Kapitel Zehn


Frachtmeister Shooshun war geblieben. Der gestreifte brillentragende Kater wollte auf seine alten Tage die Familie nicht im Stich lassen, obwohl er sich von der ganzen Fuchstauren-AffŠre verwirrt fühlte. Khiray war erleichtert, daß wenigstens er ihm das Vertrauen ausgesprochen hatte. Andere Besatzungsmitglieder, die der junge Fuchs sein Leben lang gekannt hatte, waren von Bord gegangen: Als Delley behauptet hatte, genügend Leute zu haben, um die 'Silberne Ansicc' fahren zu kšnnen, hatte er großzügig verschwiegen, daß er zwei davon neu angeworben hatte. Selbst sein eigener Assistent hatte es vorgezogen, das Weite zu suchen und auf einem anderen Dampfer anzuheuern. Shooshun und Kinnih, ein junger Dachs, der erst fünf Monate zuvor als Matrose angeheuert hatte, waren die einzigen von der ursprünglichen Mannschaft, die noch an Bord waren.

Nicht, daß Khiray es den anderen verdenken konnte. Sie fuhren in eine Šußerst ungewisse Zukunft, verfolgt von DŠmonen; vielleicht würden sie ihr Ziel nie erreichen. Daß ihr KapitŠn ermordet wurde, befreite die Mannschaft von einem Großteil ihrer LoyalitŠt. Sie schuldeten Khiray nichts. Der Fuchs war jung (wenngleich nicht unerfahren) und hatte bereits ein bemerkenswertes Talent bewiesen, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Die von Bord Gegangenen wußten natürlich nichts von den DŠmonen oder von Galbrens PlŠnen; sie hatten nur mitbekommen, daß Khiray sich mit Gouverneur Galbren angelegt hatte, in eine Straßenschlacht geraten war und in einer všllig fairen und gerechten Gerichtsverhandlung die Partei des offensichtlich Schuldigen - des Mšrders ihres KapitŠns - ergriffen hatte.

Khiray hŠtte es sich denken kšnnen. Er hatte 'seine' Mannschaft wŠhrend der Verhandlung gesehen.

So viel zum Thema LoyalitŠt.

Andererseits, selbst Onkel Farlin war zu den Garden gegangen, hatte sich in Galbrens Dienst gestellt. Warum mehr erwarten von Matrosen?

Khiray ließ den Blick über die Versammelten schweifen. Shooshun, dessen wahres Motiv darin zu finden sein mochte, daß niemand einen Kater seines Alters noch in einer verantwortungsvollen Position anheuern würde. Kinnih, der Khiray bewunderte (Kinnih war erst fünfzehn und schien in Khiray so etwas wie den Šlteren Bruder zu sehen - etwas, das der Fuchs nie so intensiv wahrgenommen hatte wie jetzt). Delley, natürlich. Seine 'Neuerwerbungen': Pakkaht, ein Hirsch von vielleicht dreißig Jahren, ein muskulšser Geselle mit stolzem Gehabe; und Kaslin-Ray, eine weitere Ratte, aus Delleys weitverzweigter Verwandtschaft, soweit Khiray verstanden hatte. Kaslin-Ray war bereits von Delley ins Vertrauen gezogen worden und hatte es für klug angesehen, Sookandil schleunigst zu velassen. †ber Pakkahts Motive wußte Khiray nichts, Delley hatte ihn in der Werkstatt der Kesselflicker getroffen, wo er als Geselle arbeitete. Für Hirsche waren derartige schweißtreibende Arbeiten nicht üblich; vielleicht versteckte sich Pakkaht vor jemandem. Er fragte nicht nach. Unter den gegebenen UmstŠnden konnte er nicht wŠhlerisch sein.

Diese fünf, plus Khiray selbst, bildeten jetzt die Mannschaft. Die anderen - Pallys, das unsterbliche Kaninchen, Saljin von den Steinen, die letzte überlebende Fuchstaurin, und Sarmeen, der zungenlose Wolf - mußten erst in die Feinheiten der Schiffahrt eingewiesen werden, ehe sie einen Posten an Bord übernehmen konnten. Pallys vielleicht nicht, wŠhrend seines vierzehntausend Jahre wŠhrenden Lebens mochte er auch als Seemann gedient haben. Khiray hatte noch nicht viel darüber nachgedacht. Immerhin, Pallys stand in diesem Moment am Steuer des Schiffes, wŠhrend alle anderen hier in der Messe versammelt waren; Delley hatte ihm die 'Silberne Ansicc' ohne weiteres anvertraut. Und das hieß schon einiges.

Sie hatten keine Pause gewagt. Die Maschinen liefen nicht mehr unter Vollast, aber weit schneller, als es auf einer normalen Handelsfahrt der Fall gewesen wŠre. Keiner von ihnen wußte, wie schnell DŠmonen reisen konnten. Khiray hatte auch keine Ahnung, wo Galbrens eigene Schiffe sein mochten und wie schnell er sie zurückrufen konnte, um die Verfolgung aufnehmen zu kšnnen. Von Sookandil aus waren bereits Schiffe aufgebrochen, um die Neuigkeiten zu verbreiten - oder vielmehr Galbrens Interpretation der Neuigkeiten -, und sie mochten gut und gerne Anweisungen für Galbrens KapitŠne mit sich führen.

"DŠmonen", sagte Pakkaht unglŠubig.

"Ich hab's dir gesagt", stellte Kaslin-Ray fest.

Der Hirsch zuckte die Achseln. "Was soll's. Eine Stellung ist eine Stellung."

"Du nimmst das alles ziemlich gleichmütig hin", bemerkte die Ratte.

"Ich habe meine Gründe."

"Huh?"

Pakkaht kniff die Augen zusammen. "Die dich ganz und gar nichts angehen."

Die Ratte verzog beleidigt die Schnauze. "Hab' ja nur gefragt. Man wird ja wohl noch neugierig sein dürfen."

"Nein", stellte Pakkaht kalt fest. "Man wird nicht dürfen."

"Bitte", sagte Khiray. "Das ist nicht witzig."

"Es ist auch nicht witzig gemeint", grollte der Hirsch. "Ich wußte, daß Galbren etwas vorhat, lange ehe dieses Schiff einlief. Ich habe seinerzeit Kesselflicker gelernt, und deshalb habe ich mich in der Werkstatt als Geselle verdingt. Direkt unter den Augen des Feindes ist stets das beste Versteck."

Khiray meinte etwas in den Augen des Hirsches zu sehen: Stolz? Trotz? Nein, mehr noch. Kampferfahrung. Pakkaht war alles mšgliche, aber sicher kein Kesselflicker. Doch der Fuchs fragte nicht weiter nach.

"Wir müssen Drun'kaal so schnell wie mšglich erreichen", stellte er fest. "Wir werden Tag und Nacht unterwegs sein und nur halten, um unsere VorrŠte aufzufüllen."

"Müssen wir mit einem Hinterhalt rechnen?" fragte Pakkaht.

"Vielleicht", murmelte Delley und warf dem Hirsch einen mißtrauischen Seitenblick zu. "Die DŠmonen haben die Mšglichkeit, von dieser Welt in die Hšlle und wieder zurück zu wechseln. Vielleicht kšnnen sie dabei jeden beliebigen Punkt anpeilen. Dann kšnnen sie überall lauern. Pallys weiß sicher mehr darüber."

"Selbst wenn nicht", warf Khiray ein. "Drei Schiffe sind vor uns aufgebrochen, mit fast zwei Tagen Vorsprung. Galbrens eigene Schiffe sind wahrscheinlich nicht fern. Wenn die KapitŠne den Befehl erhalten, uns den Weg zu verlegen, werden sie es tun."

"Aber das sind HŠndler", sagte Kaslin-Ray. "Keine Garden. Keine Soldaten. Keine DŠmonen."

"Und außerdem sind wir erst aus Sookandil geflohen, nachdem diese Schiffe bereits unterwegs waren." Delley schüttelte den Kopf. "Ich glaube kaum, daß Galbren das alles ahnen konnte. Er hatte die Fuchstauren sicher eingesperrt, in lŠngst vergessenen Kerkern. Und er konnte auch nicht mit einem so starrkšpfigen Fuchs wie Khiray rechnen. HŠtte ich ja selbst nicht gedacht, und ich kenne ihn!" Ein Anflug von Stolz huschte über das Gesicht der Ratte. "Also, vielleicht beordert Galbren seine Schiffe zurück, aber er wird kaum einen Angriff auf uns befohlen haben, nur auf Verdacht. Wenn er neue Anweisungen ausgegeben hat, nachdem wir weg waren, haben sie ihr Ziel noch nicht erreicht: Uns hat kein Schiff überholt."

"Galbren ist skrupellos genug, um die 'Silberne Ansicc' auf Verdacht versenken zu lassen", bemerkte Saljin. "Er kšnnte Piraten angeheuert haben. Er kann es sich nicht leisten, uns entkommen zu lassen, und ihm muß klar gewesen sein, daß Khiray sich gegen ihn stellte, nach allem, was er getan hat."

"Aber er kann es sich auch nicht leisten, scheinbar unbegründete Angriffe gegen andere Schiffe zu führen", sinnierte Khiray. "Er spielt ein gefŠhrliches Spiel. Wenn das Volk Wind von seinen Intrigen bekommt, kann er seinen Plan nicht mehr durchführen. Wir Felligen sind nicht blšde. Er hat zwar die Furcht geschürt und den Haß aufflammen lassen, aber wenn sich die Wogen geglŠttet haben, werden sich viele fragen, wozu all das Tšten gut war. Bis dahin muß er Sookandil fest im Griff haben, jedermann muß von seinem untadeligen Ruf und seinen lauteren Absichten überzeugt sein, und vor allem darf es keine Stimmen geben, die neuen Zweifel wachrufen."

"Kaum denkbar", bemerkte Delley. "Alle seine Kritiker sind hier."

"Farlin ist noch in Sookandil."

Delley seufzte. "Farlin ist jetzt voll und ganz Galbrens Mann. Ich fürchte, wir kšnnen deinen Onkel vergessen."

Khiray sah zu Boden. "Ich hatte befürchtet, daß du so etwas sagst."

"Galbren hat in Sookandil nichts zu fürchten." Delley kratzte sich hinter dem Ohr. "Perlish ist tot, der einzige Bandit in der Gegend, der diese Bezeichnung verdient. Die Fuchstauren sind tot, Pallys ist fort, du bist fort. Er kann Sookandil einem Stellvertreter übergeben und uns verfolgen, mitsamt seinen DŠmonen und den besten Garden, die er besitzt. Sookandil ist ihm sicher. Wir sind die Gefahr."

"Sind wir das?" Pakkaht kicherte, ohne erheitert zu sein. "Unsere Stimmen gegen seine. Was hat wohl am Hof des Drunfürsten mehr Gewicht?"

"Kooradah wird uns anhšren. Er hat Magier bei Hofe, die dŠmonische Anwesenheit feststellen kšnnen. Sobald er weiß, was vor sich geht, wird er seine Truppen gegen Galbren schicken."

"Euer Vertrauen in den Drunfürsten in allen Ehren", brummte Pakkaht, "aber was von den Magiern in Drun'kaal als Wahrheit erkannt wird, hŠngt mindestens ebensosehr von der Politik des Tages und den Wünschen der MŠchtigen ab wie von den Tatsachen." Der Hirsch sprach, als wüßte er, wovon er redete.

"Kooradah kann gar nicht anders handeln." Delley legte die Ohren flach an den Kopf. "Galbren wird ihn entmachten, wenn er ihn gewŠhren lŠßt."

Pakkaht wiegte das Geweih hin und her. "Wie du meinst. Vielleicht hast du recht, und wenn nicht, ist es auch nicht meine Sache. Ich gehe von Bord, sobald dieses Schiff in Drun'kaal einlŠuft. Sind wir bewaffnet?"

"Nicht besonders gut", bekannte Khiray. "Die Trollstahl-Waffen sind in Sookandil zurückgeblieben. Ich und Saljin haben je ein Dekka'shin. Die übrigen Waffen an Bord sind gewšhnliche Schwerter und Lanzen, das †bliche bei PiratenüberfŠllen eben."

"Bogen? Pfeile?"

"Ein Jagdbogen, entsprechende Pfeile. Nicht viele, wir haben ein paar verloren." Khiray war nicht mehr überrascht über Pakkahts Fragen.

"Die Mannschaft sollte stŠndig bewaffnet sein. Jedermann muß vor einem †berfall auf der Hut sein. Von Land und vom Fluß her. Kšnnen wir irgendwo anlegen, um mehr Waffen zu kaufen?"

"Ich denke darüber nach." Khiray nickte. "Ich denke, wir sollten jetzt alle ein wenig Schlaf bekommen. Delley, übernimmst du das Steuer?"

Die Ratte grunzte. "Kinnih wird nach den Maschinen sehen." Delley und der junge Dachs verließen die Messe. Die Mannschaft verstreute sich.

Khiray sah ihnen nach.

"Was denkst du?" fragte Saljin. "Was sollen wir tun?"

Der Fuchs schüttelte den Kopf. "Wir kšnnen nichts tun. Nur warten, das Schiff laufen lassen, dem Fluß in seinem Lauf folgen. Galbren ist am Zug."

"Gibt es keine Mšglichkeit, diesem Drunfürsten eine Nachricht zu schicken?"

"Nachrichten reisen den Fluß hinab. Schneller als wir kŠme keine Botschaft an."

"Magie?"

Khiray seufzte. "Dazu brŠuchte es einen Magier."

"Pallys scheint ein Magier zu sein. Ganz egal, was er sagt."

"Er hat behauptet, seine Kraft stammt ausschließlich von magischen Hilfsmitteln. So wie unsere Hitzeschleife. Wir kšnnen sie bedienen, ohne selbst Magier zu sein. Er hat eine ganze Reihe dieser Dinge angesammelt."

"Eingeschlossen einen Stab gegen DŠmonen." Saljin verzog das Gesicht.

"Glaubst du ihm nicht?"

"Er hat immer gerade zufŠllig das Richtige bei der Hand. Ruchkraut." Sie fuhr mit einem Finger über Khirays Fell, das noch immer von der geruchsabsorbierenden Masse verklebt war. "Eine DŠmonenbarriere. Er besitzt das Wissen über die Ushinki. Und er behauptet von sich, vierzehntausend Jahre alt zu sein. Ich kann das alles nicht glauben."

Khiray setzte sich auf einen Holzstuhl. Sein klebriges Fell hinterließ schmierige Streifen auf den polierten Brettern. "Er ist mein Freund. Er war mein Lehrer. Ich glaube ihm. Wenn er wirklich den Hort der Unsterblichen kennt, tut er gut daran, seine Geheimnisse zu wahren. Es gibt genug Leute, die ihn bedenkenlos bis zum Wahnsinn foltern würden, um an diese Information zu kommen."

"Galbren."

"Zum Beispiel. Aber ich würde auch Kooradah kein allzugroßes Vertrauen schenken." Er ließ den Blick durch die leere Messe streifen. "Und Pallys hat auch nicht immer das richtige Zaubermittel. Wenn dem so wŠre, wŠren Dek und die anderen noch am Leben. Wir kšnnten die DŠmonen selbst schlagen und Galbren einkerkern. Bis jetzt haben wir einfach nur Glück gehabt." Viel Glück, dachte er: sie hatten auf Pallys' Verdacht hin die geheimen Kerker gefunden und nicht nur Saljin und Dek, sondern auch Sarmeen befreit. Sie waren den dŠmonischen BŠren um Haaresbreite entkommen und hatten auch Galbrens Schergen hinter sich gelassen.

Auf der anderen Seite war Dek tot. Und ebenso die anderen Fuchstauren. Khiray hatte sich bereits in der Gewalt eines DŠmonen befunden. Azzhuzzim Beladanar stand noch immer im Dienst des intriganten Gouverneurs, und Galbrens PlŠne waren weit davon entfernt, durchkreuzt zu werden. Khirays Ruf in Sookandil war dahin, seine Zukunft als HŠndler mehr als ungewiß.

Und was immer sie taten, nichts würde seinen Vater wieder zum Leben erwecken.

* * *

Khiray nahm sich die Zeit, das widerliche Ruchkraut gründlich aus dem Fell zu waschen, ehe er sich zum Schlafen hinlegte, obgleich er todmüde war. Er schlief unruhig, wŠlzte sich hin und her, und als er schließlich zu trŠumen begann, waren diese TrŠume alles andere als angenehm.

Ein Teich aus rotem Licht...

Aufstrebendes Feuer...

Eine Stimme, die ihn lockte, ihn rief, unwiderstehlich und süß und gleichzeitig erfüllt von Grausamkeit. "Füchschen! He, Füchschen, laß uns spielen!" Die Traumstimme von Khezzarrik khi Valangassis, Tor, fuhr wie eine Hand über sein Fell. Er legte die Ohren an, versuchte das Gefühl zu vertreiben, aber ohne Erfolg. Flammenfinger streichelten seinen Kšrper. Der DŠmon beugte sich über ihn. "Füchschen, du schmeckst so honigsüß. Komm zu mir, und ich zeige dir dŠmonische Lust!"

Khiray bŠumte sich auf. Seine Schnauze war wie verschlossen. Es war nur ein Traum, sagte er sich, nur ein Traum...

Aber war es das wirklich? Khezzarrik khi Valangassis hatte ihn gerufen, als sie zum Hafen hinab geflohen waren. Der DŠmon konnte seine Stimme über einige Entfernung hinweg projizieren. Warum nicht bis hierher, bis zum Fluß?

Er versuchte den Schlaf abzuschütteln, aber es gelang ihm nicht. Benommenheit lastete auf ihm, und sein Bewußtsein schien unter Schichten feuchter schwarzer Erde begraben zu sein.

"Du bist mein." Khezzarriks Gesicht tauchte aus der amorphen Traumumgebung auf, wurde gršßer, bis es Khirays ganzes Sichtfeld ausfüllte.

Fürchtete der DŠmon sich nicht? Beladanar mußte sich vor den Erzengeln in Acht nehmen, hatte Pallys gesagt. Sie würden ihn vertreiben oder sogar vernichten. Tor schien keine solchen Bedenken zu haben.

"Die SphŠre der TrŠume besitzt keine Erzengel", sagte der DŠmon. "Nichts steht zwischen dir und mir. Vergiß nicht, ich kann Tore in jede SphŠre und jede Ebene schaffen, zu jedem Punkt in jeder Dimension. Wenn ich dich nicht in deiner Welt haben kann, dann eben in dieser."

Das Feuer wurde zu einer erdrückenden Last auf Khirays Brust. Er konnte nicht mehr atmen. Flammen umhüllten ihn, warm und angenehm, berührten seinen ganzen Kšrper, schlossen ihn ein in den Traum eines DŠmons...

"Erzengel!" keuchte er. Er versuchte sich vorzustellen, wie diese Wesen aussehen mochten. Der Kšrper eines Men'schin, hatte Pallys gesagt, der Kopf eines großen Raubvogels, gefiederte Schwingen und eine Aura der Macht...

Der Druck von seiner Brust verschwand. "Spielverderber!" heulte der DŠmon. "Traumbilder von Erzengeln, um ihre Aufmerksamkeit wachzurufen! Das ist kein fairer Trick!"

Khiray verstand nicht recht, worauf der DŠmon anspielte, aber er hielt das Gedankenbild des Engels fest. Es schien Khezzarrik Angst zu machen... oder der DŠmon fürchtete das, was passieren mochte, wenn er weiterhin diesen einen Gedanken dachte. Angestrengt stellte sich der Fuchs die Aura der Magie vor, die den goldenen Kšrper des Erzengels wie ein Tuch einhüllte. Immer wieder mischte sich das stšrende Bild eines Füchschens mit Flügeln ein, aber schließlich schien er seinen Erzengel-Traum stabilisiert zu haben. Er war jetzt všllig wach, und trotzdem im Reich der TrŠume gefangen. Rings um ihn entsprangen TrŠume von Fremden, Bilder, Gedanken, Hoffnungen und Wünsche, blühten auf und vergingen wieder. Verwirrende Farben und Formen hüllten ihn ein. Das einzige, was in dieser Welt stabil erschien, waren der DŠmon, der Erzengel und er selbst.

Khezzarrik zog seine Flammen zurück. "Du hast Traumtalent. Kehre zurück in die Welt des Wachens, ehe jemand verletzt wird. Besonders ich."

Irgendwo šffnete sich ein Auge. Der DŠmon schrak zusammen. Er machte eine feurige Geste, und die Traumwelt entschwand... aber in der Sekunde, bevor Khiray sich in seinem eigenen Bett wiederfand, streifte das Auge ihn, und ein Blick ungeheurer IntensitŠt traf seine ungeschützte Seele.

Ein Erzengel sah ihn an.

Dann war nichts vom Reich der TrŠume geblieben, nicht einmal mehr der Schimmer des Schlafes. Er saß aufrecht in seinem Bett. Seine Pfotenballen und HandflŠchen schwitzten. Sein Fell war wie eine Bürste gestrŠubt. Er war hellwach.

Khezzarrik verfolgte ihn also. Und er konnte ein Tor überallhin šffnen. Zum Beispiel irgendwo entlang des Flusses, um einen Hinterhalt zu legen. Khiray trottete zum Waschbecken hinüber und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Mit einer kleinen Bürste glŠttete er sein Fell wieder.

Das alles machte ihre Position nicht einfacher. Warum hatten die DŠmonen sie nicht schon abgefangen? Sie konnten sich irgendwo materialisieren, dann würden die BŠren an Bord stürmen und sie alle niedermachen. Ende der Geschichte. Wenn er Galbren wŠre, würde er so handeln. Noch ehe sie Gelegenheit hatten, ihre Version der Ereignisse irgendwem zu erzŠhlen, noch ehe der geringste Schatten des Verdachts, das allerkleinste Gerücht den Ruf des Gouverneurs beflecken konnte.

Nein, Tor war wahrscheinlich nicht so mŠchtig. Vielleicht dauerte es seine Zeit, den Durchgang durch die SphŠren und Ebenen zu schaffen - was immer SphŠren und Ebenen sein sollten. Vielleicht konnte Tor sie auch nur im Traumreich zuverlŠssig aufspüren, aber ihre Position in der wirklichen Welt nicht bestimmen. Oder Tor hatte schlicht gelogen, und es gab nur ganz bestimmte Durchgangspunkte zwischen den Welten.

Wie auch immer, sie mußten auf der Hut sein.

Er konnte nicht mehr einschlafen. Khezzarrik würde ihn wahrscheinlich nicht mehr belŠstigen, nachdem er nun fast einen Erzengel aus dem Schlaf gerissen hatte, aber die Erinnerung war zu stark... an den Traum und an das, was Khezzarrik ihm in der Welt des Wachens bereits angetan hatte.

Er stand wieder auf und ging an Deck. Kalte Nachtluft strich durch sein Fell und kühlte ihn. Langsam wanderte er um das Schiff herum zum Achterdeck. Eine einsame Gestalt stand dort an der Reling und starrte ins Fahrwasser.

"Saljin?"

Die Fuchstaurin drehte sich um. "Oh, Khiray! Ich konnte nicht schlafen."

Der Fuchs rŠusperte ich. "Ich... auch nicht." Er trat zu ihr an das MessinggelŠnder. Er verschwendete keinen Gedanken daran, daß er keine Kleidung trug; er mußte Saljin nicht mit seinem Status beeindrucken, und das bei den Men'schin so beliebte Schamgefühl existierte unter den Felligen so gut wie gar nicht. Und schließlich, sie trug ja auch nichts.

"Du siehst aus, als sei dir ein Geist begegnet."

"In gewisser Weise." Er zšgerte, ihr von Khezzarrik zu erzŠhlen. Die Erinnerung war noch zu frisch, zu schmerzhaft. Der DŠmon hatte ihn mißbraucht und aufs Äußerste gedemütigt zurückgelassen. Er konnte diese Stunden nicht vergessen. Beim bloßen Gedanken daran begannen seine HŠnde zu zittern. Er festigte seinen Griff um die Reling, um Saljin nicht seine Furcht sehen zu lassen.

Sie sah ihn nur an. Dann hob sie die Hand und strich leicht über seinen Arm. "Was ist geschehen?"

Für einen Moment verspürte Khiray eine vertraute Erregung. Er vergaß Khezzarrik, vergaß den Herrn der Würmer. Wenn sich Fuchstauren lieben, fragte er sich, wie tun sie es? Wie Hunde, im Stehen und von hinten? Oder wie Men'schin, Bauch an Bauch? Im gleichen Moment erschrak er über sich selbst. Wie konnte er solche Gedanken hegen? Sein Vater war erst wenige Tage tot, und Saljin hatte ihren Bruder - all ihre ReisegefŠhrten - verloren. Sie schwebten in gršßter Gefahr. DŠmonen wollten sie vernichten. Und er hatte nichts Besseres, um darüber nachzudenken?

War das Khezzarriks Fluch, etwas von dem dŠmonischen Feuer, das in ihm zurückgeblieben war? Oder war es gerade die Gefahr, die seine Sinne schŠrfte und ihn dazu trieb, die Sekunden auskosten zu wollen? Er spürte die Maschinen im Schiff, hšrte die Laute der Nacht um sie herum. So viele Dinge hatten sich verŠndert. Nicht zuletzt er selbst.

Am Ende erzŠhlte er Saljin alles. Er konnte es nicht für sich behalten, und er konnte ebensowenig Delley ins Vertrauen ziehen; Freund oder nicht, er wußte, was die zynische Ratte gesagt hŠtte, und er brauchte alles andere als diese Art von Kommentar.

Die Fuchstaurin legte die Arme um ihn und streichelte seine verkrampften Schultern. "Und alles, weil du uns befreit hast?"

"Nein", erwiderte er in einem Anflug mißglückten Humors, "weil ich die falsche Tür gešffnet habe."

"Du hŠttest gleich aufbrechen kšnnen. Ohne uns. Ohne Sarmeen. Galbren hŠtte dich sicher nicht verfolgen lassen. Er hŠtte keinen Verdacht geschšpft, und ihr hŠttet den Drunfürsten gefahrlos benachrichtigen kšnnen."

"Von allen Dingen", sagte er leise, "die ich hŠtte tun kšnnen, ist das das einzige, was ich niemals getan hŠtte."

Sie gingen hinüber zur Wand der Decksaufbauten, ließen sich nieder und lehnten sich dagegen. Die Schatten all dessen, was geschehen war, hingen schwer in der Nacht, aber gemeinsam ließen sie sich leichter ertragen. So hielten sie sich gegenseitig in den dunkelsten Stunden der Nacht, und die DŠmonen - die wirklichen und die DŠmonen des Geistes - blieben ihnen fern.

* * *

"Hallo, TurteltŠubchen", sagte eine Stimme.

Khiray erwachte, die Schnauze in einer Wolke duftigen, seidenweichen Fells vergraben. "Huh?" Sie saßen noch immer an Deck, in den Armen des anderen, und es dŠmmerte gerade erst. Aber trotz der wenigen Stunden, die vergangen waren, und trotz der harten Decksplanken hatte Khiray den Eindruck, seit langem nicht mehr so ausgeruht gewesen zu sein. "Wir haben nicht..."

"Ich kann riechen, daß ihr nicht." Delley krŠuselte die Schnauze. "Aber vielleicht hŠttet ihr besser. Kšnnte das letzte Mal gewesen sein."

Saljin blickte auf. "Was ist passiert?"

Die Ratte deutete mit dem Daumen zum Bug. "Schiffe."

Sie eilten zur Steuerkabine hinauf. Weit flußabwŠrts geisterten die Nachtlichter zweier großer Dampfer über das Wasser. Sie kamen der 'Silbernen Ansicc' entgegen, und das mit großer Geschwindigkeit.

Khiray versuchte, die Lichterkombination zu erkennen, die am vorderen Ladebaum brannte und das Schiff und seinen Eigentümer auswies. "Galbrens 'Laidanna' und seine 'Goldklumpen'", stellte er fest. "Sie fahren Hšchstgeschwindigkeit."

"Die 'Laidanna' hat eine Hitzeschleife, wie die 'Silberne Ansicc'." Delley nickte langsam. "Die 'Goldklumpen' nicht, oder jedenfalls nicht daß ich wüßte." Er nahm das Fernrohr zur Hand. "Nein, die Schornsteine rauchen und sprühen Funken. Sie fahren noch immer mit gewšhnlichen Kesseln."

Kinnih, der das Steuer übernommen hatte, übergab es wieder Delley. "Soll ich die Mannschaft wecken und zu den Waffen rufen?"

Die Ratte nickte. "Aber leise. Keine überflüssige Bewegung, und niemand soll sich an Deck sehen lassen. Wenn sie nichts ahnen, wollen wir keinen Verdacht erwecken. Wenn sie uns angreifen, werden sie es zuerst mit Pfeilen tun, und wir bleiben besser in Deckung."

Khiray versuchte nicht daran zu denken, wie ihre Chancen im Kampf gegen zwei vollausgerüstete und besetzte Schiffe, womšglich mit Garden an Bord, aussehen mochten. Er starrte den rasch nŠherkommenden Dampfern entgegen und versuchte zu hoffen.


Ende von Kapitel Zehn