1 Die Idee Pilot
Erst mal Danke, daß Du mich aus dieser Schachtel geholt hast! Boh, hab‘ ich geschwitzt
in dem engen wattierten Plastik. Ich muß sagen, sieht gar nicht schlecht aus, hier bei Dir.
Ehrlich gesagt, ich war ganz schön aufgeregt während der Reise zu Dir
– schließlich hatte ich ja keine Ahnung, bei wem ich lande und ob es mir da gefällt.
Nun ja, jetzt bin ich hier bei Dir und ich habe ein gutes Gefühl, was unsere Beziehung betrifft.
Weißt Du, für einen kurzen Moment hatte ich vorhin in dem Geschäft ganz schön Angst, Du würdest Dich vielleicht doch für einen meiner Kollegen entscheiden - insbesondere, als Du anfingst, auch noch andere in die Hand zu nehmen. Schließlich warten wir ja alle darauf, daß uns irgend jemand aus den engen Regalen holt. Na ja, ich bin froh, daß Du Dich für mich entschieden hast. Aus einer schier unüberschaubaren Anzahl verschiedenster Handheld-Computer hast Du in letzter Konsequenz mich ausgewählt. Das macht mich stolz, hat aber sicherlich auch seinen guten Grund.
1.1.1 Der kleine Unterschied
Du hast Dir seit geraumer Zeit überlegt, Dir endlich auch einen dieser kleinen Computer zu holen. Deine Freunde und Bekannten erzählten Dir stolz von ihren Errungenschaften und demonstrierten ihre Besitztümer. Farbdisplays spiegelten die bunte Welt des World Wide Web wieder und Faxe wurde in Sekundenschnelle verschickt. Da war die Rede von RAM und Applikationsvielfalt, von Schnittstellen und Kompatibilität und vor allen Dingen von CE. Dahinter verbirgt sich eine Benutzeroberfläche ähnlich Deinem Desktop. Die Anwendungen dafür entsprechen ebenfalls denen, die Du Tag für Tag auf Deinem Rechner benutzt, zum Beispiel Word oder Excel - wenn auch in abgespeckten Versionen.
Streite es nicht ab: Du warst tief beeindruckt von alldem. Trotzdem. So richtig überzeugt, daß einer dieser PDAs (Personal Digital Assistant) das Richtige für Dich ist, warst Du nicht. Schließlich wolltest Du nicht noch ein Notebook - wenn auch als Miniatur-Ausgabe, sondern ganz einfach Dein geliebtes Time/System - wenn auch in elektronischer Form. Und eigentlich warst Du Dir nicht mal sicher, ob Du auf Deinen geliebten papierbasierenden Organizer überhaupt verzichten wolltest. Aber jeder hatte mittlerweile einen Mini-Computer, und Du bist Dir allmählich schon vorgekommen wie ein Fossil. Und um ehrlich zu sein, ab und zu wäre es ja bestimmt auch ganz nützlich, im Internet Informationen nachzuschlagen, auch wenn gerade kein Rechner verfügbar ist. Auch das dringende Fax, das Du neulich nicht bekommen konntest, weil kein Faxgerät verfügbar war, liegt Dir noch im Magen. Aber egal, wenn es schon ein Computer sein muß, dann wenigstens einer, den man bedienen kann, ohne sich lang und breit mit Handbüchern herumzuschlagen und der alle Informationen wirklich bei einem einzigen Knopfdruck zur Verfügung stellt.
Also hast Du weiter Fachzeitschriften gelesen, Anzeigen von verschiedenen Anbietern studiert und Dich mit Freunden über das Thema unterhalten.
Und dann kam er, der Tag, an dem Du mich das erste Mal gesehen hast!
1.1.2 Das erste Mal
Erst bin ich Dir gar nicht so richtig aufgefallen. Ich bin das gewohnt, das liegt an meiner Größe. Aber genau die ist es ja, die Dir dann so gut an mir gefallen hat. Dir war sofort klar, daß Du mich im wahrsten Sinne des Wortes in die Tasche stecken kannst - und zwar in die von Deinem Hemd. Allein diese Tatsache war Dir schon einen zweiten Blick Wert. Und dieser hat Dich dann so richtig überzeugt: Die wichtigsten Anwendungen wie Kalender, Adressen, Aufgaben und Merkzettel sind bei mir auf Knopfdruck verfügbar, meine Volltextsuche liefert in Sekundenschnelle die geforderten Ergebnisse - egal in welcher Anwendung sich der gewünschte Eintrag versteckt hat. Und das alles, ohne langwierig Programme zu starten und zu schließen und sich mit einem übergeordneten Betriebssystem herumzuschlagen.
Was Dir auch gut gefallen hat, ist die Tatsache, daß ich ohne Tastatur auskomme. Bei den meisten Handhelds finden normale Finger ohnehin kaum Platz auf den Tasten und die Eingabe wird damit zur Qual. Auch auf Handschriftenerkennung verzichte ich zu Deiner Erleichterung. Du hättest nämlich weder Zeit noch Lust, Dich erst Mal vier Wochen damit zu beschäftigen, mir Deine - entschuldige bitte - Sauklaue beizubringen. Ich bin vielmehr der Meinung, Du solltest 20 Minuten investieren, um meine - der Druckschrift ziemlich ähnlichen - Lettern zu lernen.
Das alles hat Dich überzeugt: Mich oder keinen willst Du haben!
Im dem Augenblick, wo Du diese Entscheidung getroffen hast, sind Dir schlagartig die vielen Pilot-Benutzer in Deinem privaten und beruflichen Umfeld aufgefallen. Wie eine eingeschworene Gemeinde unterhielten sich diese Menschen über etwas, was Du - noch - nicht hattest: über mich. Erstaunt hat Dich allerdings, wie die Leute über mich reden. Sie nennen mich "mein Pilot", "mein Palm" oder sogar "mein Kleiner". Das war neu für Dich. Schließlich warst Du früher Zeuge von Gesprächen, in denen fast ausschließlich von anonymen "Handhelds" oder "PDAs" die Rede war.
Ja, und jetzt gehörst Du mit zu denen, die liebevoll über mich, ihren Pilot, sprechen und sich mit anderen Benutzern am liebsten über neue Anwendungen austauschen und so gut wie nie mit irgendwelchen technischen Daten protzen. Und das liegt sicherlich nicht daran, daß es die nicht gäbe, sondern vielmehr daran, daß meine Besitzer eine so persönliche Beziehung zu mir haben, daß es fast schon geschmacklos wäre, sich auf Spezifikationen zu beschränken. Von seinem Partner spricht man in der Öffentlichkeit schließlich auch nicht in erster Linie darüber, welche Maße er hat und wie groß sein Wissen ist, sondern man erzählt von gemeinsamen Erlebnissen. Ähnlich ist es mit mir. Meine Benutzer teilen ihr Leben mit mir und - mal unter uns - sie erzählen mir wirklich alles! Sie haben sich für mich entschieden, weil sie sich nicht mit drögen Daten und Fakten auseinandersetzen wollen. Ich funktioniere einfach und erleichtere ihnen das Leben, wo ich nur kann.
Wie dem auch sei, am Anfang einer neuen Beziehung gehört es dazu, sich Wissenswertes über sein "Vorleben" zu erzählen. Schließlich interessiert es den neuen Partner brennend, was vor der neuen Liaison so gelaufen ist. Und so will auch ich Dir mein früheres Leben nicht verheimlichen.
Keine Angst, ich langweilige Dich nicht mit endlosen Monologen. Ich möchte nur, daß Du weißt, woher ich komme und wie ich mich im Laufe der Zeit entwickelt habe.
Wie es sich für einen guten Stammhalter gehört, halte natürlich auch ich das Vermächtnis meiner Vorfahren in Ehren. Schließlich habe ich viel von ihnen gelernt und dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. Ich wäre nicht da, wo ich heute bin, hätten meine Großväter nicht ganze Arbeit geleistet und einiges ausprobiert, auf das ich nun zurückgreifen kann. So sind zum Beispiel die Standardanwendungen seit Anbeginn der Pilot-Zeit identisch: Egal, welchen Pilot Du Dein eigen nennst, immer findest Du auf jeden Fall einen Terminplaner, eine Adreßverwaltung, einen Memo-Block und eine Aufgabenliste sowie einen Taschenrechner.
1.2.1 Pilot 1000
Zugegeben, an meinen Ur-Ur-Großvater kann ich mich eigentlich gar nicht erinnern.
Ich habe natürlich Bilder in unserer Ahnengalerie von ihm gesehen und seine Lehren werden heute noch an uns Kindeskinder weitergegeben. So habe ich zumindest in meiner Phantasie eine ganz konkrete Vorstellung, wie das damals war, ganz früher, als der Pilot 1000 auszog, die Welt zu erobern.
Es muß so im Jahr 1996 gewesen sein, als in Europa plötzlich die ersten Exemplare auftauchten. Für heutige Verhältnisse hatte der Pilot 1000 mit 256 K lächerlich wenig Hauptspeicher und die fehlende Hintergrundbeleuchtung führte dazu, daß man in diffusem Licht so gut wie nichts mehr erkannte.
Nichtsdestotrotz, schien die Welt auf ihn gewartet zu haben. Zusammen mit seinem Nachkommen, dem Pilot 5000, setzte er binnen kürzester Zeit Maßstäbe in Sachen Handhelds.
1.2.2 Pilot 5000
Ebenso wie sein Vater, war auch der Pilot 5000 größenmäßig nicht zu schlagen.
Gerade mal 160 Gramm leicht und unwesentlich größer als eine Zigarettenschachtel, unterschied er sich durch seinen Vorfahr nur in puncto Speicherkapazität: Mit stattlichen 512 K bot er immerhin doppelt so viel wie sein alter Herr.
1.2.3 PalmPilot Personal
Ein kleiner Quantensprung in unserer Familie tat sich bei meinem Großvater, dem Palm Pilot Personal: Endlich konnte man auch nachts in einem schlecht oder gar nicht beleuchteten Raum Daten abfragen und eingeben.
Die längst überfällige Hintergrundbeleuchtung sorgte dafür, daß den Pilot nichts mehr auf seinem Siegeszug aufhalten konnte. Auch das Betriebssystem Palm OS erlebte eine Runderneuerung und hieß ab sofort 2.0. Ansonsten blieb man bei Bewährtem: In Größe und Gewicht hatte sich nichts geändert und auch die Speicherkapazität war identisch.
usw. ...
|