Um in die Matrix einzutauchen, verbindet man sich per Kabel mit dem Computer. Eine perfekte Sinnesillusion läßt die Außenwelt verblassen, man ist in einer neuen Ebene, einer eigenen Welt, in der man tagelang leben, aber auch sterben kann - Abwehrprogramme, die sich vom eigenen Tun angegriffen fühlen, setzen das EEG des menschlichen Widersachers auf Null.

Case, von selbstmörderischer Angst getrieben, ist an diesen Grenzbereichen angelangt, als er entdeckt, daß hinter seinem Auftraggeber eine künstliche Intelligenz steckt, die jenen steuert.

William Gibson kann mit der einfachen Sprache des Romans in eine beängstigende, von Kriminalität, Anarchie und Drogen bestimmte Zukunft entführen, in der Politik nur noch in den Vorstandsetagen der Konzerne gemacht wird. Trotzdem erscheint sie gleichzeitig schillernd und faszinierend, einfühlsam und vermittelnd beschreibt er das Erlebnis "Matrix".

Die Fremdheit der beschriebenen Welt wird manchmal beseite gerückt und man erkennt das heute und den Mensch - wenn man sich in Zukunft auch Softwareerweiterungsmodule einpflanzen läßt oder in die Schnittstelle hinter dem Ohr einsteckt.

Für ein Buch aus dem Jahr 1984 - man erinnere sich an Homecomputer, Datasette und Grünbildschirme - hat es visionäre Züge: das Datennetz, das den Globus umspannt und direkt per Kabel in den Kopf eingespeist wird, hat Gibson detailliert beschrieben und konnte doch kaum ahnen, daß der sich damals im Anfangsstadium befindliche potentielle Vorläufer, das Internet, dermaßen rasant wachsen wird - und dabei ist es nur ein schwacher Abklatsch seiner erzählten Wirklichkeit. Die Synthese (oder vielmehr Symbiose?) von Leben und Technik erschien damals ferne Zukunft, für uns ist es gerade jetzt eine Schlagzeile aus der Zeitung.

Fehlende exakte Angaben zu technischen Details, die heute meilenweit überholt wären, lassen den Roman glaubwürdig erscheinen, nur an einer Stelle darf man heute schmunzeln: Als der Held, Case, drei Megabytes RAM auf dem Schwarzmarkt loswerden will, um reich zu werden.

"Neuromancer" ist ein Science-Fiction-Klassiker, der eine düstere Welt zeichnet, in der das technisch und medizinisch Mögliche auch realisiert wird, um die Grenzen des Menschen zu sprengen - dabei werden diese dadurch nur um so deutlicher.

1984: Cyberspace "Neuromancer" 2 / 2

157