Geschichtlicher Hintergrund
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Die Kagyü-TraditionDie Kagyü-Tradition, manchmal auch als »mündliche Linie« bezeichnet, geht auf den großen indischen Yogi Tilopa zurück, der im 10./11. Jahrhundert in Nordindien lebte. Tilopa hatte vier bestimmte Übertragungen (tib.: bka-babs-bzhi) erhalten, und war der Linienhalter dieser Traditionen geworden.Unterschiedliche historische Quellen weisen zwar einige Abweichungen auf bezüglich jener Lehrer, die mit diesen vier Übertragungen in Zusammenhang stehen, dennoch scheint folgende Beschreibung die am meisten verbreitete zu sein:
Milarepa, Marpas wichtigster Schüler, wurde einer von Tibets größten Yogis. Durch seine Ausdauer in der Meditationspraxis von Mahamudra und der Sechs Lehren Naropas erlangte er tiefe Verwirklichung der absoluten Natur der Wirklichkeit. Gampopa, der Arzt aus Dhagpo, wurde Milarepas Linienhalter. Er hatte zunächst in der Kadampa-Tradition, ein stufenweiser Weg, der die sogenannten »Lam Rim«-Belehrungen beinhaltet, studiert. Später traf er dann mit Milarepa zusammen und erlangte unter dessen Anleitung die Verwirklichung der letztendlichen Wirklichkeit. Gampopa errichtete monastische Institutionen, lehrte in großem Ausmaß und hatte viele Schüler. Vier seiner Schüler gründeten die vier großen Kagyü-Schulen: Baram Dharma Wangchuk gründete die Baram Kagyü-, Pagdru Dorje Gyalpo gründete die Pagdru Kagyü-, Shang Tsalpa Tsondru gründete die Tsalpa Kagyü-, und Karmapa Düsum Khyenpa gründete die Kamtsang Kagyü-Schule, die auch als Karma Kagyü-Schule bekannt ist. Es war der erste Karmapa, Düsum Khyenpa, der die vollständige Mahamudra-Übertragung von Gampopa erhielt. Die acht kleinen Kagyü-Traditionen gehen auf Pagdru Dorje Gyalpos acht Hauptschüler zurück. Die acht Schulen sind: Taglung Kagyü, Trophu Kagyü, Drugpa Kagyü, Martsang Kagyü, Yerpa Kagyü, Yazang Kagyü, Shugseb Kagyü und Drikung Kagyü. Die verschiedenen Kagyü-Traditionen werden nicht wegen ihrer Lehren als »groß« bzw. »klein« bezeichnet, da sie in dieser Hinsicht völlig gleichwertig sind. Die »vier großen« sind vielmehr deswegen als solche bekannt, da sie in Gampopa selbst ihren Ursprung haben, während die »acht kleinen« Traditionen auf eine spätere Generation von Meistern zurückgehen. Derzeit bestehen von den vier großen Kagyü-Traditionen nur noch die Karma Kagyü und von den acht kleinen Kagyü-Traditionen die Taglung-, Drugpa- und Drikung Kagyüs als eigenständige Schulen. Innerhalb der buddhistischen Traditionen Tibets kann man wiederum verschiedene Übertragungen unterscheiden, wobei alle diese Traditionen gleichermaßen Übertragungen des Pratimoksha-Gelübdes und des Bodhisattva-Gelübdes haben. Die Karma Kagyü-Tradition beinhaltet darüberhinaus die Übertragung der Tantrayana-Meditationspraktiken der »Sechs Lehren Naropas« sowie die des »Mahamudra«. Der Name »Goldene Kagyü Übertragungskette« bezieht sich dabei auf jene Linienhalter, in deren Übertragung Mahamudra das zentrale Thema ist. Es sind dies die indischen Meister der Linie, die aufeinanderfolgenden Inkarnationen des Karmapa und ihre jeweils wichtigsten Schüler, die die Übertragung an die nächste Karmapa-Inkarnation weitergeben. Die Linienhalter werden von Karmapa selbst ausgewählt, wodurch sichergestellt ist, daß die Lehren intakt und rein erhalten bleiben. Der Karmapa wählt also immer selbst jene Lehrer, die die Übertragungslinie an seine zukünftige Inkarnation weitergeben. Karmapa ist ein großer Bodhisattva, der die Fähigkeit besitzt, die Verwirklichung und die Qualitäten anderer wahrzunehmen. Es ist durch eben diese Fähigkeit, kraft derer der Karmapa sieht, daß der entsprechende Lehrer die letztendliche Natur der Wirklichkeit erkannt hat und nicht in der geringsten Weise an weltlichen Dingen hängt, und daß er sich für den einen oder anderen Lehrer entscheidet. Es gibt von daher keine Norm, die Karmapas Lehrer im vornherein festlegen würde. Manchmal waren diese Linienhalter zwischen den Karmapas bedeutende Reinkarnationen und manchmal hervorragende Praktizierende, die keinerlei hohen Status in der religiösen Hierarchie innehatten. Gyalwa Yungtönpa ist ein Beispiel hierfür. Ein anderer Aspekt der Erhaltung der Karma Kagyü-Tradition ist der vorläufige Verwaltungsrat (bzw. die vorläufigen Verwalter), die zwischen Karmapas Inkarnationen seine Klöster verwalteten. Die einstweiligen Verwalter sind keine Linienhalter. Der 14. Karmapa, Thegchog Dorje, bestellte zum Beispiel das Oberhaupt der Drukpa Kagyü, den 9. Drugchen Mipham, Chökyi Gyamtso, (auch als Mingyur Wanggi Gyalpo bekannt) als Direktor dieser Zwischenverwaltung. Der 16. Karmapa setzte, der indischen Gesetzgebung entsprechend, eine juristische Person, den »Karmapa Charitable Trust« für diese Funktion ein und ernannte persönlich die Kuratoriumsmitglieder. Bis zur Volljährigkeit des 17. Karmapa tragen sie daher derzeit die Verantwortung für die Angelegenheiten des Sitzes S. H. des 16. Karmapa und der daran angeschlossenen Klöstern und Zentren. |
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