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PC Spiel 10/96 – Spielfeld

 


Azrael's Tear

Azraels TearDer Pott von Gott

Viele haben ihn schon gesucht: die Ritter von Artus' Tafelrunde und auch die der Kokosnuß genauso wie Indiana Jones. Die Rede ist vom Heiligen Gral, einem der sagenumwobensten Gegenstände der christlichen Kultur. Nun hat auch Mindscape zur Jagd auf den heiligen Becher gerufen. In AZRAEL'S TEAR suchen Hi-Tech-Archäologen nach dem kultigen Überbleibsel.

Mit dem Gral ist das so eine Sache. Seit Jahrhunderten sucht jeder namhafte Abenteurer nach diesem Relikt. Worum es sich bei dem Gral jedoch überhaupt handelt, ist ziemlich unklar.

Aus der Schule weiß man, daß der Gral ein Becher sein soll, der jedem, der davon trinkt, ewiges Leben verspricht. Die wunderbaren Fähigkeiten des magischen Humpens begründen sich darin, daß in ihm das bei der Kreuzigung Jesu vergossene Blut aufgefangen wurde. Das ist wenigstens der Wortlaut der christlich-europäischen Legende. Andere Sagen behaupten, daß der Becher seine therapeutische Funktion dadurch gewann, daß Jesus während des letzten Abendmahls daraus trank, und wieder andere Theorien besagen, der Gral sei schon lange vor der Christianisierung bekannt gewesen und schon die alten Kelten hätten an das lebensverlängernde Gefäß geglaubt.

Vermutlich hat jede Religion der Welt irgendwo eine Nische für irgendein Relikt, das ewiges Leben verspricht. Sei es nun der Gral, der Jungbrunnen oder der symbolisierte Uterus einer lebenspendenden Urmutter – die Überwindung des Todes ist ein uralter Menschheitstraum und wird auch noch zukünftig die Phantasie der Menschen bewegen.

Die Rächer des Bechers

Azreals TearBei Azrael's Tear steht, wie schon der Name des Erzengels im Titel vermuten läßt, die christliche Version der Sage im Vordergrund. Im dunkelsten Mittelalter, zur Zeit der Kreuzzüge, machten sich die ominösen Tempelritter auf die Suche. Dieser seltsame Geheimbund, gegründet zwölf Jahre nach der Eroberung Jerusalems, war ein dermaßen verschrobener und geheimnisvoller Verein, daß er schon des öfteren in der Literatur als Drahtzieher im Hintergrund der Weltgeschichte herhalten mußte (U. Eco: Das Foucaultsche Pendel; R.A. Wilson: Illuminatus).

Die seltsamen Ritter waren dafür bekannt, daß sie diverse Köpfe anbeteten, denen die gleichen Eigenschaften wie dem Gral zugeschrieben wurden. Außerdem hält sich hartnäckig das Gerücht eines gewaltigen Welteroberungsplans, was letztendlich auch zur Auflösung des Ordens führte. Die Templervereinigung ist heutzutage angeblich zerschlagen; vielleicht wirken ihre Mitglieder aber auch, gestützt durch die lebensverlängernden Kräfte des Grals, heute noch immer im Hintergrund. Von alten Mythen trennt man sich halt nicht so gern.

Genau hier setzt auch Azrael's Tear auf. Die Templer sind nämlich gar nicht ausgestorben, sondern haben sich in einer Gruppe von zwölf Mann mitsamt dem Becher in eine unterirdische Anlage zurückgezogen. Dort warten sie auf die Erfüllung einer uralten Prophezeiung, um dann endlich den lang gehegten Welteroberungsplan zu Ende führen zu können.

Die alte Prophezeiung kündigte nämlich vom Kommen eines heiligen Diebes, der so unglaublich gerissen sei, daß er die schwierigsten Rätsel lösen könne, sich todesmutig in jede Gefahr begäbe und der einzige sei, der den Gral an die darbende Menschheit übergeben könne. Keine Frage, die Rede ist von einem Computerspiele-Freak der 90er Jahre.

Wo ist der Bempel, im Tempel?

Azreals TearIm Jahr 2003 verändert sich die Erde. Nach jahrhundertelanger Überstrapazierung der Atmosphäre setzt die Kontinetaldrift wieder verstärkt ein, und Mother Earth führt sich auf wie in ihrer Jugend. Schwere tektonische Beben verändern das Aussehen der Kontinente: Berge versinken im Meer, versunkene Inseln tauchen dafür wieder auf, Flüsse trocknen aus, und wo vorher Wüste war, strömen nun reißende Fluten dahin.

Im Zuge der landschaftlichen Veränderungen wird jede Menge geschichtliches Material an die Oberfläche gespült, und die komplette Historie der Menschheit muß umgeschrieben werden.

Auch das Berufsbild des klassischen Archäologen hat einige Veränderungen erfahren. Im Zuge der Dudenreform von 1999 wurde zunächst einmal die schwere Schreibweise vereinfacht. Statt Archäologe sagt man nun Raptor, was irgendwie schon mal fetziger klingt.

Zur Ausübung des Raptorenhandwerks reichen auch nicht mehr der Schlapphut und die Lederpeitsche. Der moderne Mythenforscher trägt einen MS-2-Helm mit integriertem Bordcomputer, Navigationshilfe, Head-Up-Display, Lebenserhaltungssystemen und last but not least einer vollautomatischen Wumme.

Der Spieler übernimmt die Rolle eines solchen Raptors und begibt sich auf Aufforderung eines Freundes nach Aeternis, wo der letzte bekannte Aufenthaltsort der Tempelritter liegen soll. Dort angekommen, muß man zunächst einmal feststellen, daß der briefeschreibende Freund mittlerweile verschwunden ist und außer zwei Kritzelzetteln nichts zurückgelassen hat.

Aeternis entpuppt sich als unterirdisches Gangsystem von immensen Ausmaßen. Die ganze Anlage ist von dinosaurierähnlichen Wesen bewohnt und gleicht einer Tempelanlage mit angeschlossenem Steinbruch. Während der Held durch die Gänge marschiert und die komplexe Maschinerie und Architektur bewundert, gibt es des öfteren lose Seiten eines Tagebuchs zu finden.

Nach kurzer Zeit erfährt man, daß hier tatsächlich der Aufenthaltsort der immer noch lebenden Templer und ihres heiligen Gefäßes ist. Auch die Existenz der Saurier erklärt sich schnell. In Aeternis wurde nicht nur der Gral aufbewahrt, sondern auch der Gralstein abgebaut, aus dem der Kelch gefertigt wurde. Dieses Gestein, durch Gottes Hand oder einen Meteoriteneinschlag auf die Erde gelangt, hat tatsächlich lebensverlängernde Wirkung. Die Saurier konnten sich beim Erbauen der Anlage einschleichen und sterben ob des Gralsteins auch nicht aus.

Außerdem erfährt man von der Legende des heiligen Diebes, der einen ominösen Test zu bestehen hat. Seine Aufgabe besteht darin, in einer Art Schnitzeljagd den von den Templern versteckten Gral zu finden. Dazu gilt es, diverse Maschinen zu reparieren, Türen zu öffnen oder Inschriften zu deuten. Adventurefans kennen das.

Während der Held sich voller Eifer am Test beteiligt, stößt er nach einer Weile auf die Templer. Wie sollte es auch anders sein, wenn man ein Dutzend alte, religiöse Starrköpfe für Tausende von Jahren unter der Erde wegschließt? Bei Ritters geht es zu wie in der Lindenstraße und Dallas zusammen. Jeder mißtraut jedem und versucht, den anderen hereinzulegen.

Weg vom Humpen, ihr Lumpen!

Azreals TearWaren die Templer früher mal ein echt cooler Geheimbund, so stellen sich die noch lebenden Ritter mittlerweile an wie ein Rentnerclub auf Kaffefahrt, dem gerade eröffnet wurde, daß nur ein Stück Kuchen da ist.

Der Anführer der Templer, Tobias, ist ein ziemlich verschlagener Bursche, der schon mit seinem ersten Auftritt verrät, daß er gewaltig Dreck am Stecken hat. Er erzählt dem Helden von Baphomet, dem Herrn von Aeternis, sowie von einem geheimnisvollen Agenten, der auf den Namen Cobweb hört und es sich zur Aufgabe gemacht hat, wichtige Hinweise des Tests verschwinden zu lassen.

Im Laufe der Geschichte findet man jedoch heraus, daß sowohl Baphomet als auch Cobweb nur Phantasiegestalten des Templerbosses sind. Der Ritter Edgar bewahrte ein wichtiges Geheimnis in einer Truhe auf, die allerdings von irgend jemandem geplündert wurde. Klar, daß Edgar denkt, man selbst sei der Dieb!

Philipe ist ein rechtes Weichei und glaubt noch immer an den heiligen Auftrag der Templer. Ob der Gral allerdings wirklich das Werk Gottes ist, da hegt der religiöse Mann mittlerweile seine Zweifel. Und der Ritter Tallum leidet unter schweren Depressionen, seit er seinen Templerkumpel Guy verraten hat.

Jeder unter den Rittern versucht natürlich, dem Helden seine Story als die einzig wahre zu verkaufen, und man muß durch geschicktes Taktieren und mit Diplomatie versuchen, den wahren Kern der Geschichte herauszufinden.

Die Handlung beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Finden und Bequatschen der Ritter. Nebenbei muß auch noch der Test bestanden werden. Hier findet der Adventurefan alles, was beim Knobeln Spaß macht. Angefangen bei klassischen Logik- und Schloßpuzzles, sind es aber vor allem die mechanischen Rätsel, die begeistern.

Die komplette Anlage wird durch ein komplexes System von Heißwasserleitungen betrieben. Da gibt es Dampfboote, Kräne, Steinzerkleinerungsanlagen, vorsintflutliche Videoprojektoren, Solaranlagen, Abhörvorrichtungen, Beobachtungssysteme auf Spielebasis und, und, und! Getreu der Nintendo-Maxime "Ein guter Held ist auch ein guter Klempner", gilt es, zunächst die Mechanik in Gang zu bringen und sie danach sinnvoll einzusetzen. Das Tolle daran ist die Technik, mit der die Rätsel in Szene gesetzt werden, denn Azrael's Tear ist weitaus mehr als ein herkömmliches Point-and-Click-Adventure.

Echt klasse, die Hatz nach der Tasse

Azreals TearBei der Steuerung des Adventures hat man sich bei Mindscape eine Menge einfallen lassen. Azrael's Tear spielt in einer 3D-Umgebung, die sich wirklich sehen lassen kann. Wie schon bei Normality bewegt sich der Spieler völlig frei durch die heiligen Hallen und kann seinen Blick in jede beliebige Richtung schwenken. Das geht zwar nicht ganz so zügig wie bei First-Person-Ballerspielen, dafür wird aber mit einer unglaublichen Menge stimmungsvoller Hi-Res-Texturen aufgewartet.

Das Game sieht am besten in 640x480er Auflösung aus – aber bevor jetzt die 386er-Fraktion entsetzt aufstöhnt: Das ist durchaus spielbar! Um die gewaltigen Datenmengen in den Griff zu bekommen, haben sich die Programmierer extreme Mühe gegeben. Aeternis ist in lauter kleine Zonen aufgeteilt, die beim Betreten einer solchen nachgeladen werden. Das geht ziemlich schnell, und während des Ladevorgangs werden wichtige Daten über die Beschaffenheit der Zone eingeblendet.

Bei der Bewegung in den Räumen sorgt eine dynamische Auflösung für flüssigen Spielablauf. Während der Bewegung schaltet der Bildschirm eine Auflösungsstufe herunter, was zur Orientierung durchaus ausreicht. Bleibt der Spieler stehen, um etwas genauer in Augenschein zu nehmen, dann schaltet die Auflösung wieder hoch, und man kann die ganze Pracht der stimmungsvollen Räumlichkeiten bewundern. Das funktioniert auch, wenn sich der Spieler mit einem Boot oder Wagen bewegt.

Die Suche nach Schaltern oder Hinweisen erfordert ein aktives Untersuchen der Räumlichkeiten. Wer einfach nur den Bildschirm systematisch mit der Maus abfährt, wird hier nichts erreichen. Die restliche Bedienung und die Dialoge folgen "normalen" Adventureregeln, alles ist supereinfach zu bedienen.

Die Rätsel sind so knackig wie schon lange nicht mehr, das zu erforschende Gelände ist riesig, die Story ist spannend und durchweg logisch aufgebaut. Das Erfolgserlebnis schließlich, wenn man soeben eine Dampf-Krananlage repariert hat und die funktonierende Apparatur aus allen Blickwinkeln in Aktion bewundern kann, weckt Erinnerungen an die ersten Bauerlebnisse mit dem Lego-Kasten.

Das Loch in der Tasse

Azraels TearKein Zweifel, Azrael's Tear ist eines der stimmungsvollsten, bestaussehenden und knackigsten Adventures seit langem. Um so ärgerlicher ist es, daß die deutsche Synchronisation so gründlich verpatzt wurde. Wenn zum Beispiel einer der angeblich tausend Jahre alten Gralswächter plötzlich mit der Stimme eines Teenagers redet, dabei hörbare Schwierigkeiten hat, vom Blatt abzulesen, das er vermutlich vor einer Viertelstunde das erste Mal gesehen hat, und schließlich noch krampfhaft versucht, einen österreichischen oder französischen Akzent hinzulegen, schrecken bestimmt auch hartgesottenste Spieler entsetzt zurück. Dummerweise gibt es keine Untertitel, und man muß sich dieses dilettantische Gesülze auf jeden Fall anhören, wenn man das Spiel lösen will. Dafür gibt es schwere Abzüge in der Pflicht!

Insgesamt jedoch hat Azrael's Tear so viele gute Ideen und Eigenschaften, daß es trotzdem extrem spielenswert bleibt. Ohren zu und durch!

Thomas Morgen

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Das Buch zum Gral

Auch wenn die ersten Worte im Handbuch behaupten, daß die bisherige Geschichte des Altertums überholt und reif für die Tonne ist: Hinter der Gralslegende verbergen sich einige der interessantesten Sagen der Historie. Angefangen bei den Kelten, über die Ritter der Tafelrunde und die Parzivalsage bis hin zur Sage über die geheimnisvolle Templerverschwörung, hält sich der heilige Becher in der Hitliste der Sagenrelikte ganz oben. Auch wenn heute niemand mehr direkt an einen Becher mit universeller Heilkraft glaubt, so hat die Menschheit die Hoffnung auf ein ewiges Leben noch lange nicht aufgegeben. Ob der Gral der Neuzeit nun in der Genforschung zu finden ist oder ob das Eintauchen in einen Behälter voller flüssigen Stickstoffs nun die Aussicht auf ewige Jugend verspricht - der Traum vom Gral ist vermutlich so alt wie die Erkenntnis, daß Leben irgendwann endet.

Um frischgebackenen Gralsjüngern eine Einstiegshilfe in die Mythen zu bieten, wird Azrael`s Tear auch in einer Luxusversion ausgeliefert, die ca. 15 DM teurer sein und dafür ein reich bebildertes, 250seitiges, gebundenes Buch aus dem Bechtermünz-Verlag enthalten wird. Das Buch hat zwar nicht unbedingt etwas mit der Adventurestory zu tun, ist aber für Hobbyabenteurer extrem lesenswert und bildet einen abgerundeten Background.

 

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Azrael's Tear

Systemvoraussetzungen: 486/33, 4 MB RAM, SVGA, ca. 25 MB auf Festplatte

PC-Spiel-Wertung:
Grafik:
Sound:
Komfort:

Was uns auffiel:

+ sehr gute Optik
+ stimmungsvolle Story
+ gelungene Rätsel

– grauenhafte Synchronisation

Hersteller: Mindscape, Preis: ca. 90 DM

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Letzte Änderung am 04 Sep 1996.
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