McDavid und McGoliath

Gro▀britannien

Der Spiegel 51, 16th December 96; Germany

Der Fast-food-Konzern McDonald's will zwei mittellosen Kritikern den Mund stopfen - und blamiert sich in einem Marathonproze▀.

Im Londoner Theaterdistrikt West End stehen Musical-Dauerhits wie "Jesus Christ Superstar" oder "Sunset Boulevard" auf dem Spielplan. Fⁿr das Amⁿsement zahlt das Publikum hohe Eintrittspreise.

Die "beste kostenlose Unterhaltung in ganz London", so der Publizist Auberon Waugh, bietet hingegen gleich um die Ecke Kammer 35 in den ehrwⁿrdigen Royal Courts of Justice, dem Justizpalast der britischen Hauptstadt.

In dem holzgetΣfelten viktorianischen Gerichtssaal mit seiner kirchenhohen Decke lΣuft seit dem 28. Juni 1994 ein bizarrer Zivilproze▀, der mittlerweile ins Guinness-Buch der Rekorde als lΣngster Gerichtsstreit in der Justizgeschichte des Vereinten K÷nigreichs eingegangen ist. Im Volksmund hei▀t der Verhandlungsmarathon "McDavid gegen McGoliath" - ein Lehrstⁿck, wie ein mΣchtiger Konzern mit allen Mitteln sein Recht erzwingen will und dabei seinem Ruf schweren Schaden zufⁿgt.

KlΣger ist der amerikanische Fast-food-Gigant McDonald's. Beklagte sind der arbeitslose Postbote und alleinerziehende Vater Dave Morris, 42, sowie Helen Steel, 31, die gelegentlich hinter einem Pub-Tresen kellnert.

Die beiden geh÷ren der radikalen Londoner Greenpeace-Gruppe an, einer Umweltorganisation, die mit Greenpeace International nichts gemeinsam hat. Sie hatten 1986 erstmals FlugblΣtter verteilt, in denen McDonald's der Zerst÷rung von RegenwΣldern, des Verkaufs ungesunder und gar krebsf÷rdernder Nahrung, der Verfⁿhrung von Kindern durch tⁿckische Werbung sowie sklavenartiger Ausbeutung seines Personals bezichtigt wurde.

Der weltweit operierende Multi (Gesamtumsatz pro Jahr: etwa 50 Milliarden Mark) engagierte den Londoner Staranwalt Richard Rampton, einen Spezialisten fⁿr VerleumdungsfΣlle, dessen Honorar pro Verhandlungstag in der Branche auf etwa 5000 Mark gesch Σtzt wird.

Profi Rampton glaubte, da▀ der Fall in "drei, vielleicht vier Wochen" vom Tisch sein werde - eine zumindest fⁿr ihn profitable FehleinschΣtzung. Seinen Auftraggebern bescherte der Rechtsstreit, der jetzt die Marke von 300 Sitzungstagen ⁿberschritt, neben happigen Kosten vor allem peinliche Enthⁿllungen.

In packenden Kreuzverh÷ren gelang es den Justizlaien Steel und Morris, die sich mangels Eigenmitteln selbst verteidigen, McDonald's-Vertreter im Zeugenstand immer wieder in BedrΣngnis zu bringen. So konnten sie die Behauptung widerlegen, da▀ McDonald's kein Rindfleisch aus Herden verarbeite, fⁿr deren Aufzucht RegenwΣlder in Lateinamerika gerodet wurden.

Geschickt wie gewiefte Advokaten verstanden es die beiden Kritiker, gegnerische Zeugen in Fallen zu locken und den Eindruck zu erwecken, als seien die KlΣger die Schuldigen. Den Doktor Sidney Arnott, vom Hackfleisch-Riesen als Krebsspezialist aufge boten, fragten sie, ob man "mit Recht" behaupten k÷nne, da▀ "ein hoher Nahrungsmittelanteil an Fett, Zucker, Tierprodukten und Salz sowie geringe Anteile an Faserstoffen, Vitaminen und Mineralien mit Brustkrebs und Darm-und Herzkrankheiten in Verbindung stehen".

Arnotts Antwort: "Fⁿr die Laien÷ffentlichkeit gesagt", halte er diese Aussage "fⁿr durchaus gerechtfertigt". Die Beklagten triumphierten: Sie hatten dem Gutachter einen Kernsatz aus ihrem Flugblatt vorgelesen, mit dem sie ihren Vorwurf der Gesundhe itsgefΣhrdung durch Junk food begrⁿndeten.

Selbst das unternehmerfreundliche New Yorker Wall Street Journal zollte den Pfiffikussen Respekt und urteilte schadenfroh, der Konzern habe vergebens gehofft, die mittellosen "Vegetarier-Aktivisten zu Hamburgern zu verarbeiten".

Der Proze▀ dauert auch deswegen so lange, weil Richter Roger Bell die Beklagten geduldig mit Rechtsbelehrungen ⁿber ihre Kompetenzen als Verteidiger versorgen mu▀. Derweil wurde der KlΣger immer nerv÷ser. Mehrere Vergleichsangebote eigens aus den U SA eingeflogener McDonald's-Manager wiesen die Angeklagten brⁿsk zurⁿck. LΣngst sind die mehrmals pro Woche anberaumten Gerichtstermine zu ihrem Lebensinhalt geworden.

Morris und Steel, stets mit Jeans und Schlabber-Pullover gekleidet, lernten, sich immer besser im Justizdickicht und in den 40 000 Aktenseiten zurechtzufinden. Morris gew÷hnte es sich sogar an, die HΣnde aus den Taschen zu nehmen, wenn er zu dem Richter mit der wei▀gepuderten Perⁿcke und der roten SchΣrpe ⁿber demschwarzen Talar spricht. Auch unterlΣ▀t er es inzwischen, Rampton einfachmit dessen Vornamen anzusprechen.

Das Kohlhaas-Duo erscheint den Zuschauern zwar gelegentlich etwas versponnen und k÷rperlich ausgelaugt, aber die grimmige Entschlossenheit, "diesen Proze▀ bis zum bitteren Ende durchzufechten", ist ungebrochen. Morris, ebenso wie seine Mitstreiterin Steel lΣngst zu einem Helden der internationalen Alternativszene geworden und ⁿber Internet (http://www.mcspotlight.org/) erreichbar, sieht sich als Avantgarde: "Unser Kampf soll auch andere ermutigen, sich gegen Gro▀konzerne aufzulehnen. Wir zeigen, da▀ es sich lohnt."

Noch vor Weihnachten, so hoffen KlΣger und Richter, sollen die Schlu▀plΣdoyers gehalten werden. Frⁿhestens im MΣrz nΣchsten Jahres k÷nnte dann das Urteil ergehen. Aber die beiden McDonald's-Gegner haben es nicht eilig. Morris hat sich ausgerechnet, auf welch schwindelerregende Summe sich die Proze▀kosten belaufen, falls er verliert.

Er mⁿ▀te dann, beim derzeitigen Stand seiner Sozialhilfe, die nΣchsten 750 Jahre abzahlen: "Da kommt es auf ein paar Proze▀monate mehr oder weniger nicht mehr an."


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