Mit »Freiheiten« ist hier gemeint, daß man nicht vollkommen von anderen Dingen in Anspruch genommen wird. Wenn man zum Beispiel in Existenzbereichen geboren wurde, in denen man sehr stark leidet, dann ist man mit diesen Umständen so sehr beschäftigt, daß man nicht die geringste Chance hat, sich der Dharma-Praxis oder anderen positiven Dingen zu widmen.
Der Buddha erklärte in diesem Zusammenhang acht verschiedene Zustände ohne Freiheit für die Praxis. Die Weise, wie er es erklärte, steht in Übereinstimmung mit dem Denken der damaligen Menschen. Heutzutage sollten wir jedoch verstehen, daß diese Zustände nicht unbedingt als bestimmte Orte zu sehen sind; es dreht sich eher darum, welche Art von Erfahrung Wesen als Resultat des Heranreifens ihres eigenen Karmas haben können.
In einigen Sutras beschreibt der Buddha diese verschiedenen Zustände in einer Weise, die den Eindruck erweckt, daß dies verschiedene Welten seien, die unserer Welt ähnlich sind. Er erklärte dies in Übereinstimmung mit der Weise, wie die Leute zu seiner Zeit über die Welt gedacht haben, und insbesondere für die Shravakas – die Menschen, die dem Fahrzeug der »Hörer« folgten.
Wenn wir jedoch über die Paranoia-Zustände nachdenken, können wir sehen, daß es eigentlich kein bestimmter Ort sein kann, denn es wird beschrieben, daß dort überall brennendes Metall ist; wenn man das hinterfragt – wer denn dieses Metall brennt und was als Brennstoff benutzt wird etc. – dann sieht man, daß es nicht wirklich so existieren kann, wie es beschrieben wird. Es ist eher so, daß jedes einzelne Wesen, das das Karma für diese Art von Existenz hat, diese als vollkommen wirklich erlebt. Es ist die besondere Art und Weise, wie der Geist dieser Wesen verwirrt und getäuscht ist; sie erleben, daß sie sich mitten in einer Hölle befinden.
Aber auch wenn es keine »wirkliche Welt« in dem Sinne ist: Solange man das Karma hat, diesen Zustand zu erleben, wird das erfahrene Leiden nicht aufhören. Es ist nicht möglich, diese Erlebnisweise in einem Moment zu verändern, denn man ist vollkommen in dieser Illusion gefangen; man glaubt wirklich, in diesem Höllenzustand zu sein und entsprechend zu leiden. Dieses sehr, sehr intensive Leiden bewirkt, daß es nicht möglich ist, auch nur darüber nachzudenken, was der Dharma bedeutet, geschweige denn, den Dharma zu praktizieren. Selbst wenn man es wollte, hätte man nicht die Möglichkeit dazu.
Andererseits gibt es auch Zustände, in denen Freude und Glück so stark sind, daß man nicht ans Praktizieren denkt –
Im Begierdebereich gibt es sechs Arten von Existenz, und eine davon wird die Existenz der Götter genannt. Wenn man in diesem Zustand geboren wurde, so ist dies das Resultat davon, daß man sehr viel positives Karma angesammelt hat. Das Resultat dieses Karmas ist, daß man sehr viel Glück und Freude erlebt und davon vollkommen abgelenkt wird. Man möchte all diese Zustände genießen und es gibt nicht das geringste unangenehme Gefühl. Weil man kein Leiden erlebt, denkt man nicht darüber nach, wie man vielleicht aus diesem Zustand herauskommen könnte; man ist in keiner Weise motiviert, den Dharma zu praktizieren, denn man ist schon so froh, daß man glaubt, das wäre genug.
Die Bereiche der Form und die Formlosen Bereiche sind Resultate der Meditation: Wenn man bei der Meditation der Geistesruhe an den angenehmen Gefühlen anhaftet, kann es passieren, daß man im Genuß dieser Zustände vollkommen gefangen ist. Man bleibt dann in diesem Zustand tiefer Meditation und fühlt sich nicht mehr von äußeren Objekten angezogen; man ist völlig abgelenkt durch die innere Freude. Weil man keinerlei unangenehme Zustände erlebt, ist der Geist sehr friedvoll und man hat keine Motivation, diesen Zustand in irgendeiner Weise zu verändern.
Aber auch in der menschlichen Welt gibt es Zustände, wo man keine Gelegenheit hat, den Dharma zu praktizieren:
Neben diesen fünf Bedingungen, die durch einen selbst gegeben sind, gibt es fünf weitere, die von anderen abhängen:
Das ist der Grund dafür, daß diese Art von Geburt »Kostbare menschliche Geburt« heißt; wenn wir sie einmal erlangt haben, können wir sie in der richtigen Weise nutzen, um die Erleuchtung zu erreichen. Es ist so schwierig, diese kostbare menschliche Geburt zu erlangen, weil die hauptsächliche Voraussetzung dafür ein korrektes Verhalten ist. Um als menschliches Wesen geboren werden zu können, muß man in früheren Leben die zehn negativen Handlungen vermieden haben. Wenn wir uns jedoch in der Welt umschauen, so sehen wir, daß es nicht gerade viele Menschen gibt, die die negativen Handlungen aufgeben.
Auch gibt es viel mehr Tiere und andere Wesen in der Welt, was uns ebenfalls vor Augen führt, wie schwierig es ist, überhaupt schon als Mensch geboren zu werden. Ein »Kostbarer Menschenkörper« jedoch ist noch schwieriger zu erlangen, als ein gewöhnlicher menschlicher Körper. Wenn wir in diesem Leben die Chance haben, den Dharma zu praktizieren, dann ist das nicht nur das Resultat einer guten ethischen Disziplin, sondern wir müssen auch früher schon ganz bewußt starke Wünsche gemacht haben, daß wir in einer solchen Weise wiedergeboren werden, daß wir uns weiterentwickeln und praktizieren können. Es gibt nur ganz wenige Wesen, die diese Ursache besitzen.
Will man einen Vergleich ziehen, wieviel Menschen es im Verhältnis zu anderen Wesen gibt, so ist dies sehr leicht. Die Bevölkerung eines Landes zu zählen, ist zum Beispiel nicht so schwierig, sie ist zählbar. Wenn wir dagegen die riesige Menge der Tiere zählen wollen, so geht das nicht; es sind unzählige. Das gibt uns eine Idee davon, wie wenig menschliche Wesen es im Vergleich zur Anzahl der Tiere gibt.
Wenn wir darüber hinaus sehen, wie wenige Menschen die achtzehn Bedingungen – die Acht Freiheiten und Zehn Ausstattungen – besitzen, den Dharma zu praktizieren, dann erkennen wir, wie selten diese Gelegenheit ist. Nehmen wir zum Beispiel eine Stadt mit fünf Millionen Einwohnern. Wenn es darunter auch nur 1000 oder 10000 gäbe, die den Dharma praktizieren, dann wäre das schon viel. Aber wahrscheinlich gibt es selbst das nirgendwo. Dies allein zeigt uns schon, wie selten der Kostbare Menschenkörper ist. Wenn wir uns die riesige Weltbevölkerung ansehen und bedenken, wieviele Menschen aufgehört haben, die zehn negativen Handlungen zu begehen – nicht nur unter den Buddhisten, sondern unter allen Religionen oder auch denen, die keiner Religion folgen – dann gibt es nicht viele im Vergleich zur Menge der Leute in der ganzen Welt. Wenn wir weiterhin schauen, wieviele Menschen wissen, wie man Wünsche zum Nutzen der Wesen macht, sind dies auch nicht viele.
Über diese Tatsachen nachdenkend, erkennen wir, wie begünstigt und wirklich glücklich wir sind, daß wir als menschliche Wesen in der Lage sind, den Dharma zu praktizieren. So können wir verstehen, wie extrem selten diese Chance ist. Das sollte uns dazu führen, unser Leben wirklich sinnvoll zu verbringen und wir sollten beschließen, diese Gelegenheit nicht zu verschwenden. Denn wie gesagt: Es ist so außerordentlich schwierig, diese Möglichkeit zu bekommen.
Wir sollten wirklich erkennen, wie kraftvoll unsere jetzige Existenz ist und sie möglichst so nutzen, daß wir in diesem Leben Erleuchtung erlangen. Wenn wir es wirklich gut machen, aber nicht unbedingt am besten, können wir in diesem Leben Bodhisattvas werden. Machen wir es weniger gut, können wir Pratyekabuddhas werden. Wenn wir das auch nicht schaffen, dann werden wir vielleicht den Weg der Ansammlung und den Weg der Verbindung praktizieren. Mindestens aber sollten wir versuchen, dieses Leben nicht zu verschwenden, sondern es in der bestmöglichen Weise nutzen. Dann ist es ganz sicher möglich, in unserer Entwicklung nicht zurückzufallen. Wir werden fähig sein, unsere Ebene zu halten oder uns sogar weiterzuentwickeln. Das ist ein Zeichen dafür, daß unsere Situation sehr kraftvoll ist. Wir sollten das wirklich wertschätzen.
Shantideva hat das anhand eines Beispiels erklärt; er vergleicht es mit einem Chef und einem Diener. Wenn der Chef dem Diener einen guten Lohn zahlt und ihn gut behandelt, wird der Diener froh sein und seinen Job gut machen. Das wiederum hilft dann auch dem Chef. Behandelt der Chef aber seinen Diener sehr schlecht, dann wird natürlich der Diener seinen Job nicht so gut machen, und der Chef wird auch keinen Nutzen davon haben.
In ähnlicher Weise sollen wir unser Leben so handhaben, daß wir uns selbst gut behandeln, denn was gut für uns ist, ist auch gut für andere. Das bedeutet, daß wir gut für uns selbst sorgen sollen, uns zum Beispiel gut ernähren und auch den Geist in einer guten Weise nutzen sollen. Dann werden wir uns auch später in einer guten physischen Verfassung befinden und unser Geist wird sich in einer positiven Weise entwickeln.
Wir sollten keine Zeit verschwenden, sondern jetzt den Dharma praktizieren und es nicht aufschieben, denn wir können diese Möglichkeit jederzeit verlieren und wir könnten jederzeit sterben. Seit dem Moment unserer Geburt nähern wir uns dem Tod. Es gibt keinerlei Gewißheit, wann wir sterben. Verschiedene Bedingungen können den Tod herbeiführen und wir wissen nicht, wann das geschehen wird. Jeden einzelnen Moment kommen wir näher an den Tod und dies ist unabänderlich. Aufgrund dieser Tatsache ist der gegenwärtige Moment so wichtig, und wir sollten unsere Zeit hier und jetzt nutzen.
Der Buddha gab immer den Rat, den Lehrern nicht unmittelbar persönlich zu folgen, sondern zuerst ihre Belehrungen zu überprüfen. Nur so kann man herausfinden, ob es wirklich die richtige Sache ist. Durch die Überprüfung der Belehrungen gewinnt man eine Überzeugung, ob sie richtig sind, und dann kann man ihnen folgen. Wenn man zum Beispiel Gold kauft, prüft man ja auch, ob es wirklich reines Gold ist. Der Dharma hat die Qualität, daß man, je mehr man ihn prüft, um so sicherer wird, daß er richtig ist. Der Buddha betonte jedoch auch, wie wichtig es ist, daß man das selbst für sich herausfindet.
Wenn man von den Belehrungen überzeugt ist, folgt automatisch die zweite Art von Vertrauen: Man möchte dann selbst die Buddhaschaft erlangen. Man sieht, daß es das Richtige ist und wünscht es für sich selbst.
Die dritte Art des Vertrauens beinhaltet, daß man die Reine Sichtweise hat und die Qualitäten der Erleuchtung versteht.
Wenn all diese Bedingungen zusammenkommen – die 18 Bedingungen für die richtige Art der Geburt und die geistigen Bedingungen, die drei Arten von Vertrauen – dann ist das die perfekte Bedingung für eine wirklich erfolgreiche Dharmapraxis. Man kann dann die richtige Motivation entwickeln, nämlich den Dharma zum Nutzen anderer Wesen zu praktizieren, und es werden keine Hindernisse auf dem Weg entstehen.
Aus Überzeugung heraus mit der Dharmapraxis beginnen, kann man, indem man einen Lehrer trifft und wirklich lernt, was Buddha gelehrt hat. Es genügt nicht, wenn man denkt: »Oh, das muß wirklich gut sein« und dem Weg folgt ohne richtig darüber nachzudenken. Irgendwann können zum Beispiel einmal Probleme auftreten, und wenn man dann nicht wirklich tief im Dharma verwurzelt ist, kann man leicht seine Einstellung ändern und den Dharma sogar ganz aufgeben. Deswegen ist es so wichtig, daß man genau weiß, warum man dem Dharma folgt.
Wenn man nur von einzelnen Personen fasziniert ist und dem Dharma blind folgt, kann es passieren, daß man den Dharma für fehlerhaft hält, wenn der Lehrer oder die Freunde im Dharma einmal etwas falsch machen. Man hat dann nicht verstanden, was der Dharma wirklich bedeutet. Man konzentriert sich darauf, daß die Person, der man folgt, Fehler macht und denkt, daß dann eben auch der Dharma selbst fehlerhaft ist. Kennt man den Dharma jedoch genau, kann das nicht geschehen, denn man wird immer genau wissen, was zu tun ist. Deswegen ist es so wichtig, nicht in erster Linie dem Lehrer zu folgen, sondern auch genau zu wissen, was der Dharma bedeutet.
Das ist der Grund für Buddhas Rat: »Folgt nicht der Person, sondern dem Dharma«.
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