Khiray starrte durch die Dämmerung und versuchte, aus den Bewegungen der anderen Schiffe ihre Absichten abzulesen. NatŸrlich konnte er nicht viel erkennen - die Körpersprache eines Lebewesens war einfacher zu deuten als das Schwanken eines Schiffes -, aber er hatte sein ganzes Leben auf dem Fluß verbracht, und jedes Detail ihrer Fahrt war ihm vertraut. Er wußte, was es bedeutete, wenn die großen Fahrzeuge beschleunigten, wenn sich die mächtigen Schaufeln schneller oder langsamer drehten, wenn das Schiff gegen eine verborgene Strömung ankämpfte oder einem Hindernis unter der Wasseroberfläche auswich. Er konnte es deuten, wenn die Flußleute aufgeregt an Deck liefen oder gelangweilt an der Reling standen, die Nachtlichter Ÿber den Fluß schwenkten oder die Markierungslampen löschten. Er hatte Schmugglerboote gesehen, die sich unter Ÿberhängenden Weidenzweigen verbargen, und Botenschiffe, die in rasender Eile gegen den Flußlauf steuerten. Er wußte Otterboote von Wolfsfrachtern zu unterscheiden. Und wenn der Wind gŸnstig stand, konnte er am Geruch des Rauchs erkennen, welches Brennmaterial das Schiff feuerte, und erraten, woher es kam.
"Duck dich", raunte er Saljin zu. "Wenn drŸben jemand unsere Steuerkabine durch ein Fernrohr betrachtet, könntest du ihm komisch vorkommen."
Saljin krauste die Schnauze. "Vielen Dank", grollte sie, tat aber wie geheißen.
Außer der unziemlichen Eile, die die beiden Dampfer an den Tag legten, schien Khiray alles normal zu sein. Er beobachtete die Flußleute durch das Fernrohr. Nein, sie wirkten nicht nervös oder heimlichtuerisch. Es gab auch keine Spur von versteckten Soldaten. Und obgleich die Kapitäne die 'Silberne Ansicc' längst erkannt haben mußten, wichen die Dampfer kein StŸck von ihrem Kurs ab.
"Sie steuern nicht auf uns zu", murmelte Delley erleichtert. "Sie bleiben auf ihrer Seite!" Der Fluß war an dieser Stelle breit genug, um vier Schiffen nebeneinander gefahrlos die Passage zu ermöglichen. Es war Ÿblich, daß Dampfer sich an das rechte Ufer hielten.
Andererseits war es auch Ÿblich, daß sich Kapitäne grŸßten, anstatt mit Volldampf aneinander vorbeizubrausen.
"Irre ich mich, oder sind diese Schiffe langsamer als deins?" wollte Saljin wissen.
Khiray nickte. "Wir fahren mit der Strömung, sie dagegen. Und die 'Laidanna' muß RŸcksicht auf die 'Goldklumpen' nehmen. Schiffe mit einer Hitzeschleife sind etwas schneller als solche ohne. Aber das macht keinen großen Unterschied. Schau, die 'Laidanna' ist vom selben Grundtyp wie die 'Silberne Ansicc'. Die Aufbauten unterscheiden sich etwas."
Delley musterte Saljin besorgt. "Bleib bloß in Deckung!"
Khiray winkte ab. "Ihr Oberkörper sieht wie ein Fuchs aus. Solange sie den Rest unten hält, kann kaum etwas passieren. Und Ÿberhaupt, was wissen die da drŸben denn schon von Fuchstauren." Er war sich jetzt sicher, daß die anderen Kapitäne keinen Angriff im Sinn hatten. Sie waren zu schnell. Schiffe ließen sich nicht wie ein Reittier auf der Stelle wenden. Und sie beachteten zumindest auch die minimalen Höflichkeitsregeln: sie schwenkten die Nachtlichter abwärts und nach rechts, so daß der Steuermann der 'Silbernen Ansicc' nicht geblendet wurde.
Das Rauschen des Wassers, das von drei Paar Schaufelrädern strömte, wurde zu einem gleichmäßigen Brausen. Jetzt war der Lärm der Maschinen an Bord der anderen Schiffe bereits lauter als das dumpfe Stampfen im Rumpf der 'Silbernen Ansicc'. In den Bäumen am Flußufer ergriff ein Vogelschwarm keifend die Flucht.
Galbrens Schiffe zogen vorŸber. Khiray betätigte die Dampfpfeife und erhielt ein doppeltes Echo von der 'Laidanna' und der 'Goldklumpen'.
Niemand griff sie an.
Dann blendeten die beiden Dampfer ihre Nachtlichter wieder auf und rauschten weiter gen Sookandil. Khiray sah ihnen nicht nach. Nur die schaumigen Spuren auf dem Wasser blieben von alptraumhaften Minuten. Die drei atmeten auf.
"Sie wollten nichts von uns. Wir sind viel zu paranoid", stellte Khiray fest.
"Man kann Ÿberhaupt nicht paranoid genug sein", bemerkte Pallys' Stimme von hinten. Das Kaninchen stolzierte in die Steuerkabine. "Besser ein wenig mißtrauisch als ein wenig tot."
"Erfahrung aus einem langen Leben, eh?" fragte Delley spöttisch. Er fing sich einen bösen Blick von Pallys ein. "Nun, ich sehe besser mal nach den Maschinen. Es wird etwas eng hier drin." Die Ratte schlich sich davon.
Pallys sah ihm nach. "Es gibt Leute, denen kann man kein Geheimnis anvertrauen. Entweder sie schenken einem keinen Glauben, oder sie verspotten einen."
"Er ist eine Ratte", murmelte Khiray, als wŸrde das alles erklären.
"Kommen wir voran? Jeder Kilometer zwischen uns und den Dämonen ist ein Kilometer in Richtung Sicherheit." Pallys' Ohren zuckten.
"Wir machen gute Fahrt, soweit das bei Nacht möglich ist. Diese Ecke des Flusses ist relativ ungefährlich." Khiray beschloß, Pallys nichts von seiner nächtlichen Begegnung zu erzählen. "Weiter unten, in der Nähe von Farlish, herrscht mehr Verkehr, und es schwimmt eine Menge totes Holz dort herum. Ich möchte ungern bei Nacht an Farlish vorbei." Er schŸttelte den Kopf. "Obwohl das vielleicht am besten wäre - weniger Augen, die uns sehen können. Saljin, halt doch mal eben das Ruder."
Die Fuchstaurin nahm das große Steuerrad entgegen und hielt es mit sichtlicher Nervosität. Sie war anscheinend noch nie auf einem solchen Schiff gefahren, geschweige denn daß sie es gelenkt hätte. Pallys beobachtete sie scharf, während Khiray eine großmaßstäbliche Übersichtskarte hervorholte. Das Kaninchen war gleichermaßen nervös. Der Fuchs hängte die Karte in einen Rahmen und sah von einem zum anderen. Hier auf dem Fluß empfand er kaum noch Furcht; selbst Khezzarrik khi Valangassis schien im Reich der Träume zurŸckgeblieben zu sein. Er lächelte Saljin ermutigend zu und nahm das Steuer wieder an sich.
Die Fuchstaurin betrachtete aufmerksam die Karte. "Der Armygan ist größer, als ich gedacht hatte."
"Habt ihr keine Karten?"
Saljin zuckte die Achseln. "Nicht vom Armygan. Wir betreten euer Land nur selten. Die Hafenstädte sind uns bekannt; einige Bewohner des Goldenen Ufers bereisen die KŸste mit Schiffen. Aber unser Clan entstammt dem Inland. Die Pfade in euer Land sind Ÿberliefert, aber wenig mehr. Schau, das Fuchstauren-Land nimmt etwa dieses Gebiet ein." Sie beschrieb mit der Hand einen Landstreifen westlich der Edora-Berge, nicht ganz halb so groß wie der Armygan. Die entsprechenden Zonen, soweit sie Ÿberhaupt noch auf der Karte lagen, waren nur schemenhaft skizziert und größtenteils weiß.
Dennoch war Khiray verblŸfft. Die Fuchstauren allein bewohnten ein Gebiet, das derart groß war? Im Armygan waren immerhin zehn Rassen beheimatet, und dennoch war ein großer Teil des Landes unbesiedelt. "Wie viele Fuchstauren gibt es denn Ÿberhaupt?"
"Wir haben uns nie gezählt." Saljin lachte hell. "Wozu denn auch? Wir können Wochen Ÿber die Ebenen ziehen, ohne einem anderen Clan zu begegnen. Das Land ist groß, viel größer, als wir es benötigen. Bedenke, seit mehr als tausend Jahren teilen wir es mit den Trollen, ohne daß wir sie jemals auch nur gesehen hätten. Und es gibt andere Rassen, die sich in den FlŸssen und Wäldern verbergen und Ÿber die nur wenig bekannt ist." Sie strich mit einem Finger Ÿber die Karte. "Es sieht so klein aus. Aber das ist es nicht."
Khiray dachte kurz daran, was Galbren von alldem halten mochte. Unbekannte Rassen? Zehntausende Fuchstauren in mächtigen Kriegerclans? Daraus wŸrde der Gouverneur trefflich eine neue Bedrohung fŸr den Armygan konstruieren. Aber waren die Fuchstauren kriegerisch? Was wußte er denn schon von ihnen!
"Dieser Fluß hier - er zieht sich durch die Berge!" Saljin deutete auf einen dŸnnen blauen Streifen. "Ich glaube, ich kenne seine andere Seite. In unserem Land vereinigen sich der Sulyan und der Daymotal zu diesem Strom. Wie heißt er hier? Händlers Fluch?" Sie legte die Ohren an. "Das ist ein komischer Name."
Khiray nickte. "Viele gute Händler sind in diesen trŸgerischen Wassern umgekommen, auf der Suche nach einem Weg durch die Edora-Berge, der fŸr Schiffe passierbar ist."
Die Fuchstaurin runzelte die Stirn. "Unmöglich. Es gibt einen geheimen Pfad, den unser Volk frŸher einmal benutzt hat, entlang des Flusses. Aber er ist schon unbeladen schwierig zu gehen." Sie blickte auf Khirays Pfoten. "Mit nur zwei Beinen um so mehr. Aber der Fluß selbst bricht dort durch enge Schluchten, und es gibt zwei große Wasserfälle."
"Das haben die Händler auch festgestellt. Das Land dort hinten ist wild und unpassierbar, und all die MŸhen und Leiden, die die Entdecker auf der Suche nach einer Passage auf sich genommen haben, waren umsonst. Seitdem wird dieser Abschnitt des Flusses Händlers Fluch genannt."
Saljin verfolgte den weiteren Lauf des Flusses auf der Karte. "Wie seltsam! Alle FlŸsse im Armygan hängen zusammen. Und diese SŸmpfe! Das Land muß sehr flach sein."
"Flacher geht's kaum noch", brummte Pallys. "Wenn eines Tages eine große Flut kommt, bleiben vom ganzen besiedelten Armygan nur die KaninchenhŸgel Ÿbrig."
"Auf der Karte sind nur die HauptflŸsse verzeichnet", bemerkte Khiray. "Es gibt noch viele hundert NebenflŸsse, die zu kleinen Dörfern hinauf fŸhren."
"Oder in die SŸmpfe", murrte Pallys, "oder einfach nirgendwohin."
"Unser Land ist ganz anders", erklärte Saljin. "Weite Ebenen. HŸgel, die im Norden immer mehr ansteigen. Endlose Grassteppen, soweit das Auge reicht. Man kann tagelang laufen, ohne ihr Ende zu erkennen."
"Und dort lebt ihr?" wollte Khiray wissen.
"Leben? Nun, wir durchwandern die Steppen im Sommer. Im Winter leben wir in den Clansstädten. Oh, na gut; ihr wŸrdet sie als Dörfer bezeichnen. Sie bieten wenig mehr Platz als fŸr zwei oder drei Clans. Den Winter verbringen wir dort mit der Herstellung aller notwendigen Dinge, und wir erzählen Geschichten und singen am Feuer, und..." Sie seufzte. "Und wir versichern uns gegenseitig, was fŸr treffliche Namen wir auf unseren Sommerwanderungen finden werden, oder wie sehr wir unseren Namen und dem Clan Ehre machen werden, wenn wir schon einen Namen errungen haben. Diesen Winter war ich wohl etwas vorlaut... Reisen durch die Berge und der Kontakt zu den Völkern des Armygan sind nichts Alltägliches fŸr uns."
"Wie anders könnte jemand einem solchen Namen Ehre machen - Saljin von den Steinen?" Khiray lächelte. "Wie anders als mit einem wirklich außergewöhnlichen Abenteuer?"
Die Fuchstaurin zwinkerte ihm zu. "Wie sonst, ja? Von Dämonen gejagt zu werden ist eine Art Abenteuer, das ich nicht weiterempfehlen kann." Sie umarmte Khiray sacht. "Trotzdem, danke."
Pallys sah geflissentlich beiseite und musterte angestrengt die Karte. "Wie lange noch bis Farlish?"
"Von Sookandil bis Farlish sind es etwa fŸnfhundert Kilometer, alle Windungen des Flusses eingerechnet." Khiray rechnete kurz. "Die 'Silberne Ansicc' macht maximal fŸnfzehn Kilometer in der Stunde, bei unserer gegenwärtigen Fahrt etwa zehn. Dazu kommt die Strömung, das sind hier vielleicht drei bis vier Kilometer in der Stunde. Wir sind jetzt ziemlich genau einen Tag unterwegs, das sind vierundzwanzig mal vierzehn, also etwa dreihundertvierzig Kilometer. Bleiben hundertsechzig bis Farlish. Zehn Stunden, wenn wir bei Tageslicht etwas mehr Dampf machen."
"Zu langsam!" Pallys fuhr den Rest des Flusses ab. "Eineinhalb Tage fŸr diese kurze Strecke? Das sind dann neun Tage bis Drun'kaal! Das ist viel zu viel!"
Khiray kniff die Augen zusammen. "Viel? Selbst ein sehr schnelles Kurierboot benötigt sieben Tage! Ein Schiff wie die 'Silberne Ansicc' fährt normalerweise nicht nachts, um nicht auf treibende Baumstämme aufzulaufen. Wir haben den Maschinen immer eine Pause gegönnt, sie Ÿberholt, in den Städten am Fluß ein wenig Handel getrieben... Nach Drun'kaal ist es sonst eine Reise von Wochen! Wenn wir es wirklich in neun Tagen bis nach Drun'kaal schaffen, ohne daß das Schiff ein anderes Boot oder Treibgut rammt, ohne daß die Maschinen ausbrennen und ohne daß die Mannschaft meutert, dann haben wir einen neuen Rekord aufgestellt."
"Mannschaft?" Pallys lachte bitter. "Welche Mannschaft?"
Khiray winkte ab. "Wenn wir diese Geschwindigkeit beibehalten mŸssen, meutere ich selbst."
Pallys brauste auf. "Das ist keine Zeit fŸr Späßchen! Wenn wir den Dämonen entkommen wollen, mŸssen wir uns beeilen!"
"Eine gute Idee ist so viel wert wie acht flinke Pfoten", bemerkte Saljin. "Ich weiß nicht, ob wir solchen Wesen davonlaufen können. Aber vielleicht lassen sie sich Ÿberlisten."
"Ich wŸrde nicht mein Leben darauf setzen", murrte das Kaninchen sorgenvoll.
Khiray dachte nach. "Wenn wir eine Strecke fahren, die niemand erwartet..."
Saljin deutete auf die Karte. "Der Teil des Flusses, der Langer Lauf genannt wird, ist die kŸrzeste Verbindung. Jede andere Strecke ist länger."
"Nicht unbedingt. Der Lange Lauf ist ein langsam fließendes Gewässer, und nicht ganz ohne Risiken. Normalerweise spielt Geschwindigkeit keine so entscheidende Rolle, außer bei verderblichen Waren. Es ist immer genug Zeit vorhanden, die Strecke zu sondieren, Unwetter abzuwarten, bei schlechter Sicht zu ankern. Aber wenn jeder Tag zählt... dann ist nicht die kŸrzeste Verbindung entscheidend, sondern die, auf der man die volle Geschwindigkeit fahren kann."
Pallys' Ohren erbleichten. "Nein."
"Doch", sagte Khiray fröhlich.
"Nur Otter fahren diese Strecke. Und die sind bekanntermaßen verrŸckt."
"Ein Grund mehr. Die Dämonen werden uns dort nicht vermuten."
Die Fuchstaurin blickte verwirrt zwischen Pallys und Khiray hin und her. "Was ist denn los?"
Pallys ächzte. "Otterpfad. Er will den Otterpfad fahren. In diesem Schiff."
Saljin musterte erneut die Karte. "Was ist denn so schlimm daran? Der Fluß scheint etwas länger zu sein, aber sonst... Was sind das fŸr Zeichen?"
"Stromschnellen", stöhnte Pallys. "Dorns Schnellen. Nur Otter fahren Ÿber diese Stelle. Und auch nur in kleinen Booten. Niemand ist da je mit einem Dampfer entlanggefahren. Niemand."
Khiray hob die Hand. "Doch. Dorn selbst."
"Dorn ist ertrunken", klärte Pallys mit gepreßter Stimme auf.
Der Fuchs grinste. "Ein Grund, es besser zu machen."
Khiray wäre es lieb gewesen, wenn Pallys ihm ein paar neue Informationen Ÿber Dämonen hätte geben können. Das Kaninchen war es immerhin gewesen, das die Sprache zuerst auf die Bewohner der Hölle gebracht hatte. Und ein wohlbekannter Feind war nur halb so gefährlich wie einer, Ÿber den man nichts wußte.
Doch Pallys behauptete, sein Wissen entstamme keiner persönlichen Begegnung, sondern nur alten BŸchern. Die Dämonen hatten den Armygan nie heimgesucht, jedenfalls nicht in den Jahrhunderten, seit die Felligen hier siedelten, und bei seinen Reisen durch die Welt jenseits des Armygan hatte Pallys ebenfalls nie Dämonen gesehen. Die Erzengel, wie er meinte, wachten scharfen Auges Ÿber die Welt und hielten die Plage aus der Hölle fern.
Khiray wußte nicht, ob er dem Kaninchen glauben sollte. Pallys' Reaktion, als der Fuchs ihm von der Begegnung mit dem Wurm-Wesen erzählt hatte, hatte von mehr Furcht gezeugt, als bloßes Stöbern in BŸchern jemals hervorrufen konnte. Pallys mußte Dämonen bereits begegnet sein, und diese Begegnung war alles andere als erfreulich gewesen. Khiray mußte sich ins Gedächtnis rufen, daß er selbst Pallys und Delley auch nicht alles Ÿber sein Zusammentreffen mit Khezzarrik khi Valangassis berichtet hatte - dies war eine Erinnerung, die er mit niemandem teilen wŸrde als mit Saljin. Mochte das Kaninchen seine Geheimnisse behalten. Die Jahrhunderte hatten Pallys zweifellos zu einem Heimlichtuer gemacht, aber er mußte natŸrlich wissen, daß jeder Hinweis darauf, wie die Dämonen zu besiegen seien, wichtig war. Details dieser Art konnte er nicht fŸr sich behalten.
Pallys und Delley hatten die Zeit genutzt, während derer Khiray in Galbrens Kerker eingedrungen war, um einige BŸcher aus der Sammlung des unsterblichen Kaninchens an Bord zu bringen, vor allem BŸcher Ÿber Dämonen und Magie. Doch was darin zu finden war, stellte keine große Hilfe dar. Das meiste war nur von Magiern anzuwenden - Methoden zum AufspŸren, Vertreiben oder Fesseln von Dämonen oder auch zum Rufen und Beschwören der Höllenwesen. Selbst wenn einer von ihnen ein Magier gewesen wäre, hätte Khiray es sich zweimal Ÿberlegt, die arkanen Geheimnisse anzuwenden, denn jede einzelne Seite strotzte nur so vor Warnhinweisen, Gefahrenzeichen und "Nur fŸr erfahrene Magier"-Überschriften.
"Die meisten BŸcher hier sind irgendwann einmal verboten, verbannt oder gleich verbrannt worden", erklärte Pallys. "Unter Magiern gelten Dämonen als gefährlich, und wenn man die Risikobereitschaft von Magiern kennt, bedeutet das schon einiges. Ich habe die meisten Werke im Laufe der Zeit zusammengetragen, gefunden in vergessenen Bibliotheken, verfallenen TŸrmen, die einst Magiern gehörten, in verschollenen Städten, seit Jahrhunderten vom Dschungel Ÿberwuchert. Ich glaube nicht, daß irgendjemand auf der Welt eine vergleichbare Sammlung besitzt." Seine Augen verschleierten sich, als gedächte er in Trauer der Unmengen von BŸchern, die er in Sookandil hatte zurŸcklassen mŸssen.
Khiray tat sich schwer damit, in den Dämonen-BŸchern Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden. Wie in seinen eigenen Abenteuerromanen vermischten auch hier viele Autoren GerŸchte und Fakten, Hirngespinste und Beweise, Phantasie und Wahrheit. Viele Daten und AuskŸnfte waren widersprŸchlich. Aber es gab am Ende ohnehin nur einen Schluß zu ziehen: Sie konnten die Dämonen nicht mit bloßen Händen bekämpfen. Sie brauchten einen Magier - und die einzigen Magier, die gut genug waren, gegen Dämonen zu kämpfen, waren in Drun'kaal am Hofe des DrunfŸrsten versammelt. Oder sie brauchten einen Erzengel, und wo diese Wesen zu finden sein könnten, ahnte nicht einmal Pallys.
Letztlich hatten sie nur eine Wahl: Fliehen, entkommen, so schnell wie möglich sein. Ein Kampf wäre vergeblich: selbst die Fuchstauren hatten die Schlacht gegen Galbrens Schergen verloren, und sie waren kampferfahrene Krieger gewesen.
Der Otterpfad war die einzige Möglichkeit, die Khiray einfiel. Östlich des Otterpfads und sŸdlich der KaninchenhŸgel bestand der Armygan aus flachem, sumpfigen Land; die Flußarme dort waren breit und strömten behäbig. Der Otterpfad selbst jedoch fŸhrte entlang der Berge; das Land war felsig und zwängte den Fluß in einen engen, schnellen Lauf.
Der Fluß war älter als die Berge. Khiray wußte, daß selbst Berge nicht ewig waren, auch wenn sie die Zeit in Jahrhunderttausenden maßen, sondern sich aus den Fluten erhoben und von Wind und Wetter wieder abgetragen wurden. Dies war ein Vorteil, wenn man es mit Men'schin zu tun hatte: man erfuhr Dinge, die im Armygan wenig bekannt waren. Das Imperium Dharwil besaß eine jahrtausendealte Kultur und verfŸgte Ÿber wissenschaftliche und magische Erkenntnisse, die weit Ÿber die des Armygan hinausgingen.
Der Arm, der als Händlers Fluch bekannt war, war in Wahrheit kein Seitenarm des gewaltigen Deltas, das den Armygan durchzog, sondern der Hauptfluß. Saljin hatte gesagt, daß im Fuchstauren-Gebiet die FlŸsse Sulyan und Daymotal in Händlers Fluch mŸndeten, und weiteres Studium der Karten ergab, daß der Daymotal sich aus dem Norden herabschlängelte, die Lakenda-Berge umging und somit keinen anderen Ursprung hatte als das Imperium Dharwil selbst, wo er zweifellos unter einem anderen Namen bekannt war.
Saljin berichtete auch, daß auf dem Daymotal Men'schin-Händler zu den Fuchstauren kamen; nicht viele, aber ein stetiger Kontakt bestand.
Khiray kam nicht umhin, sich zu wundern. Die Fuchstauren waren hier so gut wie unbekannt, und auch bei den Men'schin hatte er nie von ihnen gehört, und doch pflegten die Vierbeiner ebenso wie seine eigene Familie mit den Men'schin Handel zu treiben. So nahe beieinander lagen Fuchstauren-Gebiet und Armygan, und doch waren sich die Völker des flachen Sumpfes und die Bewohner der weiten Grassteppen völlig fremd geblieben. Und auch die Trolle gehörten zum Verborgenen, das direkt vor ihrer Schnauze lag. Was fŸr Wunder mochte die Welt noch zu bieten haben, weitab vom Armygan! Welche merkwŸrdigen Wesen, welche fabelhaften Städte, welche exotischen Länder! Khirays alter Traum erwachte von neuem und gaukelte ihm Bilder aus der Fremde vor.
Doch der Gedanke an die Dämonen brachte ihn schnell wieder in die Wirklichkeit zurŸck.
Der Daymotal durchquerte das Imperium Dharwil, wandte sich gen SŸden und dann nach Osten. Hier mußte er einst ins Meer gemŸndet haben, ehe die Edora-Berge sich aus den Fluten erhoben. Trotzig dem Aufwallen des Steins die Stirn bietend, hatte sich der Daymotal durch den Fels gefressen, Kiesel um Kiesel, Jahrhundert um Jahrhundert, bis die Edora-Berge ihre volle Höhe erreicht hatten und der Daymotal in einer endlos tiefen, steilen Schlucht floß, die seinen Lauf durch die Jahrmillionen markierte. Das neue Land des Ostens mit seinen HŸgeln und Ebenen wurde fŸr den Daymotal - und alle NebenflŸsse, die der mächtige Strom in sich aufnahm - zum Spielfeld. Ja, es mochte sogar sein, daß der ganze sumpfige SŸden des Armygan allein aus dem abgetragenen Fels und Schwemmaterial bestand, das der Daymotal Ÿber die Jahrtausende dort ins Meer gespŸlt hatte.
Der Lange Lauf war der Hauptstrom, der letzten Endes nach Drun'kaal und Landepunkt hinabfŸhrte. Der Otterpfad war nur ein Nebenfluß, doch fŸhrte er nicht viel weniger Wasser als der Lange Lauf - bei Farlish, wo der Fluß sich teilte, entstanden zwei nahezu gleich große Ströme. Doch während der Lange Lauf den einfachen Weg nahm, schlängelte der Otterpfad sich am Ostrand der Berge entlang, dort, wo ein Ausläufer der Edora-Berge das Ende des Hochlands und den Beginn der Ebenen markierte. Beengt durch sein felsiges Bett, floß der Otterpfad mehr als doppelt so schnell wie der Lange Lauf.
Khiray war vor eineinhalb Jahren fŸr einige Monate mit den Ottern gefahren, um deren Leben und ihre Art des Handels kennenzulernen (und um mit Lysh zusammen zu sein, was seiner Ansicht nach niemand zu wissen brauchte, aber trotzdem jeder erriet - er war jŸnger gewesen damals). Die Otter waren fröhliche, aber auch wilde Gesellen, niemandem verpflichtet und jederzeit zu einem Abenteuer bereit. Unter den zehn Völkern des Armygan waren sie die einzigen, die den nach ihnen benannten Otterpfad bereisten und das Wagnis der zahlreichen Stromschnellen, Felsenriffe und Untiefen auf sich nahmen, sowohl flußab- als auch -aufwärts.
Dorns Schnellen gehörten zu den größeren Risiken der Fahrt. FŸr die leichten, schnellen Otterboote, Katamarane mit geringem Tiefgang, waren die Schnellen kein Problem, wenn das Wasser hoch stand. FŸhrte der Fluß zuwenig Wasser, gerieten selbst Otter dort ins Schwimmen.
Er hatte auf dem Schiff von Lyshs Familie Dorns Schnellen viermal befahren und wußte die TŸcken des Otterpfads gut einzuschätzen. Khiray war, Abenteuerlust hin oder her, niemand, der sein Schiff und sein Leben sinnlos riskierte. Nachdem vor Jahrhunderten Dorn, der einzige Wolf, der je den Otterpfad befahren hatte, an den Stromschnellen gescheitert und ertrunken war, hatte kein Händler mehr sich an diesem Flußarm versucht. Dampfer hatten einen zu großen Tiefgang, waren zu behäbig, wurden zu leicht ein Opfer herausragender Felsen.
Aber Khiray hätte diese Route nicht gewählt, wenn er sich nicht eine kleine Chance ausgerechnet hätte, sie auch zu Ÿberleben. Um diese Jahreszeit fŸhrte der Fluß Hochwasser. Die Schneeschmelze in den Bergen machte sich Ÿberall bemerkbar; ufernahe Bäume standen im Wasser, verfallene Anlegestege von verschlafenen Dörfern waren Ÿberschwemmt, und die SŸmpfe breiteten sich Ÿber die angrenzenden Felder aus. Zudem hatte die 'Silberne Ansicc' keine Ladung und benötigte dank der Hitzeschleife kein Feuerholz und keine teure Kohle. Leichter als jetzt konnte das Schiff nicht mehr werden, es sei denn, sie warfen die Möbel Ÿber Bord.
Hochwasser und verminderter Tiefgang sollten zusammen mit Khirays Erfahrung ihre Arbeit tun und die 'Silberne Ansicc' Ÿber die Schnellen tragen. Wenn das nicht genŸgte... nun, dann brauchten sie sich um Dämonen jedenfalls keine Sorgen mehr zu machen.
NatŸrlich war Delley dagegen. Er hielt eine Durchquerung der Schnellen fŸr unmöglich und glaubte, daß sie alle ertrinken wŸrden. Daß Pallys die Gefahren des Otterpfads fŸrchtete, war dagegen schon fast selbstverständlich - Kaninchen waren keine schlechten Schwimmer, aber eben nicht besonders heroisch veranlagt.
Pakkaht stimmte Khirays Plan begeistert zu. Pallys hielt den Hirsch fŸr einen VerrŸckten oder einen verkappten Selbstmörder. Aber letztlich war Khiray der Kapitän und hatte Ÿber die Route zu entscheiden. So fuhren sie bei Farlish, ohne Halt zu machen, nach SŸden ab.
Die Dockarbeiter von Farlish mochten sich wundern - sowohl Ÿber den Kurs des Dampfers als auch darŸber, daß er nicht in der Stadt Halt machte. Farlish war größer und bedeutender als Sookandil, und das fruchtbare Hinterland sorgte dafŸr, daß jederzeit Fracht fŸr Schiffe bereit lag. Zudem hatte Khiray die Identifikationslampen löschen lassen, in der Hoffnung, daß dieses Detail am Tag nicht so sehr auffallen wŸrde. Mit etwas GlŸck wŸrden die Arbeiter den vorbeiziehenden Dampfer in der nächsten Kneipe vergessen, und Galbren wŸrde keine Antworten auf seine Fragen erhalten.
Wenn er sich Ÿberhaupt die MŸhe machte, in Farlish jemanden zu befragen. Die offensichtliche Route fŸhrte den Langen Lauf hinab. Der Otterpfad war etwas, das nur VerrŸckte oder Verzweifelte wagen wŸrden.
Aber verzweifelt waren sie ohnehin. Khiray fragte sich nur, ob Galbren das wußte.
Khiray stand die meiste Zeit selbst am Ruder und ließ sich nur in der Nacht von Pallys, Delley oder Kinnih ablösen. Der nördliche Teil des Otterpfads war schnell, aber noch nicht sehr gefährlich. Wenn die ersten kritischen Flußabschnitte kämen, wŸrde er ohnehin selbst steuern mŸssen - Pallys machte zwar eine gute Figur am Ruder (obgleich er nicht verriet, woher seine Erfahrung mit Schiffen stammte), doch das Kaninchen hatte zu viele Jahre als Lehrer in Sookandil gelebt; der Fluß war nicht in seinem Blut. Delley war Maschinist, kein Steuermann, und Kinnih war zu unerfahren.
In der frŸhen Dämmerung pochte Saljin an die TŸr zu Khirays Quartier. "Delley sagt, der Fluß wird schneller."
Der Fuchs blinzelte verschlafen. "Das ist nur eine Engstelle. Hier in der Nähe gibt es ein Otterdorf."
"Er scheint nicht allzu begeistert zu sein."
MŸde erhob sich Khiray. "Ich komme schon." Er warf sich den Lendenschurz Ÿber und folgte Saljin zur Steuerkabine hinauf. Bereits ein Blick auf den Fluß genŸgte, um das Problem zu erkennen. Das Hochwasser sorgte nicht nur dafŸr, daß es weniger Untiefen gab und stets genug Wasser unter dem Kiel war. Es verstärkte auch die Strömung.
Er mußte zugeben, daß er an Bord dieses Schiffes das Land noch nie so schnell hatte vorbeiziehen sehen.
Die Engstelle forderte seine ganze Konzentration. Der Dampfer reagierte nur träge, so daß er den Kurs schon im Voraus bestimmen mußte. Die Wasseroberfläche schäumte entlang der Uferfelsen und verbarg unter verwirrenden Spiegelungen und weißen Gischtspuren, was unterhalb der Wasserlinie liegen mochte.
Pallys sah nur einmal hinaus, dann verzog er sich wieder in seine Kabine. Khiray hatte noch nie jemanden gesehen, der auf einem Fluß seekrank geworden wäre, aber er mußte zugeben, daß dies nicht die Art von Fahrt war, die er selbst kannte und schätzte. Es war ein Höllenritt, der sie einen Fluß hinabfŸhrte, den niemand sonst befahren mochte. Außer den Ottern - aber die Otter fuhren sogar BergflŸsse hinauf.
Nach einigen Kilometern beruhigte sich der Fluß, aber Khiray wußte, daß diese Engstelle nur ein winziger Vorgeschmack auf das war, was sie bei Dorns Schnellen erwarten wŸrde. Er Ÿberließ Kinnih das Ruder. "Es gibt einige Kilometer flußabwärts ein Dorf. Wir legen dort an", bestimmte er. Kinnih fragte nicht, warum. Der junge Dachs war stolz, Ÿberhaupt das Schiff anvertraut zu bekommen.
Lange Stunden mit voller Konzentration das Schiff zu fŸhren, hatte Khiray mehr beansprucht, als er zugeben wollte. Er besorgte sich aus der KombŸse etwas zu essen und ging zurŸck in sein Quartier.
Saljin wartete dort auf ihn. "Ich dachte mir schon, daß du nicht den ganzen Tag steuern wŸrdest."
"Die nächste gefährliche Stelle ist ein gutes StŸck flußabwärts." Khiray begann seinen Imbiß zu verzehren. "Kinnih kann bis zu den Ottern lenken. Es wird Zeit, daß wir jemandem unser Geheimnis anvertrauen."
"Können wir den Ottern trauen?"
Der Fuchs lächelte. "Wenn nicht ihnen, dann niemandem. Sie sind ein bißchen verrŸckt, aber sie sind unbedingt ehrlich, loyal und niemandem verpflichtet außer sich selbst und ihren Versprechen. Galbrens Pläne werden bei ihnen sicher keinen Anklang finden."
"Warum lassen wir das Schiff nicht dort, tauschen es gegen ein Otterboot ein und Ÿberwinden die Stromschnellen damit? Du hast gesagt, du bist schon mit den Ottern gefahren. Ihre Boote sind doch sicher besser fŸr diesen Fluß geeignet als die 'Silberne Ansicc'."
Khiray schŸttelte den Kopf. "Daran habe ich auch schon gedacht - das Schiff als Pfand hinterlassen, oder womöglich die Otter anzuwerben, uns bis nach Drun'kaal zu bringen. Aber wenn der Otterpfad die Berge verläßt, wird er ebenso träge wie der Lange Lauf. Otterschiffe haben gewöhnlich keine Maschinen, sondern segeln. Wir wären der Gnade des Windes ausgeliefert. Ohne Ladung ist die 'Silberne Ansicc' fast so schnell wie ein Otterboot, und unabhängig vom Wetter. Auf dem Otterpfad haben sie einen Vorteil, aber jenseits davon liegen noch eineinhalbtausend Kilometer vor uns, bis wir Drun'kaal erreichen." Er nahm einen weiteren Bissen.
"Was ist mit dem Landweg?"
Khiray sah Saljin verständnislos an. Dann dämmerte es ihm, weshalb sie diese Frage stellen mußte. Ihr Volk lebte während eines Halbjahres als Nomaden. Der Landweg war ihr wesentlich vertrauter als der Fluß. "Im Armygan gibt es keine Straßen, und auch keine freien Ebenen wie in deinem Land. Der Wald ist wild und undurchdringlich, die SŸmpfe unpassierbar außer mit flachen Booten. Der Fluß ist die einzige, beste und bequemste Straße durch den Armygan. Nur im SŸden gibt es richtige Straßen." Er dachte einen Moment lang nach. "Es wäre natŸrlich möglich... Wir könnten, statt zum Langen Lauf zurŸckzukehren, vom Otterpfad nach SŸden abbiegen. Diese Strecke fŸhrt nach Larynedd, einer weiteren Hafenstadt. Von dort aus gibt es eine Straße nach Drun'kaal, oder wir könnten ein Seeschiff anmieten." Er dachte besorgt an das Gold, das sein Vater fŸr Notfälle gespart hatte. Dies war ein Notfall - aber wenn sie ein Schiff mieten mußten, wäre der Goldvorrat schnell aufgebraucht.
"Mit den Ottern nach SŸden... dann nach Larynedd... Ÿber das Meer nach Drun'kaal", faßte Saljin zusammen. Sie verfolgte die Route auf der Übersichtskarte, die Khiray auch in seiner Kabine hängen hatte. "WŸrde Galbren vermuten, daß wir das Schiff zurŸcklassen und diesen Weg nehmen?"
"Wahrscheinlich nicht." Der Gedanke, das Schiff zurŸckzulassen, auf dem er praktisch sein ganzes Leben verbracht hatte, behagte Khiray nicht. Aber es wäre eine exzellente Tarnung. "Wir könnten uns sogar trennen. Delley und Kaslin-Ray kehren mit einem Otterboot nach Farlish zurŸck und setzen GerŸchte in die Welt, die Galbren auf die falsche Fährte locken, falls er nach uns fragt. Ich, Pallys und Sarmeen reisen weiter nach Larynedd. Du kannst uns bis dort begleiten und dann auf dem Seeweg nach Hause zurŸckkehren. Pakkaht, Shooshun und Kinnih - nun, dem Hirsch traue ich nicht so recht, und Kinnih und Shooshun sollten in die ganze Angelegenheit nicht hereingezogen werden. Wenn wir mit den Ottern fahren, brauchen wir sie nicht; Kinnih und Shooshun können sich in Farlish um eine andere Stelle bewerben und Pakkaht tun, was immer Hirsche so tun."
"Du hast es ja recht eilig, uns alle loszuwerden."
Khiray verstand, daß sie eigentlich sagen wollte: "mich loszuwerden". "Nein, natŸrlich nicht. Es ist nur so..." Er machte eine verlegene Pause. "Du hast doch mit alldem nichts zu tun. Ich habe euch in Galbrens Machenschaften hineingezogen, irgendwie. Du mußt deinen Clan warnen, niemanden mehr nach Sookandil zu schicken, bis Galbren entmachtet ist. Und... ich... möchte nicht, daß dir irgend etwas passiert." Er hob die Hand, ehe sie etwas sagen konnte. "Ich weiß, ich weiß. Du kannst auf dich selbst aufpassen. Und du beherrschst das Dekka'shin, während ich ein Dilettant mit Waffen bin. Und du hast den ganzen Weg nach Sookandil Ÿberlebt, und die Schlacht, und alles. Aber..."
Saljin lächelte ihn an. "Das ist sŸß von dir. Aber es ist nicht deine Schuld, oder? Es war Galbrens Plan."
Khiray nickte stumm. Es mochte Galbrens Plan gewesen sein. Aber er war der Bauer im Spiel gewesen, der geopfert werden sollte. Und der dumm und gierig genug gewesen war, mitzuspielen. Er hätte nie vom Pfad des ehrlichen Handels abweichen sollen.
Saljin wandte sich Khirays Regalen voll gesammelter Schätze zu, um die peinliche Pause zu Ÿberspielen. BŸcher, ein paar Andenken, und natŸrlich die Statuette, die Saljin selbst zeigte. Die Fuchstaurin lächelte. Dann griff sie nach einem kleinen runden Kamm, der rundum mit wachsversiegelten metallenen Borsten versehen war, und fuhr sich damit durch das Fell. "Ich muß fŸrchterlich struppig aussehen."
"Uh", machte Khiray. Es war äußerst seltsam, Saljin mit diesem Kamm zu sehen. Das Nashi'tarr, der runde Kamm, entstammte der alten gemeinsamen Kultur der Felligen, die noch in die Zeit zurŸckreichte, als die zehn Rassen in den halbvergessenen Heimatländern lebten, vor Tausenden von Jahren. Das Nashi'tarr war alles andere als ein gewöhnlicher Kamm; es diente der gegenseitigen Fellpflege unter engen Partnern und hatte eine erotische Bedeutung, die Saljin nicht kennen konnte, kam sie doch aus einem ganz anderen Kulturkreis.
Und außerdem war das Nashi'tarr ein Geschenk von Lysh. Zu sehen, wie die stumpfen Borsten durch Saljins dichtes Fell glitten, rief in Khiray Empfindungen wach, die er zu diesem Zeitpunkt lieber nicht gehabt hätte.
"Du hast ganz rote Ohren", bemerkte Saljin.
Khiray fuhr sich mit den Händen Ÿber die spitzen Ohren, die jede Bewegung der Fuchstaurin gespannt verfolgten, als besäßen sie ein Eigenleben. Verdammte Körpersprache. Verdammter enger Lendenschurz. Saljin kicherte. "Bin ich in irgendein bedeutungsvolles Fettnäpfchen getreten?"
Khiray seufzte und erläuterte Saljin, was es mit dem Nashi'tarr auf sich hatte. NatŸrlich kam er nicht umhin, zu erwähnen, wer Lysh war, und er verschwieg auch seine erste Nacht in Drun'kaal nicht, obgleich ihm dort niemand ein Nashi'tarr geschenkt hatte. Eher im Gegenteil; die beiden FŸchsinnen mit der diebischen Gesinnung hätten es eher auch noch mitgehen lassen. Im Nachhinein war die Erinnerung komisch, obgleich sein Erwachen damals recht unangenehm ausgefallen war.
Zum Ausgleich berichtete Saljin ihm, was Fuchstauren in der Nacht taten, wenn sie in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurden - Saljin zählte bei ihrem Volk, wie es Sitte war, seit dem sechzehnten Lebensjahr zu den Erwachsenen -, und wie man sich am besten darauf vorbereitete. Sie erzählte ihm auch die Geschichte von Drymasaar dem Schelm, der in einem Jahr bei fŸnf verschiedenen Clans fŸnfmal zum Erwachsenen erklärt wurde (und sie vergaß nicht zu erwähnen, daß das eine der harmloseren Geschichten um Drymasaar war).
Schließlich streckte sie ihm die Hand mit dem Nashi'tarr hin. Khiray stockte der Atem, und er zögerte zuerst. War die Fuchstaurin sich darŸber im Klaren, welches Angebot sie ihm damit machte? War es das, was sie wollte? Wenn zwei Geschöpfe aus verschiedenen Kulturen aufeinandertrafen, mußte man sehr, sehr vorsichtig sein mit solchen Annahmen. Aber er hatte ihr die Bedeutung des runden Kamms erklärt, oder nicht? Also nahm er das Nashi'tarr schließlich entgegen.
In den Städten der Men'schin hatte er die verschiedensten GerŸchte darŸber vernommen, wie die Felligen sich liebten. Manche der Haarlosen behaupteten, es wäre nicht anders als bei Pferden oder Rindern eine Dreißig-Sekunden-Sache, die noch dazu nur stattfände, wenn das "Weibchen" in Hitze sei. (Nach allem, was Khiray gehört hatte, waren die dreißig Sekunden eher ein Problem der Men'schin.) NatŸrlich wurde auch das Gegenteil beschworen: Fellige seien ständig in Stimmung, könnten immer und seien schlichtweg unermŸdlich. Eine Art von Stammtischgerede, die unweigerlich zu der bang gestellten Frage fŸhrte, was denn wohl aus den Men'schin-Männern wŸrde, wenn ihre Frauen erst einmal die VorzŸge der Felligen entdeckten. Khiray wußte - was vor den meisten Men'schin natŸrlich verborgen gehalten wurde - daß sowohl diese Art von Verbindung als auch die von Men'schin-Männern mit Felligen-Frauen durchaus schon ausprobiert worden war. Dieser Art von Liebesakt standen jedoch sowohl die Konvention entgegen als auch die fehlende gegenseitige Anziehung - fŸr Fellige waren die flachen, schnauzenlosen Gesichter der Men'schin eher häßlich und die nackten, schwitzenden Körper unattraktiv, während die Men'schin in den Felligen ihrerseits meist nur eine Art weiterentwickelte Tiere sahen.
Letzteres hatte in Hanmur schon einmal zu einem unliebsamen Zwischenfall gefŸhrt, als die 'Silberne Ansicc' dort ankerte. Ein fanatischer Priester einer obskuren Sekte der Men'schin hatte gepredigt, daß eine Verbindung zwischen reinen, unbefleckten Men'schin (was immer er darunter verstehen mochte) und ekelhaften, behaarten Felligen nicht besser sei, als wenn sich eine blutjunge Schäferin von ihrem Schäferhund besteigen ließe. (Er benutzte diese Metapher, inklusive des Wortes "blutjung", so häufig und gerne, daß Khiray vermutete, der Priester fände selbst Gefallen an dem Gedanken.) Der Vergleich zwischen den Felligen und einem Haustier war natŸrlich beleidigend genug; wirklich unangenehm wurde es jedoch erst, als der Priester forderte, entweder alle Felligen aus der Stadt zu treiben oder sie sofort zu entmannen. Bezeichnenderweise verlor er Ÿber Frauen der Felligen kein Wort.
GlŸcklicherweise fiel der Priester einem Unfall zum Opfer und ertrank. Khiray war sich nie ganz darŸber im Klaren, ob der Unfall mehr Delley oder der örtlichen Schäferzunft zuzuschreiben war, und ließ die Sache auf sich beruhen.
Neben Ausdauer, Größe und Können kam natŸrlich auch die exakte Anatomie der Felligen gern zur Sprache, mit demselben Ergebnis. Dichtung Ÿberwog Wahrheit, und wenn der eine Men'schin eine schlŸpfrige Geschichte zum Besten gab, so gab es in der Runde sicher einen anderen, der sie noch zu Ÿbertrumpfen wußte. Zumeist schwankten die Elemente solcher Geschichten zwischen lächerlich und grotesk. Obwohl die Felligen nie ein Geheimnis aus ihrem Körperbau machten und es sicher detaillierte, illustrierte und vor allem anatomisch korrekte BŸcher geben mußte, schienen intime Einzelheiten unter den Men'schin an Wert zu gewinnen, wenn sie bis ins Lächerliche Ÿbertrieben wurden. Kein Wunder, daß die Men'schin ihre Körper bevorzugt verhŸllten; mit den Proportionen ihrer Geschichten konnten sie in Wirklichkeit nicht mithalten.
Das einzige Detail, an das sich Khiray erinnern konnte, das tatsächlich der Wahrheit entsprach, verband FŸchse und Wölfe mit ihren tierischen Vorfahren. Sie besaßen an der Basis ihrer Männlichkeit einen Knoten, der während des Liebesakts anschwoll und oft dazu fŸhrte, daß sich die Partner fŸr eine ganze Weile nicht mehr trennen konnten, wenn der männliche Liebhaber zu tief eindrang. (Dieses "Hängen" war in der Praxis, wie Khiray herausgefunden hatte, alles andere als ein Nachteil, sondern aus naheliegenden GrŸnden ein äußerst begehrter Effekt, der sich dazu nicht nur auf FŸchsinnen oder Wölfinnen beschränkte, sondern mit allen Rassen möglich war.) Ironischerweise war das natŸrlich die Geschichte, die bei Men'schin am ehesten auf Unglauben stieß, und Khiray war nicht bereit, den Beweis anzutreten - was zu weit ging, ging zu weit.
Selbst Khirays spezieller Kunde, der Sammler von Felligen-Erotika, kannte sich nicht so gut aus, wie er vorgab. Er war zwar anatomisch gut informiert - wie konnte es auch anders sein? -, doch auch er hatte nicht genug Phantasie, um in die Haut eines Felligen zu schlŸpfen. Er meinte einmal zu Khiray, ein Liebesakt zwischen Felligen mŸsse so sein, als kopulierten zwei Men'schin in Pelzmänteln.
Was fŸr eine absurde Idee! Ein Pelzmantel war ein totes Ding, das sich nicht annähernd so anfaßte wie ein lebendes Fell. Trockener, toter Pelz, mit allen möglichen Methoden behandelt, mochte einem Men'schin so vorkommen wie ein Fell, haarlos wie die armen Geschöpfe waren - aber es genŸgte, eine Hand leicht Ÿber Pelz und Fell gleiten zu lassen, um den Unterschied bis ins Mark zu spŸren. Und was wurde aus dem Glanz, der Geschmeidigkeit, der Weichheit der Unterwolle, dem lockeren Aussehen langen Haares, wenn der Pelz nicht ständig erneuert wurde, Winterfell gegen Sommerfell, Sommerfell gegen Winterfell, und wenn die natŸrlichen Hautfette die einzelnen Haare nicht immer wieder mit schŸtzenden Substanzen umgaben?
Ganz zu schweigen von dem Effekt fŸr den Träger. Ein Fell gab, Haar fŸr Haar, BerŸhrungen weiter. Jede Haarwurzel war ein Teil der Haut und empfindsam fŸr die Liebkosungen des Fells. Das Haar mochte Dornenkratzer verhindern und Brennesselgifte von der Haut fernhalten, sogar Schläge dämpfen, wenn es dicht genug war, aber die Hand eines Liebhabers fand immer die richtige Art, durch die Unterwolle zu streichen, die dem BerŸhrten Schauer Ÿber den RŸcken laufen ließ. Und selbst wenn das Fell an manchen Stellen zu dick und dicht war, um ein sachtes, lustvolles Streicheln zuzulassen, so war es doch an anderen Stellen dŸnn und zart: am Bauch, an den Lenden, an der Innenseite der Schenkel. Finger oder Krallen konnten es durchdringen und die Haut berŸhren, was bei einem Pelzmantel niemals der Fall war; Pelzmäntel isolierten gegen BerŸhrung ebenso wie gegen Wärme oder Kälte. Gerade dafŸr diente ja das Nashi'tarr: um die Haut ebenso wie das Fell zu stimulieren.
Liebe im Pelzmantel? Khiray konnte darŸber nur lachen. Aber wie sollten Men'schin es auch jemals verstehen?
Langsam ließ er das Nashi'tarr Ÿber Saljins RŸcken wandern. Es gab eine rituelle Abfolge der Körperteile, die man mit dem runden Kamm berŸhrte; beginnend mit den weniger empfindlichen Regionen hin zum Intimen. Je nach persönlichen Vorlieben war diese Reihenfolge auch variabel, schließlich hatte jeder seine eigenen, ganz privaten Regionen, die er dem Nashi'tarr darbot. In diesem Fall mußte der Fuchs etwas mehr improvisieren: Saljin hatte einfach mehr Körper als gewohnt. Galt unter den Fuchstauren der RŸcken des Unterkörpers als intimer als der des Oberkörpers? Oder umgekehrt? Was war mit dem Bauch? Saljins Oberkörper-Bauch war fast so dicht behaart wie ihr RŸcken, anders als bei FŸchsinnen. Und der Schwanzansatz! Diese höchst erogene Zone fand sich bei der Fuchstaurin ja im Prinzip zweimal, denn der RŸcken des Oberkörpers ging an genau der Stelle in den fŸchsischen Unterkörper Ÿber, wo das Becken liegen sollte. Er konnte an der Stelle nicht einmal einen Knochen spŸren!
Schließlich erkannte er, daß er kurz davor stand, sich durch Zögern und Ungeschicklichkeit zum Narren zu machen. So dumm hatte er sich nicht einmal bei seinem ersten Mädchen angestellt! Rituale und Gewohnheiten mochten ja gut und schön sein, aber wenn man etwas Fremden begegnete, waren sie einfach nicht anwendbar. Er mußte seinen GefŸhlen vertrauen und seine Partnerin ohne Furcht erforschen; schließlich war er fŸr sie ebenso fremd.
Er legte eine Hand auf die Stelle, wo die Vorderbeine in den Rumpf Ÿbergingen, und strich behutsam durch das weiche Fell, während er das Nashi'tarr weiter Ÿber ihren RŸcken gleiten ließ. Sie besaß so etwas wie Schulterblätter an dieser Stelle, und ein elastisches Gelenk zwischen den Wirbeln, wo Ober- und Unterkörper ineinander Ÿbergingen. Während Khirays Linke den Rumpf emporwanderte, zog er den runden Kamm in kräftiger werdenden Strichen Ÿber Saljins Wirbel und die kräftigen RŸckenmuskeln, die sie umgaben, bis die Fuchstaurin die Arme zur Decke hob und ihren ganzen Körper behaglich streckte.
Einigermaßen beruhigt, daß er jedenfalls nichts völlig falsch machte, folgte Khiray seinem eingeschlagenen Pfad. Saljin ließ ihn gewähren und genoß seine Handhabung des Nashi'tarr, bis er an den Flanken und den muskulösen Schenkeln ihres Hinterteils angelangt war. Dann zeigte sie ihm, wie er ihre BrŸste kämmen mußte, und legte ihre Arme um ihn, um endlich seine BemŸhungen zu erwidern (und ihn von dem arg hinderlichen Lendenschurz zu befreien).
Nicht, daß er noch zusätzliche Ermutigung benötigt hätte. Er vergrub die Schauze in ihrem Fell, atmete den sŸßen Duft ihrer Haut, ließ seine Hände durch ihr eigentŸmlich men'schin-ähnliches Kopfhaar und ihren buschigen, kräftigen Schweif wandern, glitt mit den Lippen Ÿber ihre BrŸste und strich mit dem eigenen Schwanz Ÿber ihren Bauch. Sie war sehr fuchsähnlich in mancher Hinsicht, aber immer wieder Ÿberraschte ihre seltsame Anatomie ihn: sie reichte ihm nicht einmal bis zum Hals, doch war sie ein gutes StŸck schwerer als er, und wenn sie sich aufrichtete, um ihn mit den Vorderpfoten zu umschlingen, preßte sie seine Schnauze genau zwischen ihre BrŸste - und prallte mit dem Kopf beinahe an die Decke der Kabine.
Saljin warf sich auf das Bett und drehte sich auf den RŸcken, um ihm zu erlauben, ihr Bauchfell zu kämmen. Sie besaß entlang des Bauches keine Zitzen, nicht einmal Überreste davon, und das Bauchfell am Unterkörper war so weich und dŸnn, daß Khiray die rosige Haut durchschimmern sehen konnte. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen und leckte daran. Sie kicherte und zog ihn zu sich auf das Bett, das glŸcklicherweise (in weiser Voraussicht) mit einem stabilen Rahmen versehen war. Andere Schiffe besaßen nur schmale Kojen oder gar Hängematten, doch die 'Silberne Ansicc' stellte auch fŸr die Besatzung luxuriösen Komfort bereit.
Es war einfach ein gutes GefŸhl, neben Saljin zu liegen, ihren warmen Körper zu spŸren, ihre Nähe zu genießen, Fell an Fell, und sich gegenseitig kleine Unanständigkeiten ins Ohr zu flŸstern. So fremd - so vertraut. Als hätte er sie schon immer gekannt. Er wußte, daß sie seine Flanken kitzeln wŸrde, als er ihr schelmisches Grinsen sah. Er ahnte, daß ihre Hände seinen Bauch hinab und Ÿber seine Lenden wandern wŸrden. Er konnte vorhersagen, daß sie sich spielerisch Ÿber ihn rollen und mit den Pfoten festhalten wŸrde. So, als wäre sie ihm längst bekannt, als könnte er in ihrer Miene und ihrem Körper lesen. Als wäre sie ein vergessenes Teil von ihm, das sich nun anbot, wieder mit ihm zu verschmelzen und eine schmerzhafte LŸcke zu fŸllen, von der er erst jetzt wußte, daß sie existierte.
Er wŸnschte sich, daß sie nicht auf dieser gefährlichen Fahrt dabei wäre, daß sie daheim bei ihrem Clan sein könnte. Sie wäre in Sicherheit. Kein Dämon wŸrde je Hand an sie legen. Nichts Böses könnte ihr widerfahren. Und gleichzeitig konnte er sich nicht mehr vorstellen, von ihr getrennt zu sein, niemals in ihrer Weichheit zu versinken, nie wieder ihre Hände, ihre Pfoten, ihre Schnauze, ihren Schweif auf seinem Körper zu fŸhlen.
Als sie sich herabbeugte und er zum ersten Mal das elektrisierende GefŸhl ihrer Zunge auf seinem Glied spŸrte, sah er die Kerben in ihrem rechten Ohr. Als er sich Ÿber sie kniete und ihre intimsten Geheimnisse erforschte, konnte er die Narbe an ihrer linken Flanke wahrnehmen. Ihre Muskeln waren hart und doch flexibel wie Stahl - wie Trollstahl. Sie war ein Krieger. Und es erfŸllte ihn mit unbändigem Stolz, daß sie ihn erwählt hatte.
"Liebst du sie?" hatte Pallys gefragt. Er hatte darauf keine Antwort gewußt, und er war sich auch jetzt nicht sicher. Womit hätte er das GefŸhl vergleichen sollen, das ihn durchströmte? NatŸrlich war es anders als mit Lysh. Saljin war in gewisser Weise von seiner eigenen Art, und auf andere Weise weiter davon entfernt, als das Ottermädchen es je sein konnte. Er hatte nie geglaubt, sein Lager je mit einer Fremden zu teilen, mit jemandem, der nicht den zehn Felligen-Rassen des Armygan angehörte. (Die einzigen Kandidaten dafŸr waren ohnehin die Men'schin gewesen, die Khiray nicht allzu anziehend fand.)
War "Liebe" das richtige Wort fŸr sein GefŸhl? Er vermochte es nicht zu sagen. Worte waren fŸr Dichter. Er wußte nur, daß sie ihn verändert hatte - daß er sich immer mehr von der Person entfernte, die er noch vor wenigen Tagen gewesen war - ein gelangweilter, verträumter Jugendlicher -, und daß der Mann, der er wurde, Saljin brauchte.
Die Fuchstaurin schien zu spŸren, daß seine Beherrschung sich dem Ende zuneigte. "Unsere Tradition oder eure?" murmelte sie in sein Ohr.
"Uh - eure?" antwortete er, nicht ganz sicher, was sie meinte. FŸr einen Moment fŸrchtete er, daß die Fuchstauren-Tradition eine unangenehme Überraschung fŸr ihn bereithalten könnte - Narben zur Erinnerung, angebracht an empfindlichen Stellen, oder eine Art BlutsbrŸderschaft -, aber sie griff nicht zum Messer. Stattdessen sprang sie vom Bett und posierte fŸr ihn mit leicht gespreizten Beinen und einladend zur Seite gelegtem Schwanz.
Fuchstauren-Tradition? Nun, das beantwortete zumindest die Frage, die ihm vor zwei Tagen durch den Kopf gegangen war, obgleich die verblŸffende Beweglichkeit ihres Oberkörpers nahelegte, daß die Fuchstauren noch andere Stellungen kannten als die "traditionelle".
Doch eine häßliche Stimme meldete sich in seinem Geist zu Wort.
"Siehst du, sie ist eben doch ein Tier!"
Er fuhr zusammen. Die Stimme war so deutlich erklungen, als stŸnde der Sprecher neben ihm. Und was das Seltsamste war: Es war, als seien es in Wahrheit zwei Stimmen: die Stimme des sinnenfeindlichen Priesters aus Hanmur - und die Stimme des Dämons Khezzarrik khi Valangassis.
Aber er wußte, daß die Stimme, wie immer sie sich tarnen mochte, er selbst war. Es war sein Gedanke, den er im Zorn ausgesprochen hatte: Fuchstauren sind Tiere, weniger wert als die Felligen, Barbaren, Wilde. Fremd, fremd, fremd...
Verdammt, sie war ein Tier! Eine Wilde aus irgendeinem götterverlassenen Land ohne Zivilisation! Das waren seine Worte gewesen.
"Und ist es nicht wahr? Sieh sie dir an! Was wŸrde Lysh sagen? Wie eine läufige HŸndin! Was wŸrde deine Mutter sagen?"
Eine Welle des Zorns Ÿberrannte Khiray. Was wagte die Stimme, von seiner Mutter zu sprechen? Was fŸr ein Teil seines Selbst konnte sein Handeln Ÿberhaupt in Frage stellen? Wie konnte er selbst gegen sich selbst argumentieren? Welche schwarze Magie spaltete ihn in zwei Hälften?
Dann erkannte er, was mit ihm geschah. Nicht schwarze Magie hatte ihn Ÿberrannt.
Furcht.
Dieselbe Furcht, die Galbren schŸrte: die Furcht vor dem Fremden, die den Haß gebar. Er hatte ihr einmal nachgegeben und den ganzen Zorn gefŸhlt - den Zorn, der damals so richtig und rechtschaffen und gerechtfertigt erschien und dabei doch nur war wie der Aufschrei eines kleinen Kindes, das in der Dunkelheit der Ungewißheit alleingelassen wird.
Und im selben Moment, als er dies erkannte, verschwand die Stimme, fuhr jammernd in eine dunkle Tiefe, und Ÿberließ ihn endlich sich selbst. Er hatte den letzten Schritt getan, den Schritt, vor dem Galbren ihn gewarnt hatte: es gab nichts Fremdes mehr, nur noch eine Unendlichkeit von Möglichkeiten; manche angenehmer, manche wahrscheinlicher als andere, manche bösartig oder beinahe unmöglich, aber alle Teil eines gewaltigen Universums: der Zukunft.
Khiray lächelte. Nur ein Herzschlag war vergangen. Wenn Saljin eine läufige HŸndin war, nun, so sei es. Dann wŸrde er versuchen, ihr RŸde zu sein.
Und das tat er. Es war nicht ganz einfach: er war kein Fuchstaur; ihr Körperbau war zu verschieden, ihre Beine hatten die falsche Länge, und weder im Stehen noch im Knien schien der Winkel zu passen. Es gibt Situationen, da die Tugend der Geduld das schwerste aller Gebote zu sein scheint, doch ehe Saljin und Khiray die Frustration Ÿbermannen konnte, gelang die Vollendung, und plötzlich schien es, als sei alles so natŸrlich, daß sie sich fragten, weshalb sie Ÿberhaupt jemals Schwierigkeiten gehabt hatten, die Vereinigung zu vollziehen. Khiray umarmte Saljins Flanken und verlor sich in ihr. Sie bewegten sich in einem stetigen Rhythmus, dem Puls des Blutes, lauschten ihrem eigenen, heftigen, tiefen Atmen. Es schien kein Universum jenseits der Kabine mehr zu geben - kein Universum jenseits ihres Selbst. Saljin drehte sich herum - das Wirbelgelenk ihres Oberkörpers und die äußerst bewegliche obere Wirbelsäule erlaubten ihr beinahe, sich nach hinten zu wenden - nahm seinen Kopf in die Hände und fŸhrte seine Schnauze zwischen ihre BrŸste.
Das Feuer ihres EntzŸckens war fŸr Khiray fast ebenso deutlich spŸrbar wie fŸr seine Geliebte. Und hörbar: Sie reckte die Schnauze zur Decke und begann in einem klagenden und gleichzeitig lustvollen Ton zu heulen, wie es Wölfe gelegentlich taten.
Es dauerte nur ein paar Herzschläge, ehe sich die TŸr öffnete, Delley mit schlagbereitem SchraubenschlŸssel hereinstŸrmte und verdutzt stehenblieb, nach einem weiteren Augenblick gefolgt von Pallys, der nicht ganz so verdutzt war, sondern ziemlich genau zu wissen schien, was vor sich ging - er war, erinnerte sich der Fuchs vage, einige Jahre im Land der Fuchstauren unterwegs gewesen. Khiray verfluchte sich hilflos dafŸr, die TŸr nicht verschlossen zu haben.
"Na, wenigstens einen Rat nimmst du an", brummte Delley schließlich, nicht unzufrieden. Dann zerrte Pallys ihn aus der Kabine und knallte die TŸr hinter sich zu. Nun, mochte die Mannschaft reden; besser, als wenn sie sich Ÿber Dämonen oder Stromschnellen Sorgen machten.
Schließlich gab Khiray der Anspannung nach. Das rote Feuer in seinen Adern reduzierte sich auf ein dumpfes Pochen und ein GefŸhl der GlŸckseligkeit. Mit Lysh war es niemals so gewesen. Saljin paßte so vollkommen zu ihm, daß der Gedanke, sie zu verlieren, unerträglich wurde.
"Was tust du da?" Die Fuchstaurin hatte einen Schritt nach vorn gemacht und festgestellt, daß sie sich nicht mehr von Khiray lösen konnte. "Bist du nicht gerade..."
Der Fuchs erklärte Saljin, was es mit dem Knoten auf sich hatte, und daß sie ihre Vereinigung erst beenden konnten, wenn seine Erektion nachließ, was eine Weile dauern konnte. Dieses Detail war ihr neu - Fuchstauren waren nicht so gebaut, von Tier-FŸchsen also in Wahrheit weiter entfernt als die FŸchse des Armygan. "Das ist... ungewöhnlich", erklärte sie und leckte sich die Schnauze. "Aber ich wŸrde lŸgen, wenn ich sagte, daß es unangenehm ist."
Nichts anderes hatte Khiray erwartet. Und sie nutzten die Zeit.
Er hätte den ganzen Tag so verbringen können - neben Saljin auf dem Bett liegen, ihren Duft in der Nase, ihr Fell an seinem. Nichts denken, nichts tun, nur geborgen in völliger Entspannung ruhen.
Aber er konnte sich nicht vom Denken abhalten.
Er begriff jetzt, weshalb Galbren die Furcht schŸrte und weshalb sein Plan so schnell zum Gelingen erblŸht war. Die Furcht hielt Fellige - und wahrscheinlich jede intelligente Kreatur - klein, machte sie zu Untertanen, Dienern, gehorsamen Sklaven. Was war Herrschaft ohne Furcht: Furcht vor Strafe, vor dem Tod, vor Krieg und feindlicher Invasion? Furcht vor Schmerzen, vor Verlust, vor Armut und Ablehnung, vor Krankheit und Alter? Furcht ließ sie nicht Ÿber sich selbst hinausschauen, ließ sie in einem Käfig des beschränkten Ichs zurŸck, unfähig, jemals hinauszuschauen und die Möglichkeiten zu sehen, die ihnen wahrhaft offenstanden.
Furcht diente allein den Herrschenden. Um Macht zu gewinnen, mußte Galbren den Mut, die Hoffnung und das Vertrauen der Felligen in die Zukunft zerstören, um auf den Ruinen der Ungewißheit ein neues Reich in seinem Sinne errichten zu können. Und fŸr den Haß, den ungleichen Bruder der Furcht, der das GefŸhl der Ohnmacht vertrieb und die Furchtsamen mit der Illusion von Kraft erfŸllte, benötigte er ein Ziel.
Khiray hatte sich nie mit Politik beschäftigt. Es hatte ihm immer genŸgt, wie sein Vater Ÿber Steuern und Zinsen zu stöhnen und ansonsten das Geschäft zu fŸhren.
Der Fisch muß schwimmen, wie Lysh gesagt hatte. Und es war ja nicht so, als könnte auch die weiseste Erkenntnis Ÿber die Struktur der Macht den Armygan verändern. Es gab keine Wahlen - Ämter waren erblich. Wo ein Amt verwaiste, ein neues geschaffen wurde oder ein völlig unfähiger oder korrupter Amtsinhaber abgesetzt werden mußte - was selten genug geschah, obwohl unfähige und korrupte Beamte nicht gerade unbekannt waren -, ernannte der DrunfŸrst oder ein Adeliger den neuen Inhaber. Der Rest der Politik, ein undurchsichtiges Gewirr aus Ränke, Eigeninteresse, Vetternwirtschaft und Rachsucht, das Khiray nur flŸchtig kannte, spielte sich in den großen Städten ab, an den Höfen des Adels. Einfache Fellige hatten damit nichts zu tun.
Und er war tatsächlich unterwegs, den DrunfŸrsten vor Galbren zu warnen? War es nicht letztlich egal, wer Drun'kaal beherrschte? Welche VorzŸge hatte Kooradah vor Galbren, außer daß er der Sohn eines anderen DrunfŸrsten war?
Nein, das war nicht der Grund, weshalb er es tat.
Es war der Krieg, den Galbren entfesseln wollte. Dämonen, die auf die Welt losgelassen werden sollten. Haß und Furcht, die vielleicht ein neues Zeitalter der Barbarei einläuten wŸrden. Zehntausende unschuldiger Felliger wŸrden leiden - mußten leiden, um die Dämonen zu sättigen -, ehe Galbrens Machtergreifung vollzogen war. Und wer wŸrde den Dämonen hinterher Einhalt gebieten?
Er unternahm diese Reise, setzte sein Leben aufs Spiel, um diese Greuel zu verhindern. Kein Unschuldiger sollte mehr sterben, so wie die Fuchstauren, die Galbrens Wahn bereits zum Opfer gefallen waren.
Khiray vergrub seine Schnauze in Saljins Fell und zog sie noch ein wenig enger an sich.
"Woran denkst du?" wollte die Fuchstaurin wissen.
"Politik", murmelte Khiray.
Saljin verzog das Gesicht. "Was fŸr ein Augenblick, um an Politik zu denken." Sie bemŸhte sich, ihn auf andere Gedanken zu bringen, und sowohl der Gedanke an Galbren als auch die angenehme Schläfrigkeit schwanden dahin.
"Unsere Tradition oder eure?" flŸsterte sie.
"Unsere", erklärte er entschieden. Dann murmelte er in ihr Ohr: "Wir könnten natŸrlich auch unsere eigene Tradition finden."
Saljin blinzelte und streckte sich zu voller Länge aus. "Das erfordert sicherlich eine Menge Zeit."
"Zweifellos", stimmte der Fuchs zu. "Vielleicht ein ganzes Leben."
Die Fuchstaurin richtete sich überrascht auf. "Was meinst du?"
"Oh..." Khiray schüttelte den Kopf. Saljin schien wenig begeistert von seiner Andeutung zu sein. Empfand sie nicht für ihn dasselbe? Sie hatte ihm das Nashi'tarr gegeben, ihn aufgefordert, die Initiative ergriffen. War dieses Liebesspiel nur ein Zeitvertreib für sie? Fühlte sie sich ihm nur verbunden, weil sie gemeinsam diese Flucht erlebt hatten, nicht mehr? "Ich meine nur, wir legen bald an... Wir sollten nicht zu lange überlegen."
Saljin wich seinem Blick aus. Sie wußte, was er wirklich sagen wollte, und sie konnte ihm die Antwort nicht geben, die er sich wünschte.
Aber sie war hier die Fremde. Der Fluß war nicht ihr Leben, so wie Khirays, und ihr Clan war fern. Und es war wirklich nicht der Moment, für eine Zukunft zu planen, die niemals stattfinden mochte. Vielleicht konnte er ihr die Frage später einmal stellen.
Er versuchte, den Augenblick festzuhalten und Saljins Nähe zu genießen, solange er konnte. Aber irgend etwas lag in ihren Augen, eine sanfte Traurigkeit, die die Furcht wieder Einzug in sein Herz halten ließ - als wisse sie um Dinge, die noch nicht geschehen waren; als könne sie eine Zukunft für ihn sehen, in der sie nicht an seiner Seite war.