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Künzig Shamar Rinpoche

Richtige Sichtweise zu Studium und Praxis des Dharma

Künzig Shamar Rinpoche

Immenhausen, Juli 1993
Die folgenden Belehrungen gab Rinpoche anläßlich des bisher größten buddhistischen Kurses in Deutschland, im Juli 1993 bei Kassel an etwa 1000 Praktizierende, im Anschluß an einen Phowa-Kurs mit Lama Ole Nydahl.

Es sind heute Dharmapraktizierende aus ganz Europa hier und ich freue mich über diese Gelegenheit, Euch allen Dharmabelehrungen geben zu können. Seine Heiligkeit der 16. Karmapa besuchte Europa zweimal und sein Segen ist, wie auch der Segen Buddhas, immer hier. Auch unser Genyen-Lama Ole Nydahl lehrt ununterbrochen in allen Teilen Europas, Amerikas, Südamerikas, ja selbst in Fernost. Er fährt oft 24 Stunden durch, kommt irgendwo an und lehrt sofort. Ole leistet eine großartige Arbeit und was er tut, ist wirkliche Bodhisattvapraxis. Ich danke ihm dafür sehr.

Die Anstrengungen der Lehrer und auch der Schüler basieren auf Karma und es scheint, daß die Menschen im Westen diese Verbindung zum Dharma haben, denn er ist in den europäischen Ländern gut etabliert. Das bedeutet, daß jeder sich der Notwendigkeit des Dharma für die Menschen Europas bewußt ist.

Jedermann weiß, daß Dharma nicht nur asiatische Kultur ist, sondern daß Buddhas Lehren für alle Menschen nützlich sind. Noch ist der Dharma aber nicht ausreichend etabliert; was wir hier noch brauchen, ist die vollständige Übertragung der Lehren.

Die Essenz des Buddhismus ist, daß man den Lehren und nicht nur dem Buddha folgt. Den Lehren folgen heißt, nicht einfach blind hinterherlaufen, sondern die Lehre nach Fähigkeit geschickt prüfen. Aus diesem Grund ist die Vermittlung der Lehre Buddhas sehr klug organisiert: Normalerweise haben Leute ja gar nicht die Fähigkeit, die Lehre zu beurteilen. Deswegen erlernen sie zuerst einmal diese Fähigkeit. Es wird ihnen zuerst beigebracht, wie sie die Lehren durch Logik überprüfen können. Anschließend bringt man seine eigenen Ideen in die Untersuchung ein.

Aus diesem Grunde wurden auch die Debattierklassen erfunden. Dharma ist sehr tiefgründig und schwer zu untersuchen, weswegen die frühen Gelehrten sich viele Tricks ausdachten. Um eine Anschauung zu prüfen, wurde so vorgegangen, daß man zuerst die Lehre des Buddha selbst prüfte, dann ob die zu überprüfende Anschauung eines Meisters mit der von ihm gelehrten Lehre übereinstimmte und schließlich ob man selbst diese Inhalte gründlich gelernt hatte. Sie entwickelten viele solcher Tricks und zum Schluß wurde dann alles zusammen überprüft.

Sie lehrten in dieser Weise, bis die Schüler Sicherheit über das Gelernte und die vollständige Dharmasicht entwickelt hatten. Wenn man eine Straßenkarte gründlich studiert hat, hat man eine gewisse Sicherheit, gleich ob man nun wirklich durch die Straßen geht oder nicht. In manchen Schulen verfingen sich die Leute dann aber in dieser Logik und drehten sich im Kreis. In der Kagyüpa-Schule hingegen konzentrierte man sich, nachdem man die Gewißheit der Anschauung entwickelt hatte, mehr auf die Meditation.

Ab nächstes Jahr wird das »Karmapa International Buddhist Institute«, kurz KIBI, Lehrer nach Europa schicken, um Kurse zu leiten. Dieses Programm ist auf fünf Jahre angelegt und wird einen Monat pro Jahr im Sommer dauern, was wohl auch machbar ist für Leute, die arbeiten müssen. (Programm siehe Seite 2) Wir hoffen auch, in der Zukunft eine richtige Schule für Buddhismus in Europa eröffnen zu können. Die Kurse werden von sehr hervorragenden Gelehrten – Khenpo Tschödrag Thenphel und Topga Rinpoche – geleitet.

Die meisten von Euch haben wohl schon die Vorbereitenden Übungen (Ngöndro) praktiziert und ihr alle übt Praktiken wie Chenresig, Phowa, Karmapa-Meditation... Guru-Yoga, wie die Karmapa-Meditation, ist sehr gut, um den Segen des Lama zu bekommen. Chenresig-Praxis ist ein Weg, um die Bodhisattva-Aktivität zu entwickeln. Wenn man weiß, wie man sie richtig anwendet, ist in einer Chenresig-Praxis eigentlich sogar der ganze Weg enthalten. All diese Praktiken sind sehr gut, um die Hindernisse zu beseitigen, die wir durch unsere störenden Emotionen angesammelt haben. Praktiken wie das Ngöndro sind sehr kraftvoll, um dieses Karma und die Hindernisse zu beseitigen.

Es ist auch wichtig, die verschiedenen Methoden von Shine, der Meditation der Geistesruhe, und des Lhagtong, der Meditation der tiefen Einsicht, kennenzulernen. Hierüber gibt es ein sehr gutes Buch von Dhagpo Tashi Namgyal, das aber noch nicht sehr gut übersetzt ist. Es ist eine Übersetzung namens »Mahamudra« erhältlich, aber wir fanden heraus, daß sie nicht sehr geglückt ist, denn bevor der Übersetzer seinen Text richtig bearbeiten und redigieren konnte, haben Leute in Amerika ihn schon veröffentlicht. Im KIBI wird daran gearbeitet, dieses Buch von Dhagpo Tashi Namgyal neu ins Englische zu übersetzen, wofür die bereits vorliegende Übersetzung eine brauchbare Hilfe darstellt.

Vorher wird jedoch ein Mahamudra-Wörterbuch erscheinen. Wir haben schon über 3000 Ausdrücke im Tibetischen gesammelt, die jetzt von Topga Rinpoche, Hannah Nydahl, Tina Draszczyk und Kiki Ekselius ins Englische übersetzt werden. Für jeden der Ausdrücke wird es eine sehr präzise Definition geben und wenn Leute das Wörterbuch nur lesen, wird das schon viel Erleuchtung geben. Jeder Mahamudra-Begriff erklärt den Mahamudra-Geist, hat somit immer das gleiche Ziel. Eigentlich ist es sehr einfach, denn es geht immer um den eigenen Geist. Man bräuchte eigentlich auch gar nicht so viele Begriffe, um den eigenen Geist zu kennen. Aber wir brauchen es eben doch, weil wir noch in Samsara, der bedingten Welt, sind. Es ist schon komisch: Um seinen eigenen Geist kennenzulernen, muß man zuerst eine andere Sprache lernen (Rinpoche lacht).

Wenn die großen Meditierenden die Natur ihres Geistes erkannten, waren sie oft völlig überrascht davon, daß sie das nicht schon zuvor gesehen hatten, weil es schon immer da war. Aus dieser Verwunderung heraus verfaßten sie in ihren Höhlen so viele Gedichte. Es gibt eine Art Sprichwort in Tibet: »Die Leute denken, daß Milarepa verwirrt ist, weil er alleine und nackt in einer Höhle sitzt und singt, obwohl niemand zuhört. Milarepa denkt jedoch, daß alle anderen verwirrt seien.« Er denkt so, weil die Leute ihre eigenen inneren Reichtümer nicht erkennen und sich, in ihren Illusionen verfangen, im Kreis drehen. Milarepa hat das erkannt, kann es ihnen aber nicht vermitteln, weil es keine gemeinsame Sprachebene dafür gab. Sie hatten wohl noch nicht so ein Wörterbuch. (Rinpoche lacht)

Früher haben die Meister immer sehr betont, daß man viel über das Leiden in Samsara nachdenken soll. Aber das ist nur eine Methode und es hängt eigentlich von den Leuten ab. Natürlich ist Samsara furchtbar und es ist wichtig, daß Leute sich darüber klar sind. Ich denke aber, daß die Leute heutzutage, vor allem in Europa, sich eher auf die Freude der Erleuchtung konzentrieren sollten.

Auch dachten viele Leute im Westen, daß Spiritualität außerhalb des normalen gesellschaftlichen Lebens stattfinden müßte. Aber das ist unnötig, denn was durch die Dharmapraxis verwirklicht wird, geschieht in uns selbst und wird – wenn man den Weg gut kennt – nicht gestört vom gesellschaftlichen Leben. Zum Beispiel haben in vielen Meditationsbüchern die Meister zum Wohle ihrer Schüler geschrieben, daß man für Meditation in die Berge gehen müsse. Aber das hängt von der individuellen Situation ab, denn worum es eigentlich geht, sind nicht die Berge sondern die Meditation. Ein Meister sagte einmal zu einem anderen Meister: »Der Berg ist dein Körper.« Eure jetzige physische Form ist der beste Berg, um Eure Meditation zu üben. Einer meiner chinesischen Schüler schaut ständig nach guten Bergen, denn es gibt Sutras, in denen die Qualitäten eines für die Praxis geeigneten Berges genau beschrieben sind. Er fand heraus, daß es die besten Berge im Himalaja gibt, bekommt jetzt aber keine Visa, um dorthin zu gehen. Es scheint demnach, daß Erleuchtung von den Botschaften abhängig ist. (Rinpoche lacht) Viele Leute denken, daß sie für Erleuchtung in den Himalaja gehen müßten. Ich glaube nicht daran.

Wenn Ihr die Essenz Eures Geistes verstanden habt, ist alles, in jedem Moment und überall, Meditation. In Rumtek gab einen Silberschmied, der ständig arbeitete und zugleich ein sehr guter Meditierender war. Er hatte hervorragende Resultate, besser als manche in Zurückziehung. Viel besser. Jeden Tag arbeitete er sehr geschäftig mit Gold und Silber, aber sein Geist war ständig in Meditation. Er hatte auch einen sehr guten Meister.

Als Unterstützung für die Meditation braucht man ein gutes Wissen über den Dharmaweg und über die wahre Natur des Geistes. Die Beschreibungen des Geistes beinhalten Erklärungen zum Illusionsteil des Geistes, zum Bewußtseinsteil, zu der dem Bewußtsein innewohnenden Weisheit... Es gibt viele Erklärungen dazu und wenn man sie versteht, bekommt man dadurch viel Unterstützung für die Meditation. Auch die Leerheits-Erklärungen sind sehr hilfreich. Hierfür wird das zuvor erwähnte Studienprogramm sehr nützlich sein. Auch für jene von Euch, die nicht die Zeit haben, selbst daran teilzunehmen, denn die Informationen werden später durch Zeitschriftenartikel, Bücher etc. verbreitet werden.

Bisher wurden einige Mahamudra-Unterweisungen des 9. Karmapa ins Englische übersetzt. Sie sind sehr knapp geschrieben, um zu vermeiden, daß sie fehlinterpretiert werden. Diese Art von Büchern kann Euch sehr helfen. Es heißt aber, daß es einerseits natürlich gut ist Mahamudra-Bücher zu lesen, daß es aber viel besser ist, wenn man zuvor etwas Madhyamaka und Yogachara gelesen hat. Die Belehrungen über Erkenntnistheorie (Tsä Ma) erklären zum Beispiel sehr wissenschaftlich, wie der Geist mit physischen Objekten in Beziehung tritt, wie Wahrnehmungsprozesse funktionieren etc. Wenn man das versteht und dann ein Mahamudra-Buch liest, hat man ein ganz anderes Verständnis davon als zuvor.

Normalerweise hängt der Schüler vom Lehrer ab. Wenn man aber ein volles Dharmawissen hat, folgt man dem Lehrer in ganz anderer Weise als zuvor. Zuvor war man wie ein Blinder, der sich irgendwo festhält. Mit dem Dharmawissen aber hat man Augen und Beine, sieht mehr oder weniger den Weg und braucht jetzt aber natürlich immer noch die Erfahrung eines Führers.

Dann können Lehrer und Bücher keine Fehler mehr machen. Wenn man nämlich in tiefgründigere Praktiken einsteigt, gibt es viele Möglichkeiten, Fehler zu machen. Schüler können Fehler in ihrer Meditation machen und Lehrer können Fehler machen, wenn sie nicht wissen, wie sie jemanden anleiten müssen. Wenn es im Buddhismus heißt, daß ein Lehrer einen Schüler führt, so ist damit nicht etwas Magisches gemeint, wie in Eurem Märchen vom »Rattenfänger in Hameln«, der erst mit seiner Flöte Hunderte von verzauberten Ratten und später Hunderte von ahnungslosen Kindern entführte. Ihr kennt die Geschichte, oder? (Rinpoche lacht)

Naropa zum Beispiel war ein hochgelehrter Praktizierender, und Tilopa war ein sehr erfahrener Lehrer. Naropa mußte bei seinem Lehrer Tilopa durch ein paar »praktische Methoden« gehen, die er gebraucht hatte. Tilopa konnte Naropa ohne Schwierigkeit jedesmal die Essenz, die Bedeutung, vermitteln. Und Naropa hatte keine Schwierigkeit, dem zu folgen; eben nicht blind, sondern wegen seines Wissens.

Als Gampopa bei Milarepa meditierte, hatte er bestimmte Erlebnisse. Wenn man praktiziert, verändert man seine ganze Situation vollständig, von einer samsarischen Struktur zu einer erleuchteten. Es kann dabei zeitweilig etwas Durcheinander im Nervensystem geben. Gampopa hatte dadurch Visionen, wie zum Beispiel, daß vor ihm am Himmel Tausende von Buddhas erschienen. Er dachte, daß das ganz wundervoll wäre, daß er wohl fast erleuchtet sei. Stolz und glücklich ging er zu Milarepa und opferte ihm sein Erlebnis. Milarepa jedoch ignorierte es völlig, beleidigte Gampopa sogar. Er sagte, daß Tausende von Buddhas am Himmel gar nichts bedeuten, daß es nur Illusion sei. Milarepa sagte, daß es sogar doppelt so viele seien, wenn Gampopa auf seine Augen drücken würde. Er entmutigte ihn völlig. Ein anderes Mal hatte Gampopa eine Vision einer Hölle. Er ging ganz bedrückt zu Milarepa und dieser sagte ihm, daß die Ursache für diese Vision sein zu eng sitzender Meditationsgurt sei. Was würde ein unerfahrener Lehrer in diesen Fällen gesagt haben? Was würde ein Lehrer normalerweise sagen, wenn der Schüler eine Vision der Buddhas hat? Ich glaube nicht, daß viele Lehrer sagen würden, daß eine Vision der Buddhas nicht mehr bedeutet als die Visionen, die das Pressen der Augen erzeugt. Sie würden einen wohl eher ermutigen und sagen, daß man mehr Buddhas sehen soll. Und niemand käme auf die Idee, daß der zu eng sitzende Gürtel die andere Vision hervorgerufen haben könnte. Es ist also sehr schwer, einen richtig qualifizierten Lehrer zu finden, wenn man sehr tiefgründige Praktiken übt. Auch ist es für den auf dem Meditationsweg weit fortgeschrittenen Schüler sehr schwer, den Instruktionen richtig zu folgen. Es ist wirklich nicht leicht zu wissen, wie man ihnen folgen soll. Ich will damit nicht sagen, daß es für Euch jetzt schwierig wäre. Ich will nur, daß Ihr die Bedeutung des Dharmawissens versteht, damit Ihr nicht wie die Ratten und Kinder in dem Märchen seid. Ohne Wissen ist man völlig abhängig von den Lehrern. Dieses Frühjahr (1993) begingen Leute in Waco/Texas sogar Selbstmord und opferten ihre Kinder für den Anführer ihrer Sekte.

Wahrscheinlich haben Lehrer und Schüler gedacht, sie täten das Richtige.

Für die Meditation braucht man voller Freude Geduld. Es ist wie bei der Schönheitschirugie, wo Leute für ein schönes Resultat lange Zeit sehr geduldig sein müssen. Ich weiß nicht, wie geduldig sie wirklich sind, aber sie nehmen die Korrekturen freudig auf sich, um hinterher schöner zu sein. Ob sie hinterher wirklich so glücklich sind, weiß ich nicht. Aber es sieht so aus. Ich selbst hatte nie so eine Operation. (Rinpoche lacht)

Man braucht Geduld, weil Meditation etwas ist, woran man sich gewöhnen muß. Jetzt ist unser Geist wie ein sehr wildes Pferd. In keinem Leben bisher hat man gelernt, den Geist richtig in den Griff zu bekommen. Wenn man jetzt versucht ihn zu kontrollieren, braucht man am Anfang viel Geduld. Man wird aber diese Probleme überwinden und wenn das wilde Pferd gezähmt ist, wird es sehr folgsam sein und der Reiter wird sehr bequem darauf reiten. Es wird zwar nicht lange dauern, bis man den eigenen Geist im Griff hat – ich rede jetzt nicht von vollständiger Erleuchtung, sondern nur von Kontrolle – aber man braucht Geduld.

Mahamudra bietet für diesen Weg sehr viele Techniken, ist ein Schatz an Methoden. Leute inPhilosophie anzuleiten ist sehr leicht, weil alle dasselbe lernen können. Wenn es aber um Meditation geht, ist das etwas anderes, weil man hier die Individualität der Leute berücksichtigen muß. Entsprechend der eigenen Probleme muß jeder individuell die jeweiligen Methoden bekommen. So ist Mahamudra sehr reich an Methoden, ebenso wie Maha Ati; man sollte nicht so an den Namen hängen. All die Meditationsanweisungen von Milarepa, Gampopa, dem ersten Karmapa, dem 9. Karmapa, Lorepa und anderen sind sehr präzise. Sie waren sehr geschickt im Schreiben dieser hilfreichen Ratschläge für die Schüler.

Es gab in Tibet zwei Arten, solche Texte zu schreiben: Eine Weise entstand, indem Meister sich dachten, daß es wichtig sei, die Leute erstmal zur Meditation zu ermutigen, bevor man sie richtig anleitet. Allgemeine Bücher müßten demnach keine präzisen, detaillierten und klaren Meditationsanweisungen enthalten, dachten sie. Dies war vor allem bei den Nyingmapas der Fall. Sie dachten sich, daß die Lehrer die Schüler dann richtig anleiten könnten, wenn sie zu den Lehrern kommen. Der Stil dieser Bücher war sehr weit und hoch, mit wundervoller Terminologie, mit Titeln wie »Schwingen des Garuda«. Es gab früher einen Vogel namens Garuda, der sehr schnell fliegen konnte. Die Sprache war sehr poetisch, oft auch etwas übertrieben, um die Leute anzuregen und zu ermutigen. Wenn die Leute dann kamen, wurden sie richtig zum Meditieren angeleitet.

Die Kagyüpas hingegen schrieben alles genauso auf wie es ist. Leute wie Gampopa und Milarepa waren sehr natürlich und direkt. Jede Methode wurde in den Büchern aufgeschrieben. Später waren viele Meister deswegen besorgt und dachten, daß diese Bücher mißbraucht werden könnten, weil sie zu klar geschrieben waren. Sie versuchten dann, diese Bücher zu schützen und nicht zu veröffentlichen.

Man kann also Meditation nicht einfach nur aus Büchern lernen, weil man sich nicht sicher sein kann, daß man richtig meditiert.

Es ist auf jeden Fall sehr wichtig, daß man ein Verständnis über den Unterschied von Geist und Materie bekommt. Hier im Westen können sich viele Leute überhaupt nicht vorstellen, daß der Geist etwas ganz anderes als Materie ist, weil sie so daran gewöhnt sind, den Geist immer nur als etwas Substantielles, in Verbindung mit dem Gehirn, zu sehen. Es ist einfach eine Gewohnheit. Viele alte Tibeter fühlten, daß ihre Gedanken sich im Herz abspielen. Die jungen Tibeter heutzutage fühlen eher, daß es im Kopf geschieht. In dieser Weise haben viele westliche Länder, aber auch einige asiatische, nicht die Gewohnheit zu denken, daß Geist und Gedanken etwas anderes als die materielle Existenz wären. Wenn man mit dieser Gewohnheit Meditation übt, wird man sie nicht besonders gut verstehen. Deswegen ist es gut, die Belehrungen über diesen Unterschied zu studieren. In Tsä Ma (buddhistische Erkenntnistheorie) und Uma (Madhyamaka) werden diese Dinge sehr gut erklärt.

Meditation ist etwas wunderbares und Erleuchtung hängt hundertprozentig davon ab. Zugleich brauchen die Leute, ob im Osten oder im Westen, sofortige Hilfe. Wenn Ihr eine Praxis macht und Schwierigkeiten dabei habt, so liegt das an Eurem Karma. Ihr wollt Euch befreien von Samsara und braucht deswegen jemand der Euch führen kann. Die alten traditionellen Chinesen bitten immer: »Du mußt kommen und mich beschützen, wenn ich sterbe.« Sie haben die Vorstellung, daß es einen dunklen Pfad in die niederen Bereiche und einen hellen Pfad in die guten Daseinsbereiche gibt, und daß der Guru physisch kommen wird und sie an der Hand in die guten Bereiche hochführt.

Um ihre geistigen Probleme und Unsicherheiten zu lösen, ist es auch gut ihnen zu sagen: »Ja, ich werde Dir helfen. Mach Dir keine Sorgen. Du mußt aber auch zu Chenresig oder Öpame beten.« Man kann sie so leiten, aber es ist nicht der höchste Weg. Als Buddha Shakyamuni praktizierte, ließ er sich auch nicht am Schopf von jemanden zur Erleuchtung hochziehen. Erleuchtung ist ständig in uns selbst und wird nie von jemand anders kommen. Ihr habt die vollständigen Bedingungen für Erleuchtung. Eigentlich hat jedes Wesen sie, aber die Menschen besonders, da Buddha in menschlicher Form erschien und lehrte. Es gibt dazu verschiedene Ansichten. Im Theravadayana sagt man gewöhnlich, daß Buddha das Problem von Samsara erkannte, dann meditierte und Erleuchtung erlangte. Im Mahayana hingegen geht man davon aus, daß Buddha schon lange zuvor erleuchtet war, und nur kam, um den Wesen ein Beispiel zu zeigen und den Weg zu geben. Die eigentliche Ursache für Erleuchtung liegt jedoch in den Wesen und kommt nicht von Buddha.

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Aus: Kagyü Life Nr. 13, 5. Jahrgang (November 1993)

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