Karma Kagyu Buddhist Network
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Lama

In der Mitte der Gesellschaft angekommen

Lama Ole Nydahl

Auszüge aus einem Gesprächs zu später Stunde mit Lama Ole Nydahl

Augsburg, Oktober 1995: In üblicher dänischer Art erzählte Ole von unseren letzten Errungenschaften und - Lehrer und Schützer in allem, was er tut - auch von Hindernissen die auf dem Weg auftraten.

In unseren Regionalvereinen und Zentren gibt es zur Zeit einigen Wandel: Wir ändern zum Beispiel die Namen überall: Verschwunden sind bewährte Bezeichnungen wie »Karma Chö Ling München« und »Karme Chö Ling in Bayern e.V.«, die früher nur Hellsichtige im Telefonbuch finden konnten. Stattdessen heißen wir zum Beispiel »Buddhistisches Zentrum München der Karma Kagyü Linie e.V.« und auf Regionalsebene »Buddhistische Zentren in Bayern der Karma Kagyü Linie e.V.« Daß eine kleine chinesische Gruppe in Hamburg uns diese Änderung sofort nachmachte, verdirbt keineswegs den Nutzen davon.

Diese Namensänderung geschieht auch wegen der Entwicklungen unserer Linie im Westen: Sowohl bei den Veranstaltungen als auch im Zentrumsalltag ist - vor allem in den größeren Städten - deutlich spürbar, wie sehr wir wachsen. Ole erzählte uns, wie gerührt er eben im Ruhrgebiet war, wo neben unseren hauptberuflichen Humanisten plötzlich jede Menge Zuhörer aus der Industrie und Handel da saßen, wirklich etwas wissen wollten und dann Zuflucht nahmen. Es war ein echter Entwicklungssprung. Etwas ähnliches hatte er die Tage zuvor im bisherigen geistigen »Brachland« - der früheren DDR erlebt. Er drückt es so aus: Lama Ole: »Daß wir inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, ist nicht weil wir uns geändert haben, sondern weil Reife und Selbständigkeit der Leute ständig zunehmen. Dogmatische Religionen und Materialismus versagen sichtbar. Selbst die Sektenforscher der Christen betrachten uns nicht mehr als Feinde. Sie haben begriffen, daß wer zu uns kommt, sowieso nicht zu ihnen gegangen wäre, daß wir durchsichtig sauber sind. Letztendlich ist es in einer freien Gesellschaft unvermeidbar, daß die Wahl einer Lebenseinstellung wie alles andere auf Angebot und Nachfrage beruht.«

Während in den althergekommenen buddhistischen Ländern Asiens die Kreuze oft die Tempel verdrängen, hat die Lehre in nur 20 Jahren bei uns im Westen einen sehr guten Namen erworben und viele Menschen haben ein grundsätzliches Vertrauen dazu. Selbst einige dicke Skandale, wo hochbetitelte Lamas das Vertrauen ihrer Schüler im Stich ließen, und schlecht recherchierte Presseartikel, wie die eines Herrn Krug im »Stern«, die in die Kerbe der chinesischen Besetzer Tibets schlugen, haben unseren Ruf als Vertreter einer gesunden Vernunft nicht geschädigt. Auch ältere und von außenstehenden Nicht-Meditierern geschriebene Bücher, die das buddhistische Ziel als ein nihilistisches »im Nirwana verlöschen« beschreiben, konnten nicht verhindern, daß immer mehr moderne Menschen so sagen wie bereits Albert Einstein: »Wenn ich religiös wäre, dann käme Buddhismus am ehesten für mich in Frage.«

Im romanischen Europa ist die Lehre zwar weitgehend zur »Kirche« erstarrt, mit Klöstern, Mönchen und Nonnen als Hauptträger, aber zwischen Rhein und Wladivostok wachsen über 100 Zentren auf der Grundlage eines freien Laien- und Yogitums. In Tibet, wo es keine Verhütungsmittel gab, waren in Ü und Tsang, der von den »Gelbmützen«, oder »Gelugpa«-Schule beherrschten Mitte des Landes, bis zu 40% der männlichen Bevölkerung Mönche, weshalb heute im Westen manche Leute glauben, daß ein »richtiger« Buddhist alleine schlafen müsse. Das alte Indien hingegen wurde durch eine starke Laien- und Yogitradition bereichert und auch in Ost-Tibet gab es Mahamudra-Kommunen, Praktizierende aus unserer und den anderen beiden »Rotmützen« Schulen, die unter dem Blickwinkel der geistigen Entwicklung zusammen lebten. Selbstverständlich ist es für das Überleben von allen Aspekten des Buddhismus wichtig, daß es zum Beispiel in Frankreich - wo es den Gewohnheiten der Leute entspricht - Klöster gibt. Hier muß man sich nicht mit Geld verdienen und Familienleben rumschlagen und hat die Muße, Traditionen des Dharma zu bewahren, die nicht im täglichen Leben passen und sonst vielleicht verloren gegangen wären.

Die ostrheinischen Karma-Kagyü-Zentren unter der Schirmherrschaft des 17. Karmapa, Thaye Dorje, verstehen aber den Schwerpunkt ihrer Arbeit darin, Buddhismus auf breiter Ebene dem Westen nahe zu bringen; und hier wollen wenig selbständige Leute als Nonne oder Mönch leben. Da Buddhas Lehre vor allem kritischen Menschen einen nachvollziehbaren geistigen Weg bieten soll, die sonst ohne geistigen Weg bleiben, fällt zwangsläufig »nur« Kulturelles aus Tibet weg und das Wesentliche an Buddhas Weg und Ziel tritt hervor. Die Lehre soll ein erfahrbar wertvolleres Leben bringen aber nicht zum Exotentum führen. Aus diesem Grund wertet Lama Ole auftauchende Skandale als ein Geschenk. Sie zwingen die Menschen selbständig zu denken und vermeiden so gläubiges Langweilertum in unseren Zentren. »Kirche spielen« können die Leute woanders sowieso viel besser. Er stellt mit Freude fest, daß mit über 170 Zentren rund um die Welt nach diesen Vorstellungen die Lehre schneller gewachsen ist und mit stärkeren Wurzeln als sonst irgendwo. Überdeutlich folgt der Segen der Karmapas den westlichen Dharmalehrern. Im Leben stehend, selbst für ihren Unterhalt aufkommend und Raum und Freude durch ihre Partner erfahrend, verstehen sie ihre Mitmenschen am besten und können ihnen auch ohne viele Rituale unmittelbar helfen. Das kommunist-chinesische Bestreben, mit Tibet auch den Diamantweg zu zerschlagen, hat ihn stattdessen lebensfähig gemacht und um die Welt verbreitet!

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Aus: Kagyü Life Nr. 19, 7. Jahrgang (November 1995)

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Most recent update: February 20th, 1997
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