existierte jedoch wohl ein stilles Uebereinkommen der Parteien, demzufolge Auseinandersetzungen untereinander, freundlich oder unfreundlich, innerhalb des oeffentlichen Diskurses oder persoenlicher Mails ausgetragen werden.

Diese Regel ist, nach meiner Beobachtung, nun das erste Mal gebrochen worden, indem ein mit mir nicht einverstandener Usenet-Benutzer Dritte hineingezogen hat, indem er versucht hat, bei meinen Vorgesetzten zu intervenieren und mich auf diese Art und Weise mundtot zu machen. Ferner droht er mir "zivil- und strafrechtliche Konsequenzen" an, da er sich beleidigt fuehle. Damit nicht genug, hat er mich in einem kurzen Telefonat als "unverschaemtes, bloedes Arschloch" tituliert und erneut gedroht, dass dies fuer mich Folgen haben werde (naemlich die erwaehnten strafrechtlichen und zivilrechtlichen Konsequenzen). In einem halbstuendigen Telefonat mit meiner Institutsleiterin hat er angefuehrt, dass er Steuerzahler sei und meine (in der Mittagspause) versandte Mail an ihn - wie wohl auch meine Praesenz in den Usenet-News - eine Verschwendung von (seinen) Steuergeldern sei, und hat die Institutsleiterin aufgefordert, mich fuer diese Aktivitaeten zur Rechenschaft zu ziehen. In einer mir vorliegenden Mail war er sich noch nicht mal zu schade, ein mit dem im Netz bekannten Smiley versehenen Hyperlink auf meiner Homepage, demzufolge ich gerne Microsoft und "other people" flame als Argument fuer meine wohl kriminellen Aktivitaeten anzufuehren. Dazu eine Reihe von aus dem Zusammenhang gerissene Aussagen von mir, die ich in Brettern /DE/COMP/OS2/MISC und anderen Foren des "Mausnetz" getaetigt habe - ich habe jedoch in Gruppen wie der fuer anerkannt hitzige Debatten bekannten Newsgroup de.comp.os.os2.advocacy gepostet - fuer merkwuerdige Abbildungen von Usenet-Gruppen durch Gates in andere Netze oder Crosspostings halte ich mich nicht fuer verantwortlich. Der Lauscher an der Wand hoert seine eigene Schand', wie es heisst. Bemerkenswerterweise beziehen sich die zitierten Stellen nicht unmittelbar auf ihn persoenlich.

Da die Person sich mittlerweile in comp.os.os2.misc zu erkennen gegeben hat, zitiere ich hier die Teile meiner Antwort an ihn auf einen Vorwurf von ihm, ich wuerde in das Brett MAUS/OS/OS-2 schreiben und solle das Cross-Posting unterlassen:
Mail an c.gruen@cl-hh.comlink.de (Clemens Gruen)
Datum : Do 23.05.96, 12:22 (erhalten: 24.05.96)
...
(Holger Veit): Abgelehnt. Wenn dir als selbsternannten Netzpolizisten Crosspostings nicht passen, dann sorge gefaelligst dafuer, dass die Maus-Gates geschlossen werden Deine Domain landet bei mir in der schwarzen Liste - ich werde in Zukunft mit Bezug auf dich jeglichen Support for XFree86/OS2 fuer alle User ablehnen, die von Maus kommen oder ueber Maus geroutet werden.

Langsam geht es mir auf den Geist, von solchen infantilen Schwaetzern aus den Mailboxnetzen wie Fido und Maus zugemuellt zu werden.

Unter dem bisher erlebten und weiter oben beschriebenen Eindruck von z.T. massiv unter die Guertellinie anderer Mails aus erwaehnten Mailbox- Netzen ist meine Reaktion sicherlich verstaendlich. Um so weniger verstaendlich ist fuer mich allerdings Reaktion der o.g. Person, die sich mir als persoenlicher Rachefeldzug mit dem Ziel der Vernichtung meiner Person darstellt. Es mag jeder fuer sich urteilen, ob ich ihn persoenlich angegriffen und beleidigt habe (oder eher eine persoenliche Auffassung allgemeiner Art ueber derartige assoziierte Netze geaeussert habe). Ich schaetze diesen Fall als aehnlich absurd ein, wie den eines Boxers, welcher Strafanzeige wegen Koerperverletzung gegen seinen Gegner erstattet, weil dieser ihn im Ring "vorsaetzlich" verpruegelt habe. Er haette ja nicht in den Ring gehen muessen.

Ich wurde uebrigens belehrt, dass die obige Domain ueberhaupt nicht Teil des "Maus-Netzes" ist, obwohl er in seiner Mail den Eindruck dessen erweckt hat. Wuerde man also meine zugegebenermassen uebertriebene Generalisierung von Eigenschaften der Benutzerschaft als tatsaechliche Auesserung im Raum stehen lassen, so koennte er sich formal ueberhaupt nicht angesprochen fuehlen. Trotzdem ziehe ich hiermit die fragwuerdige Behauptung, Personen aus den Netzen Fido und Maus seien "infantile Schwaetzer" oeffentlich zurueck. Wenn es die sich angegriffene Person beruhigt, so entschuldige ich mich auch hiermit oeffentlich bei ihr; die von ihr jedoch an den Tag gelegte Vehemenz ihrer Reaktion laesst jedoch mich an der Wirksamkeit einer solchen Entschuldigung zweifeln.

Es wurde mir von meiner Vorgesetzten nahegelegt, bei Postings mit einer Meinungsaeusserung meinerseits einen sogenannten Disclaimer zu benutzen ("Dieser Text beinhaltet die Meinung des Autors, nicht jedoch der GMD oder seiner Abteilungen") oder nicht die Institutssignatur zu benutzen.

Ich werde jedoch, um den Ruf der GMD und des Instituts zu schuetzen, einige Schritte weiter gehen:

Hinzu kommt ein weiterer, nicht technischer, sondern eher sozialer Aspekt, der mich verbittert stimmt: Wie ich oben in der langen Vorrede dargelegt habe, war ich ein rigoroser Verfechter der Redefreiheit im Usenet, selbst wenn dies zu den eher negativen Nebenwirkungen wie Flamewars fuehrt. Ich halte eine solche Art der Aggressionskanalisation und - bewaeltigung nach wie vor fuer eine der wichtigsten Eigenschaften, die das Usenet so einzigartig macht. Meine Ablehnung von Verbrechen, etwa wie der oft zitierten angeblichen Kinderpornographie, wie jedoch auch Ablehnung von staatlicher Zensur und anderer Einflussnahmen, ist hinlaenglich bekannt und wird von vielen anderen Menschen geteilt. Versucht man, ob zur eigenen Befriedigung oder zu einem "hoeheren Ziel" Teilnehmer mit der rechtsstaatlichen Keule zu massregeln, zerstoert man damit das Biotop "Netz" unwideruflich. Wir Deutsche gelten leider, auch nach 50 Jahren noch, als gruendlich, solche Probleme anzupacken. Dies ist der Grund, weswegen ich den Bereich der deutschen Newsgroups verlasse - nicht um im Ausland ungestoert "Verbrechen" zu begehen, sondern in der Hoffnung, dass der deutlich hoehere Pluralismus der internationalen Newsgroups den Reglementierungsversuchen einzelner Fanatiker oder auch Fanatikergruppen eher Einhalt gebieten wird als eine kleine deutschsprachige Enklave. Ich bin traurig, aber hier ist nicht mehr "mein Netz".

Ich danke hiermit allen Personen, die mich kennen und schaetzen, fuer die gemeinsame virtuelle Zeit, und hoffe, dass ich bestimmte Personen, welchen ich ein Dorn im Auge bin, in Zukunft nicht mehr durch meine Anwesenheit belaestige.

Dr. Holger Veit, 27.5.96